Jüdinnen und Juden im Widerstand – Der Passfälscher Cioma Schönhaus
Clever, kreativ und mit viel Chuzpe überlebte Cioma Schönhaus in der Illegalität in Berlin, nachdem seine Eltern deportiert wurden. Obwohl er selbst verfolgt wurde, fälschte er im Kreis der Bekennenden Kirche Ausweisdokumente und rettete damit vielen anderen Untergetauchten das Leben.
Von 1958 bis 1966 zeichnete der West-Berliner Senat insgesamt 760 Berlinerinnen und Berliner mit dem Ehrentitel „Unbesungene Helden“ aus, weil sich diese „während der Nazizeit tatkräftig, uneigennützig und häufig unter eigener Gefährdung“ für NS-Verfolgte eingesetzt, in der Regel untergetauchte Jüdinnen und Juden beherbergt oder unterstützt hatten. Initiiert von Innensenator Joachim Lipschitz, einem ehemaligen NS-Verfolgten, ist diese Initiative heute außerhalb Berlins weitgehend in Vergessenheit geraten – und mit ihr die Erinnerung an jene, die sich ihrer Deportation durch Untertauchen widersetzten und dabei von Nichtjuden unterstützt wurden. Solche „Judenretter“ waren in den Nachkriegsjahrzehnten nicht besonders beliebt, hielten sie doch all jenen einen kritischen Spiegel vor, die beteuerten, dass man in der NS-Diktatur nichts habe wissen oder tun können. Auch deswegen wurden sie lange Zeit weder von der breiten Öffentlichkeit noch von der historischen Forschung wahrgenommen.
Untertauchen und Verstecken: Überleben in Berlin
Insgesamt wagten knapp zehn Prozent der rund 164.000 Juden, die im Herbst 1941 noch im Deutschen Reich lebten, den Gang in die Illegalität. Von diesen knapp 15.000 Personen wiederum tauchten allein 6.500 in Berlin ab, wo sie treffend auch als „U-Boote“ bezeichnet wurden. Insgesamt zeichnete sich die Reichshauptstadt durch eine Reihe von Besonderheiten aus, die für das Überleben von Juden günstig waren: Zum Beispiel durch großstädtische Anonymität und günstige Versteckmöglichkeiten wie ausgedehnte Laubenkolonien, in denen etwa der spätere Quizmaster Hans Rosenthal überlebte. Während 1941/42 in vielen deutschen Städten das Gros der noch verbliebenen jüdischen Bevölkerung in den Osten deportiert wurde, lebten in Berlin immer noch zahlreiche Juden, die Zwangsarbeit leisteten und im Laufe des Jahres 1942 immer häufiger erfuhren, dass die Deportierten ermordet oder elenden Lebensbedingungen zum Opfer gefallen waren. Vor 1933 hatte rund ein Drittel der deutschen Juden in Berlin gelebt. Die meisten jüdischen Berliner verfügten über soziale Kontakte zu nichtjüdischen Freunden, Bekannten und Nachbarn, die keine Anhänger des NS-Regimes waren. Wie der Film „Der Passfälscher“ eindringlich zeigt, hatte sich in Berlin ab 1941 darüber hinaus ein ausgedehnter Schwarzmarkt herausgebildet, der die Untergetauchten mit Lebensmitteln, Lebensmittelkarten und gefälschten Papieren versorgte. Letztere erlaubten den jüdischen Verfolgten, ihre Verstecke zumindest zeitweise zu verlassen und boten – sofern es sich um gut gefälschte Papiere handelte – bei den zahlreichen Kontrollen einen gewissen Schutz. Falsche Papiere erlaubten dementsprechend ein Dasein in der Grauzone zwischen Illegalität und Halblegalität. Auf diese Weise überlebten in der Reichshauptstadt rund 1700 untergetauchte Juden und damit rund 30 Prozent derjenigen, die in die Illegalität gegangen waren. Diese Überlebensrate übertraf die der Deportierten bei weitem.
