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Die Kunst der Krisenbewältigung

von Lukas Lingenthal, Dr. Anja Maria Rittner

Pandemieabkommen – eine Chance für die Gesundheit aller

Das Pandemieabkommen reagiert auf globale Koordinierungsdefizite während der COVID-19-Pandemie. Es strebt eine verbesserte Vorbereitung auf zukünftige Pandemien an, indem es die Zusammenarbeit fördert, ohne die nationale Souveränität zu gefährden. Nationale Unzufriedenheiten könnten allerdings die Verhandlungen negativ beeinflussen. Die Befürchtungen, nationale Souveränität oder der Schutz der Menschenrechte könnten durch das Pandemieabkommen oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterlaufen werden, sind unbegründet, da nationale Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozesse entscheidend bleiben werden. Die Verhandlungen bis Mai 2024 abzuschließen, ist das erklärte Ziel, obwohl es noch einige strittige Punkte gibt. Die realistische Sorge besteht darin, dass die WHO am Ende nicht über ausreichende Kompetenzen und Ressourcen verfügen und kein effektives Rahmenwerk zur Prävention von, sowie Reaktion auf künftige Pandemien vorlegen wird, anstatt dass sie zu einer „Weltgesundheitspolizei“ mit weitreichenden Durchgriffsrechten wird. Das Pandemieabkommen sollte als Chance verstanden werden, Lehren aus der COVID-19-Pandemie positiv umzuwandeln in klare und transparente Regeln zur Abwehr künftiger Pandemien.

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Ausgangslage – ein Schlittern in die Krise als unbefriedigendes Szenario

Die Dynamik der COVID-19-Pandemie hat eindrücklich den pandemischen Zyklus von anfänglicher Panik zur anschließenden Nichtbeachtung bestätigt: Während politische Entscheidungsträger sich zunächst auf kurzfristige Notfallmaßnahmen konzentrieren mussten, hat die Bereitschaft für umfassende Reformen nach Abklingen der Pandemie abgenommen, zumal mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine geopolitisch neue Herausforderungen die internationale Agenda prägten. Als die Pandemie 2020 mehr und mehr Länder erreichte, zeigte sich, dass sowohl nationale Gesundheitssysteme als auch die internationale Gesundheitskoordinierung in weiten Teilen schlecht auf ein solches Ereignis vorbereitet waren. Kritisiert wurden insbesondere die unklaren Kriterien für die Ausrufung einer Pandemie, unzureichende finanzielle Mittel für die Weltgesundheitsorganisation (WHO), mangelnde Transparenz bezüglich der Ursache des Ausbruchs, mangelnde Koordinierung der Mitgliedsstaaten und fehlende Solidarität bei der Verteilung von persönlicher Schutzausrüstung, Medikamenten und Impfstoffen. Nationale Eigeninteressen und das Fehlen verbindlicher internationaler Regeln in vielen Bereichen haben einen hohen Preis in Form von Menschenleben gefordert.

Das bestehende Instrumentarium der WHO und in ihrem Zentrum die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), so die Lehre aus der Krise, bedarf einer grundlegenden Überarbeitung. Im Falle einer erneuten Pandemie bleibt der Anwendungsbereich der IGV begrenzt. So kam es, dass sich bereits im Jahr 2020 eine breite Koalition von Ländern für die zügige Ausarbeitung eines Pandemieabkommens aussprach. Nicht die finanziell Stärksten sollen zukünftig in der Pole-Position für den Erwerb von Impfstoffen und Therapeutika stehen. Egoismen sollen Solidarität weichen. Und je früher die internationale Gemeinschaft bei Krankheitsausbrüchen Gegenmaßnahmen ergreifen kann, desto eher können diese auch mit den bestehenden Mitteln eingedämmt werden. Vor diesem Hintergrund wurde im Dezember 2021 durch die Mitgliederversammlung der WHO ein besonderes zwischenstaatliches Verhandlungsgremium (Intergovernmental Negotiating Body – INB) eingerichtet. Dieses soll ein „internationales Übereinkommen, eine Vereinbarung oder ein anderes internationales Instrument” zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung, kurz ein Pandemieabkommen, ausarbeiten.

