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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Country reports with a difference

Menschen mit Behinderung und Inklusion in Uruguay

by Sebastian Grundberger, Philip Bracklo

Inklusion weltweit – Aktueller Stand aus Uruguay

Uruguay genießt in der Region einen Ruf als Vorreiter in Sachen sozialer Inklusion. Trotz bedeutender Fortschritte im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt bestehen weiterhin zahlreiche Hürden, die Menschen mit Behinderungen den uneingeschränkten Zugang zur Gesellschaft erschweren. Dieser Bericht betrachtet die aktuelle Situation im Land genauer und erörtert die verbleibenden Hindernisse.

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Eine Bestandsaufnahme

Im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte hat Uruguay durch seine Sozialpolitik internationale Anerkennung erlangt. In einer Region, die von ökonomischer und politischer Instabilität geprägt ist, hat sich Uruguay nicht nur als demokratisches Vorbild, sondern auch als Vorreiter für soziale Inklusion etabliert. Die Politik des Landes zielt darauf ab, allen Bürgerinnen und Bürgern, unabhängig ihrer individuellen Bedürfnisse, gleiche Chancen und Rechte zu gewährleisten. Trotz dieser Fortschritte stehen Menschen mit Behinderungen jedoch immer noch vor zahlreichen Hindernissen, die ihre volle Teilhabe erschweren.

Der Anteil der Menschen mit Behinderungen in Uruguay beträgt etwa 15,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hierbei haben Frauen einen Anteil von 59,7 Prozent und Männer machen 40,3 Prozent aus. Menschen mit Behinderungen leben in Uruguay eher in städtischen Gebieten als in ländlichen Regionen. Dies ist größtenteils auf die hohe urbane Konzentration im Land zurückzuführen, wo eine bessere Infrastruktur und Zugang zu Dienstleistungen vorhanden sind. Dennoch sind städtische Umgebungen nicht immer barrierefrei und bieten oft Herausforderungen in Bezug auf Mobilität, Zugänglichkeit und soziale Teilhabe.

Trotz der Bemühungen der uruguayischen Regierung und verschiedener Organisationen, die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu fördern, bestehen weiterhin Herausforderungen. Diese umfassen Barrieren im Bildungssystem, mangelnden Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln sowie Diskriminierung und Vorurteile in der Gesellschaft.

 

Ethnische Disparitäten: Die Situation von Afro-Uruguayern

Selbst innerhalb der Gruppe der Menschen mit Behinderungen offenbaren sich in Uruguay deutliche Unterschiede, die eng mit anderen Identitätsmerkmalen verbunden sind. Ein besonders markantes Beispiel hierfür ist die afro-uruguayische Bevölkerung. Im Vergleich zur weißen uruguayischen Bevölkerung zeigt sich bei Afro-Uruguayern und -Uruguayerinnen ein höherer Anteil von Menschen mit Behinderungen, der bei etwa 18,4 Prozent liegt, während er bei der weißen Bevölkerung bei rund 15,5 Prozent liegt.

Diese Unterschiede sind das Ergebnis struktureller gesellschaftlicher Probleme, die speziell die AfroUruguayerinnen und -Uruguayer betreffen. Sie sind in gering qualifizierten und informellen Arbeitsverhältnissen oft überrepräsentiert, was mit einem höheren Risiko arbeitsbedingter Unfälle verbunden ist. Diese Unfälle können zu physischen Behinderungen führen und erklären somit teilweise den höheren Anteil von Menschen mit Behinderungen innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe.

 

Inklusion auf dem Arbeitsmarkt

Fördermaßnahmen stellen einen wichtigen Bestandteil der Bemühungen Uruguays dar, den Zugang zu Bildung und menschenwürdiger Arbeit für alle Bürger und Bürgerinnen zu erweitern. Das Land hat mehrere Gesetze erlassen, die darauf abzielen, Bildungslücken zu schließen und Beschäftigungsmöglichkeiten für benachteiligte Gruppen zu verbessern, insbesondere für Menschen mit Behinderungen.

