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Aus der 1. Sitzung des Deutschen Bundestages

7. September 1949

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Die Sitzung wird um 16 Uhr 5 Minuten eingeleitet mit der Ouvertüre "Weihe des Hauses", Opus 124 von Ludwig van Beethoven.

Alterspräsident Löbe: Meine Damen und Herren, Abgeordnete des Deutschen Bundestags! Nach einem alten Brauch wird die erste Sitzung eines neuen Parlaments durch das an Jahren älteste Mitglied des Hauses eröffnet. Ich bin geboren am 14. Dezember 1875. Ich frage, ob sich ein Mitglied im Hause befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist. - Offenbar ist das nicht der Fall.

Dann erkläre ich die erste Sitzung des Bundestags der Bundesrepublik Deutschland für eröffnet.

Meine Damen und Herren! Der Zufall hat es gefügt, daß ich als Alterspräsident vor Ihnen stehe als einer der Vertreter der alten deutschen Hauptstadt Berlin. In der Entsendung der Berliner Abgeordneten kommt der einhellige Wunsch seiner Bewohner zum Ausdruck, in dieses neue Deutschland einbezogen zu sein, und die Hoffnung, daß dieser Wunsch durch Ihre Arbeit bald seine Erfüllung finde.

(Lebhafter Beifall.)

Aber nicht minder hoffnungsvoll, ich möchte sagen, Erlösung heischend, sind heute die Augen jener Millionen deutscher Landsleute auf uns gerichtet, die in den deutschen Ostgebieten wohnen und deren Vertretern Besatzungsmacht oder fremde Verwaltung gewaltsam verwehrt, mit in diesem Saale zu sitzen und mit uns zu beraten. Indem wir die Wiedergewinnung der deutschen Einheit als erste unserer Aufgaben vor uns sehen, versichern wir gleichzeitig, daß dieses Deutschland ein aufrichtiges, von gutem Willen erfülltes Glied eines geeinten Europa sein will.

(Bravorufe und Händeklatschen.)

Ich habe dieses Bekenntnis bereits als Präsident der Deutschen Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa an die Konferenz in Straßburg gerichtet und wiederhole es in dieser historischen Stunde: Uns bewegt nicht, wie es früher geschehen ist, der Gedanke an irgendeine Form von Vorherrschaft; wir wollen mit allen anderen gleichberechtigt in den Kreis der europäischen Nationen treten.

(Erneut lebhafter Beifall.)

Meine Damen und Herren! In dem Augenblick, in dem zum ersten Male wieder freigewählte Abgeordnete eines erheblichen Teils von Gesamtdeutschland zusammentreten, um eine deutsche Regierung einzusetzen und eine neue Gesetzgebung zu beginnen, schweifen die Gedanken von uns Älteren zurück zu jener letzten Sitzung des Deutschen Reichstags in der Berliner Krolloper, der wir beiwohnten und in der durch das Hitlersche Ermächtigungsgesetz die staatsbürgerlichen Freiheiten für lange Jahre begraben wurden. Das war ein illegaler Akt, durchgeführt von einer illegalen Regierung. Der Widerstand dagegen war eine patriotische Tat.

(Lebhafte Zurufe: Sehr richtig! - Abg. Reimann: Wie viele Abgeordnete sitzen hier, die dafür gestimmt haben! - Abg. Rische: Sehr richtig!)

Die Jüngeren unter uns aber, woher sie auch kommen mögen, haben auf ihrer Reise nach Bonn von Stadt zu Stadt noch einmal, vielleicht zum ersten Male in diesem Umfang, die erschütternden Zeugen der Zerstörung gesehen, die jene Machtergreifung schließlich hergeführt hat, die sichtbaren Zeugen nur, denn jeder einzelne von uns weiß dabei um die geistige und seelische Verwüstung, die mit der äußerlichen in unserem Volke angerichtet worden ist. Die Alten und die Jüngeren sind nun hier vereint in der schweren Aufgabe, an die Stelle der Trümmer wieder ein wohnliches Haus zu setzen und in den Mutlosen eine neue Hoffnung zu wecken.

