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Aus dem politischen Tagebuch von Helmut Kohl 5. Februar

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Quelle: Helmut Kohl, Ich wollte Deutschlands Einheit, Berlin 1996

Montag, Eintrag zum 5. Februar 1990

Ich hielt die damalige Führung dieser Partei, wohlgemerkt die Führung, für Verräter an den Prinzipien der Christlichen Demokraten. So mancher aus den oberen Rängen der Ost-CDU war Helfer des Staatssicherheitsdienstes gewesen, Tausende von standhaften Mitgliedern der Ost-CDU aus den ersten Jahren hatten darunter zu leiden gehabt. Mit solchen Leuten konnte man sich nicht an einen Tisch setzen. Ich erinnere mich noch, wie ich mich einmal bei den Vereinten Nationen in New York auf meinen Platz setzte und sich mir plötzlich jemand recht leutselig näherte und mich auf das freundlichste auf deutsch begrüßte. Ich kannte den Herrn nicht und hatte auch keine Ahnung, wer das sein könnte. Wir hatten uns schon eine ganze Weile unterhalten, als einer meiner Mitarbeiter mir zuflüsterte, das sei der Vorsitzende der Ost-CDU, zugleich einer der stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden der DDR. Ich wandte mich sofort einigen anderen Delegierten zu und entkam so gerade noch rechtzeitig den Fotografen, die schon einen sensationellen Schnappschuß witterten. Das war meine einzige Begegnung mit einem Mitglied der Führung der Ost-CDU gewesen.

Gute Beziehungen hatte ich dagegen zur Exil-CDU und zu ihrem Vorsitzenden, Johann Baptist Gradl, der selbst Verfolgter des sowjetischen Zwangssystems gewesen war. Er saß jeden Morgen im alten Café Möhring in unmittelbarer Nähe der Berliner Gedächtniskirche, las dort seine Zeitung und trank seinen Kaffee. Wir beide haben dort oft zusammengesessen, und Gradl erzählte Geschichten. Ich konnte ihm stundenlang zuhören. Gradl gehörte zu jenem Typus Politiker, der heute leider ausgestorben ist und den man gern als echtes Urgestein bezeichnet. Ein väterlicher Freund und zugleich ein Feuerkopf, der sich mit seinen achtzig Jahren noch wie ein Sechszehnjähriger aufregen konnte. Ihm verdanke ich viele Einblicke in das Innenleben der DDR.

So eindeutig mein Urteil über die Führung der Blockpartei ist, so sehr lehne ich es ab, ein pauschales Urteil über ihre Mitglieder und kleinen Funktionäre abzugeben. Ich habe es auch immer abgelehnt, ein pauschales Urteil über die SPD in der Sowjetischen Besatzungszone zu fällen, die sich nach Kriegsende mit der KPD zur SED vereinigt hat. Wesentliche Teile der deutschen Sozialdemokratie haben damals widerstanden, allen voran - das ist eine seiner großen historischen Leistungen - Kurt Schumacher, von dem ich mir wünsche, daß er wieder mehr Beachtung findet. Viele der kleinen SPD-Funktionäre träumten damals nach dem Ende der Weimarer Republik, nach der schrecklichen Erfahrung in nationalsozialistischen Gefängnissen und Konzentrationslagern von der Wiederherstellung einer einheitlichen Arbeiterpartei. Sie waren guten Glaubens und erkannten zu spät, daß dies der Weg in die zweite deutsche Diktatur war.

Auch von den christlichen Demokraten konnte damals ein wesentlicher Teil in die westlichen Besatzungszonen fliehen. Viele blieben jedoch und wurden ihrer politischen Verantwortung auch unter den Zwangsverhältnissen gerecht - unter schwersten Opfern. Allein in den Jahren der Gleichschaltung 1948 bis 1950 wurden mehr als sechshundert CDU-Mitglieder verhaftet, viele von ihnen wurden verschleppt. Wie unter dem nationalsozialistischen Terror starb eine bisher nicht genau bekannte Anzahl von ihnen - kalt von der Staatssicherheit, der neuen Gestapo, gemordet, in Schauprozessen verurteilt und hingerichtet, in die Zwangsarbeit verschleppt und elend zugrunde gegangen.

Das Martyrium dieser Frauen und Männer gehört mit zu der geschichtlichen Erfahrung meiner Partei. Nur vier oder fünf Jahre vor der Wende hatten wir mit der Unterstützung von Gradl eine Wanderausstellung organisiert, mit der dieser Opfer gedacht wurde. Es handelte sich vor allem um Kreis- oder Ortsvorsitzende aus Thüringen und Sachsen, die aus der damaligen Sowjetischen Besatzungszone verschwunden und nicht mehr heimgekehrt waren.

Daß es dann nach der Gründung der DDR eine Menge Leute gegeben hat, die sich angepaßt haben, ist auch wahr. Es ist nichts Neues, daß sich in einer Diktatur die Leute mit den Gegebenheiten arrangieren. Opportunismus gibt es ja auch in der Demokratie. Das Maß an menschlicher Zivilcourage ist begrenzt. Wer überheblich meint, ihm könne das nicht passieren, den möchte ich nur warnen und auf die deutsche Geschichte verweisen.

Andere hätten sich in der DDR in eine Nische zurückgezogen "Sie sind nicht geflohen, sie sind geblieben. Sie sind der Blockpartei beigetreten, weil sie so die Mitgliedschaft in der SED vermeiden wollten. Für viele galt die OST-CDU sozusagen als das kleinere Übel. Aber eines steht eindeutig fest: Die Partei hat als Ganzes Mitverantwortung und Mitschuld im Blick auf die Geschichte des SED-Staates. Das haben wir später in vielen Dokumenten nach der Vereinigung der beiden christlich-demokratischen Parteien deutlich gemacht. Hier kann es keinen Zweifel geben..."

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