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Vom lokalen Akteur zur globalen Bedrohung

Der sogenannte Islamische Staat (IS) im Irak und Syrien

Die politischen Rahmenbedingungen und die Sicherheitslage in der Levante haben sich mit Syrien und dem Irak als Krisenzentren seit 2011 dramatisch verschlechtert. Das drohende Übergreifen der Konflikte auf die Nachbarländer hat sich in Ansätzen bereits vollzogen. Der sogenannte Islamische Staat (IS) und ähnliche militante islamistische Gruppen stellen als Terrororganisationen mit internationaler Reichweite und als involvierte Konfliktparteien und Profiteure des Syrien-Konflikts auch langfristig eine zentrale Herausforderung für die internationale Gemeinschaft dar.

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Ende März musste sich der sogenannte Islamische Staat (IS) nach intensiven russischen Luftangriffen aus der zentralsyrischen Stadt Palmyra zurückziehen und die Stadt den vorrückenden syrischen Regimetruppen überlassen. Zuvor konnte der IS, angefangen mit der Einnahme der irakischen Stadt Fallujah Ende 2013 und der Eroberung von Mosul im Juni 2014, erhebliche Territorialgewinne verzeichnen. Und dennoch lässt der Blick auf eroberte Gebiete nur bedingt Rückschlüsse auf das langfristige Bedrohungspotenzial des IS und anderer islamistischer Gruppen zu. Als inzwischen international operierendes Terrornetzwerk gelang es der Organisation, im Nahen Osten, in Afrika und in Süd- und Zentralasien Ableger zu gründen, während weltweit ihre Anhänger beinahe im Wochentakt Anschläge verübten. Zum besseren Verständnis der weltweiten Bedrohung durch den Terror des IS soll dieser Beitrag erstens den IS in seiner Ursprungsregion vor dem Hintergrund des Syrienkriegs einordnen. Zweitens sollen Probleme und Risiken bei der bisherigen Eindämmung und Bekämpfung des IS sowie die grundsätzliche Frage nach künftigen Handlungsoptionen der internationalen Koalition gegen den IS beleuchtet werden. Drittens soll der IS als Folgeorganisation der al-Qaida im Irak nach Zusammenbruch des irakischen Baath-Regimes sowie als Profiteur des sunnitisch-schiitischen Konflikts mit lokaler Verwurzelung im Fokus stehen. Dem Irak und mit ihm der Autonomen Region Kurdistan kommt in den nächsten Jahren eine zentrale Bedeutung nicht nur bei der Bekämpfung islamistischer militanter Gruppen, sondern auch bei den Bemühungen um eine Stabilisierung der Region insgesamt zu. Im Irak hat der Abwehrkampf gegen den IS nur vorübergehend eine gesamtirakische Dynamik entfaltet. Die durch den Syrienkonflikt und die IS-Vorstöße im Irak ausgelöste schiitische Mobilisierung birgt hierbei zukünftiges Konfliktpotenzial, welches durch die aktuelle innenpolitische Krise im Irak noch verstärkt wird.

Militärische Eskalation trotz diplomatischer Bemühungen

Ende 2015 erzielte die Internationale Unterstützungsgruppe für Syrien im Beisein der USA und Russlands sowie der Vertreter des Iran und Saudi-Arabiens mit dem Abschluss des Wiener Kommuniqués und mit der Verabschiedung von Resolution 2254 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie mit Einigungen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz zweifelsohne erste Erfolge auf dem Weg zur Schaffung der politischen Rahmenbedingungen, die die Umsetzung eines Waffenstillstands zur Beendigung des verheerenden Bürgerkriegs in Syrien ermöglichen sollen. Hierdurch entstandene Hoffnungen auf rasche Erfolge wurden jedoch von einer deutlichen Zunahme der Kampfhandlungen zu Beginn des Jahres überschattet, welche letztlich zu einer vorläufigen Aussetzung der dritten Runde der Genfer Gespräche zwischen den Oppositionsgruppen und Regimevertretern führte. Zentrale Fragen, wie das zukünftige Schicksal des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, die Problematik der Territorialkontrolle, besonders über die vom Regime auch weiterhin kontrollierten Gebiete, oder – mit Blick auf die vielfach geforderte Teilannullierung des irakischen Debaathifizierungs-Gesetzes – die Integration der staatlichen Institutionen und ihrer über 1,5 Millionen Angestellten, werden jedoch wohl auch langfristig ungeklärt bleiben. Die Bekämpfung des IS, welche den Sicherheitsinteressen aller beteiligten Verhandlungsländer entspricht, ist bei den jüngsten Vereinbarungen als kleinster, aber zumindest gemeinsamer Nenner zu sehen. Jedoch zeigt der zähe Verlauf der Genfer Gespräche erneut in aller Deutlichkeit, dass eine endgültige Verständigung auf eine gemeinsame Strategie gegen den IS und deren Umsetzung, z.B. bei der Identifizierung von Partnern am Boden, vor allem von den weiteren militärischen Entwicklungen in Syrien abhängen wird.

