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Trauerrede von Dr. Helmut Kohl

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Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl würdigte Manfred Wörner bei dem Staatsakt mit der folgenden Ansprache:

Liebe Frau Wörner, Herr Bundespräsident, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir haben uns heute hier im Deutschen Bundestag versammelt, um von Manfred Wörner Abschied zu nehmen. In dieser Stunde gilt vor allem Ihnen, liebe Frau Wörner, unsere herzliche Anteilnahme. Wir danken Ihnen dafür, dass Sie Ihrem Gatten auf seinem zuletzt so schweren Weg zur Seite gestanden haben. Die große innere Kraft, mit der Sie das taten, verdient unser aller Bewunderung.

Mit Manfred Wörner verliert die Bundesrepublik Deutschland eine herausragende Persönlichkeit. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns und für die Atlantische Allianz.

Manfred Wörner gehörte zu jenen, die schon früh die Leidenschaft für Politik entdeckt haben. Als 30jähriger gewann er im September 1965 sein erstes Bundestagsmandat. Im Inneren wie im Äußeren waren dies Jahre des Übergangs. Der Beginn der Entspannung zwischen Washington und Moskau kündigte weltpolitische Veränderungen an, von denen gerade wir im geteilten Deutschland sehr direkt berührt wurden.

Mit Manfred Wörner kam eine neue Generation junger Politiker nach Bonn, eine Generation, die ungeduldig war, oft unkonventionell, auch ehrgeizig, aber vor allem voller neuer Ideen und mit viel Gestaltungswillen. Aus ihr ragte Manfred Wörner schnell heraus. Er wollte etwas bewegen, er brachte dies selbstbewusst zum Ausdruck, und jeder verspürte die ihm eigene Dynamik. Er war ein hervorragender Redner, er überzeugte durch Sachverstand und durch Fleiß. Schon nach vier Jahren wählte ihn die CDU/CSU-Fraktion 1969 zu einem ihrer stellvertretenden Vorsitzenden.

Sein erstes parlamentarisches Betätigungsfeld war die Entwicklungspolitik. Aus der Beschäftigung mit den Herausforderungen der Dritten Welt gewann er sehr schnell auch den Zugang zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Diese frühen, ihn prägenden Erfahrungen bewirkten, dass er später niemals ausschließlich auf das Ost-West-Verhältnis fixiert war.

Seine besondere Neigung- ich sage eigentlich lieber: seine besondere Liebe – galt der Bundeswehr. Einem „weißen Jahrgang“ angehörend, hat er sich als junger Abgeordneter freiwillig zur Luftwaffe gemeldet. Er ließ sich zum Reserve-Offizier und Jet-Piloten ausbilden, und sehr bald war er einer der maßgeblichen Sprecher seiner Partei und seiner Fraktion im Bereich der Verteidigungspolitik. 1976 wurde er Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages.

In all diesen Jahren erwarb sich Manfred Wörner vor allem auch international den Ruf eines hervorragenden Experten in diesem wichtigen Bereich. Er zählte zu den Deutschen, die in den Fachkreisen der NATO und vor allem auch der Vereinigten Staaten von Amerika Gehör und Sympathie fanden. Wo immer es seit den frühen 70er Jahren um Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ging, hatte sein Wort im In- und Ausland Gewicht.

Es war aber nicht allein der strategische Denker Manfred Wörner, den die Partner in der westlichen Gemeinschaft schätzten. Es waren seine unverwechselbare Offenheit und seine intellektuelle Verbundenheit, die ihn vor allem in den Vereinigten Staaten viele Freunde gewinnen ließen. Ebenso wichtig war für ihn die prägende Erfahrung seiner Generation. Aus Anlass der Verleihung des Warburg-Preises vor wenigen Monaten hat er beschrieben, wie sehr ihn die Menschlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Großzügigkeit der Amerikaner gegenüber den besiegten Deutschen nach dem Krieg berührt haben. Eindringlich konnte er schildern, wie tief ihn schon seit seinen Reisen in den 50er Jahren die Kraft Amerikas, der Führungswille, der Pioniergeist und die Vitalität dieses großen Landes beeindruck hatten. Er war – und dies blieb wesentlicher Teil seines politischen Credos – davon überzeugt, dass der Verbindung dieser jungen Nation mit einem erneuerten, mit einem wiederaufgebauten, mit einem starken Europa die Zukunft gehöre.

Manfred Wörner hat sich immer und ganz bewusst als Soldat und Offizier verstanden. Er bemühte sich immer wieder um die Wirklichkeit des Soldatenalltags, um die Wirklichkeit unserer Streitkräfte. Er wusste besser als viele andere – und das war eine wichtige Erfahrung für ihn -, dass eine Armee in erster Linie aus Menschen, vor allem aus jungen Menschen besteht. In seinem Verhältnis zu den Soldaten kam selbstverständlich zum Ausdruck, dass für ihn der Mensch im Mittelpunkt steht.

