Ausgabe: 3/2021
Merkels afrikapolitischer Nachlass
Wer die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer ihrer vielen Reisen nach Afrika begleiten oder im Dialog mit afrikanischen Politikern beobachten konnte, hat schnell gemerkt, dass ihr das Thema Afrika und die Menschen dort ans Herz gewachsen sind. Es ging ihr nie nur um „Fluchtursachenbekämpfung“. Bessere Lebenschancen und echte Partnerschaft waren das Ziel. Trotz der vielen zu bewältigenden Krisen hat Merkel während ihrer Amtszeit regelmäßig afrikanische Länder besucht und sich viel Zeit für afrikanische politische Gäste in Deutschland genommen. Gerade in Afrika hat sie eine enorme Reputation, die abstrahlt auf Deutschland und die EU. Sie hat dabei der Wirtschaft immer stärker eine zentrale Rolle beigemessen. Deutlich wurde dies während der deutschen G20- und G7-Präsidentschaften sowie mit Blick auf den durch sie forcierten Compact with Africa (CwA). Deutschland ist auch lange nach seiner G20-Präsidentschaft in der Afrikapolitik der Industrieländer ein Schrittmacher.
Die richtige Zielsetzung des CwA ist es, mehr Investitionen nach Afrika zu bringen. Seine Logik ist nicht eine nochmalige Aufstockung von „Entwicklungshilfe“, sondern Werbung für und Unterstützung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen aus Industrieländern. Im Gegenzug haben sich die teilnehmenden afrikanischen Länder dazu verpflichtet, ihre Rahmenbedingungen zu reformieren und transparenter zu gestalten. Mit den drei CwA-Konferenzen in Berlin hat Angela Merkel eine Art deutschen „Afrika-Gipfel“ geschaffen, bei dem Investitionen und Investitionsbedingungen eine zentrale Rolle spielen. In diesem Rahmen wurden unter anderem der deutsche „Entwicklungsinvestitionsfonds“ geschaffen und staatliche Garantien vorsichtig verbessert. Abgeschlossen ist dieser Prozess längst noch nicht. Dennoch: Das zarte Pflänzchen deutscher Direktinvestitionen in Afrika hat bereits einige neue Blüten in Form wachsender und stärker diversifizierter Engagements hervorgebracht. Die Initiative ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung für die deutsche Afrikapolitik, wenn sie auch sicher noch der Adjustierung etwa mit Blick auf die teilnehmenden Länder oder die Förder- und Finanzierungsinstrumente in Deutschland und Europa bedarf.
Wie die Afrikapolitik der nächsten Bundesregierung aussehen sollte
Die deutsche Afrikapolitik steht vor einem Einschnitt, was nicht nur daran liegt, dass auch Entwicklungsminister Gerd Müller der nächsten Regierung nicht mehr angehören wird. Afrikanische Partner spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Lösung globaler Herausforderungen. Beim Klima- und Umweltschutz, im wirtschaftlichen und geopolitischen globalen Wettbewerb – nicht zuletzt mit China –, beim Thema Migration, bei der Pandemiebekämpfung und -prävention. Der Kontinent spielt bei all diesen Fragen schon allein aufgrund seiner Bevölkerungszahl und -dynamik eine Schlüsselrolle, gerade weil er in unserer unmittelbaren Nachbarschaft liegt. An einer vertieften Partnerschaft mit Afrika führt daher kein Weg vorbei. Diese sollte eine der Kernaufgaben einer künftigen Bundesregierung sein. Einige Elemente seien skizziert:
Basis sollte ein modernes und differenziertes Afrikabild sein. Der Kontinent hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Afrika wird noch immer zu wenig als ein Kontinent mit zahlreichen stabilen Demokratien, einer ehrgeizigen jungen Generation, großer wirtschaftlicher Dynamik und hoher Innovationskraft gesehen. Eine moderne deutsche und europäische Afrikapolitik muss die Vielfalt der 54 unterschiedlichen Staaten des Kontinents reflektieren, muss differenzierte Kooperationsansätze wählen und sich gleichermaßen hinsichtlich der Nutzung von Chancen wie der gemeinsamen Lösung von Problemen engagieren.