Nach der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2008 verabschiedete Uruguay im Jahr 2010 ein Gesetz über den integralen Schutz von Menschen mit Behinderungen. Dieses legt Leitlinien fest, um den öffentlichen Sektor bei der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Unter anderem wurde die Nationale Ehrenkommission für Behinderte eingerichtet und eine Beschäftigungsquote von vier Prozent für Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Sektor festgelegt, die auf die Gesamtzahl der jährlich freiwerdenden Stellen angewendet wird. Darüber hinaus erlaubt das Gesetz dem Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit, Anreize und Vergünstigungen für halbstaatliche Einrichtungen und den privaten Sektor vorzuschlagen, um Menschen mit Behinderungen einzustellen. Außerdem bekräftigt das Gesetz die Verpflichtung des Staates, zusätzliche Maßnahmen in Bezug auf Bildungsprogramme, Beschäftigung und Berufsausbildung zu ergreifen.

Diese Maßnahmen wurden durch weitere Initiativen ergänzt, wie beispielsweise die 2013 geschaffenen Talleres de Producción Protegida. Diese Werkstätten zielen darauf ab, Menschen mit Behinderungen Arbeitsfähigkeiten zu vermitteln, um ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Im Jahr 2018 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Beschäftigungsquoten für Menschen mit Behinderungen auch im privaten Sektor festlegt. Dieses Gesetz verpflichtet alle Arbeitgeber in der Privatwirtschaft mit 25 oder mehr Festangestellten dazu, einen bestimmten Prozentsatz von Menschen mit Behinderungen unter den jährlichen Neuzugängen einzustellen. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber für Zugänglichkeit sorgen und angemessene Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Arbeit erfüllen können.

Eine bedeutende Errungenschaft bestand darin, dass das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit bestätigt wurde. Dies löste eine Debatte über die Bedeutung ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt aus. Allerdings wurde seit 2010 in keinem einzigen Jahr die volle Quote im öffentlichen Sektor erreicht. Die höchste erreichte Quote lag bei 1,3 Prozent der Neueinstellungen im Jahr 2017. Zudem legen nicht alle öffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen offen oder übermitteln sie an das Nationale Amt für den öffentlichen Dienst (Oficina Nacional del Servicio Civil; ONSC). Außerdem sind die übermittelten Informationen nicht immer vollständig, obwohl sich die Berichterstattung im Laufe der Jahre deutlich verbessert hat. Während im Jahr 2010 nur 84 Prozent der öffentlichen Stellen über die Einhaltung der Quote für Menschen mit Behinderungen berichteten, stieg diese Zahl im Jahr 2016 auf 98 Prozent.

 

Inklusion in der Bildung

Das Bildungssystem Uruguays wird weithin als eines der besten in der Region angesehen, und das ist zum Teil das Ergebnis eines langjährigen Engagements für öffentliche Bildung, das bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreicht. Während die Alphabetisierungsrate bei Menschen ohne Behinderung bei rund 99,4 Prozent liegt, ist sie mit 94,5 Prozent bei Menschen mit Behinderungen etwas niedriger. Dennoch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen benachteiligten Gruppen und der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf Sekundar- und Hochschulbildung sowie die Qualität der Bildung.

Menschen mit Behinderungen weisen auch niedrigere Einschulungsraten und Bildungsabschlüsse auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit Behinderungen einen Grundschulabschluss erlangen, ist um 24 Prozent geringer als bei nicht behinderten Menschen. Im Fall von Afro-Uruguayerinnen und Afro-Uruguayern mit Behinderung beträgt dieser Wert sogar 30 Prozent. Während jede zehnte nicht behinderte Person in Uruguay einen Hochschulabschluss hat, trifft dies bei Menschen mit Behinderungen nur auf jede zwanzigste Person zu, bei schwerbehinderten Personen sogar nur jede fünfundzwanzigste.

Auf legislativer Ebene hat Uruguay bereits Fortschritte gemacht, um inklusive Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde bereits 2008 ratifiziert, wodurch Uruguay das Recht behinderter Menschen auf Bildung erneut rechtlich verankerte. Unter dem Motto „No pueden decir no" (auf Deutsch: „Sie dürfen nicht nein sagen") startete die Regierung unter Präsident Luis Lacalle Pou im Jahr 2021 eine Kampagne, um ein kürzlich verabschiedetes Protokoll zur Nichtzurückweisung zu bewerben. Dieses Protokoll bekräftigt, dass Menschen mit Behinderungen an uruguayischen Bildungseinrichtungen nicht aufgrund der von ihnen benötigten Hilfsmittel abgewiesen werden können. Darüber hinaus wurde eine zentrale Beschwerdestelle eingerichtet, an die sich Einzelpersonen sowie Organisationen wenden können.