Was erhofft sich das deutsche Volk von der Arbeit des Bundestags? - Daß wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenführen. Schier unüberwindlich scheinen die Hindernisse, die auf diesem Wege liegen, und ungezählte Scharen unserer Landsleute sind es, die von unserer Arbeit eine Minderung ihrer Sorge erwarten. Es stehen vor unserer Tür die Millionen der Heimatvertriebenen von jenseits der Oder-Neiße-Grenze, die Verstümmelten und Verwaisten des Krieges, die ja auch ein Opfer des Nazismus sind, jene, die in den Bombenangriffen Hab und Gut verloren, die anderen Opfer des Naziregimes und der mehrfachen Währungsmaßnahmen. Welch mühevolle, beharrliche, wohlüberlegte und welch gutwillige Zusammenarbeit wird notwendig sein, um auch nur der geringsten dieser Aufgaben Herr zu werden!

Meine Damen und Herren! Wir werden es nicht schaffen aus eigener Kraft allein. Wir werden - geben wir uns keinem Irrtum hin - dabei noch lange der Beihilfe des Auslandes bedürfen. Wohlgemerkt: nicht in der Form und im Sinne von Almosen, sondern für den Aufbau unserer Wirtschaft, damit wir aus eigener Arbeit die Grundlagen unserer Existenz finden. Ich habe die Zuversicht: Unser arbeitsames, tüchtiges, ordnungsliebendes, leider politisch so oft irregeführtes Volk wird es schaffen!

(Lebhafte Bravorufe und Händeklatschen.)

Dabei sind uns in den letzten Jahren von draußen her oft Vorhaltungen gemacht worden, weil wir das Ausmaß der Schuld noch nicht erkannt haben, das Deutschland durch den europäischen Krieg auf seine Schultern geladen hat, weil wir undankbar geblieben seien gegenüber der großen jahrelangen Hilfe, die uns zuteil wurde. Vorhaltungen, daß wir uns im Gegenteil im Räsonieren über schwer tragbare Lasten erschöpfen. Wir können offen über solche Vorwürfe sprechen. Ich als Berliner Abgeordneter würde mich für besonders undankbar halten, wollte ich nicht anerkennen, in welch unerhörtem Ausmaß die westlichen Besatzungsmächte unsern Freiheitskampf unterstützt, ja Berlin vor dem buchstäblichen Hungertode gerettet haben.

(Lebhafter Beifall.)

Wir verkennen auch keinen Augenblick, daß das westliche Deutschland, dem das agrarische Hinterland zur Zeit entzogen ist, zu einem erheblichen Teil sein Leben nur hat fristen können durch die großmütig gewährten Beihilfen aus Ländern, die nicht so hart getroffen waren.

Wir erkennen das dankbar an und bestreiten auch keinen Augenblick das Riesenmaß von Schuld, das ein verbrecherisches System auf die Schultern unseres Volkes geladen hat. Aber die Kritiker draußen wollen doch eines nicht übersehen: Das deutsche Volk litt unter zweifacher Geißelung. Es stöhnte unter den Fußtritten der eigenen Tyrannen und unter den Kriegs- und Vergeltungsmaßnahmen, welche die fremden Mächte zur Überwindung der Naziherrschaft ausgeführt haben. Wessen Haus an allen Ecken brennt, der sieht zunächst die eigene Not, ehe er die Fassung gewinnt, die Lage des Nachbarn voll zu würdigen.

Es sind auch Vorwürfe erhoben worden, weil das deutsche Volk sich nicht gegen den nationalsozialistischen Terror zur Wehr gesetzt habe. Wenn ich Ihnen sage, daß allein von den 94 sozialdemokratischen Abgeordneten, die gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, da sie sich zu jener Zeit noch in Freiheit befanden, 24 ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt haben,

(Die Abgeordneten erheben sich von den Sitzen.)

wenn Sie bedenken, welche Opfer - (Unruhe - Zuruf rechts: Auch von anderen Parteien sind Opfer gebracht worden; wir wollen keine Rechnungen aufmachen! - Weitere Zurufe rechts und von den Kommunisten.)

Meine Herren, lassen Sie mich nur weitersprechen. Wäre nicht die Unterbrechung erfolgt, so hätte ich das sowieso erwähnt. - Wenn Sie bedenken, daß große Opfer auch von der kommunistischen Fraktion gebracht worden sind, aber auch von Mitgliedern des früheren Zentrums und von Abgeordneten bis in die Rechtsparteien hinein, dann wird sich ergeben, daß auch dieser Vorwurf nicht aufrechterhalten werden kann. Die ersten fremden Botschafter waren noch nicht aus Deutschland abberufen, da lag die Mehrzahl dieser Opfer schon auf der Bahre.