Deutschland und Europa brauchen zur Durchsetzung ihrer Interessen Partner. Unser afrikanischer Nachbarkontinent und einzelne afrikanischen Staaten können in einer Zeit wachsender globaler Gegensätze wichtige Verbündete sein. Deutschland genießt auf dem afrikanischen Kontinent – nicht zuletzt aufgrund des großen und anerkannten Engagements von Angela Merkel – einen exzellenten Ruf und ist als Partner geschätzt. Wir sollten im eigenen Interesse noch mehr in die Beziehungen mit dem Kontinent und mit einzelnen afrikanischen Staaten investieren und unsere eigenen Interessen artikulieren und einbringen. Das erwarten auch die afrikanischen Partner von uns.
Ein wesentliches Element ist Reisediplomatie auf hoher und höchster Ebene. Hier gibt es in vielen Ressorts des Bundeskabinetts viel Luft nach oben. Es gibt mit unseren Partnern in Afrika mehr zu besprechen als Entwicklungshilfe und lokale oder regionale Krisen. Ganz vorne steht wirtschaftlicher Austausch. Partnerschaften auf wissenschaftlich-technischem Gebiet gehören dazu ebenso wie ein echter Jugendaustausch sowie Stipendien für Aufenthalte junger Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland und junger Deutscher in Afrika.
Dazu gehört auch und besonders, dass wirtschaftliche Aktivitäten der deutschen Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent durch hochrangige politische Flankierung vor Ort unterstützt werden. Dazu müssen die politischen Besuche vor Ort mit Wirtschaftsdelegationen verstärkt und die Wirtschaftsdiplomatie ausgebaut werden. Dieser Ansatz ist seit jeher Teil der französischen Afrikapolitik, die der deutschen in dieser Hinsicht noch immer deutlich voraus ist. Gerade im afrikanischen Kontext hat diese persönliche Ebene aber eine zentrale Bedeutung.
Gleich zu Beginn der Legislaturperiode müssen die Strukturen von Ressorts und Budgets so gestaltet werden, dass Barrieren für wirksame Initiativen auf dem afrikanischen Kontinent reduziert werden. Die dringend notwendige Stärkung der Ressourcen für die Pflege außenwirtschaftlicher Beziehungen – insbesondere auch mit dem globalen Süden – könnte ein eigenständiges Ministerium rechtfertigen. Eine Staatsministerin oder ein Staatsminister mit entsprechender Zuständigkeit könnte ein Schritt dahin sein. Notwendig bleibt eine wirkungsvolle Koordination der Afrikapolitik im Kanzleramt. In jedem Fall aber sollte der Einsatz von Haushaltsmitteln zur unmittelbaren Förderung unternehmerischer Projekte nicht weiter an Begrenzungen wie der „ODA-Quote“ oder dem Tabu „gebundener Entwicklungshilfe“ scheitern. Neben der Armutsbekämpfung sowie der Förderung von Rechtsstaat, Demokratie und Bildung ist dies eine zentrale Säule, die über Erfolg oder Misserfolg von Entwicklung mitentscheidet. Hier muss Wirksamkeit das entscheidende Kriterium sein.
Wirtschaft und Unternehmen ins Zentrum rücken
Die wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Staaten und die stärkere Integration des Kontinents in die globalen Wertschöpfungsketten müssen ein wichtiger Schwerpunkt deutscher Afrikapolitik werden. Diese muss proaktiv und an zukünftigen Potenzialen orientiert mit Afrika gemeinsam gestaltet und umgesetzt werden. Von zentraler Bedeutung für den afrikanischen Kontinent sind jetzt die Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven durch Wachstum, die Diversifizierung der Volkswirtschaften, die Schaffung von Millionen von Arbeitsplätzen, eine klimafreundliche Energieversorgung und Industrialisierung sowie der Aufbau leistungsfähiger Gesundheitssysteme. In all diesen Bereichen können privatwirtschaftliche Engagements deutscher Unternehmen erheblich mehr beitragen als bisher.