Begrenzte Möglichkeiten und tödliche Konsequenzen des Rettungswiderstands
Wenn dennoch nur eine Minderheit unterzutauchen versuchte, dann hing dies zum einen mit der starken Überalterung der jüdischen Restbevölkerung im Deutschen Reich zusammen. Bis 1941 waren bereits mehr als zwei Drittel – zumeist der jüngeren und mobilen – jüdischen Deutschen ausgewandert. Zu einem Leben in der Illegalität waren betagte Jüdinnen und Juden oft nicht in der Lage. Zum anderen verhielten sich die meisten nichtjüdischen Deutschen gegenüber dem NS-Regime loyal. Während Hilfe für verfolgte Juden im besetzten Europa oft auch eine Form des nationalen Widerstandes gegen die deutschen Besatzer annahm, brandmarkten die Nationalsozialisten solche Unterstützung durch nichtjüdische Deutsche als Verrat an der „Volksgemeinschaft“.
Zwar wurde „Judenbegünstigung“ im Deutschen Reich anders als im besetzten Polen, wo die deutschen Sicherheitskräfte polnische Quartiergeber oft erschossen, nicht mit dem Tode bestraft. Meist wurden die „deutschblütigen“ Unterstützer in ein Konzentrationslager eingewiesen. Ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes von Oktober 1941 sah in diesen Fällen eine dreimonatige „Schutzhaft“ vor. Dennoch setzten sich die nichtjüdischen Unterstützer beträchtlichen Risiken und Gefahren aus, auch wenn sie keine vergleichbaren Konsequenzen wie die untergetauchten Juden zu gewärtigen hatten, die bei Entdeckung fast immer deportiert und ermordet wurden.
Aus jüdischer Sicht war das Abtauchen ein sinnvoller Akt des selbstbestimmten Widerstandes gegen das NS-Regime, zumal die Nationalsozialisten öffentliche Protestaktionen von Juden mit brutaler Gewalt zu unterbinden suchten: Als die jüdisch-kommunistische Widerstandsgruppe um Herbert und Marianne Baum im Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung „Das Sowjetparadies“ verübte, wurden in der Folgezeit nicht nur 33 Gruppenmitglieder zum Tode verurteilt und hingerichtet. Darüber hinaus ließ Reichsführer SS Heinrich Himmler weitere 250 Juden im KZ Sachsenhausen als Geiseln erschießen. Demgegenüber war das Untertauchen von Juden ein Akt des Rettungswiderstandes, der immerhin realistische Erfolgsaussichten bot.
Unterstützung aus der politischen und kirchlichen Opposition
Der Begriff „Rettungswiderstand“ wird mittlerweile auch verwendet, um das Verhalten der nichtjüdischen Unterstützer zu kennzeichnen. Dies macht in jenen Fällen auch Sinn, in denen die Helfer aus politisch-oppositioneller oder moralisch-christlicher Motivation handelten. Dies traf zum Beispiel auf Hilfsnetzwerke der Bekennenden Kirche in Berlin zu, die Quartiere für untergetauchte Juden in Berlin und Umgebung beschafften und teilweise auch deren Flucht ins Ausland ermöglichten, beispielsweise mithilfe gefälschter Ausweisdokumente: In Berlin baute Franz Kaufmann ein Hilfsnetzwerk auf und versorgte Juden mit Lebensmittelmarken und gefälschten Ausweisen. In Frankfurt organisierte das „Bockenheimer Netzwerk“ um das Arztehepaar Fritz und Margarethe Kahl sowie den Pfarrer Heinz Welke systematisch Hilfe und Fluchtmöglichkeiten für untergetauchte Juden. Das Netzwerk unterhielt darüber hinaus zahlreiche Kontakte zu württembergischen Pfarrhäusern, die ebenfalls untergetauchte Juden unterstützten, sodass sich zumindest Ansätze reichsweit operierender Netzwerke des Rettungswiderstandes abzeichneten. Von Hamburg aus organisierten ein Unternehmer und einzelne Belegschaftsangehörige finanzielle Unterstützung unter anderem für einen in Süddeutschland abgetauchten jüdischen Kollegen. Die entsprechenden Überweisungen vermerkten als Verwendungszweck: „A conto Zukunft“. Solche Netzwerke des Rettungswiderstandes waren insofern notwendig, als im Durchschnitt rund zehn Personen an der Hilfe für einen untergetauchten Menschen beteiligt waren, weil letztere das Quartier oft wechseln mussten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und damit Denunzianten auf den Plan zu rufen.
