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Veranstaltungsberichte

„Ein Rädchen, das sich mitdrehte“

6. Hohenschönhausen-Forum untersucht das Mitläufertum

Studien über Verbrechen der NS-Diktatur, die zu dem Ergebnis kommen, dass der anonymen Masse eine hohe Mitverantwortung zukommt, nähren den Verdacht, dass dies auch in der DDR der Fall gewesen sein könnte. Die Schuld der Vielen hätte dann die Existenz der Diktatur gesichert und die Verbrechen im Unrechtsstaat mit möglich gemacht. Intensive Forschungen zu dem Thema gibt es allerdings bislang nicht. Für Dr. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, ist es höchste Zeit dies zu ändern und das „merkwürdig unterbelichtete“ Thema einer schrittweisen Aufklärung zuzuführen.

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Das diesjährige Hohenschönhausen-Forum war, wenn man so will, der Auftakt dafür. Es blieb somit seiner Tradition dankenswerterweise treu. Ist doch die Veranstaltung im ehemaligen Stasi-Gefängnis im Nord-Osten der Hauptstadt über die Jahre hinweg nicht für eine einfache Themenstellung und noch viel weniger für leicht verdauliche Unterhaltung bekannt geworden. So stand im vergangenen Jahr die Aufarbeitung des Kommunismus im Mittelpunkt. Unter dem Titel „Die Schuld der Vielen – Mitläufer gestern und heute“ versuchten Experten und Zeitzeugen dieses Mal eine Typologie der Mitläufer zu erstellen und sich auf die Suche nach möglichen Motiven zu machen.

Angst vor Ausgrenzung

Roland Jahn, heute Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen und damals, wie er unumwunden zugab „ein Rädchen, das sich mitdrehte“, versuchte sich an einer durchaus menschlichen Erklärung für sein Verhalten. Statt sich Gedanken über das Für und Wider des eigenen Tuns zu machen, marschierte er einfach mit. „Ich wollte dabei sein, nicht ausgegrenzt werden.“

Angst vor Repressalien

Später dann, nach der Ermordung eines engen Freundes durch die Stasi, lebte Jahn ein Leben im ständigen Wechselspiel zwischen Widerspruch und Anpassung und der Herausforderung, sich selber treu zu bleiben. „Aus Angst vor eventuellen Repressalien meinen Angehörigen gegenüber schien es mir jedoch unmöglich, mich dem System gänzlich zu entziehen“, erzählte Jahn. Die Angst als Kitt einer jeden Diktatur habe die allermeisten mundtot gemacht. Sie wollten nicht auffallen, um keine Nachteile zu haben und arrangierten sich.

Sehnsucht nach einem ruhigen Leben

Einen weiteren Grund, warum Menschen zu Mitläufern geworden sind, nannte der Schriftsteller Marko Martin: Viele hatten den „legitimen Wunsch nach einem ruhigen Leben“. Sie fühlten sich sowohl von den ethischen Forderungen des Staates wie von den moralischen Forderungen der anderen Seite gepiesackt und vor einen unlösbaren Konflikt gestellt. In der Folge, wie der Psychologe Dr. Stefan Trobisch-Lütge erklärte, sei es häufig zu einem „Spaltungsphänomen“ gekommen. Um seelisch überleben zu können, seien Dinge, die man nicht sehen wollte, ausgeblendet worden. Die Betroffenen führten quasi ein unbewusstes Doppelleben.

Karrieristen und Opportunisten

Karriereristen und Opportunisten vervollständigen die heterogene Gruppe der Mitläufer. Teil einer großen politischen Bewegung zu sein, faszinierte viele Menschen und machte sie stolz. Schon zur NS-Zeit sei auf diese Weise, wie Professor Sabine Mecking von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung darlegte, systemkonformes Verhalten begünstigt worden. Unterstützend wurde das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ angewandt. Der Schriftsteller Dr. Karl Corino berichtete, dass seine Zunft, wenn sie sich dem SED-Regime gegenüber kooperativ zeigte, mit Belohnungen zum Beispiel in Form von Stipendien oder Nachauflagen rechnen konnte. Den Männern und Frauen im Politbüro war sehr wohl bewusst, dass Schriftsteller wichtige Multiplikatoren ihrer Propaganda waren und versuchten sie auf diese Weise gefügig zu machen.

