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Boris Grdanoski, AP, picture alliance

Auslandsinformationen

Warum der Kosovo-Konflikt weiterschwelt

Eine Geschichte, zwei Narrative

Die angespannte Lage in der Region ist das Resultat eines jahrhundertelangen Konflikts zwischen Serben und Kosovo-Albanern. Für die einen war die Schlacht auf dem Amselfeld am 28. Juni 1389 eine leidvolle Niederlage serbischer Nationalhelden gegen die osmanischen Invasoren, für die anderen nur ein Ereignis von vielen in der eigenen Geschichte. Für die einen war die NATO-Intervention von 1999 ein Segen und Ausgangspunkt für die staatliche Unabhängigkeit, für die anderen ein völkerrechtswidriger Akt der Aggression gegen ein souveränes Land. Wie so oft ist Schwarz-Weiß-Denken auch in diesem Konflikt nicht angebracht. Vielmehr sind es Grautöne, die die Verantwortung für die derzeitige Situation am besten beschreiben.

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Historischer Kontext

Angesprochen auf die schwierigen politischen Bedingungen auf dem westlichen Balkan soll der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill Mitte des 20. Jahrhunderts gesagt haben, dass der Balkan mehr Geschichte produziere, als er konsumieren könne. So hat auch der Konflikt in und um Kosovo tiefe Wurzeln. Die Region war im Laufe der Geschichte stetig Ziel von Migrationsbewegungen und Eroberungszügen. Die slawische Einwanderung in die Region zwischen dem 7. und 8. Jahrhundert marginalisierte und zersplitterte die albanischen Siedlungsräume in deren eigener Wahrnehmung. Für die Serben dagegen wurde Kosovo zur Wiege ihrer Nation und christlich-orthodoxen Identität.

Die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) 1389 war eine regionale Zäsur. Mit der Niederlage der Serben dominierte das Osmanische Reich das Gebiet des westlichen Balkans über mehrere Jahrhunderte. Die Albaner in Kosovo wurden mehrheitlich Muslime, was neben der Sprache eine zusätzliche gesellschaftliche Trennlinie erzeugte. Mit der Zurückdrängung des Osmanischen Reichs, der Neuordnung Europas im Berliner Kongress 1878 und den beiden Weltkriegen erlangte Belgrad die Kontrolle über Kosovo, auch wenn die albanische Bevölkerung weiterhin in der Mehrheit war. Das Königreich Jugoslawien wie auch das sozialistische Jugoslawien Titos verstanden sich als Konstrukt der Südslawen, was im Staatsnamen Jugoslawien (Jug heißt in den slawischen Sprachen Süd) zum Ausdruck kam. Der Begriff Jugoslawien schloss daher die Albaner als Nicht-Slawen nicht im Besonderen ein.

Zwar erhielt Kosovo den Status einer autonomen Region innerhalb der Teilrepublik Serbien, doch wurde es bis in die 1990er-Jahre von Serben politisch dominiert. Analog zu der Lage in den anderen Teilrepubliken Jugoslawiens Ende der 1980er forderten auch die Albaner in Kosovo mehr politische Autonomie.

Mit der Übernahme der kommunistischen Parteiführung durch Slobodan Milošević 1987 in Serbien kam ein radikaler Kurswechsel. Gegen die weiterhin mehrheitlich albanische Bevölkerung in Kosovo begann eine Diskriminierungspolitik und die Lage spitzte sich immer mehr zu. Die Kosovo-Albaner boykottierten die jugoslawischen Institutionen in der autonomen Provinz Kosovo und bauten peu à peu ein paralleles institutionelles System auf, auch im Bereich des Bildungswesens. Die von Mahatma Gandhi inspirierte Bewegung des passiven Widerstands, vom Schriftsteller und Pazifisten Ibrahim Rugova und seiner Partei Lidhja Demokratike e Kosovës (LDK) angeführt, forderte Gleichberechtigung und erstmals auch Unabhängigkeit.