„Judenfledderer“ und „Aufbewarier“: Grauzonen des Rettungswiderstands
Allerdings handelten bei weitem nicht alle Helfer aus einer oppositionellen oder moralisch-altruistischen Motivation heraus. In einzelnen Fällen beteiligten sich auch NSDAP-Mitglieder oder Amtsträger an Unterstützungsmaßnahmen, vor allem gegen Kriegsende mit dem Kalkül, gegenüber den Alliierten jüdische Fürsprecher vorweisen zu können. Besonders in Berlin ließen sich viele Unterstützer für ihre Dienste bezahlen, was allerdings nicht immer verwerflich war, wenn etwa Helfer massive Geldmittel zur Unterstützung der Juden aufwenden mussten, um Lebensmittel oder falsche Papiere auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. In einzelnen Fällen täuschten sie allerdings Hilfe lediglich vor und köderten ihre Opfer mit falschen Versprechungen, um sie faktisch auszuplündern: So zum Beispiel mit dem Angebot, Wertgegenstände für die untergetauchten Juden „aufzubewahren“, die sie in Wirklichkeit in die eigene Tasche steckten. Solche fragwürdigen Helfer, die in ihrem Verhalten auf der Täterseite verortet werden können, wurden nicht selten als „Judenfledderer“ oder „Aufbewarier“ bezeichnet. Insgesamt tat sich zwischen solchen raffgierigen und eigennützigen Betrügern und den altruistischen Unterstützern des Rettungswiderstandes eine Grauzone menschlichen Verhaltens auf, in der das Verhalten von nichtjüdischen Helfern in seiner Dynamik mit Begriffen wie „Unbesungene Helden“ oder „Gerechte(r) unter den Völkern“ nicht angemessen erfasst werden kann. Von daher macht es auch Sinn, das Verhalten der Unterstützer nicht hermetisch vom Verhalten der damaligen deutschen Gesamtbevölkerung zu trennen, es vielmehr in das breite Spektrum des damaligen gesellschaftlichen Verhaltens einzuordnen.
Deshalb haben die Versuche der historischen Forschung, die Unterstützer untergetauchter Juden systematisch kategorisieren zu wollen, auch nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt. Die jüdischen Überlebenden berichteten oft nach ihrer Befreiung, dass sich ihre langjährigen sozialen Beziehungen im Augenblick des Untertauchens als nicht verlässlich erwiesen: Vormals enge Freunde wandten sich bisweilen ab, während sie gleichzeitig von Personen situativ und zufällig Unterstützung erhielten, die ihnen gänzlich unbekannt waren.
Weiblich und bürgerlich: Warum es so viele Frauen im Rettungswiderstand gab
Auffallend war vor allem, dass Frauen unter den Helfern wie Untergetauchten überrepräsentiert waren. Dies war kein Zufall, erweckten doch Frauen bei den nationalsozialistischen Verfolgern weniger Argwohn, sie wurden auch seltener kontrolliert als Männer im wehrfähigen Alter, sodass die Überlebenschancen von Frauen deutlich höher lagen. Insofern war der Fall des 1922 geborenen Grafikers Cioma Schönhaus in Berlin, der dem Film „Der Passfälscher“ zugrunde liegt, nicht unbedingt repräsentativ.
Insgesamt verwundert auch nicht, dass die Unterstützer untergetauchter Jüdinnen und Juden – wie auch letztere selbst – eher bürgerlichen Kreisen entstammten, verfügten diese doch über materielle Mittel, entsprechende Beziehungen oder Wohnungen und Unterkünfte, die andere Bevölkerungsschichten nicht besaßen. Eine Ausnahme bildete auch hier Berlin, wo der Schwarzmarkt für untergetauchte Juden ganz überwiegend in proletarischer Hand war.
In Berlin sind die Gedenkstätte „Stille Helden“ und das Museum „Blindenwerkstatt Otto Weidt“ heute fester Bestandteil der dortigen Erinnerungskultur. In anderen Städten und in der weiteren deutschen Öffentlichkeit besteht demgegenüber noch Nachholbedarf. So ermöglicht das Thema Untertauchen, Hilfe und Rettungswiderstand von und für Juden einen wichtigen Zugang zum gesellschaftlichen Alltag der Kriegszeit in Deutschland. Dabei wird deutlich, dass die Juden nicht nur passive Opfer waren, sich vielmehr aktiv ihrer Verfolgung widersetzten. Dies sollte die Erinnerungskultur nicht ausblenden.
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