In beiden Instrumenten haben Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, des Zugangs und des Vorteilsausgleichs, des Kapazitätsaufbaus und der Finanzierung eine wichtige Rolle eingenommen.[1] Die WHO-Sekretariate beider Verhandlungsprozesse wirken deshalb darauf hin, dass beide Prozesse möglichst kohärent, komplementär und abgestimmt verlaufen. Sie sollen bereits auf der Mitgliederversammlung der WHO im Mai 2024 zu einem Ergebnis kommen – wenngleich aktuell noch viele Punkte strittig sind und mit Blick auf die anstehenden Wahlen in den USA, der EU und Indien die Tendenz zur verstärkten innenpolitischen Nabelschau mit jedem Monat erheblich zunimmt.

 

Kritik und Befürchtungen

Kritiker, insbesondere Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen und Gruppen, aber auch der Wissenschaft, halten beide Prozesse für intransparent, da größtenteils unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt würde. Damit würde auch denjenigen Raum gegeben, die aus Partikularinteressen mit Fehlinformationen über das Pandemieabkommen hausieren gehen. Doch Behauptungen, mit einem Pandemieabkommen würden der WHO zu weitreichende Rechte gewährt, welche die nationale Souveränität der Mitglieder bedrohe und knappe finanzielle Ressourcen verschwende, sind falsch und können im Folgenden widerlegt werden.

 

Souveränität und Subsidiarität: Wahrung der nationalen Verantwortung

Im Zuge der Debatte um ein Pandemieabkommen wurden insbesondere Bedenken bezüglich einer unzulässigen Einschränkung nationalstaatlicher Souveränität laut. Ein genauer Blick auf die bisherigen Vertragsentwürfe und Verhandlungsprozesse zeigt jedoch, dass diese Besorgnis unbegründet ist: Die Vorschläge zielen auf eine effiziente Kooperation zur Bewältigung globaler Gesundheitskrisen ab. Nationale Gesetzgebungsprozesse werden dabei weiterhin entscheidend für die Maßnahmen vor Ort bleiben; Ressourcen sollen geteilt werden, um gemeinsam Krisen schneller und effektiver lösen zu können.

Sollte am Ende der Verhandlungen ein Vertragstext stehen, durch den sich die Staaten völkerrechtlich verpflichten, so wäre dies auch eine Entscheidung zur Öffnung nationalstaatlichen Handelns im Sinne einer internationalen Koordinierung und Unterstützung. Kein Land kann gezwungen werden, einem solchen System beizutreten. Ein solcher Beitritt kann aber im Allgemeinwohl und im eigenen Interesse liegen. Die Vertragsentwürfe unterstreichen immer wieder die Bedeutung der nationalstaatlichen Souveränität. Länder wie China oder die USA werden sich zu nichts verführen lassen. Auch Deutschland sind verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Die Umsetzung von Maßnahmen soll unter Berücksichtigung der nationalen Möglichkeiten und Kapazitäten erfolgen.[2] Das Pandemieabkommen muss daher in Einklang mit der nationalstaatlichen Souveränität umgesetzt werden, ergänzt durch die Übernahme internationaler Verantwortung.[3]

Entscheidungen der WHO haben grundsätzlich keine unmittelbare rechtsverbindliche Wirkung in ihren Mitgliedstaaten. Die WHO ist eine zwischenstaatliche Organisation und die Beschlüsse ihres Organs, der Mitgliederversammlung der WHO, sind primär Empfehlungen an die Mitgliedstaaten. Die Umsetzung dieser Empfehlungen in nationales Recht liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Staaten.[4] Operativ hat die WHO ebenfalls Grenzen und wird auch nach Inkrafttreten eines Pandemieabkommens beispielweise nicht über die Bereitstellung von Impfstoffen, Diagnostika und Therapeutika in den Vertragsstaaten entscheiden. Es gibt keine Automatismen und auch kein Durchgriffsrecht und ein solches wird auch nicht durch ein Pandemieabkommen angestrebt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Befürchtungen einer Einschränkung der nationalstaatlichen Souveränität in den derzeitigen Verhandlungspapieren zu einem Pandemieabkommen keine Bestätigung erfahren. Das Pandemieabkommen soll gerade nicht vorsehen, nationale Kompetenzen zu umgehen oder eine supranationale Instanz zu schaffen, die direkt in nationale Angelegenheiten eingreift. Ein solches Ansinnen hätte auch keine Aussicht auf internationalen Konsens, der für eine von allen Staaten getragene Vereinbarung benötigt wird. Im Gegenteil – das Pandemieabkommen strebt eine effektive globale Zusammenarbeit an, ohne dabei die Kernprinzipien der nationalen Souveränität zu gefährden und setzt zu ihrer Wirksamkeit eine freie Entscheidung jedes einzelnen Landes für das Abschlussdokument voraus.