Soweit solche Anklagen Berechtigung haben, bitten wir also, diese Ursachen mit zu berücksichtigen und auch bei den noch in Gang befindlichen Maßnahmen so zu verfahren, daß der Entwicklungsgang der deutschen Demokratie nicht aufs neue aufgehalten wird.

(Die Abgeordneten nehmen ihre Plätze wieder ein.)

In diesem Zusammenhang muß ich auch an das Schicksal unserer Kriegsgefangenen und verschleppten Menschen erinnern, jener unbekannten Zahl in der Fremde schmachtender, doch zumeist unschuldiger Männer und Frauen, die schon über fünf Jahre von Ihrer Heimat ferngehalten werden.

(Sehr richtig! rechts.)

Das Leid der wartenden Frauen und Mütter, die die Hoffnung auf Wiederkehr ihrer Lieben nicht aufgeben können, ein Leid, das sie in tausend schlaflosen Nächten zermürbt, gehört zu jenen Grausamkeiten der Verschleppung, gegen die sich der Krieg unserer damaligen Gegner richtete, die aber immer noch fortwirken und Deutschland die innere Ruhe nicht finden lassen.

(Sehr richtig!)

Wir rufen es deshalb auch von dieser Stelle aus in die Welt: Helft diese schlimme Unmenschlichkeit beseitigen! Es genügt nicht, der Wiederkehr der mörderischen Kriege vorzubeugen - wobei zu helfen unsere erste Pflicht sein wird -, es müssen auch die schmerzlichen Reste dieser Vergangenheit endlich beseitigt werden.

(Lebhafter Beifall.)

Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie uns eine Minute stillen Gedenkens all den Toten weihen, die als Opfer des Krieges von allen Völkern gefordert wurden,

(Die Abgeordneten erheben sich von den Sitzen.)

all denen, die durch die Fortwirkung des Krieges ihr Leben verloren.

(Minute des Schweigens.)

Sie haben das Andenken geehrt; ich danke Ihnen.

Deutschland will - ich sagte es schon - ein aufrichtiges, friedliebendes, gleichberechtigtes Glied der Vereinigten Staaten von Europa werden. Wir haben im Staatsgrundgesetz von Bonn den Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte schon im voraus ausgesprochen, um dieses geschichtlich notwendige höhere Staatengebilde zu schaffen, und werden uns auch durch Anfangsschwierigkeiten von diesem Ziel nicht abschrecken lassen.

In diesem Zusammenhang begrüße ich die Vertreter der Besatzungsmächte und aller fremden Missionen, die sich an diesem wichtigen Tage bei uns eingefunden haben. Ich begrüße die Ministerpräsidenten der einzelnen Länder, ihre Minister und Vertreter, vor allen Dingen die Mitglieder des Bundesrats, und bitte Herrn Ministerpräsidenten Arnold, unsern Dank all denen zu sagen, die in ungewöhnlich angestrengter Arbeit diese Räume für uns hergerichtet haben.

(Lebhafter Beifall.)

Ich begrüße ferner alle auf unseren Tribünen, die als einfache Staatsbürger oder als Inhaber hoher Ämter sich in ihrem Geschick mit uns verbunden fühlen und deshalb hierhergekommen sind.

Ich begrüße auch die Vertreter der Presse, füge daran aber die Bitte, ihre Berichterstattung und ihre Kritik nicht in Sensationen und Zwischenfällen zu suchen,

(Sehr gut.)

sondern die praktische Arbeit des Bundestags zu würdigen.

(Lebhafter Beifall.)

Meine Damen und Herren! Mein letzter Appell gilt den Abgeordneten dieses Hauses selbst. Hinter uns liegt ein erbitterter Wahlkampf, dessen Formen oft das erträgliche Maß weit überschritten.

(Sehr wahr! rechts.)

Mit der Fortsetzung dieser Ausbrüche ist dem deutschen Volke nicht gedient.

(Sehr richtig! rechts.)

Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat. Wollen wir vor der deutschen Geschichte bestehen, dann müssen wir uns, ob in Koalition oder Opposition, soweit zusammenfinden, daß Ersprießliches für unser Volk daraus erwächst,

(Lebhafter Beifall.)

damit wir uns auch die Achtung für unser deutsches Volk in der Welt draußen zurückgewinnen. - Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Arbeit mit diesem Vorsatz beginnen!

(Anhaltender lebhafter Beifall.)

Wir treten nunmehr in die geschäftliche Tagesordnung ein. Sie haben sie vor sich:

Namensaufruf der Abgeordneten und Wahl des Präsidenten. ...

