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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Länderberichte mal anders

Inklusive Bildung in Ghana: Zugänge und Herausforderungen

von Dr. Arne Wulff, Lawrencia A. Pomaa

Inklusion weltweit – aktueller Stand aus Ghana

Dieser Länderbericht verschafft einen Gesamtüberblick zum Thema inklusive Bildung in Ghana. Kinder mit besonderem Förderungsbedarf sind im ghanaischen Bildungssystem vielerlei Herausforderungen ausgesetzt, deren Ursprünge und Auswirkungen gezielt beleuchtet werden. Trotz gewisser Förderungsansätze der Regierung für inklusive Bildung mangelt es weiterhin an der vollständigen Umsetzung dieses Zieles. Das KAS-Büro in Ghana strebt die Förderung von jungen Menschen mit besonderen Bedürfnissen in ihrer zukünftigen Arbeit an. Zuletzt werden Empfehlungen zur Gewährleistung einer inklusiven Bildung im Land, die wesentlich für die Erreichung der 2030 Agenda ist, diskutiert.

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Hintergrund

Wer durch die Straßen Accras fährt oder geht, wird erstaunt darüber sein, wie häufig man körperlich schwerstbehinderten Menschen begegnet, die an den Kreuzungen und überall dort, wo Autos z.B. an Ampeln stehenbleiben, um eine kleine Gabe betteln. Einarmige und einbeinige Menschen sind keine Seltenheit, aber auch verkrüppelte Behinderte, die sich auf einer Art Rollbrett auf dem Boden fortbewegen, sind oft vertreten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Blinden und Sehbehinderten. Manche dieser Betteleien sind organisiert – wie auch anderswo auf der Welt stecken Personen hinter den Bettelnden, die sich um sie nur geringfügig kümmern, ihnen dafür aber den täglichen Ertrag wegnehmen. Der Staat trägt für diese Menschen keine Sorge. Und wer dann keine Familie hat, die finanziell oder mit Unterkunft und Essen unterstützt, wird ohne Bettelei nicht überleben. So setzen behinderte Menschen in Ghana täglich ihr Leben aufs Spiel, wenn sie sich meist auf den großen Autofahrbahnen Accras aufhalten und um ein paar Münzen betteln, um zu überleben.

Auch im Bildungssystem Ghanas erfahren behinderte Menschen enorme Widrigkeiten. Obwohl inklusive Bildung mittlerweile durch die „Sustainable Development Goals“ (SDGs) der UNO als globale Agenda definiert wurde und ihre vielseitigen Möglichkeiten – wie der Respekt für Diversität, geteilte Lernmöglichkeiten und die Zunahme an Freundschaften – bekannt sind, mangelt es in Ghana an einer wahrnehmbaren Realisierung dieser Agenda.

Inklusive Bildung ist eine junge Bewegung in Ghana und nahm erstmalig im Jahr 2017 Form an. 3.022 Schulen in 48 von 216 Distrikten trafen zum ersten Mal Vorkehrungen zur Implementierung von gleicher und qualitativer Bildung für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderungsbedarf. Die Herausforderungen der inklusiven Bildung in Ghana sind dennoch immens und sollten diskutiert werden: Welche Erfahrungen machen Kinder mit besonderem Förderungsbedarf im ghanaischen Bildungssystem? Wie fördert die Regierung Ghanas inklusive Bildung? Wie kann man inklusive Bildung, z.B. mit Hilfe der Zivilgesellschaft, bestmöglich fördern und die Herausforderungen für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf minimieren?

 

Herausforderungen für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf im Bildungssystem Ghanas

Inklusive Bildung ermöglicht Kindern mit und ohne besonderen Förderungsbedarf, gemeinsam voneinander und miteinander im Unterricht zu lernen. Dabei wird die Persönlichkeits- und Lern-entwicklung aller Kinder gefördert. Neben den Chancen bringt inklusive Bildung jedoch auch Herausforderungen für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf, besonders in Ghana, mit sich. In sozialwissenschaftlichen Forschungen wurde herausgefunden, dass Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderungsbedarf meist Opfer von Diskriminierung, körperlicher Bestrafung, Schikanen und minimaler Unterstützung seitens ihrer Familien sind. Unter der Kategorie für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf werden vor allem junge Menschen mit geistiger Behinderung und Entwicklungsstörungen am stärksten vernachlässigt.

