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Essay

„Zum Licht und zum Frieden“ – Konrad Adenauer und Weihnachten

Für den gläubigen Katholiken Adenauer hatte das Weihnachtsfest mit der Familie immer eine große Bedeutung. In besonderer Erinnerung blieb ihm das Weihnachtsfest 1933, das er nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten im Schutz des Benediktinerklosters Maria Laach verbrachte.

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„In der Weihnachtsliturgie heißt es: ‚Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker.‘ Gibt es treffendere Worte, um unsere Zeitperiode zu kennzeichnen? […] Wie kam es, dass Dunkel die Völker bedeckt? Ist es nicht unsre, der Menschen Schuld? Haben wir begriffen, warum die Gerechtigkeit nicht mehr auf Erden herrscht? Warum Finsternis hereingebrochen ist? Haben wir alle überhaupt verstanden, dass wir in einer Zeitwende leben? Haben wir alle begriffen, dass für lange, lange Zeit das Schicksal der Menschheit davon abhängt, ob und wie wir, die jetzt Lebenden, die Prüfung, die über uns alle gekommen ist, bestehen? Auf unsere Schulter, auf die Schultern der jetzt Lebenden, ist eine ungeheure Verantwortung gelegt.“ Man trage Verantwortung dafür, dass Gerechtigkeit, Güte, Nächstenliebe, Freiheit und Frieden erhalten blieben. Käme die Sprache dieses Zitates nicht etwas altertümlich daher, könnte man diesen Text unter dem Eindruck des seit dem 24. Februar 2022 andauernden russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und des Terrorangriffes der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fast als Weihnachtsansprache für die heutige Zeit durchgehen lassen. Tatsächlich aber stammen diese Worte aus einer Rede, die Konrad Adenauer am 25. Dezember 1953, also vor 70 Jahren, über die Radiosender ausstrahlen ließ. Mal abgesehen davon, dass offenbar bereits Konrad Adenauer und nicht erst Olaf Scholz den Begriff „Zeitenwende“ (oder in diesem Fall „Zeitwende“) geprägt hat, hat Adenauer diese Worte unter dem Eindruck des Korea-Krieges, des ersten mörderischen Krieges nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gesagt, dem heißesten Krieg in der Zeit des Kalten Krieges, der erst im Sommer 1953 zu Ende gegangen ist und Schätzungen zufolge mehr als vier Millionen Opfer gekostet hatte. In der Unsicherheit der Ära nach dem Tod Stalins warf der Korea-Krieg an Weihnachten 1953 unweigerlich die Frage auf, wie sicher Frieden und Freiheit, wie sicher Recht und Gerechtigkeit, wie sicher Wohlstand und Zukunftsperspektiven damals waren. Alle diese Weihnachtsfeste in den 1950er Jahren waren von der Ambivalenz des wachsenden Wohlergehens und der bleibenden Zukunftsängste geprägt.

 

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Diese Ambivalenz hat sich immer auch durch das Leben und damit auch durch die Weihnachtsfeste Adenauers gezogen. Konrad Adenauer ist eine Jahrhundertgestalt, geboren im 19. Jahrhundert, gestorben im 20. Jahrhundert, und so ist seine Biographie auch ein Spiegel des Wandels der Zeiten. Es sind jeweils die Konstanten, die besser als beliebige Daten zeigen, was bleibt und was sich massiv verändert hat, Konstanten wie die Tage des Advents und der Weihnachtszeit. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nicht irrelevant, wie Konrad Adenauer jeweils das Weihnachtsfest verbracht hat.

 

Flucht und Verfolgung: Weihnachten in der Zeit des Nationalsozialismus

Bereits aus seiner Jugendzeit gibt es Hinweise auf das Thema Weihnachten. Adenauer erinnerte sich später, dass in einem Jahr, das dürfte zu Beginn der 1890er Jahre gewesen sein, das Geld im Vaterhaus Adenauer so knapp war, dass kein Christbaum gekauft werden konnte. Deshalb beschlossen die vier Kinder – Konrad, seine Schwester und seine zwei Brüder –, an vier Sonntagen auf das Sonntagsmahl zu verzichten und mit einem Alltagsessen zufrieden zu sein, um auf diese Weise die nötigen acht Mark einzusparen – für die damalige Zeit eine horrende Summe!