Der IS als Miliz im Syrienkrieg

Der IS ist spätestens mit der Einnahme der Provinzhauptstadt Raqqa zu einem Hauptakteur des syrischen Bürgerkriegs geworden. Als eine der ersten von den oppositionellen Kräften mit wenig Widerstand im März 2013 befreiten Provinzhauptstädte hielten hier erst Truppen der gemäßigten Opposition unter dem Befehl der Freien Syrischen Armee (FSA), der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, der Nusra-Front, (Jabhat an-Nusrah li-Ahli ash-Sham und der salafistischen Ahrar ash-Sham (Freie Männer Groß-Syriens) neben dem IS die Kontrolle über die Stadt aufrecht. Raqqas Unterwanderung durch die ersten IS-Kräfte bis zur vollständigen Kontrolle der Stadt nur wenige Monate später diente seitdem als Modell der Unterdrückung der Zivilbevölkerung und bei der Ausschaltung gegnerischer Gruppen, sodass es dem IS gelang, weite Teile des Ostens und Nordens des Landes zu erobern. Die zunehmend unüberschaubare militärische Lage ging ab 2012 einher mit wechselnden Loyalitäten und Zweckbündnissen unter den gegen das Regime kämpfenden Gruppen. Zusammen mit Jabhat an-Nusrah stellte der IS die beiden Hauptgruppen der dschihadistischen Oppositionsgruppen, die anfangs noch koordiniert mit FSA-Einheiten kämpften. Nach der Spaltung der beiden Milizen, die auf das Zerwürfnis im Laufe des Jahres 2013 zwischen dem Führer der Nusra-Front, Abu Muhammad al-Julani, und dem IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi, im Streit um die Zugehörigkeit zur al-Qaida erfolgte, haben sich die Ahrar ash-Sham als militärisch bedeutender Akteur auch international einen Namen gemacht. Von Saudi-Arabien und der Türkei finanziert und ausgerüstet, koordinieren sie wesentlich die Operationen des Bündnisses Islamische Front, das als einer der stärksten oppositionellen Verbände im Nordwesten Syriens kämpft.

Bis zum Jahresende 2015 hatte der IS seine Kontrolle über Gebiete im nordsyrisch-kurdischen Landesteil in weiten Teilen an die von den USA und inzwischen auch Russland unterstützten syrisch-kurdischen Kräfte verloren, ist aber nach Süden hin in vom Regime kontrolliertes Gebiet ausgewichen. Die russische Luftunterstützung für die Truppen der regulären syrischen Streitkräfte und deren paramilitärische Hilfsverbände hatte bewirkt, dass die oppositionellen Gruppen unter dem Schirm der FSA im Norden des Landes Gebiete an den IS verloren haben. Mit den verbliebenen Truppen des Regimes, als deren fester Kern im Wesentlichen die Republikanische Garde und die Vierte Division der regulären syrischen Armee bleibt, wurde 2015 wiederholt der Einsatz ausländischer Schiiten der afghanischen Hazara-Minderheit und pakistanischer Kämpfer durch den Iran gemeldet. In die Beobachtung einer zunehmenden Beteiligung des Iran fügt sich zudem die jüngste Aussage des Kommandeurs der Iranischen Revolutionären Garden (IRGC), Generalmajor Muhammad Ali Jafari, wonach die IRGC derzeit nicht weniger als 200.000 junge Kämpfer als schiitische Freiwilligenverbände für Einsätze in Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan und im Jemen ausgebildet habe bzw. diese bereits in den genannten Konflikten einsetze. In Syrien und im Irak haben die IRGC mittels ihrer unter dem Befehl von Generalmajor Qasem Sulaimani stehenden Elite-Eingreiftruppe Quds Force erhebliche Verluste in Kauf nehmen müssen. Begräbniszeremonien in Teheran, denen nur in Einzelfällen offizielle Verlautbarungen über Todesort und -ursache folgen, lassen auf den Tod von bislang mindestens zwölf Offizieren im Generalsrang seit 2014 schließen. Wenngleich von offizieller Seite bislang nicht bestätigt, sollen seit dem Eingreifen Russlands in den Konflikt ab dem 30. September 2015 zudem auch reguläre Einheiten der IRGC in Syrien im Einsatz sein.

Neben dem gezielten Beschuss von dichtbesiedelten Wohngebieten, Krankenhäusern und Schulen richteten sich die russischen Luftschläge auf Stellungen der FSA, der Nusra-Front, der Islamischen Front und nur vereinzelt auf IS-Ziele.