Dies liegt auch in unserem eigenen Interesse. Denn Afrika ist ein Kontinent voller Chancen, die von der deutschen Wirtschaft noch nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden (können). Besonders Fortschritte im Rahmen der panafrikanischen Freihandelszone AfCFTA eröffnen große Möglichkeiten. Doch auch das ungebrochene Interesse Chinas sowie das zunehmende Interesse der USA, der EU und der G7 wird dazu beitragen, dass Afrika in großen Teilen eine hohe wirtschaftliche Dynamik entfalten sollte. Dies ist für Deutschland als international agierende Volkswirtschaft von herausragender Bedeutung in Bezug auf die eigene wirtschaftliche Dynamik, aber auch mit Blick auf zusätzliche Kooperationen. Nicht zuletzt die durch die Coronakrise weiter stimulierten Überlegungen zur stärkeren Diversifizierung globaler Wertschöpfungsketten tun ein Übriges, um die Relevanz des Kontinents zu erhöhen.
Dabei sollte die kommende Bundesregierung bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Afrika auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft setzen. Konkret ist damit die Stimulierung der unternehmerischen Initiative durch gute Rahmenbedingungen, aber auch durch Förderung gemeint. Besondere Bedeutung haben dabei der Zugang zu Kapital sowie staatliche Garantien zur Risikoabsicherung bei Handel, Investitionen und Projekten. Es muss darum gehen, Unternehmen Investitionen und Handel zu erleichtern. Im Grundsatz besteht darüber Konsens, in der Umsetzung gibt es, nicht zuletzt wegen des nach wie vor nicht aufgelösten, künstlichen Gegensatzes von Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit, weiterhin erheblichen Verbesserungsbedarf.
Die Staaten Afrikas müssen als gleichberechtigte Wirtschaftspartner und nicht nur als Hilfeempfänger betrachtet werden. Dafür ist ein noch stärkeres Umdenken in der Politik notwendig. Es bedeutet nämlich, dass die Unternehmen und ihre Projekte in den Mittelpunkt gestellt und die Instrumentenkästen der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Außenwirtschaftsförderung geschärft und synchronisiert werden. In Afrika liegen Zukunftsmärkte und Investitionsstandorte – gerade auch in Zeiten notwendiger Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung oder des Entstehens von auf grünem Wasserstoff basierenden Wertschöpfungsketten. Insbesondere der deutsche Mittelstand sollte dabei unterstützt werden, auf dem afrikanischen Kontinent stärker Fuß zu fassen. Wenn dies gelingt, dann führt dies unter anderem zu Beschäftigungschancen für die lokale Bevölkerung, zu einer Stärkung der Nachfrage vor Ort und zu nachhaltigen Aktivitäten im Bereich der beruflichen Bildung, die auf reale Beschäftigung ausgerichtet sind – kurz: zu Entwicklung.
Was die Schärfung der Instrumente betrifft, so geht es gleichermaßen um Handel und Investitionen. Staatliche Garantien sind dabei ein marktwirtschaftliches Instrument, welches, wo immer es geht, zu verstärken ist. Exporte in afrikanische Länder müssen durch Hermesbürgschaften weiter deutlich erleichtert sowie deren Konditionen international konkurrenzfähig gestaltet werden. Dazu muss die Politik das Eigenrisiko für Geschäfte deutscher Unternehmen erheblich reduzieren. Maßstab dafür sollten die günstigsten von anderen Staaten der OECD gewährten Konditionen sein. Diese liegen teilweise bei nahe null Prozent Selbstbehalt, während Deutschland mit fünf bis zehn Prozent Eigenanteil, also Kosten der Unternehmen, antritt. Durch das bereits konzeptionierte Instrument „Wirtschaftsfonds Afrika“ kann die nächste Bundesregierung zudem förderungswürdige deutsche Exporte nach Afrika durch günstigere Kreditbedingungen und Zuschusselemente unterstützen, das Instrument bei Bedarf aufstocken und mit der notwendigen Folgefinanzierung ausstatten. Dadurch kann Entwicklung gefördert und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen auf den afrikanischen Märkten deutlich verbessert werden.