Einer Vielzahl an Bildungseinrichtungen in Ghana mangelt es bereits an adäquater Grundausbildung und Lehrmaterialien, um Kinder zu unterrichten. Für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf ist die Lage noch erheblich kritischer, wenn man in Betracht zieht, dass sie meist mit dem gleichen Lehrplan und Lehrmaterialien in derselben Lehrumgebung wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Behinderung gelehrt werden. Dies führt in der Regel dazu, dass trotz aller Bemühungen Ungleichheit und Diskriminierung für junge Menschen mit besonderem Förderungsbedarf im Bildungssystem Ghanas bestehen. Vorteilhafter für die Erreichung von gleicher und gerechter Behandlung für junge Menschen mit besonderem Förderungsbedarf würde es sein, wenn ein auf ihre Bedürfnisse abgestimmter Lehrplan erstellt werden würde. Auch die Lehrmaterialien müssten angepasst sein.

Lehrende in inklusiven Bildungseinrichtungen werden mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert, da sie überfüllte Schulklassen mit mindestens 35, manchmal sogar bis zu 60 oder 100 Kindern unterrichten müssen. Lehrenden mangelt es zumeist ebenso an adäquater Vorbereitung, Ressourcen sowie zwischenmenschlichen und pädagogischen Fähigkeiten, welche zu den akademischen, emotionalen und sozialen Bedürfnissen von Menschen mit besonderem Förderungsbedarf beitragen sollen. Noch gravierender ist das Nicht-Vorhandensein an Expertise und Erfahrungen mit jungen Menschen mit geistigen und Entwicklungsstörungen.

Einige der Lehrenden nehmen eher eine negative Haltung gegenüber Kindern mit besonderem Förderungsbedarf ein. Stigmata, Stereotype und falsche Informationen über die körperlichen und geistigen Behinderungen bewegen Lehrende sogar dazu, diskriminierend oder sogar schikanierend mit ihren Schülerinnen und Schülern umzugehen. In manchen ländlichen Teilen Ghanas sind Menschen fatalerweise immer noch davon überzeugt, dass körperliche und geistige Behinderungen eine Strafe der Götter oder sogar Hexerei seien.

Vor allem in den ländlichen Gegenden Ghanas erleben Mädchen aufgrund ihrer Behinderung und ihres Geschlechts eine doppelte Stigmatisierung. Da die Arbeit im Haushalt meist noch als Pflicht des weiblichen Geschlechts angesehen wird, werden junge Mädchen mit besonderen Bedürfnissen von diesen häuslichen Pflichten nicht entbunden. Somit ist in diesem Fall vorrangig nicht ihre Behinderung, sondern ihr Geschlecht Grund ihrer Diskriminierung. Als Folge dessen wird ihnen der Zugang zu den Bildungsmöglichkeiten für junge Schülerinnen mit besonderem Förderungsbedarf verweigert.

Körperliche Züchtigung hat eine lange Geschichte in den Schulen Ghanas. Obwohl mittlerweile Studien und Forschungen bewiesen haben, dass körperliche Züchtigung emotionale, psychische und körperliche Traumata auslösen, werden diese Bestrafungen in vielen Schulen Ghanas immer noch eingesetzt. Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderungsbedarf werden von diesen körperlichen Züchtigungen nicht ausgenommen, was ihre ohnehin vorhandenen Schmerzen und Traumata verstärkt.

Trotz all den Schwierigkeiten, denen Menschen mit besonderem Förderungsbedarf ausgesetzt sind, erfahren sie im Umgang mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern aber auch positive Erlebnisse. Unter anderem erhalten sie Hilfestellungen, welche sich sowohl für ihre akademischen Leistungen als auch für ihr emotionales Wohlbefinden als wertvoll erweisen.

 

Der Zugang zu Bildungseinrichtungen für Menschen mit besonderem Förderungsbedarf

Die Barrierefreiheit an Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen ist für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderungsbedarf ein entscheidendes Kriterium. Die Vernachlässigung kann schwächere akademische Leistungen, Schulabbrüche oder gar weniger Schulbesuche veranlassen. Dennoch leidet die Mehrheit der Schulen in Ghana an einer inadäquaten Schulinfrastruktur. Es fehlt an Behinderten-WCs, barrierefreien Rollstuhlzugängen, angemessenen Gehwegen, Rampen und Spielplätzen, die behindertenfreundlich sind. Des Weiteren mangelt es manchen Schulen auch an ausreichenden Klassenräumen und Unterkünften in Wohnheimen. Zudem sind sie schlecht ventiliert und beleuchtet.

Darüber hinaus spielt der Standort der Bildungseinrichtung eine enorme Rolle. Schulen in ländlichen Gegenden weisen erhebliche Unterschiede zu Schulen in urbanen Gebieten Ghanas auf. In Bezug auf Barrierefreiheit genießen Kinder mit besonderem Förderungsbedarf in urbanen Gegenden eine bessere Ausstattung als in anderen Gebieten Ghanas.

Eine Verbesserung der Situation setzt voraus, dass genügend relevante Daten zum Thema inklusive Bildung erhoben werden. Schon daran mangelt es derzeit. Außerdem müssten auch die baulichen Mängel in einem landesweiten Kataster erfasst werden, um darauf basierend für Verbesserungen der Zugänglichkeit zu sorgen. Unabhängig von Lerninhalten und speziellen pädagogischen Erfordernissen wird es schon ohne erleichterte physische Bedingungen keine gleichberechtige Teilhabe in den Schulen Ghanas geben.

 

Die Aktivitäten der ghanaischen Regierung zur Förderung von inklusiver Bildung

Ghana hat in seiner Geschichte mehrere Gesetze bezüglich inklusiver Bildung verabschiedet. Die ghanaische Verfassung von 1992, Artikel 25(1), sieht einen gleichen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und Bildungseinrichtungen für alle Menschen vor. Im Jahr 1994 unterschrieb Ghana die Salamanca Erklärung und den Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse, welche bei der UNESCO Weltkonferenz “Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ angenommen wurde.

Ebenfalls hat die Regierung bisher zwei Bildungsstrategiepläne, Education Strategic Plan 2003-2015 und Education Strategic Plan 2010-2020, verabschiedet. Nach der Annahme der ersten Bildungsstrategie wurde im akademischen Jahr 2003/2004 an ungefähr 35 Schulen, in drei von damals zehn Regionen Ghanas, inklusive Bildung implementiert. Die Bildungspläne sehen einen strategischen Handlungsplan für die Regierung Ghanas in Bezug auf Bildung vor, welcher im Jahr 2015 dazu führte, dass die Agenda Inklusive Bildung in eine Policy verfasst wurde. Die Agenda Inklusive Bildung sieht vor, dass das Ministerium für Bildung als hauptsächliche und zuständige Instanz in Sachen inklusiver Bildung wirkt. Das Ministerium für Bildung kreierte daraufhin das Ghana Education Service, welches für die Minimierung der Herausforderungen inklusiver Bildung zuständig ist. Im Mai 2022 führte das Ghana Education Service ein Manual für inklusive Bildung in Ghana ein, welches sich auf die verschiedenen Methoden im Unterrichten und Begleiten von Kindern mit besonderem Förderungsbedarf bezieht.