Zeitgleich mit dem Beginn der dritten Genfer Verhandlungen zwischen den verschiedenen Oppositionsgruppen und dem Regime im Januar 2016 hatten russische Kampfflugzeuge die Zahl ihrer landesweiten Luftschläge deutlich erhöht. Neben dem gezielten Beschuss von dichtbesiedelten Wohngebieten, Krankenhäusern und Schulen richteten sich die russischen Luftschläge auf Stellungen der FSA, der Nusra-Front, der Islamischen Front und nur vereinzelt auf IS-Ziele. Hierdurch wurde das syrische Regime bei der Konsolidierung des von ihm kontrollierten Territoriums entlang der Linie Damaskus-Homs-Hama-Lattakia erheblich unterstützt. Ausgelöst durch eine neue Großoffensive verbliebener Regimekräfte im Verbund mit ausländischen schiitischen Milizen ist Anfang Februar der seit vier Jahren andauernde Kampf um die Millionenmetropole Aleppo neu entbrannt. Erneut zeigte sich, dass der russischen Beteiligung am Syrienkonflikt eine enge militärische Kooperation mit dem syrischen Regime und dem Iran zugrunde liegt. Vieles spricht derzeit dafür, dass Russland aus der iranischen Unterstützung des Regimes in Damaskus seit Ausbruch des Volksaufstands 2011 gelernt hat. Während der Iran zwar die Überlebensfähigkeit des Assad-Regimes durch finanzielle und militärische Hilfe sicherstellt, jedoch keine militärische Überlegenheit der Pro-Assad-Kräfte erzielen konnte, versucht Russland nunmehr, allein auf die militärische Option setzend, eine unumkehrbare Position der militärischen Stärke für das Regime zu erzwingen. Der am 16. März angekündigte Teilrückzug der russischen Streitkräfte, der Russland jedoch auch weiterhin durch die in Syrien verbleibenden Luft- und Boden-Luft-Einheiten Eingriffsmöglichkeiten in den Kriegsverlauf erlaubt, legt nahe, dass Russlands Interventionsbereitschaft derzeit über eine Sicherung der militärischen und politischen Überlebensfähigkeit des syrischen Regimes nicht hinausgehen würde. Durch die Erhöhung des Drucks auf die Vertreter von Opposition und syrischem Regime bei den laufenden Verhandlungen in Genf hält sich Russland nicht zuletzt gegenüber den USA bis auf Weiteres alle Optionen offen. Der stockende Verlauf der Genf III-Gespräche und die gezielte militärische Eskalation des Konflikts haben nicht nur eine politische Lösung in weite Ferne rücken lassen. De facto haben die russische Lufthoheit über weite Teile des syrischen Luftraums sowie die Stationierung von Flugabwehrraketen am Boden auch den Handlungsspielraum für die Schaffung und Sicherung humanitärer Korridore mittels der Einrichtung von Flugverbotszonen stark eingeschränkt. Anstatt wie angekündigt Strukturen des IS zu bekämpfen, richtete sich die im Februar dramatisch erhöhte Wucht der russischen Luftschläge nunmehr offen gegen die oppositionellen militärischen Gruppen und gegen die Zivilbevölkerung im Einflussbereich der gegen das Assad-Regime kämpfenden Gruppen. Im Resultat wurde damit der IS durch die Konzentrierung der Kämpfe um Aleppo in Nordsyrien entlastet. Die Tatsache, dass die Nusra-Front im Nordwesten Syriens im Verbund mit moderaten oppositionellen Gruppen kämpft und wie sie russischen Luftangriffen ausgesetzt ist, stärkt zusätzlich die Position des IS.

Erschwerte Suche nach Bündnispartnern

Während die US-geführte Koalition besonders in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres die Frequenz ihrer Luftschläge gegen IS-Ziele wieder erhöht hat, bleibt langfristig die Frage offen, welche Konfliktpartei am Boden mit Unterstützung durch die internationale Koalition bei der Rückeroberung von Raqqa und Mosul eingesetzt werden kann. Hiermit verbunden ist die Option auf Eingriffsmöglichkeiten in den Syrienkonflikt insgesamt. Die Lufthoheit Russlands über weite Teile Syriens und besonders den Nordwesten des Landes hat auch den Aktionsradius der internationalen Koalition unter US-Führung stark eingeschränkt. Eine Verlagerung des militärischen Engagements der USA gegen den IS in den Norden des Irak ist daher wahrscheinlich.

Die Kooperationsmöglichkeiten mit einer der bereits am Boden kämpfenden Konfliktparteien sind wenig aussichtsreich.
Die Vorstöße des IS im Nordirak konnten in der Vergangenheit durch kurdische Truppen der Peschmerga und im Norden Syriens durch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), dem militärischen Arm der im semi-autonomen kurdischen Staatsgebilde Rojava dominierenden und PKK-nahen Partei der Demokratischen Union (PYD), erfolgreich eingedämmt und weit über kurdisches Gebiet hinaus zurückgedrängt werden. Parallel hierzu sollte der von den USA vorangetriebene Aufbau der sogenannten Syrian Democratic Forces (SDF) kurdische Kräfte unter Führung der YPG für eine mögliche Bodenoffensive in Syrien stärken. Dennoch erscheint ein Einsatz kurdischer Einheiten im Falle einer Bodenoffensive zumindest auf Mosul fragwürdig und auf Seiten der ARK wurde zuletzt mehrfach erklärt, dass man allenfalls eine unterstützende Rolle im Vorfeld einer Bodenoffensive der irakischen Armee spielen werde. Einerseits könnte ein weiteres Vorrücken der Peschmerga auf irakischen Boden erneut ungeklärte territoriale Statusstreitigkeiten mit der Regierung in Bagdad befeuern, zumal eine endgültige Klärung für die von Peschmerga-Einheiten eingenommene Stadt Kirkuk noch aussteht. Andererseits bleibt das Risiko einer ethnischen Konfliktvertiefung angesichts der arabisch-sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in diesem Gebiet bestehen.

Ein vermutlich noch höheres Eskalationsrisiko birgt ein Einsatz schiitischer irakischer Milizen, der Hashd ash-Sha’abi, Popular Mobilization Forces. Diese waren zuvor bei der Einnahme von Tikrit, Hauptstadt des Gouvernements Salahuddin, und an der Eroberung der Industriezone Baiji maßgeblich beteiligt. Vereinzelt war es am Rande des Kampfes um Tikrit sowie nach Gefechten mit IS-Truppen in der Provinz Dyalah zu Übergriffen auf Sunniten bzw. auf sunnitische Flüchtlinge gekommen, denen nach dem Rückzug des IS die Rückkehr in ihre nunmehr unter der Kontrolle der Hashd ash-Sha’abi stehenden Dörfer verweigert wurde. Dem Vorwurf der gezielten ethnisch-religiös motivierten Vertreibung, etwa durch gezielten Artilleriebeschuss ganzer Ortschaften, sehen sich neben den schiitischen Milizen regelmäßig auch die anderen Konfliktparteien in beiden Ländern, etwa in Einzelfällen die FSA und die kurdischen YPG und Peschmerga ausgesetzt.

