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Utz Rachowski: Red' mir nicht von Minnigerode
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am 29. Juni 2006 im Beruflichen Bildungszentrum Backnang
Artikel aus der Backnanger Kreiszeitung vom 04.07.06 von Heike Dürr
Lesung von Utz Rachowski in der neuen Aula des Beruflichen Schulzentrums – In der DDR von der Stasi bespitzelt
Mit dem Fall der Mauer ging eine Eiszeit zu Ende
BACKNANG - In der Aula des Beruflichen Bildungszentrums Backnang fand jetzt die erste Lesung seit Neueröffnung der Bibliothek statt. In Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung war vor mehr als 100 Schülern der Autor Utz Rachowski zu Gast, der aufgrund seiner politischen Haltung in der ehemaligen DDR staatlichen Repressalien ausgesetzt war, inhaftiert und später ausgebürgert wurde. Das Schicksal des politischen Opfers der DDR-Justiz teil er mit 250 000 Menschen in nur 40 Jahren DDR – „ein Stück Geschichte, das zum Himmel schreit“.
„Unsere Oberstufenklassen beschäftigen sich derzeit mit der Problematik Heimatverlust. Daher passt Utz Rachowski gut dazu“, erzählt Diplom-Bibliothekarin Christiane Engelmann-Pink. Sie ist Leiterin der Bibliothek im Beruflichen Bildungszentrum in Backnang, die im Mai ihre neuen Räume bezogen hat. „Es ist wichtig, dass diese jungen Menschen Zeitzeugen kennen lernen.“
„In Ihrem Alter war ich auch ein normaler Schüler, allerdings in einem anderen System“, erzählt der heute 52-jährige Utz Rachowski über sein bewegtes Leben. Aufgewachsen ist er in der DDR, wo er schon mit 16 Jahren zum ersten Mal von Mitarbeiten der Staatssicherheit auf dem Schulhof verhaftet und anschließend verhört wurde, „wegen staatsfeindlicher Hetze und Gruppenbildung. Dabei hatten die jungen Leute nur im privaten Rahmen gemeinsam Literatur gelesen und über philosophische Fragen diskutiert. Ein Spitzel hatte sie belauscht, „ein Schockerlebnis“. Für Rachowski war von diesem Zeitpunkt an klar: „In dieser Gesellschaft konnte ich nicht werden, was ich wollte.“
Schon ein Jahr später flog er von der Schule und wurde aus dem Jugendverband, der FdJ, ausgeschlossen. Mitschüler und Freunde stimmten unter Drohungen für seinen Ausschluss. „Damals musste ich lernen, dass sich Menschen durch hohen staatlichen Druck auch gegen ihren persönlichen Willen entscheiden.“ Einige hätten zu ihm gehalten, obwohl sie damit ihre eigene berufliche Zukunft riskierten.
Mit verschiedenen Berufen hielt sich Rachowski finanziell über Wasser, schrieb nebenbei und hielt illegale Lesungen in den Hinterräumen der Kirchen. Immer wieder wurde er von der Stasi bespitzelt und seine beruflichen Ambitionen boykottiert. Mit 25 Jahren dann wurde er erneut verhaftet und nun zu 27 Monaten Haft verurteilt, von denen er 14 Monate absaß. Freunde, unter ihnen auch Wolf Biermann, und amnesty international kämpften für seine Freilassung. So gelang es schließlich, „mich freizukaufen“. Die folgende Zeit bezeichnet er als Exil, denn er konnte seine Familie zehn lange Jahre nicht sehen.
In seinem Buch „Red’ mir nicht von Minnigerode“ wechseln Erzählungen und Gedanken aus der Zeit vor und nach seiner Ausbürgerung ab mit Kindheitserinnerungen. „Man kann die verfluchte Stasivergangenheit im Kopf nur dann aushalten, wenn man auch die andere Seite der Waage betrachtet.“ Seinen Stil bezeichnet er selbst als künstlerisch-resignativ, eines der vorgetragenen Gedichte als tief-pessimistisch. Der Fall der Mauer ist für ihn „das Ende der Eiszeit“, die Mauer „die blutige Todesgrenze, die durch mein Land ging und durch mein Leben“. Dennoch sind die Geschichten nicht ohne Humor und Selbstironie. Von seiner Heimat, er lebt heute wieder im Vogtland, spricht er stets als „mein Ostdeutschland“. Obwohl auch dort „noch immer das große Schweigen über diese Kapitel der Geschichte herrscht“. Das macht ihn besonders wütend. „Die Stasi-Täter wurden unter staatlichen Schutz gestellt und erhalten eine Rente, eine Opferrente wurde nicht beschlossen.“ Daher verbringt er heute einen Teil des Jahres damit, politische Opfer der DDR-Justiz zu beraten und über Rechte und Ansprüche aufzuklären.
Das vorgestellte Buch „Red’ mir nicht von Minnigerode“ ist in der neuen Bibliothek auszuleihen. (...)