ناشر الأصول
Spanische Treppe. Internationale Künstlerszene
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Später Sonntagnachmittag im letzten Sommer. Auf der Spanischen Treppe pulsiert das Leben, auf allen Stufen hunderte Menschen, die kein Regisseur besser anordnen könnte. Menschen jeden Alters, Einheimische und Ausländer, sie sitzen, stehen, gehen hinauf oder hinunter, fotografieren, essen Eis, schauen, reden, gestikulieren, lachen unbeschwert, ein wunderbares Theater, ein einziges Sprachgewirr. Lebenskünstler sind sie alle.
Vermutlich war das an einem Sonntagnachmittag im Jahre 1755 auch nicht viel anders. Nur flanierten hier neben den Einheimischen die ausländischen Schriftsteller, Poeten, Musiker, Architekten und Künstler aller Gattungen. Keine andere Stadt Europas hatte ab der Mitte des 18. und im ganzen 19. Jahrhundert eine so starke Anziehung auf Künstler ausgeübt wie Rom. Was erhofften sie sich hier? Die Antike lag lange zurück. In Rom aber war sie lebendig und nur dort konnte man noch römische Tempel, Paläste, Triumphbogen, Thermenanlagen, Säulen und Kapitelle vermessen, zeichnen und studieren. So wurde die Stadt für die Künstler zur unerschöpflichen Inspirationsquelle für eigene Werke.
Auf den Spuren von Winckelmann und Goethe, die den geistigen Hintergrund geschaffen hatten, kam es zum reinsten Auswanderungsphänomen der nordalpinen Kunstschaffenden in die ‚Hauptstadt der Welt’. Um 1800 hielten sich etwa 540 ausländische Künstler in Rom auf. Sie blieben mindestens mehrere Monate, einige Jahre oder gar ein Leben lang. Die Architekten „exportierten“ den klassischen Stil in seinen einfachen, klaren Formen nach ganz Europa. Wir können diese Einflüsse in der Architektur z.B. in London, in Paris, in Berlin, in Wien und sogar in Russland und USA sehen. Maler und Bildhauer erhofften in der Konfrontation mit antiken Skulpturen und Werken von Raffael, Michelangelo oder Caravaggio Erneuerung der eigenen Kunst.
Wo logierten die vielen ausländischen Künstler in Rom? Nicht in Hotels wie die Grand Tour Reisenden, sondern rings um die Spanische Treppe hatte sich ein Künstlerquartier etabliert. Unterkünfte oder nur Ateliernutzung boten auch die verschiedenen Künstlerzentren an. Schauen wir uns einige dieser damaligen Orte an, denn sie erzählen vom Leben dieser Maler und Bildhauer und den Werken, die sie in Rom schufen, von Begegnungen und vom Austausch untereinander und mit der römischen Kultur.
Villa Medici präsentiert sich in majestätischer Lage oberhalb der Spanischen Treppe auf dem Pincio. Hier wohnt seit jeher der „Genius Loci“, denn der Kardinal Ricci hatte die Villa 1564 inmitten der Gärten des Lukullus erbaut und mit antiken Kunstwerken ausgestattet. Der nachfolgende Besitzer, Kardinal Ferdinando de Medici aus Florenz, erweiterte die Sammlung zu einer der berühmtesten in Europa. Auch wohnte Galileo Galilei hier während und nach seinem Prozess 1630 in Hausarrest. Welcher Ort in Rom wäre geeigneter, neuer Sitz der französischen Kunstakademie in Rom zu werden, den Napoleon 1803 in die Villa Medici verlegte. Diese älteste europäische Kunstakademie hatte 1666 schon König Ludwig XIV. in Rom gegründet. Seither kamen begabte französische Künstler, Schriftsteller und Musiker, die den ‚Prix du Rome’ gewonnen haben, hierher. Einer der ersten Stipendiaten in der Villa Medici 1806- 1811 war der Maler Dominique Ingres, er wurde später sogar Direktor der Akademie. Ingres war einer der großen klassizistischen Maler, Zeichner und Porträtist. Seine berühmten, von der Antike und Raffael angeregten Gemälde und wundervollen Ansichten Roms, die er hier geschaffen hatte, blieben leider nicht in Rom, sondern gingen nach Paris und in andere Museen. Die Villa Medici ist bis heute privilegierte französische Kunstakademie, ihre noblen Räume öffnet sie für Ausstellungen und Konzerte.
