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von Stephan Schaede

Eine kurze theologische Einordnung

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Gott und Leib, verhalten die sich zueinander wie Feuer und Wasser? „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24), prägt der Jesus des Johannesevangeliums ein. Und der von Thomas von Aquin als der Philosoph schlechthin geschätzte „philosophus“ und deshalb regelmäßig konsultierte Aristoteles begreift Gott als noesis noeseos, als sich selbst denkendes Denken, reines Denken, als Geist (nous) und so das seligste und beste Leben, weil Gott als Denken des Besten veränderungslose Tätigkeit sei (energeia akinesias).[1] Leib und Gott, was haben die also miteinander zu schaffen?

Um eine konstruktive Antwort scheint es gerade in der christlichen Theologie und Religion schlecht bestellt zu sein. Sie waren lange Zeit und immer wieder als leibfeindlich verschrien, galten als gänzlich uninteressante Gesprächspartnerinnen für das Thema Leib! Leib und Leben scheint viel eher ein Thema der sogenannten Lebenswissenschaften oder der philosophischen Phänomenologie zu sein. „Das Ergebnis“ einer der „sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion“ namens Christentum sei, so kann auf der Homepage der Humanistischen AKTION aus der Feder des Philosophen Herbert Schnädelbach nachgelesen werden, „die systematische Leibfeindlichkeit der christlichen Tradition, wie sie sich besonders in der repressiven Sexualmoral der Kirchen forterbte“.[2] Vielleicht hat Schnädelbach, der immerhin einmal Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie gewesen ist, zu viel Feuerbach gelesen. Ludwig Feuerbach meinte den „Grundcharakter“ des Christentums, für ihn die „Weltentsagung“, schon bei Kirchenvätern wie Ambrosius, Origenes und Bernhard von Clairvaux gefunden zu haben, und urteilte, dass „diese Gesinnung der Absonderung vom Leben, vom Leibe, von der Welt, diese erst hyper­, dann antikosmische Tendenz“ dann auch schon „ächt biblischen Sinnes und Geistes“[3] gewesen sei. In diese kritische Kerbe wird später Karl Marx hauen und von der grundsätzlichen Verwerfung des Menschen in seiner Leiblichkeit sprechen. „Auge, Hand, Leib […] seien“ christlich gesehen „bloß überflüssige, sündige Zutaten des Menschen“.[4]

 

Unchristliche „Leibfeindlichkeit“

 

Diese Einschätzungen stehen in auffälliger Spannung zu Äußerungen etwa des amtierenden Papstes. Franziskus war es, der im April 2018 eine unchristliche „Leibfeindlichkeit“ beklagt hat. Nicht christlich, unchristlich sei Leibfeindlichkeit! Christenmenschen sollten ihren Körper als „wunderbares Geschenk von Gott“ begreifen. Jede Beleidigung, Verletzung oder Gewalt gegen den Körper eines anderen sei eine Schmähung Gottes als Schöpfer. Franziskus brachte zugleich die ethische Relevanz dieser Einsicht an den abgründigen Erfahrungen von misshandelten Kindern, Frauen und alten Menschen zur Sprache.[5] Es darf hier anmerkungsweise notiert werden, dass die virulenten Kriegsgeschehnisse unserer Zeit Tag für Tag vor Augen führen, in welchen bestialischen Varianten zugleich mit dem Seelenfrieden der Leibfrieden von Menschen infrage gestellt wird. Die theologische Geschichte der Auseinandersetzung mit diesem Friedensthema ist noch nicht geschrieben.