Angesichts der nur wenig aussichtsreichen Kooperationsmöglichkeiten mit einer der bereits am Boden kämpfenden Konfliktparteien kam es zu Versuchen auf US-Seite, eine neue moderate syrische Gruppe aufzubauen. Am Höhepunkt der Debatte um das gescheiterte US-Ausbildungsprogramm für eine der ausgewählten moderaten Oppositionsgruppen, die mit der vollständigen Aufreibung und Gefangennahme von „Division 30“ vorerst endete, hatten sich zudem dieAhrar ash-Sham als prädestinierte Partner der USA in Syrien ins Spiel zu bringen versucht. Seither versucht die Gruppe weiterhin, ihre Verbindungen zu al-Qaida und islamistische Nachkriegs visionen ihrer alten Führung um den 2011 vom Regime aus dem Gefängnis Sadnaya entlassenen Islamisten Hassan Abud zu relativieren.

Grundlegende Risiken der Kampagne gegen den IS

Das Erfordernis, für eine effektive und langfristige Bekämpfung des IS mit einem verlässlichen Partner am Boden zusammenzuarbeiten, erscheint dringender denn je angesichts des hohen Preises, den der von Koalitionsseite geführte Kampf aus der Luft bislang gefordert hat: Mit der Rückeroberung der nordsyrisch-kurdischen Stadt Kobane beginnend, wies auch das im Nordwesten des Irak gelegene Sinjar, welches Mitte November nach über einjährigen Luftschlägen gegen den IS durch die internationale Koalition von kurdischen Verbänden zurückerobert werden konnte, je nach Schätzung zwischen 60 und 80 Prozent Zerstörung von Wohneinheiten und Infrastruktur auf. Ursächlich hierfür waren daneben auch gezielte Sprengungen von Infrastruktur durch den IS bei dessen Rückzug. Zudem haben sich Berichte über den Missbrauch von Zivilisten und Kriegsgefangenen als menschliche Schutzschilde durch den IS wie auch durch Gruppen der islamistischen kämpfenden Opposition gehäuft. Militärische Infrastruktur sowie Einheiten werden inzwischen in Syrien von allen Konfliktparteien und im Irak vom IS gezielt in Moscheen und Krankenhäuser verlegt.

Ebenso haben sich bei allen bisherigen Rückeroberungen urbaner Zentren aus IS-Hand die im Falle einer Offensive auf Raqqa oder Mosul zu erwartenden Risiken angedeutet: Sowohl in Tikrit als auch in Sinjar und Ramadi hatten IS-Truppen, deren Scharfschützen noch Wochen nach der Einnahme der Stadt Widerstand leisteten, Zufahrtsstraßen, Hauseingänge und sogar Straßenlaternen, Kühlschränke und in Moscheen eingelagerte Koran-Exemplare vermint bzw. mit improvisierten Sprengfallen versehen. Entsprechend hohe Verlustzahlen sowie schwere Verletzungen und Verstümmlungen waren die Folge. Bereits früher hatten der IS und mit ihm die Nusra-Front sowohl bei der Einnahme als auch der Verteidigung von Städten und Ortschaften gezielt Selbstmordattentäter eingesetzt. So konnte der IS, der bereits ab 2011 an den Kämpfen des sunnitischen Aufstands gegen die Zentralregierung um Ramadi beteiligt war, die Stadt Mitte Mai 2015 einnehmen. Ihre zahlenmäßige Unterlegenheit hatten die IS-Einheiten durch den Einsatz von bis zu 30 mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugen – unter anderem einem Bulldozer – wettgemacht.

Aus der Sicht Europas und Deutschlands und angesichts der seit Mitte 2015 drastisch angestiegenen Flüchtlingswellen aus den Aufnahmestaaten in der Region müssen daher im Rahmen der Unterstützungsleistungen für Syrien und den Irak die Hilfe beim Wiederaufbau zerstörter Gebiete und die Garantie einer sicheren Rückführung von Flüchtlingen höchste Priorität einnehmen. Darüber hinaus muss die irakische Regierung in ihren Bemühungen, an den Erfolg von Ramadi anzuknüpfen und dabei den Sunniten der Region auch künftig Perspektiven der Integration in den Verteidigungssektor zu bieten, unterstützt werden. Nicht zuletzt gegenüber den Hashd ash-Sha’abi, die auf Druck der USA nicht an den Kämpfen um Ramadi beteiligt waren, kann mit einer breiten Einbindung in den gesamtirakischen arabisch-kurdischen Kampf gegen den Terrorismus ein wichtiges Gegengewicht geschaffen werden. Die Rückeroberung Ramadis Ende Dezember durch Antiterroreinheiten der irakischen Sicherheitskräfte und arabisch-sunnitische Stammeskämpfer, die aus der Luft durch US-Luftschläge unterstützt wurden, war für die irakische Regierung und die Armee ein wichtiger Sieg. Nachdem diese die Verteidigung der Stadt sieben Monate zuvor, wie schon beim Fall Mosuls, vorzeitig aufgegeben und beim Rückzug modernstes Kriegsgerät und Ausrüstung aus US-Produktion zurückgelassen hatte, hat dieser Erfolg den Druck auf die Regierung Al-Abadi jedoch nur vorübergehend entlastet.