Im Amt des Verteidigungsministers seit 1982 blieb er ein Verfechter der Standhaftigkeit des Westens in der Zeit des Kalten Krieges. In seine Amtszeit fielen die harten Auseinandersetzungen um die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses. Ob es um die Stationierung und Modernisierung von Nuklearwaffen ging, um Rüstungskontrolle und Abrüstung, um das Personalstärkegesetz, die Bundeswehrplanung, die Diskussion über die Länge des Wehrdienstes – immer engagierte sich Manfred Wörner mit Leidenschaft.

Für das von ihm als richtig Erkannte trat er kämpferisch ein. Er war zutiefst davon überzeugt, dass zu seinem Amt die Bereitschaft gehört, notfalls auch unbequeme und unpopuläre Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Wer in einem wichtigen Amt Verantwortung trägt, begeht Fehler. Auch Manfred Wörner musste diese Erfahrung machen und hat schwierige und schwere Stunden erlebt. Es zeichnete ihn aus, dass er darauf zu lernen bereit war und sich mit umso größerer Hingabe, ja Disziplin seinen Aufgaben stellte.

Im Juli 1988 wurde Manfred Wörner als erster Deutscher Generalsekretär der NATO. Er war mit 53 Jahren zugleich der bis dahin jüngste Inhaber dieses Amtes. Seine Ernennung noch in der Zeit des Ost-West-Konfliktes erwies sich als ein Glücksfall für das Bündnis.

In den sechs Jahren seines Wirkens als Generalsekretär war er eine kraftvolle Führungspersönlichkeit. Er verstand es, Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen zusammenzubringen. Er verstand es, einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Auffassungen herbeizuführen. In einer für das Bündnis schwierigen Übergangsphase konnte er richtungweisende Entscheidungen vorbereiten, die unverwechselbar seine Handschrift tragen. Der Respekt und die Sympathie, die er genoss, trugen maßgeblich dazu bei, dass er schnell großen persönlichen Einfluss im Bündnis gewann. Seine Wirkung beruhte darauf, dass es ihm um die gemeinsame Sache ging.

Nach innen wie nach außen stand Manfred Wörner überzeugend dafür, dass dieses auch für uns Deutsche so existentiell wichtige Bündnis erhalten bleiben sollte. Er war überzeugt davon, dass die NATO nicht nur militärisch, sondern vor allem auch politisch für den Erhalt der transatlantischen Bindung wesentlich ist. Er wusste: Europa braucht ein starkes Amerika, und Amerika braucht ein starkes Europa.

Manfred Wörner war ein deutscher Patriot. Die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit war für ihn – ich habe darüber oft mit ihm gesprochen – die Erfüllung eines Traums. In seiner Funktion als Generalsekretär der NATO hatte er selbst wichtigen Anteil daran, dass in dieser entscheidenden Phase kein Zweifel an der Bündnistreue der Bundesrepublik Deutschland aufkam. Das Kapital an Vertrauen und Freundschaft, das er sich in so langen Jahren erworben hatte, konnte er so zum Nutzen unseres Landes einbringen.

Mit Energie und Weitsicht setzte er sich dafür ein, das Bündnis für neue Partner aus dem ehemaligen Warschauer Pakt zu öffnen. Gerade weil er in der Vergangenheit so kompromisslos für ein starkes, verteidigungsfähiges Bündnis eingetreten war, konnte er glaubwürdig und erfolgreich in West und Ost für die Öffnung der NATO eintreten. Mit gleicher strategischer Weitsicht trug er dazu bei, dass die NATO jetzt eine gestaltende Rolle beim Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsordnung übernimmt.

Manfred Wörner wusste lange und früh um seine unheilbare Krankheit. Er rang mit ihr so, wie es seine Art war – mit Energie, mit Disziplin, mit Tapferkeit. Mehrfach verließ er bis in die letzten Monate hinein sein Krankenbett, um bei wichtigen Sitzungen des NATO-Rates den Vorsitz zu führen. Er, der es genoss mitzureden, der Eindruck hinterließ und hinterlassen wollte, war dennoch im Grunde seines Wesens ein nachdenklicher Mann. Immer wieder las er in den Essays Montaignes, jenes Skeptikers, der so genau um die Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz wusste. Einer jener Essays ist mit dem Satz überschrieben: „Philosophieren heißt Sterben lernen.“ Auf die Frage eines guten Freundes kurz vor seinem Tod, ob man noch etwas für ihn tun könne, antwortete er ganz schlicht: Ja, beten.

Wir, die Christlich Demokratische Union, danken Manfred Wörner für seinen unverwechselbaren Beitrag für unsere Partei. Ich selbst verliere einen politischen Weggenossen über viele Jahre und einen guten Freund.

Unser Land und die deutsche Bundeswehr sind Manfred Wörner zu großem Dank verpflichtet. Manfred Wörner hat sich um das Vaterland verdient gemacht.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 75 vom 25. August 1994, S. 705-706

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