 

Demokratische Prozesse und Festhalten an einer regelbasierten Arbeitsweise, auch in Pandemiezeiten

Da Entscheidungen in den Gremien der WHO auf demokratischen Grundsätzen fußen, wissenschaftlich untermauert und von niemand anderem als den Mitgliedsstaaten gelenkt werden, ist auch die Furcht vor einer Allmacht der WHO unbegründet.[5] Ihre Mitgliedstaaten haben allerdings die Verantwortung, sich in den meinungsbildenden Debatten einzubringen und ihre Stimme zu erheben, um so Richtung und Ergebnisse der Organisation aktiv mitzugestalten. Maßgeblich für die strategische Ausrichtung ist dabei die Mitgliederversammlung der WHO. Die WHO agiert dabei in einem kooperativen Rahmen. Die Umsetzung des jährlich vereinbarten Arbeitsprogramms muss zwar noch immer überwiegend aus freiwilligen Zuwendungen der Mitgliedstaaten oder Dritter realisiert werden, jedoch will man in Zukunft stärker auf Festbeiträge im regulären Budget setzen[6], um eine langfristige und unabhängige Finanzierungsicherheit zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten einigen sich also auf das Arbeitsprogramm, woraus sich das Recht auf eine gemeinsame Finanzierung unter gleichmäßiger Berücksichtigung verschiedener Vorhaben ableitet. Die Entscheidung liegt in den Händen der Mitgliedstaaten.[7]

Die Vorstellung von der WHO als eine undurchsichtige, autokratische Organisation ist daher nicht zutreffend. Auch wenn nur eine Minderheit ihrer Mitglieder Demokratien im Sinne einer freiheitlichdemokratischen Grundordnung nach europäischem Verständnis sind, so ist die WHO selbst doch eine Plattform für demokratische Entscheidungsfindung ihrer 194 Mitgliedstaaten, deren gemeinsames Ziel es ist, die globale Gesundheit zu schützen.

Seit ihrer Gründung hat sich die WHO als Dreh- und Angelpunkt in der globalen Gesundheitspolitik etabliert, mit großer politischer und finanzieller Unterstützung gerade auch der Bundesrepublik Deutschland. Ein zentraler Aspekt ihres Handlungsansatzes ist die Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und deren Vertretern. Dieser kooperative Ansatz ist nicht nur eine Antwort auf die Vielschichtigkeit moderner Gesundheitsprobleme, sondern auch praktischer Ausdruck der strukturellen Kernprinzipien der WHO, die sich auch im Pandemieabkommen widerspiegeln.[8] Kompatibilität und Kohärenz stehen dabei im Zentrum und spielen bereits jetzt in allen Sitzungen, in denen es um das Pandemieabkommen geht, eine große Rolle.[9] Und zwar nicht nur bezogen auf die Instrumente innerhalb der WHO, sondern eben auch hinsichtlich der Aktivitäten der anderen Akteure im Multilateralismus. Wichtig wird es für den Pandemievertrag allerdings sein, die Nachvollziehbarkeit der Arbeit der WHO nochmals zu erhöhen.[10] So verhandeln die Mitgliedstaaten beispielsweise derzeit darüber, wie man anhand klarer und zuverlässiger Kriterien eine potenziell globale Pandemie rechtzeitig erkennen kann, um dann entsprechende Maßnahmen in einer Phase zu ergreifen, in der eine weitere Ausbreitung möglichst noch effektiv abgebremst werden kann. Auf dieser Basis wäre das offizielle ”Ausrufen einer pandemischen Notlage“ geradezu eine Antwort auf die Kritikpunkte während der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie. Eine solche Definition bedeutet letztlich mehr Transparenz und Rechtssicherheit. Die WHO soll und kann weder überraschend noch eigenmächtig handeln, sondern nach berechenbaren Kriterien und damit im Sinne aller.