Sunnitische Entfremdung gegenüber Bagdad

Der Irak spielt eine zentrale, wenn nicht die entscheidende Rolle im künftigen Krieg gegen den IS: Von hier aus expandierten seine Strukturen nach Syrien. Während mit der Kontrolle von Raqqa das Zentrum und die erklärte Hauptstadt des Islamischen Kalifats in Syrien liegt, bleibt der Irak der Rückzugsraum des IS. Die westliche Provinz Anbar, die an Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien grenzt, ist mehrheitlich von sunnitischen Arabern bevölkert und wesentlich von der Struktur der Stämme bestimmt. Ab 2003 war sie das Zentrum sunnitischer extremistischer Gruppen und Rückzugsraum für den nationalistischen, stark Baath-geprägten Widerstand gegen die US-Truppen, der sich wesentlich aus ehemaligen Offizieren und Soldaten der irakischen Armee, ehemaligen Mitarbeitern der Geheimdienste und alten Baath-Kadern zusammensetzte. Der größte sunnitische Stamm, die Dulaim, galt als loyal gegenüber dem Baath-Regime. Ähnlich wie das Baath-Regime unter den Assads hatte auch das irakische Regime sich der Loyalität der Stammesführer durch ein Klientelismus-Netzwerk versichert, das ausgewählten Stämmen teilautonome Rechte und auch Zugang zu Positionen im öffentlichen Dienst und in den Streitkräften verschafft hatte. Im Nachkriegsirak sicherte das wachsende Misstrauen der Bevölkerung des sunnitischen Dreiecks gegenüber der inzwischen offen eine sektiererische Politik der Marginalisierung und Diskriminierung von Sunniten verfolgenden neuen Zentralregierung unter Premierminister Nuri al-Maliki den sunnitischen Islamisten die Unterstützung in der lokalen Bevölkerung. Diese hatte zuvor im Rahmen des sogenannten Sahwa-Programms („Erweckung“, auch bekannt als „Söhne des Irak“-Programm) in Kooperation mit der Zentralregierung und den US-Truppen eben jene Aufstandsgruppen und al-Qaida bekämpft. Die von der Regierung Al-Maliki in Aussicht gestellte Eingliederung in die irakischen Streitkräfte vollzog sich jedoch nicht, woraufhin es zu Beginn 2011 zu ersten lokalen Unruhen und darauf folgend zu Aufständen und Terroranschlägen im Norden und Westen der Sunnitengebiete sowie in den größeren Städten kam. Die Zentralregierung schlug gewaltsam gegen die zunächst friedlich demonstrierenden Sunniten zurück und machte damit jegliche Aussichten auf Verhandlungen zunichte. In diesem bürgerkriegsähnlichen Zustand, dessen Gewaltpegel 2013 seinen Höhepunkt erreichte, konnte sich al-Qaida im Irak mit Anschlägen gegen schiitische Ziele als Unterstützer der Sunniten präsentieren und ihren Einfluss in weiten Teilen des Irak durch Akzeptanz in der Bevölkerung und lokale Bündnisse mit anderen Gewaltakteuren konsolidieren.

Regierungschef al-Abadi steht innenpolitisch und international unter Druck: Reformen sollen die Lage im Irak beruhigen.

Innenpolitische Krise und Vertrauensverlust der irakischen Zentralregierung

Neben dem auch weiterhin alarmierend hohen Gewaltpegel als Folge einer Zunahme ethnisch-religiöser Spannungen im Schatten des Syrienkonflikts wird der Irak durch die jüngste Verschärfung seiner innenpolitischen Krise weiter destabilisiert. Diese gehört zum belastenden Erbe, das Haider al-Abadi nach den gesamtirakischen Wahlen im April 2014 als Nachfolgekandidat für Nuri al-Maliki antrat. Der neue Regierungschef, auf dessen Amtsantritt kurze Zeit später der Vormarsch des IS fiel, der seitdem die politische Agenda der Regierung dominiert hat, steht unter dem innenpolitischen und internationalen Druck, die Fehler seines Vorgängers durch umfangreiche Reformen zu bereinigen. Forderungen nach einer entschiedenen Bekämpfung der Korruption und einer Lösung der Energieversorgungskrise schlugen ab Juli 2015 in landesweite Demonstrationen um. Weitere Forderungen umfassten Einsparungen bei den Staatsausgaben, insbesondere für Staatsangestellte und Abgeordnete. Dies beinhaltete die Abschaffung der Posten der drei Vizepräsidenten und dreier Vizepremierminister. Die Tatsache, dass Ex-Premierminister Al-Maliki als Vizepräsident von der durch das irakische Parlament bewilligten Postenstreichung unmittelbar betroffen war und diese mit Verweis auf eine vorliegende Verfassungsverletzung boykottierte, hat die innerparteilichen Konfliktgräben innerhalb der Da’wa-Partei zwischen Anhängern Al-Malikis und jenen Al-Abadis zusätzlich vertieft. Innerhalb der regierenden State of Law-Koalition drohten Ende Oktober 2015 über 60 Abgeordnete in einem Brief dem Premierminister mit dem Entzug ihrer Unterstützung aufgrund der fehlenden Einbindung in die geplanten Reformpakete der Regierung. Die lange Zeit verlässlichsten Unterstützer des Premierministers waren bezeichnenderweise außerhalb der State of Law-Koalition im schiitischen Block unter den dem Iran am nächsten stehenden Kräften zu finden. Der Islamic Supreme Council of Iraq (ISCI) unter Ammar al-Hakim und das Sadristen-Lager unter Muqtada as-Sadr mit der Al-Ahrar-Partei haben die Reformvorhaben und die Rolle der Regierung in der Militärkampagne gegen den IS öffentlich gestützt. Jedoch wurde auch hier in jüngster Zeit Kritik laut oder gar, wie im Falle der Partei Muqtada as-Sadrs, mit dem Austritt aus der Koalition gedroht.

