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Aus dem politischen Tagebuch von Wolfgang Schäuble (Bundesminister des Inneren)

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Eintrag zum 28.April 1990

"Kein Deutscher kann sich darüber wundern, daß die Euphorie unserer Nachbarn über die sich abzeichnende deutsche Einheit anfangs durchaus begrenzt blieb. Aber im Lichte der täglichen Übersiedlungszahlen setzte sich rasch überall in Europa und auch in der Welt, jedenfalls soweit es darauf ankam, die Einsicht durch, daß diese Einheit unvermeidlich sei und daß sie wohl auch im europäischen Interesse lag, eben weil sich damit der Eiserne Vorhang endgültig hob. Ich habe, um diese Entwicklung im Denken unserer europäischen Nachbarn zu beschreiben, oft den Straßburger Gipfel der Europäischen Gemeinschaft vom Dezember 1989 mit dem Sondergipfel der EG im April 1990 in Dublin verglichen. In Straßburg hatte Helmut Kohl einen der schwierigsten Gipfel seiner Amtszeit zu bewältigen, weil seine Partner voller Fragen und Skepsis über die Entwicklung in Deutschland waren, jedenfalls teilweise nur von geringer Freude erfüllt. Um eine Zuspitzung zu vermeiden, wurde das Treffen Anfang April in Irland verabredet, und als die Teilnehmer dort wieder zusammenkamen, sah man schon an den Fernsehbildern beim Aussteigen aus den Flugzeugen, daß der ursprüngliche Anlaß dieses Sondergipfels, nämlich die Probleme der Entwicklung in Deutschland zu beraten, entfallen war. Statt dessen herrschte inzwischen gemeinsame Freude nicht nur über den Weg zur Einheit in Deutschland, sondern über die sich damit verbindenden Perspektiven für Europa."

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