Eine solche positive Beurteilung der Leiblichkeit zum Schutz derselben ist dabei mitnichten einer nachmodernen religionspolitisch ambitionierten Inkulturation des römisch­katholischen Wesens geschuldet. Franziskus hat aus ureigener christlicher Einsicht gesprochen. Die Kirchen selbst sind aktuell damit konfrontiert, diese Einsicht in ihren eigenen Reihen auf das Übelste ignoriert zu haben. Dass in den christlichen Kirchen die vom Papst kritisierte Leibfeindlichkeit in der besonders geistlich perversen Gestalt einer aggressiv-missbräuchlichen Leibversessenheit ohne Rücksicht auf Verluste des in seiner Würde zerstörten Gegenübers ausgerechnet von Geistlichen praktiziert wurde, gehört zu den bittersten Verkehrungen der Lebensrealität der Kirchen. Mitarbeitende der Kirche haben sich an der Sakralität des Leibes vergangen und sind insofern in gewaltsamer Leibbemächtigung zu Feindinnen und Feinden der Leiber anderer geworden. Das allerdings ist eine ganz andere perfide Form der Leibfeindlichkeit, die die bereits beschriebene christentumskritische Polemik verfehlt.

 

Kommunikation ist nur da, wo Leib ist

 

Eigentlich ist nicht allzu viel philologischer Sachverstand nötig, um die Einordnung der christlichen Religion als einer ihrem Wesen nach leibfeindlichen Religion jedenfalls von ihren Ursprüngen her höchst merkwürdig zu finden. Das Christentum ist seinem Wesen nach, weil an der Fülle des Lebens interessiert (Joh 10,10) und geschichtsbewusst, nicht auf den phänomenologischen Kopf gefallen und deshalb höchst leibaffin. Eher leibkritische christliche Anthropologien, die es unbestritten gibt, so etwa in den Reihen des Protestantismus in Gestalt der Theologie eines Johannes Calvin, sind dementsprechend nicht urchristlichen Einsichten, sondern einem Platonismus verpflichtet. Nun kann jemand kommen und fragen, was diese so klare Zuordnung denn rechtfertigt. Nun, es gehört zur DNA der christlichen Kommunikationsweisheit, dass Kommunikation nur da möglich ist, wo Leib ist. Nicht zuletzt dies ist der Grund, weshalb schon der Kirchenvater Tertullian schrieb: Caro salutis est cardo – der Leib, das Fleisch sei Dreh- und Angelpunkt des Leibes.[6] Karl Rahner hat das kunstvoll aufgenommen und in die Kernschicht der christlichen Gotteslehre transformiert. Er meinte nämlich, die Leiblichkeit sei die Türangel zur „Selbstaussage Gottes aus sich heraus in die leere Nichtigkeit des Schöpfers“.[7] Damit ist kühn zur Stelle, was alle Hinweise auf die christliche Bejahung der leiblichen Verfasstheit von Schöpfung übertrumpft. Gott selbst, der Geist ist, bedarf, wenn denn sein Wesen Kommunikation und Liebe ist, einer leiblich verfassten Medialität in sich selbst.

Dieser zentral theologische Zugang zur Leiblichkeit lohnt, neu ausgelotet zu werden. Hier mag genügen – die Spitzenaussage Karl Rahners im Kopf –, sechs Züge der Hochschätzung des Leibes zu notieren.

Erstens: Leib meint zunächst einmal christlich von den biblischen Ursprüngen her verstanden den „Menschen in seiner Geschöpflichkeit“.[8]

Zweitens: Seine spezifische Würde erhält der Leib des Menschen dadurch, dass der Leib Ort und Resonanzraum für Gottes Geist ist, ein Raum, in dem mit Gott fest gerechnet werden kann. Das meint Paulus, wenn er die Lesenden seiner Briefe darauf aufmerksam macht, ihre Leiber seien „Tempel Gottes“ (1. Kor 3,16 und 6,19).