Exporte stimulieren auch Investitionen. Um zudem gezielt deutsche Investitionen in afrikanischen Staaten zu fördern und so einen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu leisten, müssen neben den durch die Investitionsgarantien des Bundes abgesicherten politischen Risiken auch ausgewählte wirtschaftliche Risiken in Ländern des afrikanischen Kontinents durch staatliche Instrumente abgesichert werden – zumindest dann, wenn Investitionen sich besonders positiv auf die lokale Entwicklung oder auf den Klimaschutz auswirken. Diese abzusichernden wirtschaftlichen Risiken umfassen unter anderem Zahlungs- und Währungsrisiken, die weiterhin zentrale Hindernisse für deutsche Unternehmen darstellen, Investitionen in Afrika durch Fremdkapital zu finanzieren.
Es könnten auch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zur Absicherung und Förderung von beschäftigungsschaffenden Investitionen in afrikanischen Staaten eingesetzt werden. Ein besonderes Gewicht könnte die nächste Bundesregierung dabei auf die Bereiche Klima, Umwelt, Mobilität, Ernährung und Gesundheit legen. Die Nahverlagerung und Diversifizierung von Liefer- und Wertschöpfungsketten in afrikanische Staaten bieten sich hier an. Damit ließen sich deutsche Abhängigkeiten von Lieferketten aus Asien verringern. Dafür sind geeignete Rahmenbedingungen und finanzielle Anreize für deutsche Unternehmen notwendig, die einzelne Produktionsschritte oder ganze Produktionen in afrikanische Länder verlagern wollen. Im Gegenzug schaffen die Unternehmen das, was der junge Kontinent am dringendsten braucht, nämlich Jobs mit hoher Wertschöpfung und damit Lebensperspektiven.
Eine wichtige Rolle, gerade für Investitionen zur Befriedigung der lokalen Nachfrage, spielt auch die Etablierung der panafrikanischen Freihandelszone AfCFTA. Wenn die Fragmentierung in unzählige kleine nationale Märkte überwunden wird, entstehen enorme Chancen für einen innerkontinentalen Handel, der noch völlig unterentwickelt ist. Aber auch internationale Investitionen werden natürlich deutlich attraktiver, wenn größere integrierte Märkte bedient werden können. Die nächste Bundesregierung sollte die AfCFTA im europäischen Rahmen durch eine enge Kooperation mit der Afrikanischen Union (AU) unterstützen. Ein afrikanischer Kontinent, der einen gemeinsamen Wirtschaftsraum darstellt, bietet für Deutschland und Europa bisher noch viel zu wenig beachtete Möglichkeiten, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den knapp zwei Milliarden Menschen der beiden Kontinente auf eine ganz neue und gemeinschaftliche Basis zu stellen.
Energie und Klima
Der Zugang zu einer verlässlichen Energieversorgung auf dem afrikanischen Kontinent ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und immer noch ein wesentliches Defizit. Die nächste Bundesregierung muss ein nachhaltiges und klimafreundliches Engagement deutscher Unternehmen, insbesondere in den Bereichen Umwelttechnik und Erneuerbare Energien, auf dem afrikanischen Kontinent verstärkt unterstützen. Denn der Bedarf an zusätzlicher Energie ist nirgendwo größer als in Afrika. Wachstum und Industrialisierung sollten daher möglichst klimafreundlich gestaltet und nicht durch neue Kohlekraftwerke befeuert werden.