Von ganz besonderer biographischer Bedeutung, aber eben auch Indikator dafür, wie schnell ein traditionelles Familienfest eine geradezu existentielle Bedeutung bekommt, ist im Fall von Konrad Adenauer ganz sicher das Weihnachtsfest 1933. Adenauer war wenige Monate zuvor von den Nationalsozialisten abgesetzt worden und war knapp dem gesteuerten Mob von SA und anderen Schergen in Köln entkommen, die Sprüche wie „Adenauer an die Mauer“ skandierten. Der Kölner SPD-Politiker Wilhelm Sollmann hatte zuvor in Köln erlebt, was die SA mit Gegnern macht, und war fast totgeprügelt worden. Dieses Bild vor Augen, suchte Adenauer nach seiner zwischenzeitlichen Flucht nach Berlin Schutz im Benediktinerkloster Maria Laach. Dass er sich ausgerechnet dort in die Eifel zurückzog, hatte gute Gründe: Der Abt des Klosters war sein Schulfreund Ildefons Herwegen.

Von der Verfolgung, der Adenauer ausgesetzt war, zeugt auch die Fahrt seiner Frau Gussie nach Maria Laach zu ihrem Mann am 24. Dezember 1933, gemeinsam mit den Kindern mit Bus und Bahn. Gussie hatte den jüngsten Sohn Georg auf dem Arm, „alle anderen Kinder umringten sie auf dem Kölner Hauptbahnhof.“ Überliefert ist, dass die Frau des ehemaligen Oberbürgermeisters, die aus einer wohlhabenden und bekannten Kölner Familie stammte, von den Mitreisenden, die sie erkannten, geschnitten wurde. In ihrem Bericht schrieb Gussie Adenauer: „Ich sah viele Bekannte, aber die meisten blickten weg, ohne zu grüßen. Wir sind Verfemte, dachte ich, und voller Angst blicke ich auf die Kinder. Sie sollten nichts davon spüren, wie wir gemieden wurden, ihre kindliche Vorfreude auf das Fest sollte nicht zerstört werden.“

Im Gepäck hatte die Familie – als Traditionsanker und um für die Kinder so viel Normalität wie möglich herzustellen – die barocke Krippe, die Adenauer für seine Familie Jahre vorher erstanden hatte und die bis heute an jedem Weihnachten im Haus von Konrad Adenauer in Rhöndorf aufgebaut wird und den Mittelpunkt der alljährlichen Familientreffen bildet.

1933 stand die Krippe nur für eine Nacht in einem Hotelzimmer in Maria Laach und umrahmte das fast ganz normale Familienidyll. Adenauer las seinen Kindern das Evangelium vor. Sein Sohn Paul spielte Blockflöte, gemeinsam wurde gebetet.  „Noch nie“, so schrieb Gussie, „war mir der Sinn der heiligen Weihnacht so nahegebracht worden, wie in diesen Stunden.“ Aus dem Rückblick Adenauers voller Wärme auf dieses Fest zeigt sich etwas, das wir auch heute erleben: wie wichtig gerade in der unablässigen Abfolge von Krisen solche Feste sind, die Stabilität vermitteln, die ein Ruhepol sind, die sozusagen die Fassung wieder erringen lassen. Als Bundeskanzler sagte Konrad Adenauer in seiner Weihnachtsansprache 1951 mit Blick auf das Weihnachten 1933 schon fast romantisierend: „Ein Weihnachtsfest vor allem kommt mir wieder in den Sinn. Es war ein Weihnachten in der nationalsozialistischen Zeit, als ich aus meiner Heimatstadt verjagt und verbannt und von einem Jugendfreunde, dem Abt des Klosters Maria Laach, aufgenommen war. Ich weiß nicht, ob das nicht das schönste meiner Weihnachtsfeste war. Meine Frau und meine Kinder waren gekommen, der Christbaum war klein in einem Hotelzimmer aufgebaut, es gab nur wenige Geschenke, aber wir, die wir getrennt worden waren, freuten uns des Zusammenseins. Und der Gottesdienst war so ergreifend. Er begann am Heiligen Abend um 10 Uhr in der herrlichen Basilika, er dauerte bis 2 Uhr nachts. Die alten Metten und Choräle wurden gesungen und unsere schönen deutschen Weihnachtslieder. Die Kirche war übervoll, noch aus dem fernen Industriegebiet waren die Menschen gekommen. Alle waren hingegeben dem großen Geheimnis, das gefeiert wurde. Draußen lag Schnee, es funkelten die Sterne, eine große wunderbare Stille lag auf Berg und See.“

