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Aus dem politischen Tagebuch von Helmut Kohl

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Eintrag zum 31. Mai bis 3. Juni 1990

... Ende Mai kreisen die Gedanken Kohls ganz um den amerikanisch-sowjetischen Gipfel, zu dem Gorbatschow am letzten Tag des Monats in Washington erwartet wird. Der Kanzler ist beunruhigt. Dazu beigetragen hat ein Brief von Mitterrand, den dieser nach seiner Rückkehr aus Moskau, wo er mit Gorbatschow zusammengetroffen ist, an Kohl geschrieben hat. "Der französische Staatspräsident berichtete mir darin, dass sich der größte Teil seines Gesprächs mit dem Generalsekretär um Deutschland gedreht habe. Michael Gorbatschow sei fest entschlossen – so Francois Mitterrand –, die NATO-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands keinesfalls zuzulassen. Er habe sogar zu verstehen gegeben, dass er im Falle eines Fait accompli gezwungen wäre, seine Politik gegenüber dem Westen vor allem in Abrüstungsfragen zu überdenken, schrieb mir François Mitterrand."

Am Vorabend des amerikanisch-sowjetischen Gipfels greift Kohl deshalb zum Telefonhörer, um mit dem US-Präsidenten zu sprechen. "George Bush sagte mir, dass er mitten in den Gipfelvorbereitungen stecke. Ich bedankte mich zunächst noch einmal für seinen Einsatz für unsere Sache und wies darauf hin, dass es jetzt darauf ankomme, Michael Gorbatschow begreiflich zu machen, dass die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik eng zusammenstünden, gleichgültig, wie sich die Dinge entwickelten. Ausdruck hierfür sei die Mitgliedschaft eines künftig wiedervereinten Deutschlands in der NATO, und zwar ohne jede Einschränkung. George Bush solle dies dem Generalsekretär klar und deutlich sagen. Ich kam dann auf die Bedeutung einer deutschen Wirtschaftshilfe für die Sowjetunion zu sprechen und wies den Präsidenten noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Gorbatschow unbedingt unsere Unterstützung brauche. Seine Lage sei kritisch. Gorbatschow sollte aber wissen, dass wir seine Schwäche nicht ausnutzen wollten."

Bush habe sich bedankt und erwidert, dass die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Seite an Seite stünden, gleichgültig, was auch kommen werde. ...

(Seite 388 - 389)

... Am Tag darauf beginnt in der amerikanischen Hauptstadt das Gipfeltreffen. Der US-Präsident, der sich zum Anwalt der deutschen Interessen macht, gibt seinem Gesprächspartner eine Reihe von Zusicherungen. Dazu gehören die Überprüfung der NATO-Strategie, die Aufnahme von Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen, die Reduzierung der Bundeswehr, die Nicht-Stationierung von NATO-Streitkräften auf dem Territorium der DDR ebenso wie der endgültige Verzicht auf die früheren deutschen Ostgebiete und das befristete Verbleiben von Moskaus Truppen in Ost-Deutschland. Bush gibt auch das Angebot der Bundesregierung an Gorbatschow weiter, dass die Deutschen bereit seien, die sowjetische Wirtschaft intensiv zu stützen. Im Gegenzug fordert er vom Generalsekretär die Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der NATO. Diese lehnt Gorbatschow jedoch nach wie vor ab, wenn er auch im Verlauf der abschließenden Pressekonferenz einschränkt, dass bedeute nicht, dass die Bemühungen nutzlos gewesen seien.

Kurze Zeit später berichtet der amerikanische Präsident dem Kanzler über den Verlauf des Gipfels. "George Bush" – so Kohl – "schilderte mir Erfreuliches. Er sagte, Gorbatschow habe voll mit seiner Auffassung übereingestimmt, dass die Entscheidung, welchem Bündnis ein Land angehören wolle, gem. der KSZE-Schlussakte einzig und allein Sache des jeweiligen Landes sei. Wenn der Generalsekretär zwar noch eine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft kategorisch abgelehnt habe, so mache Gorbatschows KSZE-Zugeständnis doch Hoffnung und müsse beim Wort genommen werden." ... (Seite 389 - 390)

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