Prädestiniert dafür, die klimafreundliche Industrialisierung Afrikas durch Investitionen voranzutreiben, sind besonders deutsche Unternehmen, die über umfangreiche Expertise auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien verfügen. Notwendig dafür sind aber innovative Finanzierungs- und Risikoabsicherungsinstrumente, welche auch die Projektentwicklung und die oft schlechte Bonität lokaler Stromabnehmer im Auge haben. Gleichzeitig sollte die deutsche Politik sich für einen Mechanismus einsetzen, der das CO2-Emissionshandelssystem regional ausweitet und in der Perspektive eine Klimaschutzzone Afrika-Europa schafft. Wenn deutsche Unternehmen in Afrika klimafreundliche Projekte umsetzen und so zur Vermeidung weiterer Emissionen beitragen, dann sollten sie einen Bonus in Form von Zertifikaten erhalten. Damit werden mehr Investitionen in Afrika stimuliert, die das Klima schonen und dabei auch dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen. Die Hebelwirkung solcher Projekte zur Verhinderung von CO2-Emissionen ist enorm – verglichen mit den Möglichkeiten, im nationalen Rahmen Einsparungen zu erzielen.
Grüner Wasserstoff wird dabei ein wesentlicher Energieträger der Zukunft sein. Die von der aktuellen Regierung begonnene Wasserstoff-Partnerschaft mit Afrika muss weiter vertieft und massiv vorangetrieben werden. Dabei geht es um die lokalen Energiebedarfe und um den Export in Richtung Europa. Die Einbindung deutscher Unternehmen ist von strategischem Interesse. Für die Realisierung sind flexible Förderinstrumente notwendig, um gezielt Partnerschaften mit interessierten afrikanischen Staaten eingehen zu können. Viele afrikanische Staaten sind prädestiniert für die Produktion von grünem Wasserstoff. Hier können ganz neue Industrien entstehen – mit erheblichem Arbeitsplatz- und Wohlstandspotenzial für den gesamten Kontinent.
Gesundheit
Die aktuelle Pandemie hat offenbart, wie abhängig Afrika vom Import von Impfstoffen, Medikamenten sowie Medizin- und Hygieneprodukten ist. Die Notwendigkeit des Aufbaus einer unabhängigen Industrie inklusive der Produktion von Medikamenten, Impfstoffen und medizinischer Ausrüstung hat die Bundesregierung erkannt und endlich auch die bilaterale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich gestärkt. Die nächste Bundesregierung muss dieses Thema schnell aufgreifen und entsprechende Projekte mit ausgewählten afrikanischen Partnerländern umsetzen. Die deutsche Wirtschaft steht dafür bereit, aber für das Gelingen einer solchen Partnerschaft der deutschen Gesundheitswirtschaft mit geeigneten afrikanischen Staaten muss die Politik passgenaue Maßnahmen bereitstellen und bestehende Instrumente stärken. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass überall auf der Welt ausreichend Impfungen durchgeführt werden. Kurzfristig geht es darum, Impfstoffe und medizinische Ausrüstung – gerade auch bilateral – für afrikanische Staaten bereitzustellen. Langfristig muss die kommende Bundesregierung im Schulterschluss mit den Unternehmen aber auch den Aufbau einer eigenen medizinischen Industrie an mehreren Standorten in Afrika angehen.
