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"Temer ist nicht Brasiliens Erneuerer"

Interview mit Dr. Jan Woischnik, Leiter des Büros in Brasilien

Mangelnden Gestaltungswillen kann man Michel Temer wahrlich nicht vorwerfen: kaum ein Bereich, den Brasiliens neuer Präsident nicht grundlegend reformieren will. Jan Woischnik, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung vor Ort, bezweifelt aber, dass Rousseffs Nachfolger den schlafenden Riesen wecken wird.

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Seit der Absetzung von Dilma Rousseff ist in Brasilien ein neuer Präsident am Ruder. Die Hauptaufgabe von Michel Temer: Die Wirtschaft wieder in Schwung bringen, die unter der schwersten Rezession seit Jahrzehnten leidet.

In seiner ersten Woche als Präsident hat Temer nun eine Rentenreform und eine Schuldenbremse angekündigt – und er will den Arbeitsmarkt flexibler machen. Jan Woischnik, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, ordnet Temers Tatendrang ein.

Trauen Sie Temer zu, dass er Brasiliens Wirtschaft zurück zum Erfolg bringen kann?

Ich bin da eher skeptisch. Temer ist im Rahmen eines fragwürdigen Amtsenthebungsverfahrens an die Macht gekommen, er vertritt eine Partei ohne eigene Programmatik. Wirkliche Taten sind bislang nicht erfolgt. Außerdem sind die angekündigten Reformen auch nicht gerade leicht zu implementieren. Temer wird starken politischen Willen brauchen.

Wegen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Dilma Rousseff lag Brasilien und seine Wirtschaft monatelang in einem Schockzustand. Gibt es nun erste Anzeichen, dass sich diese Starre löst?

Ein wenig. Temer ist deutlich wirtschaftsfreundlicher als die Vorgängerregierung, die 13 Jahre im Amt war. Er kann auch mit dem Kongress umgehen, verfügt über Verhandlungsgeschick – das ist wichtig. Allerdings hat er nur wenig Zeit, denn 2018 wird neu gewählt. Zudem hat Temer keine besonders starke Stellung, da er nicht gewählt wurde und ihm damit die demokratische Legitimation fehlt. Schließlich laufen gegen ihn Verfahren wegen Korruption. Das alles sind keine guten Ausgangsbedingungen.

Diverse Kommentatoren vergleichen Brasilien aktuell mit Argentinien. Auch dort durchbrach mit Mauricio Macri ein neuer Präsident die jahrelange Vormachtstellung einer anderen Partei. Im Fall von Brasilien würden Sie jedoch nicht von einer Zeitenwende sprechen?

In Argentinien hat mit der Wahl von Mauricio Macri tatsächlich eine Zeitenwende stattgefunden. Das katastrophale Kirchner-Regime wurde abgewählt; Macri ist nun dabei, das Land grundlegend zu reformieren. Eine vergleichbare Konstellation kann ich aber in Brasilien nicht entdecken.

Sind Sie ein Pessimist oder liegt mit Brasiliens Wirtschaft wirklich alles im Argen?

Ich bin eigentlich eher Optimist. Aber ich lebe in Brasilien und beobachte die Stimmung im Land, in der Politik und der Bevölkerung. Das ist, was ich wiedergebe. Michel Temer hat in aktuellen Umfragen Zustimmungsraten von lediglich 10 Prozent. Das sagt alles über die Haltung der Bevölkerung. Die politische Klasse in Brasilien hat insgesamt in den letzten Monaten und Jahren eine totale Vertrauenskrise erlebt. Temer ist letztlich ein klassischer Vertreter des politischen Establishments. Er bringt nicht die Erneuerung ins Land, die sich die Bevölkerung wünschen würde.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger, SRF.

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Dr. Jan Woischnik

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Jan.Woischnik@kas.de +49 30 26996-3577 +49 30 26996-53577
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5. September 2016
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