Asset-Herausgeber

Aus dem politischen Tagebuch von Horst Teltschik 18. März

Asset-Herausgeber

Quelle: Horst Teltschik, 329 Tage - Innenansichten der Einigung, Berlin 1991

Sonntag, 18. März 1990

"Die Sensation ist perfekt: Bei den ersten freien Wahlen in der DDR seit 58 Jahren feiert die "Allianz für Deutschland" einen überwältigenden Wahlsieg. Bei der eindrucksvollen Wahlbeteiligung von 93,38 Prozent gewinnt die Allianz 192 Mandate, während die SPD nur 88 erhält. Wer hätte das erwartet?

Seit sieben Uhr abends sind wir im Arbeitszimmer des Kanzlers vor den Fernsehschirmen versammelt. Die Begeisterung ist groß. Alle beglückwünschen Helmut Kohl. Wir sind uns einig, daß er einen persönlichen Triumph erlebt - seine Wahlkampfauftritte scheinen die Wende herbeigeführt zu haben. Er selbst sitzt gelassen hinter seinem mächtigen Schreibtisch, notiert die eingehenden Hochrechnungen und bereitet sich auf die Runde der Parteivorsitzenden im Fernsehen vor.

Die SPD hatte mit einer strukturellen Mehrheit in ganz Deutschland gerechnet. Ihr Entsetzen über den unerwarteten Einbruch ist auch manchen Journalisten anzumerken. Natürlich fragen auch wir uns, was gewesen wäre, hätte das Ergebnis umgekehrt ausgesehen. Wir hatten schon die tröstliche Erklärung bereit, daß dieses Wahlergebnis noch nicht über den Ausgang der Bundestagswahl im Dezember aussage, dennoch sind wir uns nun sicher, daß sich mit diesem Ergebnis auch die Chancen für die Bundestagswahl erheblich verbessert haben.

Kurz nach acht gibt Kohl eine öffentliche Erklärung zum Wahlausgang ab, die alle Beobachter als staatsmännisch bezeichnen. Er zeigt weder Triumph noch Euphorie. Seine Ruhe signalisiert, daß er weiß: es kann auch wieder einmal anders kommen.

Nach der Fernseh-Runde treffen wir uns im italienischen Restaurant Isola d'Ischia. Endlich gibt es Champagner. Heute ist er wirklich angebracht." (Seite 176-177)

Asset-Herausgeber