Propaganda

Wie in jeder Diktatur spielte auch in der DDR die Propaganda eine herausragende Rolle, um das Regime zu festigen. Politikwissenschaftlerin Professor Barbara Zehnpfennig von der Uni Passau erinnerte daran, dass die SED nicht weniger als das Totum des Menschen wollte. Der Staat sollte von seinen Bewohnern von innen bejaht werden. Mit Erfolg: Selbst Roland Jahn räumt rückblickend ein „von einem Sozialismus in Gerechtigkeit geträumt zu haben, weil wir in unserem Denken beschränkt worden waren“.

Noch bis zum 7. November können Sie in Berlin die Ausstellung "Totalitarianism in Europe. Fascism – Nazism – Communism" besuchen. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aus welchem Grund auch immer jemand zum Mitläufer wurde; einen Prototypen oder feststehende Kausalitäten gibt es laut Politikwissenschaftler Dr. Jochen Staadt nicht. Fast 25 Jahre nach Ende des DDR-Regimes bedarf es daher neben der Erforschung auch der kritischen Reflexion eines jeden einzelnen. Vergessen und Verdrängen befreie nicht von der Verantwortung, wie Jahn sagte. Vielmehr müsse man sich zu den eigenen Taten bekennen. Er habe oft Situationen erlebt, in denen Widerstand möglich gewesen wäre. Sicherlich unter Verlust des Wohllebens aber nicht unter Verlust des Lebens. Jeder könne am besten selber bewerten, ob und wann er hätte anders handeln können, so Jahn. „Das Gefühl vor der eigenen Feigheit eingeknickt zu sein, ist das allerschlimmste“, sagte Trobisch. Zehnpfennig, warnte in diesem Zusammenhang aber vor Vorverurteilungen und überzogenen Forderungen. Zwar gebe es universalgültige moralische Kategorien, die es ermöglichen im Falschen richtig zu handeln. Schwierig werde es aber, ob man verlangen könne, dass dieses Schemata auch von anderen angewandt werde.

Rudi Beckert, einst Richter beim Obersten Gericht der DDR, ist so jemand, der sich seiner dunklen Vergangenheit aus eigenem Antrieb heraus gestellt hat. Sein ehrliches Resümee beeindruckte. Er gab zu, mitgemacht zu haben, trotz aller Zweifel. In mehreren Büchern hat er sein Eingeständnis dargelegt und seine Mitverantwortung eingeräumt. Seitdem fühlt er sich befreit. Bei seinen ehemaligen Kollegen allerdings gilt er heute als Wendehals und Überläufer.

Es bleibt offensichtlich noch viel zu tun, auch weil, wie Martin vermutete, im Zweifel „das Relais einfach umgelegt wird“. Er stellte die Frage, was wohl geschehen würde, wenn es Deutschland irgendwann einmal wirtschaftlich schlechter gehen sollte. Eine echte Prüfung der Demokratie hierzulande sei seit 1945 nicht erfolgt. Für die Experten blieb offen, ob unser System dann tatsächlich gegen Mitläufertum immunisiert ist. Diese Frage kann wohl nur jeder für sich beantworten.

Das Panel III „Die Anpassung der Intellektuellen“ wird vom Deutschlandfunk am 22.11.2013 um 19.15 Uhr in der Sendung „Das Kulturgespräch“ wiederholt. Sie empfangen den Deutschlandfunk in Berlin über UKW 97,7, Kabel und Satellit, per Livestream unter deutschlandradio.de und im neuen Digitalradio DAB+.

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