Asset-Herausgeber

Aus dem politischen Tagebuch von Horst Teltschik, (außenpolitische Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl)

Asset-Herausgeber

Mittwoch, 2. Mai 1990

"Die Bundesregierung und die Regierung in Ost-Berlin einigen sich auf die Modalitäten der für den 1. Juli vorgesehenen Währungsumstellung in der DDR. Beide Seiten stimmen in der Zielsetzung überein, daß die soziale Marktwirtschaft in der DDR schnell eingeführt, die Stabilität der D-Mark, die Solidität der Staatsfinanzen und die soziale Ausgewogenheit garantiert werden soll. Damit ist ein regelrechter Felsbrocken auf dem Weg zur deutschen Einheit aus dem Weg geräumt.

Bei der Eröffnung der Industriemesse in Hannover spricht der Kanzler von der großen Herausforderung, die sich durch das Zusammenwachsen West- und Ost-Europas für die deutsche Wirtschaft ergebe. Sein besonderes Anliegen ist es, die günstigen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die Bewältigung der anstehenden Probleme ins öffentliche Bewußtsein zu heben: Seit mehr als sieben Jahren wachse die deutsche Wirtschaft und das mit zunehmender Dynamik. Die Wachstumserwartungen für dieses und nächstes Jahr lägen zwischen dreieinhalb und vier Prozent. Der Investitionsmotor laufe auf hohen Touren mit entsprechenden Zuwächsen bei der Beschäftigung. Innerhalb der letzten zwölf Monate sei die Zahl der Arbeitsplätze um rund eine halbe Million gestiegen. Gleichzeitig sei das Preisniveau relativ stabil. Die Staatsfinanzen stünden auf einem soliden Fundament. Seit 1982 sei die Staatsquote von fünfzig auf fünfundvierzig Prozent gesenkt worden. Damit habe sich der Handlungsspielraum vergrößert, die wirtschaftliche Einigung Deutschlands finanziell abzustützen, ohne Haushalt und Kapitalmarkt zu überfordern.

Mit der Verwirklichung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der DDR am 1. Juli werde ein Durchbruch erreicht. Auch danach würden zwar "schmerzhafte Anpassungen" erforderlich bleiben, doch die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands werde erhebliche zusätzliche Wachstumskräfte freisetzen, worin alle Prognosen übereinstimmten. Für Steuererhöhungen, so Kohl, bestehe deshalb "überhaupt kein Anlaß". Sie würden nur das gefährden, was für das wirtschaftliche Zusammenwachsen Deutschlands jetzt entscheidend sei, nämlich Investitionen und unternehmerisches Engagement. Niemals zuvor sei Deutschland wirtschaftlich besser vorbereitet gewesen als heute, um die neue Herausforderung zu bewältigen.

Durch die heutige Bekanntgabe der Vereinbarungen über die Eckwerte der Währungsunion mit der DDR hat der Bundeskanzler ein entscheidendes wahlpolitisches Ziel erreicht: Es war ihm darum gegangen, damit noch vor den Kommunalwahlen am Sonntag in der DDR ein positives Signal zu setzen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie sorgfältig er politische Entscheidungen der Regierung mit solchen wahlpolitischen Überlegungen verknüpft, und das oft zu einem Zeitpunkt, an dem noch niemand über Wahltermine nachdenkt. Hier beweist sich immer wieder das taktische Geschick des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers in einer Person."

Asset-Herausgeber