Es sind 402 Stimmen abgegeben worden. Das Haus ist also beschlußfähig, ja sogar vollzählig.

Bei der Wahl haben erhalten: Herr Dr. Köhler 346 Stimmen, Herr Böhm 15 Stimmen, 41 Stimmen waren nicht beschrieben; das sind also Stimmenthaltungen. Der Herr Abgeordnete Dr. Köhler hat somit die erforderliche absolute Mehrheit erhalten. Ich bitte ihn, meinen Platz einzunehmen.

(Beifall.)

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Ich übernehme das Amt des ersten Präsidenten des ersten Deutschen Bundestags der Bundesrepublik Deutschland. ...

Meine Damen und Herren, dann kommen wir zur Wahl des ersten Vizepräsidenten. Wer für den vorgeschlagenen Abgeordneten Herrn Professor Dr. Schmid als ersten Vizepräsidenten ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die überwältigende Mehrheit. Ich stelle fest, daß damit der Herr Abgeordnete Professor Schmid zum ersten Vizepräsidenten des Bundestags gewählt ist.

(Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Ich darf Sie fragen, Herr Abgeordneter Schmid, ob Sie diese Wahl annehmen.

Dr. Schmid (SPD): Ich nehme die Wahl an.

Präsident Dr. Köhler: Danke schön!

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Wahl des zweiten Vizepräsidenten, wofür der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer vorgeschlagen ist. Wer für die Wahl des Herrn Abgeordneten Schäfer zum zweiten Vizepräsidenten des Bundestages ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Soweit keine Enthaltungen vorliegen, stelle ich einstimmige Wahl fest.

(Abg. Renner: Ich bitte, die Stimmenthaltungen festzustellen.)

Wenn das gewünscht wird, dann bitte ich diejenigen Damen und Herren, die sich der Stimme enthalten haben, die Hand zu erheben. - Wenige Stimmenthaltungen!

Meine Damen und Herren! Als Schriftführer haben gemäß den interfraktionell getroffenen Vereinbarungen die Fraktionen folgende Abgeordnete - ich nehme an: ausschließlich Herren - benannt: Gundelach (KPD), Matthes (DP), von Aretin (BP), Dr. Mießner (DRP), Pannebecker (Z), Loritz (WAV).

Meine Damen und Herren, ich darf feststellen, daß mit der Wahl des Präsidenten und der beiden Vizepräsidenten und mit der Benennung der Schriftführer die Konstituierung des Bundestags der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun einige Ausführungen. ... Eine der edelsten Zielsetzungen, die uns wohl hier in diesem Hause über die Verschiedenheit der politischen Anschauungen hinweg verbinden, ist doch die, daß die Menschenwürde sich wieder in jedem Deutschen uneingeschränkt und nach jeder Richtung hin entfalten kann. Die Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit soll und muß das oberste Gesetz unseres gesetzgeberischen Handelns in Zukunft sein. Geistige und politische Freiheit des Menschen, Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung sind die edelsten Güter einer wahrhaften Demokratie. Sie zu sichern und ihre Verwirklichung auf allen staatlichen Gebieten und auf allen privaten Gebieten des Lebens herbeizuführen, wird eine unserer wichtigsten Aufgaben sein. Die E rfüllung dieser Aufgabe wird aber ihre Grenzen finden, wenn die Freiheit im Sinne ihrer Einschränkung mißbraucht werden soll. Freiheit denen, die die Freiheit achten und lieben; Schranken aber denen gegenüber, die dieses Grundgut der Demokratie mißachten oder gar beseitigen wollen.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, zutiefst der Sinn der Erfüllung der hinter uns liegenden Staats- und Weltkatastrophe. Noch sind wir nicht ein Parlament Gesamtdeutschlands. Und so richtet sich in dieser Stunde unser Gedenken an die 20 Millionen Menschen, denen der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zur Zeit de jure und de facto noch offensteht. In diesem Zusammenhang möchte ich die Tatsache hervorheben, daß meine Wahl zum Präsidenten dieses Hauses heute eine Persönlichkeit vorgenommen hat, die als einer der Exponenten unseres deutschen Ostens gilt. Ich sehe in diesem Vorgang ein einprägsames und nicht nur für unser Volk, sondern auch für die gesamte Weltöffentlichkeit klar erkennbares Symbol der unerschütterlichen Verbundenheit der Bundesrepublik Deutschland mit den Menschen des Ostens.