Dieser Ansatz wurde in den 1990er-Jahren als Folge einer zunehmenden Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch eine militante Strategie abgelöst. So wurde die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) ins Leben gerufen. Für die Mehrheit der Albaner war sie tatsächlich eine Befreiungsarmee, für die serbische Seite eine terroristische Organisation. Zwischen 1996 und 1999 führten die von Serben dominierte jugosla­wische Armee, Polizei und Paramilitärs eine Anti-Guerilla-Operation in Kosovo durch. Für die dortigen Albaner und die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft erinnerte diese Operation an ethnische Säuberungen während der ersten jugoslawischen Zerfallskriege. Auf beiden Seiten kam es zu Kriegsverbrechen, wobei Serbien auch wegen seiner Vorgeschichte in Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien im Fokus der internationalen Gemeinschaft stand. Aufgrund dieses bewaffneten Konflikts flohen laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR 850.000 Kosovo-Albaner nach Albanien und Mazedonien.

Die NATO intervenierte am 24. März 1999 mit drei Monate langen Luftangriffen, die nicht von einem Mandat des UN-Sicherheitsrates gedeckt waren. Die Debatten in der NATO und den Mitgliedsländern verliefen dazu kontrovers. Insbesondere innerhalb Deutschlands war der Einsatz heftig diskutiert worden. Neben dem fehlenden UN-Mandat war auch der Kampfeinsatz deutscher Streitkräfte auf dem Westbalkan nach dem Zweiten Weltkrieg an sich hoch umstritten. Mit der Intervention sollte Jugoslawien durch militärische Gewalt zum Stopp seiner Operation in Kosovo gezwungen werden. Nach dem Genozid in Srebrenica 1995 sollte ein weiteres Kriegsverbrechen dieser Art verhindert werden.

Der Krieg in der damals serbischen Provinz Kosovo endete mit der Unterzeichnung des Kumanovo-Abkommens zwischen Jugoslawien und der NATO am 9. Juni 1999. Dieses sah den unmittelbaren Abzug serbischer Polizei- und Militärkräfte aus Kosovo vor. Faktisch gesehen verlor der serbische Staat an diesem Tag die direkte Kon­trolle über Kosovo. Zur politischen Stabilisierung setzten die Vereinten Nationen eine Übergangsverwaltung ein (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, UNMIK). Zudem wurde die Kosovo-Truppe (Kosovo Force, KFOR) als internationale Friedenstruppe in der Provinz eingesetzt. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 10. Juni 1999 die Resolution 1244, in der die Mandate der KFOR und der UNMIK festgelegt und die jugoslawische Souveränität über Kosovo bestätigt wurden.

Für die Kosovo-Albaner erfüllte sich 2008 der lang gehegte Wunsch nach einem eigenen Staat.

Mehr als 164.000 Serben und 25.000 Roma flohen aus Kosovo, da sie Verfolgung durch die Kosovo-Albaner fürchteten. Im August 2009 gab es immer noch 209.000 Binnenvertriebene aus Kosovo in Serbien, sowohl aus den 1990er-Jahren als auch späteren antiserbischen Ausschreitungen. Im Gegensatz dazu kehrten bis August 1999 mehr als 90 Prozent der albanischen Flüchtlinge nach Kosovo zurück. Die Lage blieb dort über die Jahre schwierig und angespannt. Kurz nach Kriegsende waren insgesamt 48.000 Soldaten im Einsatz, darunter allein aus Deutschland 8.000. Trotzdem kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern. Für Serbien war in diesem Zusammenhang 2004 ein prägendes Jahr. Bei gewalttätigen Unruhen von Albanern gegen serbische Klöster, Zivilisten und Einrichtungen schaffte es die KFOR nicht, die Lage zu kontrollieren. 27 Personen starben. Angst und Misstrauen blieben.

