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Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeit vom 3. Dezember 1990

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Verluste der SPD/CDU/CSU behauptet / Die FDP zweistellig / Die Grünen schwach / PDS um zwei Prozent

F.A:Z: Frankfurt, 2. Dezember. Die CDU/CSU und die FDP haben die erste Bundestagswahl im vereinten Deutschland gewonnen. Nach Hochrechnungen der beiden Fernsehanstalten erzielte die Union ein Ergebnis von etwa 44 Prozent und wurde damit sowohl in den alten als auch in neuen Bundesländern stärkste Partei. Die auf Bayern beschränkte CSU erreichte dort mehr als 51 Prozent. Die SPD kam auf 33 bis 34 Prozent. In den alten Bundesländern lag sie bei etwa 35 Prozent, in der ehemaligen DDR bei etwa 25 Prozent. Die FDP hat ein zweistelliges Ergebnis - knapp 11 Prozent - erreicht. Im Osten kam sie sogar auf mehr als 12 Prozent. Die Grünen, die nur in den alten Bundesländern antraten, erreichten hier weniger als fünf Prozent. Im Osten kam die Listenverbindung Grüne/Bündnis 90 jedoch auf mehr als sechs Prozent. Die PDS kommt nur in den Bundestag, weil sie in den neuen Bundesländern die 5%-Marke überschritten hat. Sie kam in den neuen Bundesländern auf knapp 10 Prozent, gesamtdeutsch auf etwa zwei Prozent. Die Wahlbeteiligung lag unter 80 Prozent.

Bei der Bundestagswahl im Januar 1987 hatte die Union 44,3, die SPD 37,0, die FDP 9,1 und die Grünen 8,3 Prozent der Stimmen erhalten. Bei der Volkskammerwahl in der DDR am 18. März 1990 hatte die CDU ein Ergebnis von 40,8 Prozent erzielt; die SPD hatte 21,9, die PDS 16,4 die DSU 6,3 und das liberale Parteienbündnis 5,3 Prozent erhalten.

Nach der Hochrechnung erhält die Union 316 Mandate im neuen Bundestag, die SPD 241, die FDP 78, die - ostdeutsche - Listenverbindung Bündnis 90/Grüne sieben und die PDS 14. Nach der deutschen Vereinigung am 3. Oktober war der Bundestag um Abgeordnete der ehemaligen Volkskammer erweitert worden. Dabei hat sich folgende Sitzverteilung ergeben: CDU/CSU/DSU: 305 (CDU/CSU zuvor: 234), SPD 226 (193), FDP 57 (48), Grüne/Bündnis 90 48 (41), PDS 24. Drei frühere Grünen-Abgeordnete sind fraktionslos.

Die ersten Wahlanalysen besagen, dass die bürgerlichen Parteien ihren Wahlsieg vor allem der Kompetenz verdanken, die ihnen die Mehrzahl der Wähler auf wirtschaftlichem Gebiet zuschreibt. 60 Prozent der Bevölkerung in den fünf neuen Bundesländern glauben, die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP könne "am besten dafür sorgen, dass unsere allgemeine wirtschaftliche Lage gut ist", und nur 16 Prozent trauen dies der SPD zu. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen um die Wende des Oktober zum November für das Zweite Deutsche Fernsehen in Ostdeutschland erhob. In den alten Bundesländern denken die Wähler ähnlich. Die meisten Wähler gaben Kohl nach Darstellung der Wahlforscher zum erstenmal einen Kanzler-Bonus. Bundeskanzler Kohl kündigte an, er werde die Koalition mit der FDP fortsetzen. Bei den Koalitionsverhandlungen bestehe kein Zeitdruck. Die bevorstehenden 4 Regierungsjahre würden "schwierige Jahre" werden. In der Bonner Runde der Parteivorsitzenden sagte Kohl, das Wahlergebnis der Union sei das beste das eine demokratische Partei je in Gesamtdeutschland erzielt habe. Erfreulich sei auch das gleichmäßige Abschneiden in West- und Ostdeutschland. Er habe nicht erwartet, dass die Union im Vergleich zur Bundestagswahl 1987 große Zugewinne erzielen werde. Der Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, gestand die Niederlage seiner Partei ein. "Ich stehe für dieses Ergebnis", sagte er. Lafontaine verwies darauf, dass die politischen Umstände der Wahl die Regierung begünstigt hätten. In den vergangenen Monaten habe es "Musterdrehbuch" für die Bundesregierung gegeben. Die Wahl habe im Zeichen der deutschen Einheit gestanden. Für die SPD sei das eine schwierige Ausgangslage gewesen, was er "in seiner Tragweite nicht erkannt" habe. Lafontaine nannte die Wahl außerdem eine "Generationenwahl". Analysen würden zeigen, dass er und die SPD bei der jungen Generation vorn gelegen hätten. In Zukunft würden die von ihm in den Vordergrund gestellten Themen wichtiger werden, sagte Lafontaine, der bekräftigte, dass er nicht als Oppositionsführer nach Bonn gehen werde. Doch werde er sich nicht aus der Bundespolitik zurückziehen. "Ich werde mit von der Partie sein und zwar kräftig", sagte er.

Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff sprach von einem großen Erfolg für den politischen Liberalismus in Deutschland. Die FDP werde sich bei den Koalitionsverhandlungen nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Die Wahl des Kanzlers am 20. Dezember -dafür hatte sich Kohl ausgesprochen - sei zwar ein wünschenswertes Ziel. Wenn die Koalitionsverhandlungen bis dahin aber noch nicht abgeschlossen seien, werde eben später gewählt. Der CSU-Vorsitzende und Finanzminister Waigel sagte, seine Partei werde in den Koalitionsverhandlungen mit "Argumenten und Personen" überzeugen.

CDU-Generalsekretär Rühe nannte das Wahlergebnis "insgesamt einen Riesenerfolg" für die Koalition. In einer ersten Stellungnahme nach den Prognosen, sagte Rühe im ZDF, die SPD "habe einfach einen Absturz ins Nichts" erlitten. Die Sozialdemokraten müssten ganz neu anfangen. Die Wahl sei ein Erfolg von Bundeskanzler Kohl. Davon habe auch die FDP profitiert. Den Freien Demokraten, sagte Rühe, habe auch das Gerede von der absoluten Mehrheit der Union geholfen. Die Koalitionsverhandlungen würden schon deshalb schwierig, weil die anstehenden Aufgaben groß seien. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und frühere DDR-Ministerpräsident de Maiziere führt den Wahlerfolg der Union auf die Zugkraft des Bundeskanzlers zurück.

Jetzt sei es wichtig, die Wirtschaft in den neuen Bundesländern anzukurbeln. Zwischen Ost und West müsse ein partnerschaftliches Verhältnis geschaffen werden, damit die Einheit auch in den Köpfen und Herzen Wirklichkeit werde.

Der SPD-Vorsitzende Vogel bekräftigte, dass Lafontaine der richtige Kandidat gewesen sei. Die Zukunft werde zeigen, dass Lafontaine mit seinen Analysen recht gehabt habe, seine politischen Konzepte seien "der Realität näher". Vogel beantwortete die Frage nicht, wer künftig Parteivorsitzender seien werde. Als "schmerzliche Niederlage" bezeichnete SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs das Wahlergebnis ihrer Partei. Sie äußerte sich zufrieden darüber, dass die Wahl "stabile Verhältnisse" im Bundestag gebracht habe.

Eine schlimme Zukunft prognostizierte der Grünen-Abgeordnete Kleinert seine Partei, falls die sich nicht "schleunigst" verändere. In den vergangenen 4 Jahren sei die Darstellung grüner Politik mangelhaft gewesen. Das Ergebnis sei eine "schwere Niederlage". Eine Sprecherin der Listenverbindung Grüne/Bündnis 90, die brandenburgische Kultusministerin Birthler, sagte in der Bonner Runde, sie frage sich, warum in der früheren DDR so viele Bürger gegen ihre eigenen Interessen gewählt hätten.

Der PDS-Vorsitzende Gysi zeigte sich zufrieden darüber, dass seiner Partei mit dem Ergebnis in den neuen Bundesländern der Einzug in den neuen Bundestag gelungen ist. In Zukunft könne die PDS es auch schaffen, in Gesamtdeutschland die 5%-Marke zu überschreiten.

Bei der 1. freien gesamtdeutschen Wahl seit 58 Jahren war die Beteiligung zunächst niedriger als bei der Bundestagswahl 1987. Nach Angaben des Bundeswahlleiters in Berlin hatte bis Sonntag Mittag bei nasskaltem Wetter erst ein Viertel der knapp 60 Millionen Wahlberechtigten die Stimme abgegeben. In den alten Bundesländern hatte die Wahlbeteiligung am Nachmittag deutlich unter derjenigen der letzten Bundestagswahl vom Januar 1987 gelegen. In den 5 neuen Bundesländern war die Wahl bei nass-kaltem Wetter am Morgen ebenfalls schleppend angelaufen.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das einen Streit über den Wahlmodus der ersten gesamtdeutschen Wahl beendete, gab es am Sonntag in Deutschland zwei Wahlgebiete: die Länder der alten Bundesrepublik und die fünf neuen Länder der ehemaligen DDR. In beiden Wahlgebieten wurden die Stimmen getrennt ausgezählt. Für einen Einzug in den Bundestag mussten die Parteien nur in einem Wahlgebiet die Fünf-Prozent-Sperre überwinden. Damit sollte den neuen Parteien und Bewegungen in den neuen Bundesländern größere Chancen gegeben werden.

Von den bisherigen Bundestagsparteien traten nur SPD, FDP und Grüne in allen 16 Ländern an. Die CDU bewarb sich in allen Ländern außer Bayern, die CSU nur dort. Die einzige Listenverbindung Grüne/Bündnis 90 kandidierte wie die DSU nur in den neuen Ländern und in Berlin.

Zur ersten Sitzung des frei gewählten gesamtdeutschen Bundestags werdend die 656 Abgeordneten noch vor Weihnachten im Berliner Reichstag zusammenkommen.

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