(Lebhafter Beifall.)

Lassen Sie mich hinzufügen: Möge gerade dieser Vorgang ein gutes Omen sein für das letzte Ziel unserer Gesamtarbeit, früher oder später zu einem Parlament Gesamtdeutschlands zu werden. Im Gedenken an dieses Ziel gelten meine besonders herzlichen Grüße den Vertretern und Abgeordneten Berlins, die an unseren Beratungen teilnehmen.

(Erneuter lebhafter Beifall.)

Meine Damen und Herren! Heute wird für den größten Teil Gesamtdeutschlands eine verfassungsmäßig gegründete Staatsautorität ins Leben gerufen. Sie wird verkörpert durch die nach der Verfassung gesetzgebenden Organe. Sie muß aber auch eine geistige Verankerung finden. Sie kann diese geistige Verankerung als Staatsautorität in unserem Volke nur dann finden, wenn unsere Arbeit von dem edelsten Grundsatz, den je die Geschichte menschlicher Ethik aufgestellt hat, entscheidend bestimmt wird: Wir wollen dienen. Wir wollen dienen den Armen und Bedürftigen, wir wollen die Selbstsucht in Schranken halten, und wir wollen den Schwachen vor dem Starken schützen. Indem wir so handeln, werden wir auch im tiefsten Sinne eine der grundlegenden Bestimmungen des Grundgesetzes erfüllen, nämlich dem Frieden der Welt zu dienen. Mit dem Artikel 24 des Bonner Grundgesetzes verpflichten wir uns bekanntlich, Hoheitsrechte freiwillig aufzugeben, wenn dadurch eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeigeführt werden kann. Ich glaube zu dem folgenden Bekenntnis berechtigt zu sein: Wir bekennen uns in dieser historischen Stunde nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit der Leidenschaft unseres Herzens zu einer solchen Neuordnung Europas und der Welt. Dem Frieden zu dienen, das ist wahrhaft die tiefste Sehnsucht unseres Volkes. Ich glaube am Beginn unserer Arbeit aussprechen zu dürfen: Wir sind von der Hoffnung erfüllt, daß ein neues Deutschland des Rechtes und der Gerechtigkeit, daß die Bundesrepublik Deutschland aus diesem Glauben, daß wir dem Frieden dienen wollen, aus einer Neuordnung Europas und der Welt, aus dem Glauben an diese Wandlung immer ihre Kraft für eine glücklichere Entwicklung der Zukunft schöpfen wird.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir sind hierhergesandt, um unserem deutschen Volke und unserem deutschen Vaterlande zu dienen. Ich bitte Sie, zur Bekräftigung dieser uns alle verbindenden Gesinnung sich von den Plätzen zu erheben.

(Der Bundestag erhebt sich.)

Wir grüßen das deutsche Volk und das deutsche Vaterland!

(Lebhafter Beifall.)

Ich stelle fest, daß Sie sich von den Plätzen erhoben haben. Ich danke Ihnen.

(Vortrag des letzten Satzes der 5. Symphonie von Ludwig van Beethoven.)

Meine Damen und Herren! Ehe wir auseinandergehen, habe ich noch Ihre Zustimmung zu einigen Maßnahmen zu erbitten, die heute vormittag im Rahmen einer interfraktionellen Besprechung in Aussicht genommen worden sind. ...

Ollenhauer (SPD): ... Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß diese Entschließung auf die Tagesordnung der ersten Arbeitssitzung des Bundestags gesetzt wird. Ebenso schlage ich Ihnen im Namen der sozialdemokratischen Fraktion vor, in der ersten Sitzung auch eine Kundgebung der Verbundenheit mit Groß-Berlin und einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu behandeln, die leitenden Bundesorgane von Bonn nach Frankfurt zu verlegen.

(Beifall bei den Sozialdemokraten. - Lachen rechts.)

...

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, ich habe festgestellt, daß das Haus diese Anträge zur Kenntnis genommen hat. Es ist Sache des Ältestenrates, zusammen mit mir morgen die Tagesordnung der nächsten Sitzung und deren Termin festzusetzen.

Weitere Anregungen liegen nicht vor.

Ich schließe die erste, konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestags der Bundesrepublik Deutschland.

(Schluß der Sitzung: 18 Uhr 18 Minuten.)

aus: Stenogr. Berichte 1. Deutscher Bundestag. Bd. 1, 1-7.

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