Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

“Situation von Sicherheit und Friedenskonstruktion in Kolumbien”

Expertenrunde

Am 17. April 2024 fand in den Räumen des Politikwissenschaftlichen Instituts Hernán Echavarría Olózaga (ICP) eine Expertenrunde über die Situation von Sicherheit und Friedenskonstruktion in Kolumbien statt. Dabei sollten die wichtigsten Herausforderungen und Auswirkungen der Regierungspolitik “Paz Total” (Totaler Frieden) diskutiert werden. Die Veranstaltung war Teil des “Policy Lab” des ICP und wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS Kolumbien unterstützt.

Asset-Herausgeber

In seinen Grußworten erklärte der Direktor des ICP, Carlos Augusto Chacón das Projekt “Policy Lab", das sich auf Diskussionen über Sicherheit und Verteidigung konzentriere. Dadurch könnten aktuelle Themen in den Bereichen analysiert werden, wie zum Beispiel illegale Wirtschaftszweige oder der Stand der Verhandlungen mit der Guerrillagruppe „Ejercito de Liberación Nacional (Nationales Befreiungsheer) ELN. Weiterhin betonte Chacón wie wichtig es sei, die aktuelle Sicherheitslage des Landes zu diskutieren, die damit verbundenen Herausforderungen sowie die Ausdehnung krimineller Gruppierungen und die vom ICP identifizierten Probleme der „Politik des Totalen Friedens“, um auf dieser Grundlage eine Reihe von Empfehlungen für Entscheidungsträger zu erarbeiten.

 

Der Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS Kolumbien, Stefan Reith hob die Bedeutung von Sicherheit und Verteidigung für die Stiftung hervor, vor allem wegen ihres Engagements für die Demokratie auf globaler Ebene. Ohne Sicherheit könne weder Demokratie noch eine nachhaltige Entwicklung existieren. In der aktuellen politischen Debatte herrsche die Ansicht, dass alle Probleme durch Dialoge und eine entsprechende Sozialpolitik gelöst werden könnten, es zeige sich jedoch, dass das nicht immer möglich sei. Reith nannte als Beispiel den Fall der Berliner Mauer, der dazu geführt habe, dass sich ganz Europa auf den Frieden konzentriert habe, so dass man Investitionen für Sicherheit und Militärs vernachlässigt habe, wie die aktuelle Konfrontation mit der russischen Bedrohung zeige. Obwohl Sozial- und Umweltpolitik wichtig seien, dürfe die Sicherheit nicht vernachlässigt werden.

 

Die Senatorin der Partei “Centro Democrático”, Paola Holguín war der Ansicht, dass es in Kolumbien an einer staatlichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik fehle, daher definiere jede Regierung ihre eigene Strategie. In der aktuellen Regierung sei das Thema Sicherheit stark ideologisiert und die kriminellen Strukturen seien nicht ausreichend analysiert und berücksichtigt worden. Im aktuellen “Nationalen Entwicklungsplan” habe man das Thema auf die humanitäre Sicherheit im Rahmen des “Totalen Friedens” reduziert, ohne einen konkreten Plan für dessen Umsetzung zu haben. Dieser Mangel generiere Unsicherheit bei den Verhandlungen, und stelle die Legitimität des Staates in Frage, solche Verhandlungen zu beginnen sowie die gesetzliche Grundlage dafür, vor allem angesichts der mit der Ausweitung der kriminellen Strukturen verbunden mit Schwerverbrechen.

 

Diana Arias von der Militärakademie Nueva Granada betonte, dass wenn auch die Politik des Totalen Friedens zu einer Staatspolitik werden sollte, so scheint sie der wahren Natur der Gewalt in Kolumbien nicht Rechnung zu tragen, da die Guerilla nicht mehr versuche, das politische System zu verändern, sondern ihre Aktivitäten auf die größten finanziellen Vorteile aus illegalen Wirtschaftszweigen konzentriere. Die Regierung müsse das Monopol des legitimen Einsatzes von Waffengewalt haben, da es den kriminellen Gruppen mit denen verhandelt werde am politischen Willen für einen Frieden fehle. Frau Arias nannte jedoch auch einige positive Punkte der Friedenspolitik der Regierung, wie zum Beispiel die Priorisierung der Menschenrechte, die damit verbundene Drogenpolitik vor allem hinsichtlich neuer Drogen wie Fentanyl.

 

Der Forscher Jorge Mantilla hob hervor, dass die Politik des Totalen Friedens keinen Rückgang der Gewalt mit sich gebracht habe, so dass der Staat der einzige Akteur sei, der bei den Verhandlungen nachgebe, während die humanitären Hilfen instrumentalisiert werden. Was die Fragmentierung der regionalen Dialoge angehe, so sei die einzige Lösung mit denjenigen Akteuren zu verhandeln, die dazu bereit seien, da die Zeit davonlaufe.

 

Die Professorin der Universidad Pontificia Bolivariana, María Alejandra Santos meinte, dass die Ziele des Totalen Friedens nicht erreicht wurden, da sich die Politik nicht auf den Demobilisierungs-,Entwaffnungs- und Wiedereingliederungsprozess konzentriere, was zu zahlreichen Unzulänglichkeiten im Verhandlungsprozess und zu weiteren Defiziten führe. Dadurch könnten die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den am meisten von kriminellen Gruppen betroffenen Regionen nicht verbessert werden.