 

Geld und Governance: Zwischen nationalen Ressourcen und globaler Verantwortung

Die Diskussion um das bevorstehende Pandemieabkommen wirft Fragen der daraus erwachsenden finanziellen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten auf. Hierbei handelt es sich ohne Frage um ernsthafte Verpflichtungen, die niemand ohne überzeugende Konzeption und Struktur eingehen wollen wird. Die genaue Betrachtung dieser Frage zeigt jedoch, dass die Befürchtungen in einen breiteren Kontext gestellt werden müssen.

Das Pandemieabkommen betont die Notwendigkeit der Schaffung angemessener Governance-Strukturen und Strategien auf der Grundlage internationaler Leitlinien. Diese Schwerpunktsetzung zielt darauf ab, einen Rahmen für die effektive Prävention, Vorbereitung und Reaktion auf zukünftige Gesundheitskrisen zu schaffen. Eine konkrete prozentuale finanzielle Allokation des nationalen Gesundheitsbudgets sieht das Pandemieabkommen jedoch nicht vor.

In jedem Fall wird das Pandemieabkommen keine Vereinbarungen enthalten, die über die Verwaltung des Vertrages hinaus dazu dient, WHO-Strukturen zu finanzieren. Vielmehr geht es darum, die Mitgliedstaaten zu ermutigen, nationale Ressourcen entsprechend ihren Kapazitäten und Bedürfnissen prioritär für die Gesundheit einzusetzen, und diese dabei zu unterstützen.[11]

Ob tatsächlich ausreichend finanzielle Ressourcen gemäß den individuellen Situationen der Mitgliedstaaten in Pandemievorbereitung, -prävention und -reaktion fließen werden, bleibt nach Abschluss der Verhandlungen abzuwarten. Die Erfahrungen mit der Umsetzung der internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) lassen vermuten, dass ein Pandemieabkommen finanziell eine stärkere Verbindlichkeit einfordern sollte, um wirksam umgesetzt werden zu können.[12] Bisher jedenfalls unterstreicht das Pandemieabkommen zwar die Notwendigkeit, dass nationale Regierungen finanzielle Ressourcen für die Pandemieprävention und -reaktion zur Verfügung stellen. Die Flexibilität der Vereinbarung ermöglicht es, den individuellen Kontext und die Anforderungen jedes Landes zu berücksichtigen und gleichzeitig sicherzustellen, dass eine angemessene Reaktion auf zukünftige Gesundheitskrisen gewährleistet ist.

 

Schutz individueller Rechte und Freiheiten

Inmitten der noch laufenden Debatte über die zukünftige Organisation der globalen Pandemiebekämpfung erheben sich Bedenken hinsichtlich der konkreten möglichen Beschränkung individueller Rechte und Freiheiten. Einige der Vorwürfe gehen so weit zu behaupten, dass ein Pandemieabkommen schlussendlich Menschenrechte beschneidet, ein Impfzwang eingeführt oder etwa digitale Impfpässe zur Massenüberwachung eingesetzt werden.

Ein genauer Blick auf die grundlegenden Prinzipien und Ziele des aktuellen Entwurfs des Pandemieabkommens zeigt jedoch, dass sie vor allem das Ziel verfolgen sollen, potenzielle Pandemien effektiv einzudämmen und damit das Leben Einzelner zu schützen, die Krankheitslast für die Allgemeinheit zu mindern und essenzielle Lebensgrundlagen zu bewahren.[13] Jede etwaige Vereinbarung muss die Grundprinzipien des internationalen Rechts respektieren. Es bestehen weder die Absicht noch der Auftrag, persönliche Freiheiten zu minimieren – das Gegenteil ist der Fall.

 

Pandemiebekämpfung effektiv und fokussiert: Kerninhalte eines Pandemieabkommens

Die Verhandlung des künftigen Pandemieabkommens wirft wichtige Fragen auf, die das Gleichgewicht zwischen Pandemieprävention und -vorbereitung sowie die gerechte Verteilung von Ressourcen betreffen. Im Vergleich zum ersten Nullentwurf, der einen starken Schwerpunkt auf der Vorbereitung auf einen Pandemieausbruch bzw. den Reaktionen auf eine Pandemie mit Vernachlässigung von präventiven Ansätzen erkennen ließ, finden sich im aktuellen Entwurf zunehmend auch Aussagen zur Prävention. Die deutschen und europäischen Vertreter drängen weiter auf einen ausgewogenen Ansatz, der sowohl Vorbereitung als auch Prävention betont.[14] Denn während die potenzielle Bereitstellung von Impfstoffen und Therapeutika wichtig ist, um auf unerwartete Gesundheitskrisen reagieren zu können, dürfen umfängliche Präventionsbemühungen nicht unterlassen werden. Die WHO hatte in der Vergangenheit Präventionsmaßnahmen gefördert und wird weiterhin die Notwendigkeit von frühzeitiger Erkennung und Eindämmung von Ausbrüchen betonen müssen, denn dadurch werden seuchenbedingte Maßnahmen mit Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens unnötig.

