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Aus dem politischen Tagebuch von Wolfgang Schäuble 5. Februar

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Quelle: Wolfgang Schäuble, Der Vertrag - Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, Stuttgart 1991

Eintrag zum 5. Februar 1990

Helmut Kohl war damals - und zumindest heute muß ich ihm recht geben - davon überzeugt, daß die Ost-CDU alleine und ohne deutliche Veränderungen bei Personen und Programm nicht mit Aussicht auf Erfolg zu den Wahlen antreten könne. Umgekehrt sah er genauso deutlich, daß die von ihm geführte CDU Deutschland in der DDR unter Umgehung der Ost-CDU schwerlich einen erfolgreichen Wahlkampf führen könnte..." (Seite 41)

"...Helmut Kohl stand in der Frage, welchen Gruppen in der DDR die CDU Deutschlands im Wahlkampf zum 18. März ihre Unterstützung geben solle, im Januar 1990 unter erheblichem Druck. Die meisten Beobachter, auch Meinungsforschungsinstitute gingen davon aus, daß die SOD auf einen fulminanten Wahlsieg zusteuere. Gruppierungen, die der Bonner Koalition parteipolitisch nahestanden, konnten sich danach allenfalls eine Außenseiterchance in der Größenordnung von bis zu insgesamt 25 Prozent der Stimmen ausrechnen. Kohl selbst hatte sich zu der Einsicht durchgerungen, daß es gelingen müsse, die verschiedenen neuen oppositionellen Gruppierungen möglichst mit der Ost-CDU zusammenzubringen. Nur durch eine solche Konzentration der Potentiale aus der Ost-CDU und neuer revolutionärer Gruppen sah er eine hinreichende Wahlchance für gegeben an. Zudem konnte die Ost-CDU durch solche Bündnisse über die Erneuerung ihres Führungspersonals und -programms hinaus ein Stück von dem Ballast ihrer Vergangenheit als Blockpartei abwerfen.

Zwischen dieser Einsicht und der Verwirklichung des Ziels lagen indes beinahe Welten: Die verschiedenen Beteiligten in der DDR zeigten zunächst nicht die geringste Neigung, miteinander zusammenzugehen. Im übrigen kannten sich die meisten der innerhalb kurzer Zeit zu Handelnden in der DDR gewordenen Personen gar nicht. So verging die Zeit, weil Kohl sich weder auf den einen noch auf den anderen festlegen, sondern alle miteinander zusammenbringen wollte. Diese Zeit schien vielen im Westen angesichts der vermuteten Übermacht der Sozialdemokraten und der kurzen bis zum 18. März verbleibenden Spanne als unwiederbringlich verloren. Aber Kohl erreichte sein Ziel doch. Dabei muß man sich daran erinnern, daß die Bereitschaft zur Zusammenarbeit unter den verschiedenen Gruppen in der DDR, die zum Teil zum alten Establishment zählten und zum Teil genau im Widerstand gegen dieses Establishment sich gegründet hatten, alles andere als groß war. Aber mit jedem Tag, um den die Wahl am 18. März näherrückte, wurde den Beteiligten klarer, daß alle Gruppierungen auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen waren. Insofern hatten die Sozialdemokraten mit ihrer Gründung einer SPD in der DDR durchaus auch Schrittmacherdienste für andere geleistet.

In der ersten freien Wahl in der DDR würden die politischen Gruppierungen aus der Bundesrepublik Deutschland eine maßgebliche Rolle spielen, und ohne Unterstützung aus dem Westen würden die Wahlchancen in der DDR für die meisten gering sein. Dabei war mit Unterstützung keineswegs nur die materielle und organisatorische Hilfestellung gemeint, sondern wichtiger noch war die politische Unterstützung im Sinne der Zugehörigkeit zu einer aus dem freien Teil Deutschlands bekannten politischen Formation. Mit diesem Pfund, daß die Unterstützung der CDU Deutschlands für denjenigen, der sie in der DDR bekommen würde, eine wesentliche Bedeutung haben würde, wucherte Helmut Kohl, und schließlich gelang es ihm in einer Besprechung am 5. Februar in Berlin, die Vorsitzenden de Maizière, Ebeling (DSU) und Schnur (DA) zur Gründung des Wahlbündnisses »Allianz für Deutschland« zu veranlassen. Welche Leistung von ihm persönlich dahintersteckte, dieses Bündnis zustande gebracht zu haben, wird allein daran deutlich, daß sich die Beteiligten aus der DDR bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal persönlich kennenlernten. (Seite 43/44)

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