Der Krieg gegen den Terrorismus seit 2014 hat die Positionen in den politischen Lagern weiter fragmentiert. So hat das Projekt einer neuen multiethnischen und multikonfessionellen Nationalgarde für den Einsatz gegen den IS, in die sunnitische Stammeskämpfer gemeinsam mit schiitischen Milizionären integriert werden sollen, zu erheblichen Spannungen geführt. Als Lehre aus dem Scheitern der zuvor mit US-Unterstützung bewaffneten sunnitischen „Erweckungs“-Milizen für den Kampf gegen al-Qaida, gegen die die Regierung Al-Malikis am Ende unter anderem mit Verweis auf deren „illegale Führung von Waffen“ mit Härte durchgriff, soll der Status der Nationalgarde rechtlich formalisiert werden. Auch der Vorschlag, den Oberbefehl über die künftigen Brigaden den Gouverneuren der Provinzen zu übertragen, wurde mit dem Verweis, dass der damit verbundene Kontrollverlust durch Bagdad separatistische und sektiererische Strömungen in den Provinzen stärke, von schiitischer, kurdischer, aber auch sunnitischer Seite heftig kritisiert.

Inzwischen ist die Popularität des Premierministers an einem Tiefpunkt angelangt und seine Abhängigkeit vom islamistischen Spektrum der schiitischen Parteien und damit von der zukünftigen Entwicklung der irakisch-iranischen Beziehungen birgt auch im Hinblick auf die voraussichtlich im nächsten Jahr stattfindenden Provinzwahlen viele Risiken für die Regierung. Erschwerend hinzu kommt eine Haushaltskrise, die einerseits aus den gestiegenen Ausgaben im Kampf gegen den IS resultiert. Andererseits treffen Zentralregierung und ARK zu Beginn des Jahres die Folgen des sinkenden Ölpreises besonders hart, sodass die Regierung in Bagdad mit einem Einbruch der Öleinnahmen um 70 Prozent im Vergleich zum Vormonat und damit Einbußen in Höhe von rund fünf Milliarden US-Dollar rechnet.

Nach dem Fall Mosuls rief Großayatollah Al-Sistani die irakischen Schiiten auf, die heiligen Stätten und Bagdad gegen den vorrückenden IS zu verteidigen.

Schiitische Mobilisierung gegen den IS birgt zukünftiges Konfliktpotenzial

Die Vormachtstellung des schiitischen politischen Blocks in der irakischen Politik und seine Unterstützung durch den Iran wurden durch die jüngsten Entwicklungen gestärkt. Beschleunigend wirkte hierbei die Reaktion auf den Vormarsch des IS im Irak, der erst kurz vor Bagdad zum Stillstand kam. Dieses Bedrohungsszenario wurde verstärkt durch die Nähe der IS-Eroberungen in der Provinz Anbar zu den heiligen schiitischen Stätten in Kerbala und Najaf. Die schiitischen Führer des Irak üben in zunehmendem Maße Einfluss auf die Debatte um die Bekämpfung des IS und die Reformen der Regierung aus. Das öffentliche Freitagsgebet von Großayatollah Ali al-Sistani und seinen Vertretern ist mittlerweile eine politische Institution, die wirksam öffentliche Unterstützung für die Regierung mobilisieren kann. Damit ist die oberste schiitische Autorität im Irak beim fortschreitenden Vertrauensverlust in weiten Teilen der Bevölkerung ein wichtigerer Partner für die Regierung denn je.

Auch im irakischen Abwehrkampf gegen den IS kommt der schiitischen Geistlichkeit eine tragende Rolle zu: Der Fall von Mosul am 10. Juni 2014 wurde von Großayatollah Al-Sistani mit dem Aufruf zum Kampf der irakischen Schiiten gegen den IS beantwortet, wonach alle bedrohten heiligen Stätten und Bagdad gegen die vorrückenden IS-Einheiten zu verteidigen seien. Die Hashd ash-Sha’abi sind in Reaktion auf die Expansion des IS gegründet worden. Unter ihrem Schirm bildeten sich innerhalb nur weniger Wochen zahlreiche Milizen und Untergruppen jener Milizen, welche nach dem Sturz des Baath-Regimes 2003, zum Teil aus dem iranischen Exil kommend und von dort unterstützt und ausgebildet, umgehend wichtige Institutionen in der Politik und im Verteidigungssektor besetzt hatten. Im Einzelnen – und als Kern des heutigen Hashd as-Sha’abi die einflussreichsten Gruppen – sind dies die Miliz Al-Badr, die inzwischen unter dem Namen Peace Companies (Saraya as-Salam) aktive ehemalige Mahdi-Armee unter dem Geistlichen Muqtada as-Sadr, die Asayib Ahl al-Haq (Liga der Rechtgeleiteten), denen eine Nähe zum ehemaligen Premierminister Al-Maliki nachgesagt wird, und der irakische Ableger der Hizbu’llah (Kata’ib Hizbu’llah). Insgesamt sollen diese stark mit dem Iran assoziierten und knapp 40 weitere Milizen 60.000 bis 100.000 bewaffnete Kämpfer umfassen. Im April 2015 hatte Premierminister Haider al-Abadi die PMF Milizen formalisiert, sodass diese inzwischen neben der irakischen Armee als von der Zentralregierung finanzierter und dem Innenministerium unterstellter paramilitärischer Truppenverband operieren. Die Hashd ash-Sha’abihaben inzwischen, so scheint es, den Kampf der Zentralregierung gegen den IS in ihrem Sinne monopolisiert und sich glaubwürdig als einzige Kraft – neben den Kurden – etabliert, die den IS, dessen Ideologie deutlich anti-schiitisch ist, wirksam bekämpfen kann. Ihre Aufwertung und insbesondere ihre Finanzierung und Ausrüstung durch den Iran und die irakische Zentralregierung (ca. eine Milliarde US-Dollar im Haushalt 2015) stören zudem das sensible Spannungsverhältnis mit der Autonomen Region Kurdistan (ARK), deren Peschmergaseit Jahren Unterstützung der Zentralregierung eingefordert hatten.