Drittens: Christliche Leibkritik beginnt erst da, wo die essenzielle Achtung des Leibes in einen Leibkult umschlägt. Der eigene Leib oder gegebenenfalls der Leib anderer wird dann in Gestalt etwa eines Selbstoptimierungsfurors vergöttlicht. Gegen die Zeitlichkeit des menschlichen Leibes wird dann in verschiedenen Formen angearbeitet. Demgegenüber ist die Qualität des Leibes, Resonanzraum für Gottes Geistesgegenwart zu sein, unabhängig von einer verselbstständigt betrachteten Leistungsfähigkeit des Leibes. Dazu ist der uralte, gebrechliche Leib ebenso in der Lage wie der jung­vitale. Diese Attraktivität des Leibes ist theologisch verstanden unvergänglich, weil sie allein von Gottes Leibzugewandtheit lebt. Denn indem Gott den Menschen anblickt, wird er schön (Martin Luther).

Viertens: Die christliche Hochschätzung des Leibes kommt metaphorisch zur Geltung in der Rede von der Gemeinde als Leib Christi (1. Kor 12–31). Das soziale Zusammenspiel und der soziale Zusammenhalt der Gemeinde werden organologisch und ganz leiblich als Resonanzraum des Geistes Jesu Christi gefasst. Diese Leibmetapher wird von den Schülern des Paulus dahingehend präzisiert, dass Jesus Christus das Haupt, die Gemeinde aber die Glieder seien (Eph 4,15). Diese Präzisierung ist für ein angemessenes Selbstverständnis der Kirche wichtig. Jesus Christus ist und bleibt das lebendige Gegenüber der Kirche und geht niemals in einer wie auch immer beabsichtigten Verkörperung der Kirche auf. Eine verselbstständigte Sakralisierung der Kirche wird mit dieser Metapher also vermieden. Niemand innerhalb der Kirche kann Jesus Christus so repräsentieren, dass durch ihn Christus jenseits von Christus selbst vergegenwärtigt wird.

Darin liegt die polemische Pointe der in der lateinischen Vorrede seiner Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen aus dem Jahre 1520 vorgetragenen Behauptung Martin Luthers, dass eine Kirche mit einem vicarius dei an der Spitze eine Kirche ohne Gott sei. Es sollte der Kirche in der Krise zu denken geben, dass auch evangelische Interpretationen der Leiblichkeit der Kirche diese Pointe ignorieren. Sie übersieht selbst ein Theologe wie Dietrich Bonhoeffer, der die Kirche so deutet, dass sie die Gemeinde des gegenwärtigen Christus sei, Christus als Gemeinde existierend. Diese christologische Sakralisierung der Kirche und Gemeinde wird dem leiblichen Abhängigkeitsstatus der Kirche von einem leibhaftig lebendigen Christus als Gegenüber zu aller reinmenschlichen kirchlichen Aktivität nicht gerecht.

Vor diesem Hintergrund läuft eine rein moralische Legitimierung der Existenz der Kirche Gefahr, einem unchristlichen Kirchenkult zu erliegen. Eine rein moralisch legitimierte Kirche ist christlich gesehen dem sicheren Untergang geweiht. Denn die Kirche kann niemals ihre Daseinsberechtigung dadurch sicherstellen oder bewahren, dass sie moralisch bedeutsam ist. Der lebendige Leib der Kirche ist eben kein aus lebendigen Tugenden zusammengesetzter oder von ethischen Prinzipien getragener Leib. Eine sich durch ihre ethischen Prinzipien selbstrechtfertigende Kirche wird über diese ethischen Prinzipien schon deshalb sicher stolpern.

Fünftens: Leiblichkeit ist nicht zu verwechseln mit materialer Körperlichkeit. Ein Lebewesen ist sein Leib, insofern es ein kommunikables, von anderen zu unterscheidendes Gegenüber bildet. Diese Leiblichkeit ist umfassender gedacht und nicht auf eine physiologische Materialität beschränkt und angewiesen. Insofern meint die leibliche Auferstehung nicht die Wiederherstellung des physiologischen Körpers eines Menschen, den er zwischen Wiege und Bahre gehabt hat und der er gewesen ist. Vielmehr spricht Paulus von einem geistlichen Leib (soma pneumatikon), der auferstehen wird (1. Korinther 15,44). Bezogen auf diesen Leib hat Friedrich Christoph Oetinger in seinem emblematischen Wörterbuch aus dem Jahre 1776 behauptet, „Leiblichkeit“ sei das „Ende der Werke Gottes“.

