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Aus dem politischen Tagebuch von Wolfgang Schäuble 18. März

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Quelle: Wolfgang Schäuble, Der Vertrag - Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, Stuttgart 1991

Eintrag zum 18. März 1990

"Die Tatsache, daß im Wahlkampf die westdeutschen Parteien und die westdeutschen Politiker, allen voran Bundeskanzler Helmut Kohl, die entscheidende Rolle spielten, beeinflußte auch die Kräfteverteilung innerhalb der »Allianz für Deutschland«. Hinzu kam, daß die CDU flächendeckend vertreten war und einen organisatorischen Unterbau hatte, während DA und DSU sich nur auf wenige Stützpunkte mit zum Teil sehr engagierten Mitarbeitern verlassen konnten. Für denjenigen, der den Wahlkampf in der DDR aktiv miterlebt hat, war deshalb das Wahlergebnis am 18. März lange nicht so überraschend, wie es nach vorhergegangenen Meinungsumfragen oder auch nach den Gesichtern mancher Fernseh-Korrespondenten am Wahlabend schien.

Das Wahlergebnis belegte zunächst, daß die Union, entgegen vielen Legenden seit der Adenauer-Zeit, auch in der DDR unter günstigen Vorzeichen wie in der Bundesrepublik in die Größenordnung von bis zu fünfzig Prozent der Wählerstimmen vordringen konnte. Es belegte zum zweiten, daß die Sozialdemokraten unter Oskar Lafontaine keine für die Menschen in der DDR nachvollziehbare Konzeption für die Probleme der Menschen und für das Anliegen der deutschen Einheit hatten; sie mußten bei dem Versuch, Ängste und Neid, die sich bei vielen Menschen im Zusammenhang mit dem Prozeß der deutschen Einheit auch regten, für sich zu nutzen, die Stimmenanteile mit der SED-Nachfolgerin PDS teilen. Und drittens zeigte das Wahlergebnis, daß die Wähler der »Allianz für Deutschland« im wesentlichen die CDU nach westdeutschem Vorbild und den Bundeskanzler Helmut Kohl wollten. Das Wahlergebnis blieb so für den Demokratischen Aufbruch, der allerdings durch die Affäre um seinen früheren Vorsitzenden Wolfgang Schnur in der Endphase des Wahlkampfes noch empfindlich geschwächt worden war, weit unter den Erwartungen seiner Anhänger. Daraus zog der DA dann auch im weiteren Verlauf des Jahres 1990 die Konsequenz, die mit der Integration in die Fraktion der CDU begann und sich mit dem Eintritt in die CDU Deutschlands vollendete.

Auch für die DSU und für viele in der CSU war das Wahlergebnis eine herbe Enttäuschung. Die 6,3 Prozent, bezogen auf die ganze DDR, und die Tatsache, daß auch in den DSU-Hochburgen im Süden die CDU besser als die DSU abschnitt, waren der Beginn eines Erosionsprozesses, der über die Kommunalwahlen am 6. Mai und die Landtagswahlen am 14. Oktober dazu führte, daß sich die DSU mit der Bundestagswahl am 2. Dezember aus dem politischen Leben praktisch wieder verabschiedete. Vielleicht wird noch einige Zeit in der CSU darüber diskutiert werden, ob diese Entwicklung hätte vermieden werden können, wenn man die politische Kraft der CSU auf die DDR nicht auf dem Unweg über die DSU, sondern direkt über eine CSU in den fünf neuen Ländern übertragen hätte. Auch aus der Sicht der CDU wird eine solche Betrachtungsweise nicht völlig von der Hand zu weisen sein, obwohl die entscheidenden politischen Persönlichkeit im Jahre 1990 - nicht nur im Unionsbereich - eben Bundeskanzler Helmut Kohl war. Daran hätte auch eine CSU in der DDR nichts geändert. Aber der entscheidende Gesichtspunkt, der eine solche Lösung unmöglich machte, bleibt eben der, daß mit einer solchen regionalen Ausweitung der CSU die Grundlagen der Gemeinschaft von CDU und CSU verlorengegangen wären. Zudem hätte die CSU damit ihre Identität als bayerische Partei auf Dauer ebenfalls verspielt. Insofern mag man das Schicksal der DSU, auch das Engagement vieler in der CSU, das zur Gründung der DSU, auch das Engagement vieler in der CSU, das zur Gründung der DSU geführt hatte, vor dem Hintergrund der Verdienste um die revolutionäre Entwicklung in der DDR durchaus als tragisch empfinden; das Ergebnis bleibt aus heutiger Sicht, weil der Lösungsansatz falsch war, dennoch unvermeidlich.

Diese Überlegungen belegen, wie ungeheuer wichtig es für die weitere Entwicklung nicht nur in der DDR war, daß es Helmut Kohl Anfang Februar gelungen war, die »Allianz für Deutschland« mit allen Schwierigkeiten und Einschränkungen zu gründen und damit die Voraussetzungen für den triumphalen Wahlsieg am 18. März zu schaffen." (Seite 51-53)

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