Obwohl es nicht an rechtlichen Grundlagen für inklusive Bildung mangelt, gestaltet sich die Realität für Menschen mit Behinderungen in Uruguay teilweise schwierig. Dies kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. Zum einen existieren in Uruguay de facto mehrere Modelle der Bildung. Die Begriffe Integration und Inklusion werden in den Gesetzestexten synonym verwendet, was zu verschiedenen Interpretationen der Bedeutungen führt. Darüber hinaus fehlt es Lehrkräften oft an wichtigen Fortbildungen, um inklusive Methodologien zu entwickeln. Weiterhin stellt die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen ein Hindernis dar, um an inklusiver Bildung teilzunehmen.

Neben inklusiven Schulen gibt es auch spezialisierte Bildungseinrichtungen für Menschen mit schweren Behinderungen. Diese Einrichtungen bieten spezialisierte Programme und Ressourcen für Schülerinnen und Schüler mit komplexen Bedürfnissen an.

 

Mobilität

Im Bereich der Mobilität wurden in Uruguay Maßnahmen ergriffen, um den öffentlichen Verkehr barrierefrei und zugänglicher zu gestalten. Ein bedeutendes Ereignis war die Verabschiedung der kostenlosen Nutzung des öffentlichen Verkehrs mit Sitzplatzgarantie für Menschen mit Behinderungen. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Realität jedoch hinter den Erwartungen zurück, da etwa nur ein Drittel aller Busse in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo tatsächlich barrierefrei sind.

Darüber hinaus ist die öffentliche Infrastruktur in Uruguay nach wie vor nicht ausreichend barrierefrei gestaltet. Einige öffentliche Orte sind für Menschen mit Behinderungen gewissermaßen unzugänglich. Die Abwesenheit von barrierefreier Infrastruktur wie beispielsweise Gehwegen mit Bodenindikatoren für Sehbehinderte oder akustisch unterstützten Ampeln erschwert die Mobilität im öffentlichen Raum erheblich.

Insgesamt ist festzustellen, dass trotz der gesetzlichen Bestimmungen und vereinbarter internationaler Verpflichtungen in Uruguay immer noch erhebliche Defizite bei der barrierefreien Gestaltung der Mobilitätsinfrastruktur bestehen, was die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am öffentlichen Leben beeinträchtigt und sie in vielen Fällen weiterhin benachteiligt.

 

Kirchliches Angebot

Auch von nicht staatlicher Seite gibt es Angebote, um die Inklusion in die Gesellschaft zu fördern. Von verschiedenen religiösen Institutionen werden verschiedene Programme zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen angeboten. Zum Beispiel engagiert sich die evangelische Gemeinde Valdense del Río de la Plata seit 1971 für die Bereitstellung von Unterkünften für Menschen mit schweren Behinderungen. Ebenso betreut die katholische Kirche in Montevideo Menschen mit Behinderungen in einem sogenannten Cottolengo, einer Institution, die sich der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen widmet.

 

Fazit

Uruguay hat sich durch seine im Vergleich erfolgreiche Sozialpolitik als führendes Land für Inklusion in Lateinamerika etabliert. Trotzdem bleiben Menschen mit Behinderungen mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert.

Das Bildungssystem ist nicht immer barrierefrei gestaltet und Lehrkräfte sind nicht immer darin geschult, um inklusive Methodologien umzusetzen. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es noch Raum für Verbesserungen, da die vorgegebenen Beschäftigungsquoten für Menschen mit Behinderungen oft nicht erfüllt werden.

In Bezug auf Mobilität gibt es Fortschritte bei der Schaffung barrierefreier öffentlicher Verkehrsmittel, aber die Infrastruktur bleibt oft unzureichend. Dies beeinträchtigt die Mobilität von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Raum.

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Sebastian Grundberger

Sebastian Grundberger

Head of the Regional Programme Party Support and Democracy in Latin America and the Uruguay Office

sebastian.grundberger@kas.de +51 1 41 66 100
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Desk Officer for Inclusion Issues in European and International Cooperation

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