Mit dem Krieg stieg auch bei den Adenauers die Ungewissheit. An Dora Pferdmenges, eine enge Freundin der Familie, schrieb Adenauer 1940: „Weihnachten 1940 ist nun dahin; was Weihnachten 1941 bringen wird? Vielleicht ist es gut, nicht in die Zukunft sehen zu können.“ Letzteres war neben der materiellen Lage und den Kriegswirren auch die Andeutung der Ungewissheit, ob die Nationalsozialisten ihm nicht doch noch nach Leib und Leben trachten würden. Im Jahr darauf machte Adenauer in einem Brief deutlich, wie schwierig die Situation tatsächlich geworden war. Lakonisch schrieb er: „Weihnachtseinkäufe zu machen, ist in dieses Jahr sehr einfach: Man kann keine machen, weil nichts da ist.“ Am Weihnachtstag 1941 schrieb Adenauer an seinen Sohn Paul einen Satz, der auch noch immer sehr aktuell klingt: „Wir hoffen, dass Du durch die innere Einstellung, die ja stärker ist als äußere Umstände, ein freudenreiches Fest gehabt hast, dem auch einige äußere lichte Momente beschieden waren.“  Zeittypisch berichtete Adenauer dann seinem Sohn, dass in der Christmette in Bad Honnef nur am Altar Kerzen brannten, nicht etwa weil es so romantischer gewesen wäre, sondern weil die Kirche nicht zu verdunkeln war und andernfalls ein potentielles Ziel für Fliegerbomben gewesen wäre.

 

Umdeutung der Weihnachtstradition in der NS-Ideologie

Das Zelebrieren der traditionellen Weihnachtsrituale in seinem Hause stand im krassen Gegensatz zu dem, was Adenauer immer verachtet hatte: den Drang der Nationalsozialisten, alles ihrer Ideologie unterzuordnen. Dass das Weihnachtsfest, bei dem der Jude Jesus Christus verehrt wird, eine besondere Herausforderung für die NS-Propaganda dargestellt hat, bedarf keiner Erläuterung. Ziel der NS-Vordenker war zunächst, den Versuch zu unternehmen, eine nationalsozialistische Ersatzreligion zu prägen, indem christliche Elemente aufgenommen wurden und dann umgedeutet worden sind. Hitlers führender Ideologe Alfred Rosenberg lehnte die nationalsozialistische Sprache bewusst an die sakrale Kirchensprache an. So war dann vom „nationalsozialistischen Glaubensbekenntnis“ die Rede. In Publikationen der damaligen Zeit wurde die Mär erfunden, das Weihnachtsfest, so wörtlich, sei den Deutschen von den Christen und Juden geraubt worden. Ohne jeden Beleg leitete man Weihnachten aus dem germanischen Julfest her.

Hitler selbst war der Auffassung, man solle das Christentum langsam verklingen lassen. Deshalb wurden Weihnachtsfeiern nicht offensiv bekämpft, sondern der Versuch gemacht, sie in das Fest der Wintersonnenwende und als Bekenntnisfeier für Volk und Führer umzugießen und zu säkularisieren. Einen ersten traurigen Höhepunkt fand das in einem Stempel, den die Reichspost 1937 nutzte: In Anlehnung an den üblichen Weihnachtsspruch „Christ, der Retter ist da“ stand dort neben den Briefmarken: „Unser Führer, der Retter ist da.“ Diese Strategie ist indes nicht aufgegangen. So empfänglich viele Menschen für den Führerkult waren, beim traditionellen Weihnachtsfest ist die Umdeutung nicht gelungen und die Weihnachtsbotschaft blieb kraftvoll. Menschen, die dem NS-Regime kritisch gegenüberstanden wie Konrad Adenauer, wussten das nur zu gut: Am Heiligen Abend 1933 in Maria Laach fasste Adenauer die Hand seiner Frau und sagte einen Satz von zeitloser Gültigkeit: „Mit Gott ist der Verfolgte stärker als ohne Gott selbst der mächtigste Verfolger.“