Palazzo Zuccari liegt in ähnlich nobler Lage mit Blick auf die Stadt, genau zwischen Via Sistina und Via Gregoriana. Seit 1913 Sitz der „Biblioteca Hertziana“, dem Römischen Institut für Kunstgeschichte, dank der Stiftung der jüdischen Kunstsammlerin Henriette Hertz aus Köln. Sie wollte damit das Erbe des Erbauers fortsetzen und diesen Palast als internationalen Ort der Begegnung von Künstlern erhalten. Gebaut hatte den Palast um 1590 der italienische Maler Federico Zuccari als seinen Wohnsitz mit Atelier und Garten. Noch heute sieht man in der Via Gregoriana das riesige Löwenmaul, das Eingangstor zum ehemaligen Garten. Man stelle sich vor, um 1800 lebten und arbeiteten hier zeitweise italienische, schwedische, dänische, holländische, englische, schottische, französische und deutsche Maler, Bildhauer und Kunsthändler. Friedrich Schinkel aus Berlin hatte 1802 das Privileg, im Raum mit dem überdachten Balkon zum Platz hin zu wohnen. 1784 logierte hier der Franzose Jacques-Louis David und malte sein revolutionäres Bild mit dem antiken heroischen Thema ‚Der Schwur der Horazier’ (inspiriert am Fresko der Kapitolinischen Museen). Was für eine einzigartige internationale Atmosphäre im Palazzo Zuccari und was für ein bereichernder Austausch unter den Künstlern muss das gewesen sein!
Wenige Schritte vom Palazzo Zuccari entfernt versteckt sich das Kloster San Isidoro. In den damals leer stehenden Mönchszellen nisteten sich 1810 für einige Jahre die ‚Lukasbrüder’ ein, eine religiöse Künstler- und Glaubensgemeinschaft (nach dem Hl. Lukas, Schutzpatron der Maler). Johann Friedrich Overbeck, Franz Pforr und einige andere hatten kurz zuvor die Bewegung in Wien gegründet. Sie kamen gezielt nach Rom als Hauptstadt des Katholizismus, wo sich weitere Künstler anschlossen. Die Lukasbrüder sahen im katholischen Glauben die Quelle ihres Schaffens und wollten mit ihrer Kunst die Religion erneuern. Im Gegensatz zur rationalen Kunst des Klassizismus sollten ihre Bilder vor allem innig und emotional sein. Ihre künstlerischen Vorbilder fanden sie vor allem in Albrecht Dürer und Raffael und aus dieser deutsch-italienischen Kombination kreierten sie den „Nazarener Stil“. Auch kleideten sie sich in einem Aufsehen erregenden altdeutschen Dürer-Stil und trugen wie Raffael lange Haare. Für die Römer sahen sie aus wie die Jünger Jesu von Nazareth, weshalb man sie ‚Nazarener’ nannte- dieser eigentliche Schimpfname wurde dann ihr Markenzeichen.
Friedrich Overbeck hat in seinem Gemälde: „Italia und Germania“ von 1828 ein einzigartiges Zeugnis seines künstlerischen Ideals, der Synthese des deutsch- italienischen Stils, geschaffen. Vor unterschiedlichen Landschaften sitzen zwei Frauen von idealisierter Schönheit. Wie Schwestern einander zugeneigt liegen ihre Hände in rührender Weise ineinander. Was flüstert wohl die blonde „Germania“ in altdeutscher Dürer-Tracht und Blümchenkranz im Haar der brünetten „Italia“ im Renaissancekleid und Lorbeerkranz zu? Der bayerische König Ludwig I. erwarb das Gemälde 1828 für die Neue Pinakothek in München, wo es sich bis heute befindet.
Die langen Romaufenthalte der vielen verschiedenen Künstler seit dem 18. Jahrhundert hatten zu einem einzigartigen bereichernden und grenzüberschreitenden Kulturaustausch zwischen Rom und dem Norden geführt. Diese Form der Grand Tour der Künstler endete um die Wende zum 20. Jahrhundert, als sich die Moderne von aller früheren Kunst als Vorbild und Maßstab befreite.
Weiter geht der Rundgang mit 'Winckelmann und das Antikenfieber'
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Literatur
Hans Geller. Artisti tedeschi a Roma 1961
Religion, Macht, Kunst. Die Nazarener. Hrsg. Max Hollein, Christa Steinle 2005
Kennst du das Land. Italienbilder der Goethezeit. Ausstell. Katalog München 2005
Die Grand Tour in Moderne und Nachmoderne; Hrsg. Joseph Imorde und Jan Pieper 2008
Jean-Marie Droit. L´Accademia di Francia a Roma. Villa Medici. 1991
Bibliotheca Hertziana. Max Planck- Institut Rom 3/91