 

Entwicklung seit der Erklärung der Unabhängigkeit Kosovos

Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo mit großer Unterstützung der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und anderer EU-Mitgliedstaaten für unabhängig. Jedoch erkennen bis heute die Slowakei, Rumänien, Zypern, Spanien und Griechenland aus innenpolitischen Gründen Kosovo nicht als unabhängigen Staat an. Eine Herausforderung für die weitere internationale Anerkennung ist auch die Tatsache, dass mit Russland und China zwei Vetomächte im UN-Sicherheitsrat ebenfalls ihre Anerkennung verweigern. Beide Staaten sind für Serbien wichtige Verbündete, um gegen die Stärkung der Souveränität Kosovos vorzugehen.

Für die Kosovo-Albaner erfüllte sich 2008 der lang gehegte Wunsch nach einem eigenen Staat. Dagegen sah Belgrad in der Unabhängigkeitserklärung einen Verstoß gegen die UN-Charta. Serbien nahm dies im selben Jahr zum Anlass, den Internationalen Gerichtshof zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung anzurufen. Am 22. Juni 2010 verkündete der Gerichtshof, dass diese mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Allerdings hat er sich nicht dazu geäußert, ob Kosovo ein unabhängiger Staat ist. Daher ist für die serbische Regierung und die Gegner einer Unabhängigkeit Kosovos der Status der ehemaligen jugoslawischen Region offen. Dagegen sind Pristina und seine internationalen Partner der Meinung, dass mit der Anerkennung durch mehr als 104 Staaten entsprechende Fakten geschaffen wurden und die Souveränität des Landes belegt wurde.

Mit dem Brüsseler Abkommen erreichte man einen politischen Durchbruch.

Für Serbien sind bis heute der fehlende Beschluss des UN-Sicherheitsrats bei der Intervention und die Unabhängigkeitserklärung ein eklatanter Bruch völkerrechtlicher Normen und Resolutionen, wie etwa der UN-Charta und der UN-Resolution 1244. Dieser Umstand begünstigt auch die Stärkung anti-westlicher Einstellungen in der serbischen Gesellschaft.

Wegen vieler noch offener politischer und den konkreten Alltag der Menschen betreffender Fragen auf beiden Seiten begann 2011 ein von der EU moderierter Dialogprozess. Ziel der ersten „technischen“ Phase war es, die Kommunikation und den zwischenmenschlichen Austausch zu erleichtern. Es wurden operative Aspekte wie Verhandlungsführung, Moderation und Verbindlichkeit von Vereinbarungen geklärt, ohne auf den rechtlichen Status Kosovos einzugehen. In kurzer Zeit gab es Erfolge, so etwa bei der Wiederherstellung von Handelsbeziehungen. Zwei Jahre später erreichte man in Brüssel einen politischen Durchbruch mit dem Brüsseler Abkommen. Trotz grundsätzlicher politischer Differenzen war es gelungen, sich auf fundamentale Schritte der Normalisierung zu verständigen. Zu betonen ist, dass zu dieser Zeit mittel- und langfristig eine EU-Mitgliedschaft für beide Seiten greifbar schien. Die EU sah die Beilegung des Konflikts als Voraussetzung für den europäischen Weg beider Akteure. Dadurch bestand auf beiden Seiten ein großes Interesse an Lösungen.

Kurz nach der Unabhängigkeit war Kosovo ein Staat mit einer ausgesprochen pro-europäischen und -westlichen Bevölkerung. Aleksandar Vučić wiederum, der heutige Staatspräsident Serbiens, war seinerzeit eine neue politische Persönlichkeit und suchte die Nähe zur Europäischen Union. Trotz seiner Vergangenheit in der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei hatte er es geschafft, eine neue pro-europäische politische Kraft, die Serbische Fortschrittspartei (SNS), zu gründen. Hashim Thaçi, einer der früheren Führungsfiguren der UÇK und dann Staatspräsident von Kosovo, hatte sich vom Guerilla-Kämpfer zu einem modernen europäischen Entscheider mit Sinn für Verhandlungsprozesse gewandelt.