In der Agenda Inklusive Bildung kategorisiert die ghanaische Regierung inklusive Bildungseinrichtungen in fünf Programmen:

  1. Einheiten für Kinder mit geistiger Behinderung in regulären Bildungskomplexen
  2. Integriertes Bildungsprogramm für Kinder mit Sehbehinderung
  3. Hostel Support, Einheiten für Blinde in Schulen für Gehörlose
  4. Inklusive Schulen mit spezieller Ressourcenlehrerunterstützung
  5. Inklusive Schulen ohne Ressourcenlehrerunterstützung

Trotzt allen Bemühungen und sinnvollen Ansätzen mangelt es dem Ministerium für Bildung Ghanas an Kapazitätsaufbau, Geldern und Fähigkeiten, z.B. im Management, um die Herausforderungen der inklusiven Bildung in Ghana zu bewältigen.

 

Die Arbeit der KAS Ghana zur Förderung von jungen Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Das Auslandsbüro Ghana der Konrad-Adenauer-Stiftung ist darauf bedacht, bei der Wahl von Lokalitäten und Veranstaltungsräumen auf eine behindertengerechte Ausstattung zu achten. KAS Ghana hat zudem den Zugang zu seinen Büroräumen für Rollstuhlfahrende barrierefreier gestaltet, indem es eine Rampe mit niedrigem Gefälle am Eingang bereitstellt.

Ferner strebt das Länderprojekt die Erreichung der Agenda 2030 ‘Leave No One Behind‘ an, indem seine Bildungsaktivitäten ebenso an junge Menschen mit besonderen Förderungsbedarf sowie an in der Gesellschaft marginalisierte Personen generell adressiert sind.

Inhaltlich hat KAS Ghana bisher aber noch nicht explizit mit potentiellen Partnern kooperiert, die Maßnahmen in dem Feld der inklusiven Bildung oder Förderung von Menschen mit Behinderung im Allgemeinen durchführen. Es gibt allerdings eine Vielzahl von Stakeholdern in dem Bereich der inklusiven Bildung. Daher erscheint es durchaus möglich, in Zukunft auf dem Gebiet der Politik für Behinderte neue Maßnahmen zu kreieren.

 

Zusammenfassung und Empfehlungen

Kinder mit besonderem Förderungsbedarf in Ghana erleben zwar auch positive Interaktionen mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Jedoch sind negative Erfahrungen wie Diskriminierungen, Schikanen und körperliche Bestrafungen in den inklusiven Schulen ein allgegenwärtiges Problem. Inklusiven Bildungseinrichtungen mangelt es darüber hinaus auch an adäquaten Ressourcen, Materialien, Personal und barrierefreien Zugängen. Um genau diese Herausforderungen zu lösen und inklusive Bildung in Ghana so zu fördern, dass das beste Ergebnis für die Betroffenen erzielt wird, empfiehlt es sich, dass lokale und internationale Stakeholder zusammenkommen, um:

  • Forschung und Studien zu inklusiver Bildung in Ghana zu betreiben;
  • Interventionen zur Kontrolle von körperlicher Bestrafung, Schikanen und Diskriminierung gegen junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu entwickeln;
  • inklusive Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte mit angemessenen pädagogischen Werkzeugen auszustatten;
  • Strategien zur Förderung und zum Ausbau von positiven Interaktionen mit Mitschülern und Mitschülerinnen zu entwickeln;
  • Interventionen zum Schutz und zur Wahrnehmung von Bildungsmöglichkeiten von jungen Mädchen mit besonderen Bedürfnissen zu konzipieren sowie
  • den Zugang zu Bildungseinrichtungen barrierefrei und behindertenfreundlich zu gestalten.

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Kontakt

Anna Wasserfall

Anna Wasserfall bild

Leiterin Auslandsbüro Ghana

anna.wasserfall@kas.de +233 302 768 629
Kontakt

Lawrencia A. Pomaa

Lawrencia Pomaa

Programmkoordinatorin

lawrencia.pomaa@kas.de +233 302 768629
Kontakt

Barbara Bergmann

Barbara Bergmann bild

Referentin für Inklusionsfragen in der Europäischen und Internationalen Zusammenarbeit

Barbara.Bergmann@kas.de +49 30 26996-3528 +49 30 26996-53528

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