Am Ende war der Satz für ihn zwar zutreffend, aber nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zog sich die Schlinge, die das NS-Regime immer für den „Staatsfeind Adenauer“ bereithielt, noch einmal enger um seinen Hals. Nach dem 20. Juli wurde auch er noch einmal festgesetzt, in einem zum Konzentrationslager umfunktionierten Bereich der Messe Köln, die Adenauer selbst noch hatte bauen lassen. Es gelang ihm die Flucht in den Westerwald. Eine Kurzschlussreaktion, die seine Familie in Gefahr brachte. Seine Frau Gussie wurde verhaftet und von der Gestapo seelisch so unter Druck gesetzt, dass sie seinen Aufenthaltsort verriet. Noch in der Nacht unternahm sie einen Selbstmordversuch, von dem sie sich nicht mehr ganz erholte und an dessen Spätfolgen sie im März 1948 starb. Adenauer selbst landete nach seiner Flucht ebenfalls im Gefängnis Brauweiler. Sein Leben blieb bis an das Kriegsende in Gefahr.

 

Weihnachten in der Nachkriegszeit

Aber auch unmittelbar nach dem Krieg war die Lage nicht einfach: für Konrad Adenauer, aber auch für seine Landsleute. Helmut Kohl sagte 30 Jahre nach dem Tod Adenauers in Bad Honnef in einer Rede auf den prominenten Amtsvorgänger: „Weihnachten 1947 gab es in Deutschland die meisten Selbstmorde in der jüngeren Geschichte. Ein Gefühl der Aussichtslosigkeit, des Verlustes von Orientierung und Zukunftsperspektive war bei vielen spürbar.“ Umso beachtlicher war es, dass es den vielen Politikern der ersten Stunden im Parlamentarischen Rat und dann in der jungen Bundesrepublik beim Aufbau des Staatswesens schnell gelungen ist, den Fatalismus zu besiegen und diese Zukunftsperspektive wieder herbeizuführen.

Nach dem Krieg und mit dem Wirtschaftswunder unterschied sich das Weihnachtsfest beim Bundeskanzler in der jungen Bundesrepublik wenig von dem des mehr oder minder religiösen westdeutschen Bürgers: Jeweils am zweiten Weihnachtsfeiertag versammelte sich die ganze Familie in Rhöndorf. Es wurde miteinander gesungen, dann klingelte das Glöckchen, das man noch immer in Rhöndorf im Wohnhaus hinter einer Heiligenfigur findet. Gedichte wurden vorgetragen, jeder der 24 Enkel bekam im Anschluss vom Patriarchen ein Geschenk im Wert von 20 Mark. Der respektheischende Bundeskanzler schimmerte mit einer etwas befremdenden Geste dann doch durch und „verdrängte“ gleichsam den Großvater: Wie bei einem protokollarischen Ereignis wurden die Enkel aufgerufen, bevor sie dem Großvater die Hand schütteln durften. Der saß auf dem Sofa: „Kerzengrader Rücken, der Blick entspannt und gutmütig, natürlich auch weltmännisch. Nicht autoritär, eine natürliche Autorität mit Vater-Großvater-Kanzler-Augen“, wie es der Journalist Uli Kreikebaum beschrieb.