Das Brüsseler Abkommen sah im Kern vor, die serbische Bevölkerung in kosovarische Institutionen zu integrieren und die serbischen Institutionen abzubauen, die nach 1999 in den kosovarischen Gebieten verblieben waren, in denen Serben in der Mehrheit waren, insbesondere im Norden. Serbische Polizisten, Richter und Verwaltungsbeamte sollten von nun an in kosovarischen Institutionen arbeiten. Serben waren an kosovarischen Wahlen zu beteiligen und in das kosovarische politische System zu integrieren. Im Gegenzug sollte ein Verband serbischer Gemeinden (Association of Serbian Municipalities, ASM) eingerichtet werden. Mit diesem sollte dem serbischen Bevölkerungsteil Autonomie in bestimmten Sachfragen gewährt werden.

Bei der Integration der serbischen Polizei und Justiz in die kosovarischen Staatsorgane wurden die Bedingungen des Abkommens erfüllt. Darüber hinaus sind laut kosovarischer Verfassung unabhängig vom Wahlergebnis 10 der insgesamt 120 Sitze im kosovarischen Parlament für die serbische Minderheit garantiert. Die nicht erfolgte Einrichtung des ASM durch Kosovo als eine der zentralen Forderungen aus dem Brüsseler Abkommen ist der Hauptgrund für das bestehende Misstrauen unter den Kosovo-Serben gegenüber der Regierung in Pristina. Zudem rückte auch die EU-Perspektive für beide Seiten in weite Ferne. Gründe dafür liegen in einem Erstarken von Nationalismus sowohl in Serbien als auch in Kosovo, wirtschaftlichen Problemen, ausbleibenden Reformen sowie einem mangelnden Interesse auf EU-Seite.

 

Die serbischen Mehrheitsgemeinden im Norden Kosovos

Die serbische Bevölkerung in Südkosovo ist in Enklaven organisiert, die von albanischen Dörfern und Städten umgeben sind. Im Gegensatz dazu grenzt die serbische Bevölkerung in Nordkosovo an Serbien. In vier Gemeinden stellen die Serben mehr als die absolute Mehrheit der Einwohner. Zwischen dem Abzug der serbischen Sicherheitskräfte im Jahr 1999 und dem Brüsseler Abkommen waren faktisch gesehen nach wie vor serbische Institutionen, wie etwa Krankenhäuser, Schulen, Gerichte und lokale Selbstverwaltungen, in Nordkosovo präsent. Die Beschäftigten erhielten ihre Gehälter aus Belgrad. Es wurde toleriert, dass Pristina die Energieversorgung sicherstellte und die serbische Bevölkerung keine Rechnungen zahlte. Der kosovarische Staat war nicht präsent. Nach der Unterzeichnung des Brüsseler Abkommens wurde unter großer Unterstützung Belgrads die zentrale politische Vertretung der Serben in Kosovo, die Partei Srpska Lista, gegründet. Die bis dato existierenden politischen Parteien der Serben, die gegen das Brüsseler Abkommen waren, wurden marginalisiert. Die Polizei, Gerichte und die politische Vertretung der Serben auf lokaler und nationaler Ebene wurden in das kosovarische System integriert.

Die instabile Sicherheitslage vor allem im Norden Kosovos ist ein Risiko für Europa.

Angesichts des Stillstands im EU-geführten Normalisierungsprozess schlugen die USA unter Donald Trump 2018 beiden Parteien einen Gebietsaustausch vor. Das war ein absolutes Novum, da die territoriale Integrität Kosovos bis dahin von US-amerikanischer Seite nicht infrage gestellt wurde. Auf EU-Ebene stieß dieser Vorschlag umgehend auf Ablehnung. Das Washingtoner Abkommen wurde 2020 vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem damaligen kosovarischen Ministerpräsidenten Avdullah Hoti unterzeichnet, aber nie vollständig umgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung Donald Trumps in dessen zweiter Amtszeit erneut Initiativen starten wird.