Bildung und Wissenschaft
Die Entwicklung einer praxis- und wirtschaftsorientierten Berufs- und Hochschulbildung in Afrika bedarf einer gezielten Förderung. Das betrifft insbesondere die Aktivitäten im Bildungsbereich, die in Folge des Engagements deutscher Firmen entstehen. Die dafür aktuell vorhandenen Möglichkeiten für junge Afrikanerinnen und Afrikaner, eine Berufs- oder Hochschulausbildung in Deutschland zu absolvieren, sollten massiv ausgeweitet werden. Diese haben noch immer einen viel zu geringen Umfang. Afrika braucht qualifizierte Arbeitskräfte für den wirtschaftlichen Erfolg. Dazu müssen die Barrieren für qualifizierende Aufenthalte von Afrikanerinnen und Afrikanern in Deutschland und in deutschen Firmen weitgehend abgebaut werden. Zusätzlich dazu muss auch die wissenschaftliche Forschung zu Afrikathemen in Deutschland gestärkt und der wissenschaftliche Austausch verstärkt gefördert werden. Anstatt dafür aber immer neue Stellen und Institute zu schaffen, sollte die nächste Bundesregierung lieber auf bestehende Einrichtungen setzen, funktionierende Netzwerke verbessern, Kompetenzen bündeln, die Akteure stärker miteinander vernetzen und deren finanzielle Ausstattung erhöhen.
Migrationspolitik
Auch die nächste Bundesregierung wird sich mit dem Thema Migration aus Afrika nach Europa befassen müssen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass es nicht darum gehen sollte, Migration aus Afrika generell zu verhindern. Ein wesentliches Element moderner Migrationspolitik sind reguläre Wege der Arbeits- und Bildungsmigration nach Deutschland. Gleichzeitig sollte es das wichtigste Ziel der Migrationspolitik sein, zu unterstützen, dass junge Afrikanerinnen und Afrikaner gute berufliche und wirtschaftliche Perspektiven in ihren Heimatländern und auf dem Kontinent haben. Eine sehr viel stärkere Konzentration auf den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze ist mit Abstand die wirksamste und nachhaltigste Möglichkeit der Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Migration.
Fazit
Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Afrika im deutschen und europäischen Verständnis sehr viel präsenter gemacht. Sie hat aus der Überzeugung gehandelt, dass es in Afrika mehr Chancen als Risiken gibt. Sie hat nicht nur verstanden, dass noch sehr viel zu tun ist, sondern auch auf nationaler, europäischer und globaler Ebene Initiativen gestartet, die ohne sie nie zu Stande gekommen wären.
Mit Blick auf eine neue Bundesregierung ist zu hoffen, dass das Verständnis weiterwächst, dass Investitionen und dadurch ausgelöstes Wirtschaftswachstum die einzig nachhaltige Möglichkeit sind, den Menschen vor Ort eine positive Zukunftsperspektive zu bieten. Dafür muss Afrika noch weiter als in den letzten Jahren aus der „Alleinzuständigkeit“ des Entwicklungsministeriums herausgeholt werden. Ein ressortübergreifender und ganzheitlicher Politikansatz ist notwendig. Der Stellenwert, den Afrika einnimmt, ist zweifellos in vielen Ministerien gewachsen. Immer noch wird aber beispielsweise Entwicklung zu wenig mit Außenwirtschaft und diese wiederum zu wenig mit dem afrikanischen Kontinent verbunden. Insgesamt bleibt die deutsche Afrikapolitik, trotz der unbestreitbar großen Verdienste der scheidenden Kanzlerin, stark von Vorsicht und von kleinen Schritten statt vom notwendigen beherzten und ambitionierten Auftreten geprägt. Es wäre für die zukünftige Entwicklung Deutschlands, Europas und Afrikas aber nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, wenn die neue Bundesregierung mutige und kraftvolle Initiativen in der Zusammenarbeit mit dem Chancenkontinent Afrika eingeht und dabei im Auge behält, dass dies nur dann funktioniert, wenn wir die Wirtschaft ins Zentrum unseres Handelns stellen.
Christoph Kannengießer ist Volljurist und seit 1995 in verantwortlichen Positionen im Verbandsbereich tätig, unter anderem beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und beim Markenverband. Von 2004 bis 2007 war er stellvertretender Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seit 2012 ist er Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft.