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Aus dem politischen Tagebuch von Horst Teltschik

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Samstag, 5. Mai 1990

"Heute beginnen in Bonn die Zwei-plus-Vier-Gespräche der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, der USA, der Sowjetunion, Frankreichs und Großbritanniens über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit. Hans-Dietrich Genscher eröffnet die Konferenz. Außenminister Baker stellt in seiner Eröffnungserklärung fest, daß der Vereinigungsprozeß bereits erheblich vorangeschritten sei. Über Zeitpunkt und Form müsse noch entschieden werden. Diese inneren Fragen würden von den Deutschen selbst entschieden werden.

Wichtigste Aufgabe bei den Zwei-plus-Vier-Gesprächen sei es, eine Formel zu erarbeiten, mit der alle verbleibenden Rechte und Pflichten der Vier Mächte beendet und auf ein völlig souveränes Deutschland übertragen werden - ein Deutschland, das auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik sowie Berlins vereinigt sei. Es sollte nicht versucht werden, Deutschland zu singularisieren: einem souveränen Staat diskriminierende Beschränkungen aufzuerlegen, könne nur zu Ressentiments, Instabilität und Konflikten führen.

Baker gibt zu verstehen, daß er die Zwei-plus-Vier als "Lenkungsgruppe" verstehe, die solche äußeren Fragen im Hinblick auf die Einheit Deutschlands an geeignete europäische Foren wie die KSZE, VKSE, und VSBM (Konferenz über vertrauensbildende Maßnahmen in Wien, die parallel zu den VKSE-Abrüstungsgesprächen stattfindet) verweist.

Schewardnadse spricht von einer Zusammenkunft, die historische Bedeutung habe. Er unterstreicht, daß die Beziehungen zu Deutschland für die Sowjetunion eine zentrale und besondere Frage ihrer Geschichte sei und spricht von "freundschaftlichen Beziehungen" sowohl zur DDR als auch zur BRD.

Am interessantesten und wichtigsten ist sein Hinweis, daß die äußeren Aspekte der Einigung Deutschlands nicht losgelöst von der inneren Situation in den jeweiligen Ländern geregelt werden könnten. Offen spricht er aus, daß eine drastische Beschränkung des politischen Handlungsspielraums der Sowjetunion die Emotionen innerhalb der Sowjetunion zum Kochen bringen würden. Die sowjetische Führung könne sich über die öffentliche Meinung nicht hinwegsetzen. Für das sowjetische Volk müsse deutlich werden, daß der Schlußstrich unter die Vergangenheit würdig und fair gezogen werde. Damit läßt Schewardnadse erkennen, daß die sowjetische Beweglichkeit entscheidend von der inneren Lage abhängt.

Als Lösung schlägt der sowjetische Außenminister einen "paketmäßigen Ansatz" vor. Da wir von einer Paketlösung in der Vergangenheit wiederholt gesprochen haben, freue ich mich, daß die Sowjetunion diesen Begriff aufgenommen hat. Er weist darauf hin, daß eine Summe von Regelungen zusammenkommen muß, um die äußeren Aspekte der deutschen Einigung zu lösen.

Schewardnadse selbst erklärt, den anderen Partnern entgegenkommen zu wollen, und stellt den Abschluß eines Friedensvertrages zur Diskussion. Die Sowjetunion gehe jetzt davon aus, daß das Ergebnis der "Sechs" ein "einheitliches, ganzheitliches Dokument" sein müsse, das alle Aspekte umfasse: Bestimmungen über die Grenzen Deutschlands, über seine Streitkräfte, über den militärischen Status, über die Verpflichtungsnachfolge, über die Übergangsperiode sowie über die Präsenz von Truppen der Alliierten Mächte auf deutschem Boden. Er bekräftigt, daß die Sowjetunion die Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland in der NATO ablehne. Ziel müsse es sein, sich nicht auf Blöcke, sondern auf gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen zu stützen, die unverzüglich geschaffen werden sollten. Alles andere sei auch aus "Motiven innenpolitischer Art nicht akzeptabel". Er fordert allerdings die Partner auf, "gemeinsam nach anderen Varianten zu suchen" und fügt hinzu, daß die "heute noch kompliziert erscheinenden militärisch-politischen Probleme in einem neuen Licht" gesehen werden könnten, wenn die gesamteuropäischen Strukturen ihre Wirkung zu entfalten begännen.

Für eine weitere Überraschung sorgt Schewardnadse mit dem Hinweis, daß die Regelung der inneren und äußeren Aspekte der deutschen Einheit zeitlich nicht unbedingt zusammenfallen müßte. In diesem Vorschlag liegt für uns ein Pferdefuß. er bedeutet nämlich, daß auch nach Schaffung eines einheitlichen Parlaments und einer gesamtdeutschen Regierung die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für eine gewisse Übergangsperiode aufrecht erhalten blieben. Das kann jedoch nicht in unserem Interesse sein.

Obwohl Vertraulichkeit der Gespräche vereinbart worden ist, veröffentlicht die sowjetische Delegation die Rede Schewardnadses. Das ist um so erstaunlicher, als er die Wechselwirkung zwischen der inneren Lage der Sowjetunion und der äußeren Entwicklung so dramatisch und offen geschildert hat.

In der abschließenden Pressekonferenz faßt Außenminister Genscher die Ergebnisse des ersten Tages zusammen. Die nächsten Außenminister-Treffen sollen im Juni in Berlin, im Juli gemeinsam mit Polen in Paris und Anfang September in Moskau stattfinden. Schewardnadse spricht zwar von "ernsten Diskrepanzen", die jedoch nicht dramatisiert werden sollten, betont aber auch, daß die sowjetische Führung die Absicht habe, konstruktiv mit allen Partnern weiterzuarbeiten, um den wichtigen Prozeß der deutschen Vereinigung "zu beschleunigen". Dieser Hinweis auf die Beschleunigung ist besonders überraschend, weil uns in den Monaten zuvor gerade auch Schewardnadse immer vorgeworfen hatte, wir forcierten das Tempo.

Die erste Runde der Zwei-plus-Vier-Gespräche hat gezeigt, daß bei der Lösung der inneren Aspekte der deutschen Einigung keine Schwierigkeiten von einer der Vier Mächte mehr zu erwarten sind."

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