 

Neue Dynamik für den Dialog durch die russische Aggression gegen die Ukraine

Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist das strategische Interesse am Westbalkan und damit auch an den Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo gewachsen. Die instabile Sicherheitslage vor allem im Norden Kosovos war und ist ein sicherheitspolitisches Risiko für Europa. Weite Teile der militärischen, politischen und finanziellen Mittel sind für die Unterstützung der Ukraine vorgesehen. Unter westlichen Verbündeten gibt es die Sorge, dass Russland seine guten Beziehungen in nationalistische Teile der serbischen Bevölkerung in Kosovo und in Teile der Sicherheitsinstitutionen in Serbien nutzen könnte, um Nordkosovo zu destabilisieren. Ein zweiter aktiver Konflikt in Europa würde die Ressourcen des Westens höchstwahrscheinlich überfordern.

Angesichts dieser Umstände wurde der Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo ab Sommer 2022 wieder aufgenommen. Deutschland und Frankreich legten in Abstimmung mit den USA und anderen westlichen Partnern ein weiteres Normalisierungsabkommen vor, angelehnt an den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1972. Sowohl der kosovarische Ministerpräsident als auch der serbische Staatspräsident stimmten am 27. Februar 2023 mündlich zu, dass sie das Abkommen akzeptieren würden. Der Anhang zur Umsetzung (Ohrid-Abkommen), der einen Monat später vom kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti unterzeichnet wurde, dem Vučić jedoch nur mündlich zustimmte, regelte die Einzelheiten des vorgeschlagenen deutsch-französischen Plans. Dass die EU nicht beide Seiten überzeugen konnte, die Dokumente zu unterzeichnen, verdeutlicht sowohl das Misstrauen zwischen Vučić und Kurti als auch die begrenzten Möglichkeiten zur Druckausübung durch den Westen.

Der Verhandlungsrahmen änderte sich im Vergleich zu 2011 grundlegend. War zu Beginn des Normalisierungsprozesses nur von Standards die Rede, sind inzwischen eine „De-facto-Anerkennung“ und die Umsetzung aller bereits unterzeichneten Vereinbarungen zentrale Bedingungen im EU-Beitrittsprozess beider Staaten. Innenpolitische Widerstände in Serbien hindern die Entscheidungsträger nach wie vor, den deutsch-französischen (oder europäischen) Vorschlag umzusetzen. Kosovo begann im Gegenzug mit einseitigen Maßnahmen, um seine Staatlichkeit im Norden zu stärken. Man verbat unter anderem serbische Nummernschilder an Autos, begann, Steuern und Rechnungen für Versorgungsleistungen in Nordkosovo durchzusetzen und schloss serbische Banken sowie Postämter. Zudem setzte man mit Polizeigewalt Bürgermeister ein, die bei Kommunalwahlen im Jahr 2023 mit 3,5 Prozent Wahlbeteiligung gewählt worden waren. Die Serben hatten an den Wahlen nicht teilgenommen, weil sie sich diskriminiert sahen.

Politische Kompromisse werden auf beiden Seiten als Schwäche verstanden.

Diese politischen Spannungen mündeten in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Mai 2023 wurden bei Zusammenstößen zwischen Serben und KFOR-Soldaten sowie kosovarischer Spezialpolizei Dutzende Soldaten verletzt. Am 23. September lieferte sich eine Gruppe serbischer Paramilitärs unter der Führung von Milan Radojičić, bis dahin politischer Anführer der Serben in Kosovo, ein stundenlanges Feuergefecht mit der kosovarischen Polizei, bei dem drei Serben und ein kosovo-albanischer Polizist getötet wurden. Die Regierung in Pristina nimmt an, dass es sich bei dieser Gruppe um eine Vorhut von „grünen Männchen“ handelte, die das Ziel hatten, den Weg für ein offizielles Eingreifen der serbischen Armee zu ebnen. Serbien dagegen bestreitet dies und behauptet, die bewaffneten Serben hätten absolut eigenständig gehandelt. Laut serbischer Seite ist diese Eskalation allein auf die bedrohliche Situation für Serben in Nordkosovo zurückzuführen.