Hinsichtlich der Pandemievorbereitung können aus den Ansätzen, die während der COVID-19-Pandemie verfolgt wurden, speziell aus der Verteilung der Impfstoffe (COVAX), wichtige Lehren gezogen werden.[15] Transparenz, Einbeziehung der Zivilgesellschaft und die Vermeidung von Interessenkonflikten werden von der WHO als Schlüssel zur Verbesserung der Effektivität erkannt. Diese Erfahrungen dienen als Grundlage für eine verbesserte Zusammenarbeit und Koordination, um sicherzustellen, dass zukünftige Maßnahmen die Anliegen der verschiedenen Interessengruppen angemessen berücksichtigen.

Dabei setzen sich die Länder des sogenannten Globalen Südens tendenziell eher für mehr Verteilungsgerechtigkeit ein. Allerdings besteht noch keine gemeinsame Vorstellung der WHO und der Mitglieder, wie die Verteilungsgerechtigkeit tatsächlich konkret und nachhaltig verbessert werden kann.[16] Der Gewährleistung einer gerechten Verteilung von Produkten wie Impfstoffen, Tests und Therapeutika bleibt ein komplexes Unterfangen. Die Mitgliedstaaten arbeiten daran, Mechanismen zu entwickeln, um sicherzustellen, dass alle Länder einen fairen Zugang haben. Das Pandemieabkommen bietet eine Plattform, um solche Bemühungen zu stärken und sicherzustellen, dass Ressourcen gerecht verteilt werden, aber auch insgesamt zukünftige Maßnahmen hinsichtlich Effektivität und Fairness verbessert werden. Die WHO nimmt die Herausforderungen und Bedenken ernst und arbeitet kontinuierlich daran, einen Rahmen zu schaffen, der die Anliegen aller Interessengruppen berücksichtigt. Ihre demokratischen Prinzipien und ihre Verpflichtung zur Förderung der globalen Gesundheit stehen im Mittelpunkt dieser Bemühungen, um eine bessere Zukunft für alle zu gestalten. Auch wenn das Ergebnis der Debatte noch offen ist: Sich gegenseitig helfend unter die Arme zu greifen, ist keine Einbuße nationaler Identität oder Souveränität, sondern stärkt diese vielmehr. Solange im Fall einer Pandemie Länder oder ganze Weltregionen nicht in ausreichendem Maße eine Eindämmung gewährleisten und eine Ausbreitung verhindern können, ist in diesen Ländern und Regionen die Gefahr erhöht, dass sich neue Varianten einer Krankheit entwickeln, die sich gegen bisherige Maßnahmen resistent zeigen. Die WHO kann hierbei eine wertvolle koordinierende Funktion einnehmen.

 

Fazit: International Sinnvolles nicht am nationalen Unmut scheitern lassen

Jeder Verhandlungsprozess internationaler Übereinkommen wird durch Kritik begleitet. Es ist legitim, Prozesse und Inhalte kritisch zu hinterfragen. Dabei hilft es, sich der unterschiedlichen Interessen und Interessengruppen bewusst zu werden, die bei einer solchen Verhandlung unter einen Hut gebracht werden müssen. Befürchtungen, Deutschlands nationale Kompetenzen und Verantwortlichkeiten würden zu seinem Nachteil verkürzt, halten einem Realitätscheck nicht stand. So blendet zum Beispiel eine zu blanke Kritik, das Pandemieabkommen würde weitestgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt, die Natur von Verhandlungsvorgängen und die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen aus. Niemand wird öffentlich einem Kompromiss das Wort reden, der nicht zuvor abgesteckt worden war. Oder in anderen Worten: Verhandlungspositionen können nicht vor den Kameras und live im Internet abgeschliffen werden. Transparenz bedeutet sinnvolle Zwischenschritte, Offenlegung der Interessen, Teilung von Verhandlungsständen und wesentlicher Dokumente. Dass zwischen den Verhandlungsparteien – sprich: den WHO-Mitgliedsstaaten – allerdings teils sehr unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Punkten der Vereinbarung bestehen und nicht jeder Verhandlungsschritt hin zu einem Kompromiss in der Öffentlichkeit ausgetragen werden kann, sollte auf Einsicht stoßen.