Sechstens: Hier ist als letztes Element der christlichen Hochschätzung der Leiblichkeit der zentrale Zug dieser Hochschätzung aufzugreifen. Elementar theologisch greifbar wird die Hochschätzung des Leibes in der Menschwerdung Gottes. Gott ist in Jesus von Nazareth als Ebenbild Gottes über die Leiblichkeit und das Leibesleben des Menschen im Bilde.

Gott hat sich in Jesus Christus nicht nur mit einem menschlichen Leib bleibend identifiziert. Leiblichkeit gehört zum Persönlichkeitsmerkmal Gottes in seiner Liebe, in der er Mensch geworden ist und ein menschlicher Gott bleibt. Jesus Christus ist für das Christentum singuläres Medium der Repräsentanz Gottes, so sehr Wort und Sakrament Leib des Heiligen Geistes und des Geistes Jesu Christi werden können. Hier lohnt es sich, angesichts einer unterschiedslos alles Geschöpfliche in die uneingeschränkte Sakralität einschleusende Positionierung an Karl Barth zu erinnern, der meinte, dass „Gott“ durch „den russischen Kommunismus, durch ein Flötenkonzert, durch einen blühenden Strauch oder durch einen toten Hund zu uns“ reden könne. „Wir werden uns aber – es sei denn, daß wir uns als Propheten und Gründer einer neuen Kirche hielten – nicht sagen können, daß es uns aufgetragen sei, das so Gehörte als selbständige Verkündigung“ weiterzugeben.[9] Kern der Verkündigung sei die Selbstrepräsentation Gottes in Jesus Christus und nicht in diversen denkbaren anderen Instanzen. Auf der Linie dieser Zentraleinsicht der Hochschätzung der christlichen Leiblichkeit hat der anglikanische Theologe William Temple in Berufung auf Johannes 1,14 religionswissenschaftlich kaum haltbar, aber leibphänomenologisch konturiert eingeprägt: „Christianity alone of religions does justice to the physical. Other spiritual interpretations of life treat it as illusory, or, at best, as negligible.“ („Von den Religionen wird nur das Christentum dem Physischen gerecht. Andere spirituelle Interpretationen des Lebens behandeln es als illusorisch, oder bestenfalls als vernachlässigbar“.)[10]

 

Stephan Schaede, geboren 1963 in Neuwied, Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Mitglied des Kuratoriums der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

[1] Vgl. zum Ganzen Aristoteles: Metaphysik XII, Übersetzung und Kommentar von Hans-Georg Gadamer, 5. Auflage, Frankfurt am Main 2004.

[2] Herbert Schnädelbach: „Der Fluch des Christentums“, www.humanistische-aktion.de/fluch.htm [letzter Zugriff: 21.08.2023].

[3] Vgl. Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Leipzig 1841, S. 410 f.

[4] Vgl. Karl Marx / Friedrich Engels: Gesamtausgabe, Bd. I, Teil 1, S. 355.

[5] Vgl. „Franziskus beklagt unchristliche Leibfeindlichkeit“, 15.04.2018, www.katholisch.de/artikel/17196 [letzter Zugriff: 21.08.2023].

[6] Vgl. Tertullian: „Über die Auferstehung des Fleisches“, De Ressurectio Carnis, um 212–214 n. Chr., S. 8.

[7] Vgl. Karl Rahner / Albert Görres: Der Leib und das Heil, Mainz 1967, S. 32.

[8] Vgl. Ernst Käsemann: Leib und Leib Christi, Tübingen 1933, S. 125.

[9] Vgl. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1, Zürich 1932, S. 55 f.

[10] 10 William Temple: The Nature of Personality, London 1911, S. XXX.

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