Radojičić und etwa 50 weitere Angreifer flohen unmittelbar nach dem Vorfall nach Serbien. Kosovo fordert die Auslieferung von Radojičić und hat die zunehmend repressiven Maßnahmen zur Zurückdrängung des serbischen Einflusses in Nordkosovo intensiviert. Die genauen Umstände des Vorfalls vom September 2023 sind für die Öffentlichkeit weiterhin unklar. Seit dem Vorfall hat sich Serbien im Verhältnis zu Kosovo überwiegend konstruktiv gezeigt. So erkannte Serbien in der Zwischenzeit unter anderem kosovarische Fahrzeugkennzeichen an, was das tägliche Leben auf beiden Seiten erleichtert.

 

Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen

Sowohl in Serbien als auch in Kosovo gibt es auf politischer Ebene kein ausreichendes Interesse an der nachhaltigen Lösung des Konflikts. Politische Kompromisse werden auf beiden Seiten als Schwäche verstanden. In beiden Gesellschaften gibt es keine stabile Mehrheit für eine Normalisierung der Beziehungen in dem Sinne, dass beide Seiten weitreichende Zugeständnisse machen müssten. Dies erschwert die internationalen Bemühungen.

Aufgrund ihrer Erfahrung mit den NATO-Angriffen ist die Mehrheit der serbischen Gesellschaft kritisch eingestellt gegenüber der NATO und den führenden westlichen Staaten. Kosovo fürchtet dagegen, mit Kompromissen seine staatliche Handlungsfähigkeit zu gefährden. Man betrachtet die bisherigen serbischen Institutionen in Kosovo, die Srpska Lista und eine künftige ASM als mögliche Brücken für eine serbische Invasion.

Zur Ablehnung der ASM wird in Kosovo immer wieder der Vergleich zur Republika Srpska, einer der beiden staatlichen Entitäten in Bosnien und Herzegowina, herangezogen. Jedoch wird in dieser Diskussion ausgeblendet, dass die Republika Srpska 49 Prozent des Territoriums von Bosnien und Herzegowina ausmacht. In Kosovo dagegen leben die Serben nur auf 15,6 Prozent des Territoriums. Zudem besitzt die Republika Srpska auf Grundlage des Dayton-Friedensabkommens (1995) weitreichendere exekutive Kompetenzen, als für die ASM vorgesehen sind. Auch die internationalen Partner EU und USA, die die Einrichtung der ASM fordern, sehen keine Parallelen zur Republika Srpska und fordern die Umsetzung des vertraglich Vereinbarten. Dennoch sind die Ängste in Kosovo, dass die ASM das Potenzial besitzt, Einfallstor für Separatismus und eine funktionale Lähmung des kosovarischen Staates zu sein, nicht nur politisch konstruierte Argumentationslinien.

Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine haben geopolitische Erwägungen eine neue Bedeutung erfahren. Serbien hat bei allen wesentlichen Abstimmungen in den Vereinten Nationen zur Verurteilung des Krieges im Sinne der Ukraine mitgestimmt. Dennoch beteiligt sich Belgrad wegen der eigenen Erfahrung mit Sanktionen und Embargos in den 1990er-Jahren nicht an den EU-Russland-Sanktionen. Kosovo dagegen trägt diese mit und hat seine Außenpolitik mit der EU harmonisiert. Trotz der weit verbreiteten These, dass Serbien außen- und sicherheitspolitisch nach Russland orientiert sei, hat sich Serbien als verlässlicher Unterstützer der Ukraine im militärischen Bereich erwiesen. Dadurch und aufgrund des konstruktiven Auftretens im Normalisierungsprozess erhielt Serbien auch weitere Unterstützung durch den Westen. Umgekehrt hält es Kosovo für ungerecht, dass die EU Serbien gegenüber verständnisvoll ist, das nach Ansicht Kosovos ein Verbündeter Putins in Europa ist.

Die Erwartungen an die neue Europäische Kommission sind hoch.

Wegen der kompromisslosen Haltung der linken und nationalistisch agierenden Regierung Kosovos unter Albin Kurti, die durch ständige unabgestimmte Vorstöße zur Verringerung des serbischen Einflusses in Nordkosovo auffiel, ist auch die Bewerbung Pristinas um die Aufnahme in den Europarat im Mai 2024 gescheitert. Je länger die Regierung unter Kurti diese Strategie verfolgt, desto weniger Vertrauen genießt sie bei den wichtigsten westlichen Partnern USA und Deutschland.