Bekanntlich gab es aber nicht nur diese gütige Seite des großen Politikers, sondern auch seinen unbändigen Durchsetzungs- und Gestaltungswillen. An Weihnachten wie durch das ganze Jahr galt für Konrad Adenauer die unbedingte Pflicht zum Kirchgang. Der Kölner Politiker ging dabei ebenso konsequent und leidenschaftlich in die Kirche, wie er ebenso konsequent und leidenschaftlich gelegentlich mit dem Klerus haderte. Nicht nur mit den Bischöfen, auch mit dem klerikalen Bodenpersonal. Der Rhöndorfer Pfarrer Martin Heinrich Lermen erhielt eine geschriebene „Standpredigt“ per Brief vom Bundeskanzler: „Die heutige Predigt war schlecht, sie war mit ihren Pflichten als Geistlicher einfach unvereinbar“. Man mag sich ungefähr vorstellen, wie sich der Pfarrer nach der Lesung dieser „Leviten“ durch den deutschen Regierungschef gefühlt haben wird. Adenauer blieb bis zuletzt tief im Glauben verankert. Seine letzten Sätze vor seinem Tod, „do jit es nix zu kriesche“ gehören zu den wenigen Adenauer-Anekdoten, die nicht einfach nur gut erfunden, sondern die als authentisch nachgewiesen sind. Sätze, aus denen der Glaube in die Auferstehung und ein gewisser Grad der persönlichen Demut spricht.

Adenauer war letztlich ein typischer rheinischer Katholik: tieffromm, aber nicht frömmelnd, konservativ, aber zugleich voller liberaler Offenheit, prinzipienfest, aber immer auch ein realistischer Pragmatiker, moralisch, aber – wenn es angebracht schien – auch großzügig. Streng, aber ebenso menschlich. Das bestimmte auch seinen Blick auf das Weihnachtsfest.  „Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt es nicht“ – ob dieses Zitat, das ihm zugeschrieben wird, wirklich von ihm ist oder nicht: So oder so war Adenauer kein Misanthrop, aber ein Realist, der die Schwächen der Menschen gesehen hat, aber auch keinen Zweifel daran ließ, dass jeder Mensch unabhängig von seinen Schwächen seine unveräußerliche Würde hat und dass niemand den Versuch machen darf, Menschen unter Zwang zu ändern und ihnen einen fremden Willen aufzuzwingen.

Diese Absage an Absolutismen und Totalitarismen ist letztlich ein großer Bestandteil des weihnachtlichen Geheimnisses. Die Wertschätzung jedes menschlichen Lebens, die Würde des Einzelnen, seine Personalität, kommt im Glauben an die Menschwerdung Gottes zum Ausdruck. Und letztlich verdanken wir dieser an Weihnachten erschienenen Menschenfreundlichkeit Gottes, wenn man es durch die kulturhistorische Brille betrachtet, wie es der Politikwissenschaftler Larry Siedentop formuliert hat, nichts weniger als „die Erfindung des Individuums“. Damit ist die Geburt Christi auch die Geburtsstunde unserer Auffassung der universalen Gültigkeit der Menschenrechte. Dadurch wird die Weihnachtsgeschichte, diese für uns Christen so fundamental wichtige Erzählung, auch gleichsam zu einer der Urmütter der freiheitlichsten Verfassung, die sich die Deutschen jemals für ihr Zusammenleben gegeben haben: das deutsche Grundgesetz.

Die Väter und Mütter dieses Grundgesetzes, darunter auch Adenauer, hatten vor Augen, was passiert, wenn dieser kulturhistorische Strang durchschnitten wird, wie es bei den Nationalsozialisten der Fall war, und verankerten das christliche Menschenbild implizit in diese Grundordnung und explizit in der Präambel dieser Verfassung. Sie vollbrachten damit aber auch die unzählbare Leistung, gegen den Fatalismus das Aufbauwerk zu setzen, das unserem Land in seiner Geschichte die friedvollste und erfolgreichste Zeit beschert hat. 1958 sagte Adenauer erneut in einer Weihnachtsansprache einen Satz, der heute ungeahnte Aktualität hat: „In der Geschichte der Menschheit gibt es Perioden des lastenden Dunkels, der Unrast, des Unfriedens, der Angst; aber immer wieder hat der menschliche Geist, die menschliche Seele sich hindurchgerungen zum Licht und zum Frieden.“ Vielleicht der richtige Ratschlag am Ende eines schwierigen, eines krisenhaften und unfriedlichen Jahres und ein Grund, auf ein besseres neues Jahr zu hoffen!

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