Viele der schiitischen Milizen hatten bis Sommer 2014 in Syrien auf Seiten des Regimes gekämpft, waren dann jedoch größtenteils dem Aufruf Al-Sistanis zur Verteidigung der heiligen Stätten im Irak gefolgt, was zunächst eine erhebliche Schwächung der Schlagkraft auf Seiten des Assad-Regimes zur Folge hatte. Ab 2015 erhärteten sich Hinweise auf eine Rückkehr und wieder steigende Beteiligung an den Kampfhandlungen in Sy rien, etwa bei der jüngsten Februar-Offensive auf Aleppo, bei der irakische Einheiten von Al-Badr kämpften. Die Unterstützung des syrischen Regimes durch aus dem Irak operierende Gruppen ist nicht zuletzt Ausdruck des iranischen Drucks auf die irakische Regierung, Teherans Unterstützung des Assad-Regimes trotz der historischen Rivalitäten zwischen irakischer und syrischer Baath-Partei und akuter sicherheitspolitischer Spannungen mitzutragen. Zu Recht wurde angesichts des Rückgangs an Rekrutierungen der irakischen Armee und der Sicherheitskräfte auf den hieraus resultierenden Legitimitätsverlust der irakischen Streitkräfte als Institution und potenzieller Motor eines gesamtirakischen Integrations- und Aussöhnungsprozesses hingewiesen. Hiermit sind die Sorge über die zukünftige Loyalität der Milizen gegenüber der irakischen Regierung und die Frage nach künftigen staatlichen Kontrolloptionen gegenüber dem ausufernden Milizwesen verbunden.

Und nicht zuletzt erhöht die zunehmende Präsenz paramilitärischer Gruppen das bereits vorhandene Risiko einer Eskalation des sektiererischen innerislamischen Konflikts in der Region mit Syrien und dem Irak als Ausgangspunkt erheblich: Viele der unter dem Schirm der Hashd as-Sha’abikämpfenden Gruppen haben neben dem Schutz von Schiiten und Heiligtümern in der Region die Vernichtung der „takfiri-Terroristen“ oder nawasib– gemeint sind der IS, die Nusra-Front und weitere sunnitisch-salafistische oder dschihadistische Gruppen – zum obersten Ziel erhoben. Mit diesem Ausdruck werden diejenigen sunnitischen Extremisten bezeichnet, die all jene Muslime – konkret Schiiten –, die nicht ihrer religiösen Überzeugung folgen, zu Ungläubigen erklären und töten. Im Libanon hat die Hizbu’llahwiederholt ihr aktives Eingreifen in den Syrienkonflikt an der Seite des Assad-Regimes mit dem Verweis auf ein drohendes Übergreifen dieses Konflikts auf den Libanon verteidigt. Der Führer und Generalsekretär der Hizbu’llah, Hassan Nasrallah, hatte seit seiner Rede vom 25. Mai 2013 in der er die Präsenz von Hizbu’llah-Kämpfern in Syrien erstmals einräumte, immer wieder betont, die Hizbu’llah beschütze die Konfessionen des Libanon vor dem „Sturm der Takfiri“, der nicht zuletzt ein Eingreifen Israels provozieren könne.

Bewertung und Ausblick

Im Verlauf des Syrienkonflikts hat sich die Sicherheitslage in der Levante innerhalb weniger Jahre dramatisch verschlechtert. Die Radikalisierung des syrischen Volksaufstands und seiner Hauptakteure gegen das Regime besonders ab 2012 und dann erneut ab 2015 hat in Teilen auf die angrenzenden Länder übergegriffen. Dort vertiefen sich bereits bestehende Konfliktlinien erheblich und bedrohen, wie im Irak, nicht nur die staatliche Einheit sondern auch die Stabilität des Libanon, Jordaniens und der Türkei – zusätzlich zu den Herausforderungen, die die Aufnahme von derzeit über 4,6 Millionen Kriegsflüchtlingen in den letzten fünf Jahren auch in Zukunft stellen werden. Gerade aus Sicht Europas und Deutschlands hätte die weitere schrittweise Destabilisierung der Levante katastrophale Folgen mit unmittelbaren sicherheitspolitischen Auswirkungen auf westliche Interessen.