Umgekehrt ist die politische Führung in Belgrad davon überzeugt, dass Kosovo den Krieg in der Ukraine nutzt, um Fakten vor allem in Nordkosovo zu schaffen und den serbischen Einfluss dort zu minimieren. Wenn auch im gesamtstaatlichen Interesse nachvollziehbar, sind die kosovarischen Maßnahmen von zunehmender Repression gekennzeichnet, was etwa in der Errichtung neuer Polizeistationen zum Ausdruck kommt. Für Unverständnis sorgen Berichte, dass auf Grundstücken von Klöstern oder Friedhöfen Enteignungen stattgefunden haben, um dort Stützpunkte für die kosovarische Polizei zu errichten. Das schüchtert die serbische Bevölkerung vielerorts ein. Viele Handlungen der Regierung in Pristina sind für die Kosovo-Serben eine – umgekehrte – Wiederholung der gescheiterten gewaltvollen Politik gegen die Albaner in den Anfangsjahren von Slobodan Milošević. Die Regierung in Pristina dagegen sieht sich als Opfer serbischer Repressalien und möchte ihre Staatlichkeit auf dem gesamten Territorium gesichert wissen.

Beim EU-geführten Normalisierungsprozess gibt es eine große Erwartungshaltung gegenüber der neuen Europäischen Kommission. Aus Pristina gab es in der jüngsten Vergangenheit immer mehr Vorbehalte gegen Miroslav Lajčák, den Chefunterhändler der EU im Normalisierungsprozess, und den Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell. Beide waren die Hauptakteure für die westliche Mediation. Allerdings kommen beide aus EU-Mitgliedstaaten, die Kosovo bisher nicht anerkannt haben. Daher stellten Vertreter der kosovarischen Regierung immer wieder die Integrität beider Spitzendiplomaten infrage, was den Fortgang des Normalisierungsprozesses zusätzlich behinderte.

Dementsprechend gibt es die Erwartung, dass die neue Kommission neue Impulse geben wird, um die Gespräche wiederzubeleben. Es liegt in Brüssels vitalem Interesse, dem Dialog wieder mehr Bedeutung beizumessen und schnell Fortschritte zu erzielen. In diesem Zusammenhang blickte man in Serbien und Kosovo auch mit Spannung auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen. Wegen des Versuchs von Donald Trump, in seiner ersten Amtszeit einen Deal auszuhandeln, gibt es in Belgrad weitestgehend Hoffnung und in Pristina Sorge vor seiner nun bevorstehenden zweiten Amtszeit. Der Fortgang des bilateralen Verhältnisses zwischen Belgrad und Pristina wird zukünftig die regionale Zusammenarbeit auf dem westlichen Balkan stark beeinflussen. Wenn beide Seiten sich gegenseitig in regionalen Foren der Zusammenarbeit, wie dem Berliner Prozess, blockieren, dann wird die gesamte regionale Kooperation ausgehebelt.

Trotz vieler Rückschläge seit dem Beginn der Gespräche zwischen Serbien und Kosovo hat es zahlreiche Verbesserungen im Alltag der Menschen auf beiden Seiten gegeben. Belgrad und Pristina müssen Realitäten anerkennen, damit ein stabiler Frieden umgesetzt werden kann. Die Serben in Kosovo müssen akzeptieren, dass sie Teil der mehrheitlich albanisch-kosovarischen Gesellschaft sind und das Land kein Teil Serbiens mehr sein kann. Die politischen Entscheidungsträger in Kosovo wie auch die Mehrheit der Bevölkerung müssen ihrerseits ein ehrliches Interesse an einem Miteinander zeigen. Nur wenn Kosovo als multiethnisches Land realisiert wird, wird der Westbalkan insgesamt dauerhaft stabilisiert werden.

 


 

Jakov Devčić ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Serbien und Montenegro mit Sitz in Belgrad.

 


 

Daniel Braun ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Nordmazedonien und Kosovo mit Sitz in Skopje.

 


 

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