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Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Oktober 1990 zu den Wahlergebnissen

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Nach den ersten freien Landtagswahlen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird die CDU in vier Ländern den Ministerpräsidenten stellen. Die Christlichdemokraten, die mit Ausnahme Brandenburgs überall stärkste Partei bleiben, werden dabei voraussichtlich in drei Fällen eine Koalition mit den Liberalen eingehen.

eg. Berlin, 15. Oktober

Die CDU ist aus den ersten Landtagswahlen in den fünf Bundesländern auf dem Gebiet der DDR als eindeutiger Sieger hervorgegangen. Gegenüber der Volkskammerwahl im März verbesserte sie ihr Gesamtresultat laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis um knapp drei Punkte auf nunmehr 43,6 Prozent. Zwar büßte sie in drei Ländern Stimmen ein, doch glich dies vor allem ihr Zugewinn von zehn Prozent in Sachsen mehr als aus. Im bevölkerungsreichsten ostdeutschen Land können die Christlichdemokraten dank ihrer absoluten Mehrheit von 53,8 Prozent eine Alleinregierung unter Kurt Biedenkopf bilden.

Patt in Mecklenburg

In drei weiteren Bundesländern wird die CDU ebenfalls den Ministerpräsidenten stellen, ist aber auf einen Koalitionspartner angewiesen. In Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo es die CDU auf 45,4 und knapp 39 Prozent brachte, verfügt sie mit der FDP über eine sichere Mehrheit im Landtag. Im Parlament von Mecklenburg-Vorpommern hingegen herrscht ein Patt der Mandate.

Der christlichdemokratische Spitzenkandidat Gomolka, dessen Partei mit 38,3 Prozent gegenüber den Märzwahlen nochmals um zwei Punkte zulegte, kann sich zwar als designierten Ministerpräsidenten betrachten. Ob er allerdings einer von ihm favorisierten Koalition mit den Liberalen oder doch einem Bündnis mit der SPD vorstehen wird, ergeben erst die kommenden Verhandlungen. Gomolka erklärte inzwischen, er hoffe darauf, dass die SPD eine CDU/FDP-Regierung toleriere.

Politische Stabilisierung

Die FDP, deren Situation im Frühjahr angesichts eines Ergebnisses von knapp mehr als fünf Prozent bei den Volkskammerwahlen als schwierig beurteilt worden war, hat sich nun doch auch in Ostdeutschland dauerhaft zu etablieren vermocht. Nachdem auf Grund erster Hochrechnungen am Sonntag in mehreren Ländern ihr Einzug ins Parlament lange Zeit fraglich war, gewann sie insgesamt sogar zweieinhalb Prozent hinzu. Dies verdankt sie zu einem Gutteil der Anziehungskraft von Außenminister Genscher - einem gebürtigen Hallenser - in Sachsen-Anhalt, wo sie mit 13,5 Prozent ein selbst für bisherige liberale Hochburgen wie Baden-Württemberg längst unerreichbares Resultat erzielte.

Diese Entwicklung dient der Stabilität des parlamentarischen Systems in den fünf neuen Ländern, die sich mit ihren politischen Konstellationen den Verhältnissen in der alten Bundesrepublik angleichen. Nach den Erfolgen der Liberalen mit ihrer klassischen Funktion als Puffer zwischen den zwei Volksparteien CDU und SPD erscheinen die so problematischen großen Koalitionen wieder als Notbehelf in Ausnahmesituationen.

Abrücken von einer großen Koalition

Nur in Brandenburg gelang es der SPD, mit 38,3 Prozent die Christlichdemokraten zu überflügeln. Die CDU musste mit 29,4 Prozent ihr schlechtestes Resultat hinnehmen. Ihr Spitzenkandidat Diestel, dem als DDR-Innenminister seine Verzögerungstaktik bei der Auflösung des Staatssicherheitdienstes selbst in der CDU angekreidet worden war, gereichte den Christlichdemokraten zum Nachteil. Anderseits konnten die Sozialdemokraten hier mit dem über die Parteigrenzen geachteten Konsistorialpräsidenten Stolpe den profiliertesten ihrer fünf Kandidaten aufbieten. Er wird der einzige sozialdemokratische Ministerpräsident in den fünf neuen Ländern sein.

Eine sich wie in Mecklenburg am Sonntag Abend zunächst in Brandenburg abzeichnende große Koalition, die im Vorfeld der Wahlen allenthalben prophezeit worden war, wird inzwischen immer unwahrscheinlicher. Wie Stolpe selbst rückte auch der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Thierse von seiner großen Koalition ab, indem er erklärte, diese sei nur ohne Diestel denkbar. Zusammen mit der FDP und dem Bündnis 90 besäße die SPD mit 48 von 88 Sitzen eine Mehrheit im Landtag. Die anstehenden Koalitionsverhandlungen werden sich für Stolpe nicht leicht gestalten. Zwar verfügt die SPD über ein relativ hohes Maß an Gemeinsamkeiten mit den zwei anderen Parteien, doch besteht zwischen FDP und Bürgerbewegung in der Sozial- Wirtschaftspolitik eine erhebliche Kluft. Am Dienstag äußerte der FDP-Vorsitzende Lambsdorff jedoch, seine Partei sei zu einer Koalition mit SPD und Bündnis 90 willens.

