Ausgabe: 582/2023
Der Mensch ist – zumindest auf absehbare Zeit – ein körperliches Wesen. Über den Körper interagiert er mit seiner Umwelt; sein Handeln überträgt sich körperlich, sein Fühlen und Denken sind verkörperte Reaktionen auf äußere Erfahrungen. Zugleich markiert der Körper den Kernbereich seiner geschützten Privatsphäre.
Dass die elementare Bedeutung des Körpers als Schutzzone sträflich missachtet wurde, bedarf angesichts von #MeToo oder des Missbrauchs von Kindern keiner Erklärung. Anders steht es mit den aktuellen Diskursen um die soziale Prägung des Körpers, die – aus christlicher Perspektive zunächst eher als akademische Spinnereien abgetan – inzwischen zu erbitterten Kontroversen um Gendersprache und Wokeness eskalieren.
Befremdet oder empört bis polternd zeigt sich die spät einsetzende Kritik an einem kulturalistischen Verständnis des Körpers, das etwa die binäre Geschlechterstruktur hinter sich lässt. Die Debatte gestaltet sich umso schwieriger, als sich seine radikalen Anhänger im seltsamen Schulterschluss mit Vertretern einer gefallsüchtigen (Neo)Liberalität befinden, die umstandslos bereit sind, die Geschlechtszugehörigkeit zu privatisieren.
Der Körper wird in Sozial - und Kulturtheorien neu gedacht, skeptische Stimmen erreichen bisher selten intellektuelles Niveau. Offenbar ist es zu einfach, an der Vorstellung „natürlicher“ Geschlechterverhältnisse festzuhalten, hat sie doch zu gravierender Ungleichheit geführt. Vielmehr liegt die Voraussetzung für den Abbau von Benachteiligungen in der Bereitschaft, Geschlechterrollen jenseits eines biologischen Determinismus für wandelbar zu halten.
Andererseits wächst vor allem unter feministisch Gesinnten die Einsicht, dass emanzipatorische Ziele in Widerspruch zu sich selbst geraten, je ausschließlicher Begriffe wie Frau, Mann, Geschlecht und Körper als kulturelle Sachverhalte interpretiert werden. Ihre Entnaturalisierung hat eindeutig Grenzen, deren Markierung jedoch unklar sind: Was ist natürlich und unveränderlich? Was ist kulturell und veränderbar? Was unterliegt dem Eigensinn des Individuums? Wann bleibt dieses Ich Objekt äußerer Bestimmung?
Möglicherweise bieten diese offenen Fragen Gelegenheit, die Wagenburgen zu verlassen. Bereits viel früher sind sie, etwa von Albrecht Dürer (Bild oben), erwogen worden: Das nach Selbstbestimmung strebende Künstler-Ich betrachtet sich selbst. Während der muskulöse Leib für Schaffenskraft steht, weist der Finger – hierin dem Heiligen Thomas ähnlich – auf eine Seitenwunde. Der vulnerable Körper ist dann doch ein christliches Urbild für die Begrenztheit menschlichen Eigenwillens und der Naturbeherrschung
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