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Auszug aus dem politischen Tagebuch von Wolfgang Schäuble

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Wolfgang Schäuble, Der Vertrag - Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, Stuttgart 1991, S. 247, 251,252, 252-254,

Eintrag zum 31. August 1990

Seite 247

.....Donnerstagsabend, 30. August: Krause war wieder in Bonn - bereit zur Paraphierung. Um 17 Uhr hatten wir uns, beide ziemlich erschöpft, in kleinerem Kreis im Innenministerium getroffen, um die Verhandlungen über den Einigungsvertrag endgültig abzuschließen. Ich bat Krause gegen 19.30 Uhr um eine Unterbrechung, weil ich wieder zu den Beratungen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden ins Kanzleramt musste. Die Mitglieder beider Delegationen nutzten die Zeit, um letzte Hand an Formulierungen zu legen, insbesondere auch in der Frage der Behandlung der Stasi-Akten. Ich selbst versprach, so rasch wie möglich zurück zu sein, und hatte gegenüber Günther Krause ein schlechtes Gewissen. Immerhin sollte der Vertrag am nächsten Tag bereits mittags in Ost-Berlin unterzeichnet werden, und zuvor musste er noch paraphiert und eine Beschlussfassung beider Kabinette herbeigeführt werden.....

Seite 251, 252

.....Es war geschafft. Ich eilte ins Innenministerium zurück, wo ich gegen Mitternacht wieder eintraf. Krause und ich haben die Formulierung zu Artikel 31, wie mit den Sozialdemokraten verabredet, in den Vertragstext übernommen und auch die inzwischen - insbesondere zwischen Staatssekretär Neusel und dem Beauftragten für die Behandlung der Stasi-Akten Joachim Gauck - verabredete Neuregelung eingefügt. Dann mussten die Vertragsexemplare noch geschrieben werden, ehe wir sie um 2.14 Uhr in den Morgenstunden des 31. August paraphieren konnten. Die Öffentlichkeit war durch die Uhrzeit faktisch davon ausgeschlossen. Aber das war ja kein Nachteil, will bereits für den Mittag die Vertragsunterzeichnung vorgesehen war. Wir tranken noch ein Glas Sekt und gingen übermüdet zu Bett. Am nächsten Morgen stimmte das Bundeskabinett in einer Sondersitzung dem paraphierten Text zu, ebenso der Ministerrat der DDR.....

Seite 252 - 254

.....Um die Unterzeichnungszeremonie hatte es intern einiges Hin und Her gegeben. Von seiten der DDR, insbesondere von Ministerpräsident Lothar de Maizière, kam der Wunsch, dass der Einigungsvertrag durch die beiden Regierungschefs unterzeichnet werden solle. Helmut Kohl hatte dazu wenig Neigung. Er fürchtete, dass eine Wiederholung des Zeremoniells von der Unterzeichnung des Staatsvertrags über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die ja im alten Kabinettsaal im Palais Schaumburg in Anwesenheit der beiden Regierungschefs feierlich stattgefunden hatte, nicht als besonders originell empfunden würde. Vor allem aber plädierte er dafür, dass diejenigen unterzeichnen sollten, die auch die Arbeit geleistet hätten, also Günther Krause und ich. Daraufhin einigten wir uns, die Vertragsunterzeichnung im Kronprinzenpalais in Ost-Berlin durchzuführen. Während sich für die Zeremonie beim Staatsvertrag die Spitzen der Republik versammelt hatten, waren wir nun auf den Gedanken gekommen, alle Mitarbeiter zur feierlichen Unterzeichung mitzunehmen. Dies wurde dann auf dem Hin- und Rückflug wie bei der Zeremonie und dem anschließenden Empfang ein menschlich ungewöhnlich intensives Erlebnis. Alle empfanden sich als Teilhaber an einem großen Gemeinschaftswerk. Entsprechend gelöst war die Stimmung.

Als ich das Kronprinzenpalais in Ost-Berlin "Unter den Linden" betrat, dachte ich daran, dass ich knapp zwei Jahre zuvor dort zum letzen Mal gewesen war, um als Chef des Kanzleramtes mit dem damaligen Außenminister Fischer zusammenzutreffen. Damals hatten wir insbesondere verabredet, Verhandlungen über den Abbau der Elbverschmutzung aufzunehmen, ohne uns in der jahrzehntelangen Streitfrage des Grenzverlaufs an der Elbe einigen zu können. So schnell änderten sich die Zeiten.

In einer Ansprache würdigte Ministerpräsident de Maizière den Vertrag als eines der bedeutendsten Vertragswerke in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es handle sich um ein "gründlich ausgehandeltes, in konstruktivem Geist gestaltetes Werk, das den Beitritt und die damit zusammenhängenden Fragen in einer ausgewogenen Balance hält". Es sei darin berücksichtigt, was die Menschen in der DDR für "wichtig und richtig" gehalten haben.

Dies sei ein "Tag der Freude für alle Deutschen", sagte ich. Es herrschten "Freude und Zuversicht darüber, dass die staatliche Einheit nicht nur kommt, sondern dass sie auch in geordneten Bahnen verläuft". Der Einigungsvertrag sei die Grundlage, um ein einheitliches Rechtsgebiet und einheitliche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu schaffen. Um 13.15 Uhr am 31. August 1990 unterzeichneten Günther Krause und ich den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands.

Die Freude und Erleichterung war bei allen Beteiligten unübersehbar. Es zeigte sich, dass alle Mitglieder beider Delegationen, auch die Vertreter der Opposition in der Volkskammer der DDR wie im Bundestag und Bundesrat, sich als Teile einer Mannschaft empfanden. Es hatte sich gelohnt, bis zur letzten Minute auch um die Zustimmung der Sozialdemokraten zu ringen. So wurde an diesem Tag in Deutschland nicht nur Einigkeit in der Unterzeichnung eines Vertrages zwischen beiden Regierungen, sondern auch in der Zustimmung fast über alle politischen Lager hinweg erreicht.....

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