 

Der Forscher der Universidad Externado, Dr. Andrés Macías bezog sich anschließend auf die Schwäche der aktuellen Regierung in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung, was sich in der allgemeinen  Unsicherheit zeige, die das friedliche Zusammenleben der Bürger beeinträchtige und die Bemühungen früherer Regierungen und Gemeindeverwaltungen zunichtemache, die eine Trennung der nationalen Sicherheit von der Sicherheit der Bürger im täglichen Leben trennen wollten.  Wenn man diese Unterscheidung nicht vornehme, würden Bedrohungen des Landes von außen mit internen Problemen der Sicherheit der Bürger vermischt, was sehr problematisch sei. Bezüglich des Totalen Friedens meinte Macías, dass weder die vertikale Gewalt, die sich auf die Zivilbevölkerung auswirke, noch die horizontale Gewalt, zwischen den verschiedenen illegalen Gruppen kontrolliert werden konnte, was die kriminelle Macht der bewaffneten Akteure gestärkt habe.

 

Germán Sahid von der Universidad del Rosario betonte, dass die noch bestehenden Restgruppen der Guerilla “Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia” (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) FARC, die sich nach dem Friedensprozess von 2016 nicht demobilisiert hatten sowie die  ELN nicht mehr die Macht von oben nach unten suchen, sondern umgekehrt, das heißt, sie sind in den Regionen präsent und eröffnen unter anderem Schulen oder konstruieren Brücken, wodurch sie die bestehenden Institutionen desautorisieren wollen. Trotz solcher Aktionen besteht einer der größten Fehler der Regierung darin, zu glauben, dass die Verhandlungen ähnlich zu den Gesprächen mit der FARC im Jahr 2016 verlaufen werden; es handelt sich um sehr unterschiedliche Organisationen, ebenso wie im Fall des „Estado Mayor Central“ EMC.

 

Oberst Fernando Farfán wies darauf hin, dass ein Verhandlungsprozess nur dann Erfolg haben könne, wenn eine Notwendigkeit zum Dialog bestehe. Im Falle der Politik des Totalen Friedens habe sich gezeigt, dass die kriminellen Gruppen keinerlei Notwendigkeit einer Verhandlung sehen und die vereinbarte Waffenruhe nur dazu nutzen, neue Mitglieder zu rekrutieren und sich als Organisation zu stärken.

 

Der Sicherheitsbeauftragte der Hauptstadt Bogotá, Cesar Restrepo betonte, dass die Vereinbarungen des Friedensabkommens von 2016 Fehler enthalten, die mit der Zeit immer offensichtlicher werden; so zum Beispiel die wachsenden Bedrohungen der Sicherheit, denen der Staat nicht mit der nötigen Härte entgegentrete; der Staat konnte diesen Akteuren, die erneut die Institutionen herausfordern wollen nicht zeigen, dass es dafür keinen Raum gebe.  Ein weiterer Punkt sei, dass das damalige Friedensabkommen in erster Linie für ländliche Regionen konzipiert war, nicht für die Städte, was zu einem Ungleichgewicht im System geführt habe und zu Problemen im Umgang mit Gewaltverbrechen im urbanen Bereich.

 

Catalina Miranda von der Stiftung “Ideas para la Paz” (Ideen für den Frieden) meinte, dass vor allem in den Regionen Putumayo, Catatumbo und Caquetá eine spürbare Angst unter der Bevölkerung herrsche. Social leaders und Menschenrechtsverteidiger, die Ideen der Regierung verteidigen, trauen sich nicht mehr öffentlich zu sprechen, was eine präzise Diagnose der Situation in diesen Gebieten enorm erschwere. Außerdem seien die kriminellen Gruppen immer unsichtbarer geworden, da Persönlichkeiten wie es zum Beispiel Pablo Escobar gewesen sei, sie nur in den Blickpunkt des Staates rücken würden. Daher würden die Verhandlungen nicht mit einer stark ideologisierten Guerilla geführt, sondern mit kriminellen Unternehmern.

 

Sergio Saffon von Insight Crime betonte, dass die bewaffneten illegalen Akteure aus einer transnationalen Perspektive betrachtet werden müssten. So habe die ELN zum Beispiel eine stärkere Präsenz in Venezuela als in Kolumbien. Damit eine Demobilisierung ihrer Mitglieder Erfolg habe, müsse diese transnationale Situation berücksichtigt und die Strategie über die Landesgrenzen ausgeweitet werden.

 

Maria Alejandra Vélez von der Universidad de los Andes bezog sich in ihrem Vortrag auf die Gesetzeslücke bezüglich des “Ley de sometimiento” (Gesetz der Unterwerfung), das einen grundsätzlichen Schritt auf dem Weg zu einem Friedensprozess darstelle, weil einige Gruppen sich für eine Verhandlung entscheiden könnten, während andere sich dem Gesetz unterwerfen müssten. Ohne eine klare gesetzliche Regelung könnten dadurch zahlreiche Probleme entstehen. Weiterhin habe der Kampf gegen die Drogen versagt, so dass es unverständlich sei, wenn das Problem auf die gewohnte Art und Weise angegangen werde.

Abschließend betonte Carlos Augusto Chacón die Bedeutung solcher Diskussionsräume und vor allem die Rolle der Zivilgesellschaft, um über Themen wie die Situation von Sicherheit und Friedenskonstruktion in Kolumbien zu debattieren.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Andrea Valdelamar

Portrait von Andrea Valdelamar

Projektkoordinatorin

andrea.valdelamar@kas.de +57 601 7430947-206

comment-portlet

Asset-Herausgeber