Auch andere Kritik hat bei genauerer Betrachtung des Textentwurfs und der völkerrechtlichen Realität keine belastbare Grundlage. So wird die WHO auch künftig keine supranationale Institution werden, die – wie teils die Europäische Union in den ihr durch die Verträge von Maastricht und später Lissabon zugewiesenen Kompetenzfeldern – direkte Zugriffsrechte auf nationale Umsetzungsprozesse hat. Freiheitsrechte bei künftigen Pandemielagen müssen auf Grundlage nationaler Gesetzgebung umgesetzt werden und nicht auf Weisung der WHO.

Der WHO wird durch ein Pandemieabkommen keine Machtfülle beschert, der sich die Mitgliedsstaaten fügen müssten. Das wäre abseits aller verfassungsrechtlichen Grenzen auch praktisch kein sinnvolles Anliegen, denn nur die Länder selbst können effektiven Gesundheitsschutz vor Ort herstellen. Wahrscheinlicher ist die berechtigte Sorge darum, dass das Pandemieabkommen am Ende nur einen zu kleinen gemeinsamen Nenner findet und die Probleme bei der Prävention oder der Verteilung von Gütern und Informationen im Fall einer Pandemie nicht ausreichend gelöst werden. Eine zahnlose Vereinbarung, die durch schwache und unvollständige Regelungen auffällt, ist weit eher ein denkbares Szenario, als dass die WHO eine allmächtige Weltgesundheitspolizei werden könnte. Viel realistischer ist, dass die WHO nach Beendigung der Verhandlungen über nach wie vor zu wenig Kompetenzen und Ressourcen verfügt, um bei einer künftigen Pandemie effektiv wirken zu können.

Das Pandemieabkommen sollte daher als Chance verstanden werden, dass vieles an internationaler Zusammenarbeit, was in den vergangenen drei Jahren nicht oder nur unzureichend geregelt war, nun zwischen den Mitgliedstaaten der WHO geregelt werden kann – insbesondere all das, was durch die derzeitigen internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) nicht abgedeckt ist. Niemand sollte sich aber dazu verführen lassen, den Unmut über nationale oder regionale Maßnahmen, der im Einzelfall berechtigt oder unberechtigt sein kann, in einer pauschalen Ablehnung der Stärkung der internationalen Verantwortung münden zu lassen. Denn vielleicht liegt hier der Kern einer in ihrer Massivität und Radikalität nicht geringen Kritikwelle, die die Verhandlungen erreicht. Es gab neben hoher Zustimmung zu vielen politischen Entscheidungen auch Enttäuschung und blanke Ablehnung gegenüber nationalen Entscheidungsträgern. Hier den notwendigen gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen, erfordert allerdings eine andere und auf anderer Ebene geführte Debatte zur globalen Gesundheitsarchitektur. Der Kampf um die richtigen Maßnahmen mit auch freiheitseinschränkendem Charakter war, ist und bleibt eine genuin nationale Herausforderung, derer ein demokratisches Staatswesen sich stellen müssen wird, wann immer es die Umstände erfordern.

 

[1] In der gemeinsamen Sitzung der Arbeitsgruppe zur Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (WGIHR) und des INB wurde durch die Sekretariate eine Übersicht der gemeinsamen Themen erstellt.

[2] siehe bspw. Art. 3, Nr. 5 sowie Art. 19 des „WHO Intergovernmental Negotiating Body. Proposal for negotiating text of the WHO Pandemic Agreement“; zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden das Wort Pandemieabkommen genutzt.

[3] Ob hierzu Geltungsausschlüsse von Staaten in Anspruch genommen werden, bleibt abzuwarten sein. In der aktuellen Version des Pandemiabkommens sind keine Möglichkeiten für Ausnahmen mehr vorgesehen.