Ein aktiveres Eingreifen der Regionalmächte und damit eine zunehmende Internationalisierung des Konflikts haben die Aussicht auf einen Waffenstillstand und eine politische Konfliktbeilegung erheblich erschwert. In der jüngsten Entwicklung hat Russland mit seinem Kriegseintritt den drohenden militärischen Kollaps des syrischen Regimes im Spätsommer 2015 verhindert. Während in den letzten Jahren deutlich wurde, dass kein Akteur des Bürgerkriegs stark genug ist, den Konflikt militärisch zu gewinnen, hat das russisch-iranische Eingreifen dazu geführt, die militärische Patt-Situation zu Gunsten des syrischen Regimes zu überwinden. Dadurch hat sich das Fenster für direkte innersyrische Verhandlungen, welches sich durch den drohenden Fall des Regimes abzeichnete, vorerst wieder geschlossen. Denkbar wäre, dass der politische Prozess nach einer Phase der Expansion und Konsolidierung seiner Kontrolle über weitere Teile Syriens durch das Regime wieder belebt wird. Dann jedoch zu den Bedingungen des syrischen Regimes und seiner Verbündeten Russland und Iran und zu Ungunsten der syrischen Opposition und ihrer Unterstützerstaaten Türkei und Saudi-Arabien. Völlig offen und abhängig von der dann geschaffenen Realität am Boden bleibt dabei, ob weitere Konfliktparteien wie der IS oder die syrisch-kurdischen Kräfte aus dieser Entwicklung auch langfristig profitieren würden.

Die massive ausländische Präsenz in Syrien und Irak im Kampf gegen den IS und im syrischen Bürgerkrieg führt zu einer Verstetigung des Konflikts, radikalisiert moderate Oppositionsgruppen und stärkt langfristig islamistische Kräfte wie den IS. Genauso birgt diese Entwicklung die Gefahr einer Umdeutung der syrischen Revolution von einem lokalen Aufstand gegen das Baath-Regime hin zu einem religiös konnotierten Befreiungskrieg gegen ausländische Interventions- und Besatzungsmächte wie den Iran, Russland und Libanons Hizbu’llah. Die russisch-iranische Intervention an der Seite des syrischen Regimes und eine eklatante militärische Schwächung der oppositionellen Anti-Assad-Kräfte könnten leicht eine neue Eskalationsstufe des Konflikts von Seiten der Türkei und Saudi-Arabiens einleiten. Neben einem direkten Eingreifen in den Konflikt mit eigenen Truppen wäre auch eine langfristig angelegte indirekte militärische Unterstützung der syrischen Oppositionsgruppen denkbar, um so die Rahmenbedingungen für einen möglicherweise Jahre andauernden Kampf mit starken Guerilla-Elementen gegen das Regime und seine Verbündeten zu schaffen.

Im Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak zeigt sich bislang trotz erster gemeinsamer Positionen und Teilerfolge, die zur Rückeroberung von Gebieten im Irak führten, deutlich der Dissens der beteiligten Parteien besonders hinsichtlich der Durchführung des unerlässlichen Kampfes am Boden. In der Bilanz erweist sich die bislang fast ausschließlich aus der Luft geführte Kampagne als risikobehaftet. Gründe hierfür sind vor allem die komplexen inneren Konfliktfelder beider Länder, welche deutlich machen, dass jede militärische Kampagne gegen den IS nur im Zusammenspiel mit der humanitären, politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung der Region erfolgversprechend sein kann. Solange der Syrienkonflikt – der maßgeblich als Katalysator für den Aufstieg von al-Qaida und dem IS diente – andauert und damit militanten Gruppen wie dem IS ein Vakuum zur Konsolidierung bietet, bleiben Eingriffsmöglichkeiten in Syrien begrenzt.

Dem Irak kommt daher in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des IS und nachfolgender Terrororganisationen zu. Die kurdischen Truppen der ARK sind vor allem bei der militärischen Eindämmung des IS von immenser Bedeutung und auch humanitär hat die ARK einen erheblichen Beitrag bei der Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen in großer Zahl geleistet. Die internationale Unterstützung der ARK muss vor diesem Hintergrund auch weiterhin fortgeführt und intensiviert werden. Dennoch wird die langfristige politische Stabilisierung der Region einschließlich der Ursachenbekämpfung von islamistischem Extremismus nur unter Einbeziehung und Stärkung der irakischen Zentralregierung möglich sein. Die durch die schiitische Mobilisierung freigesetzte Dynamik, die die innenpolitische Instabilität des Irak zu vertiefen droht, wird dagegen nur schwer kontrollierbar sein.

Selbst wenn sich der IS zunächst nicht komplett militärisch besiegen, sondern nur langfristig schwächen lässt, eröffnet seine Zurückdrängung in kleine Teilterritorien in Syrien und im Irak die Möglichkeit, die zurückeroberten Gebiete militärisch, humanitär und wirtschaftlich zu stabilisieren und die dortigen Gruppen in den politischen Prozess einzubinden, um damit dem IS dauerhaft Zulauf und Unterstützung zu nehmen. Das Risiko einer Abwanderung in den Untergrund in Rückzugsgebieten mit Unterstützerstrukturen und Rückhalt in der lokalen Bevölkerung wäre dennoch nicht auszuschließen, vergegenwärtigt man sich die Ursprünge der Organisation vor über zehn Jahren und ihre damaligen beschränkten Ressourcen. Selbst nach einer Rückeroberung Mosuls durch die irakische Armee, dem massiven Verlust von Kämpfern und Ausrüstung und bei erfolgreicher Austrocknung von Einkommensquellen wäre der IS noch immer in der Lage, eine langjährige Terrorkampagne gegen konfessionelle Ziele im Irak zu organisieren. In den Nachbarstaaten der Levante wären ähnliche Szenarien nicht auszuschließen.

Dr. Malte Gaier ist Länderreferent der Konrad-Adenauer-Stiftung für Syrien, Irak, Libanon und Jordanien.

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