Solider Anhängerstamm der PDS

Die SPD profitierte in Brandenburg von erheblichen Verlusten der PDS. Während diese in den drei südlichen Ländern jeweils maximal rund drei Prozent einbüsste, waren es in Brandenburg knapp fünf. Übertroffen wurde dies nur noch von Mecklenburg mit einem Rückgang von sieben Prozent. Die PDS verlor offenbar viele Protestwähler, die sich im März in den von wirtschaftlichen Krisenbranchen gekennzeichneten Ländern Brandenburg und Mecklenburg für die SED-Nachfolgepartei entschieden hatten. Ingesamt verbleibt der PDS, die sich in vier Ländern als drittstärkste Kraft behauptete, aber ein solider, wenngleich geschrumpfter Anhängerstamm. Sie kann beruhigt der Bundestagswahl im Dezember entgegensehen, bei der die ehemalige DDR zum letzten Mal ein separat auszuzählendes Wahlgebiet bildet. Der PDS ist dort der Sprung über die Sperrklausel und damit der Einzug ins gesamtdeutsche Parlament gewiss, so dass die SPD aus ihrem voraussichtlich ohnehin karg bemessenen Wählerpotential Stimmen an zwei Parteien links von ihr - PDS und Grüne - abgeben muss.

Roter Norden

Zwar vermochten die Sozialdemokraten bei den Wahlen am Sonntag im Gesamtdurchschnitt etwas mehr als drei Prozent gegenüber dem März hinzuzugewinnen, doch blieb dies deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. Der Zuwachs ist wesentlich auf das Plus von knapp achteinhalb Prozent in Brandenburg zurückzuführen. Die zu Beginn des deutschen Vereinigungsprozesses erwartete politische Geographie mit einem roten mitteldeutschen Kernland scheint sich längerfristig umzukehren. Während die SPD neben Brandenburg im nördlichsten Bundesland Mecklenburg mit 27 Prozent ihr zweitbestes Resultat registrierte, kam sie in Sachsen und Thüringen nicht über 19 und knapp 23 Prozent hinaus. Auch die PDS besitzt ihre Hochburg in Mecklenburg. Die sozialdemokratischen Hoffnungen, sich als Partei mit besonderer Kompetenz in der Sozialpolitik und als politische Heimat der Arbeiterschaft zu profilieren, erfüllten sich nicht. In den drei südlichen Ländern, am deutlichsten in Sachsen, wählten diese von der SED als ihre natürlichen Klientel betrachteten Schichten überwiegend CDU. Eine Rückorientierung von Wählern, die im März für die CDU gestimmt hatten, fand nicht in nennenswertem Umfang statt. Die Anziehungskraft der CDU ist ungebrochen, selbst in den Ländern, in denen sie nur über farblose Spitzenkandidaten verfügte - so in Thüringen und in Sachsen-Anhalt - mit Duchac und Gies als den künftigen Ministerpräsidenten.

Kein Platz rechts von der CDU

Zum guten Abschneiden der CDU trug ferner bei, dass rechts von ihr derzeit in den fünf neuen Ländern keine Partei Erfolgsaussichten besitzt: weder die rechtsextremen Republikaner, nicht einmal die DSU, deren bisheriges Wählerpotential die CDU weitgehend an sich binden vermochte. Nach dem Tiefschlag für die DSU muss die CSU wohl ihre Hoffnungen, mittels der sich an sie lehnenden DSU im konservativen Lager über die Grenzen Bayerns hinaus einen Konzentrationspunkt zu den Christdemokraten zu setzen, endgültig begraben. Bereits am Wahlabend entzündete sich daher in der DSU eine Diskussion um einen Beitritt zur CDU. Auch die Integration der konservativen Neugründungen des letztes Herbstes - im Sommer hatte sich der Demokratische Aufbruch der CDU angeschlossen - verdeutlicht den Prozess der Anpassung an die politischen Muster der Bundesrepublik. Dasselbe gilt für das Abschneiden der Bürgerbewegungen, die in Brandenburg und Mecklenburg getrennt von den Grünen angetreten waren. Nur in Verbindung mit den Grünen besitzen die Protagonisten der "friedlichen Revolution" eine politische Überlebenschance.

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Stimmanteile der Parteien in den Neuen Bundesländern in Prozent

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