[4] Beispielsweise wurden die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) in Deutschland in einem eigenen Gesetz sowie im Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) rechtsverbindlich geregelt.

[5] Das Arbeitsprogramm der WHO wird durch ihre Versammlung aller Mitgliedsstaaten, die Weltgesundheitsversammlung, sowie den Exekutivrat (Rat) festgelegt (Art. 9 und 10 der WHO-Verfassung). Gemäß der Geschäftsordnung der Weltgesundheitsversammlung hat jedes Land hat eine Stimme (vgl. Regel 69).

[6] Auf der 75. WHA-Versammlung im Mai 2022 wurde unter Entscheidung 75(8) beschlossen, die Festbeiträge schrittweise bis – idealerweise – 2029, spätestens bis 2031 auf 50% anzuheben.

[7] Natürlich können innerhalb des gemeinsam vereinbarten Arbeitsprogramms bestimmte Projekte, die zweckgebundene Zuwendungen erhalten haben, schneller umgesetzt werden als solche, für die Mittel erst beschafft werden müssen. Die Mitgliederversammlung der WHO „überwacht die Finanzpolitik der Organisation” (Art. 18f, 55 und 56 der WHO-Verfassung).

[8] Im Pandemieabkommen wird festgelegt, dass wenn sich Tätigkeiten auf die Zuständigkeitsbereiche anderer Organisationen oder Vertragsorgane auswirken, geeignete Schritte unternommen werden, um Synergien, Kompatibilität und Kohärenz zu fördern (Artikel 25)

[9] Health Policy Watch zitiert den Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zur Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (WGIHR), den Neuseeländer Dr. Ashley Bloomfield, dass “Komplementarität, Kohärenz und Kontinuität” die Hauptthemen einer gemeinsamen Sitzung mit dem INB gewesen seien.

[10] Das Unabhängige Gremium für Pandemievorbereitung und –reaktion (IPPPR) empfahl in seinem Bericht zur Aufarbeitung der Reaktion auf die Covid19-Pandemie gerade in Pandemien Risikokommunikation zu verstärken, um Aktualität von Informationen, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten (vgl. S. 59).

[11] Jede Vertragspartei soll daher im Einklang mit ihren nationalen Kapazitäten einen wirksamen nationalen koordinierenden sektorübergreifenden Mechanismus einrichten, umsetzen und angemessen finanzieren. (vgl. Art. 17 des Pandemieabkommens)

[12] Das IPPPR stellte in seinem ersten Bericht im September 2020 fest, dass die Mehrheit der Empfehlungen aus den IGV nicht umgesetzt worden seien, da diese als unverbindlich galten (S. 15f.).

[13] In Artikel 2 werden diese primären Ziele deutlich definiert. Die Kritik wird durch den klaren Fokus auf die Wahrung der Menschenrechte sowie nationalstaatliche Souveränität in Artikel 3 sogar widerlegt.

[14] Siehe so beispielsweise die Textvorschläge der Europäischen Union vom 28.02.2023, die vorschlugen ein neues Kapitel II mit dem Titel "Verhütung, Erkennung und Meldung von Pandemien" einzufügen.

[15] COVAX sollte auf der Grundlage von Solidarität und Gerechtigkeit COVID-19-Impfstoffe für alle liefern. Manche Hindernisse, die erst während der Durchführung sichtbar geworden sind, sollen nun in zukünftige Initiativen umgangen werden, um den Zugang zu medizinischen Gegenmaßnahmen erfolgreicher und nachhaltiger zu gestalten. Versorgungsengpässe gelten als Haupthindernis für eine weltweite Impfung. COVAX’ beinhaltet auch ein universelles Entschädigungssystem, das es den Herstellern erleichtert hatte, Impfstoffe für Länder mit geringem Einkommen bereitzustellen.

[16] Healthpolicy-Watch resümiert, dass zwar Einigkeit darüber besteht, dass die Verteilungsgerechtigkeit im Mittelpunkt der künftigen Pandemiebekämpfung stehen muss, es aber erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, wie dies erreicht werden kann. Und auch die Ko-Vorsitzende des INB wird mit der Enttäuschung darüber zitiert, dass die Mitgliedsländer Verteilungsgerechtigkeit als Eckpfeiler des Pandemieabkommens betonen, „ohne zu sagen, wie sie umgesetzt werden soll“.

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