Länderberichte
Dabei war die allgemeine politische Stimmung am Jahreswechsel und im Januar 2003 durchaus positiv. Staatspräsident Alvaro Uribe, der am 7. August 2002 die Amtsgeschäfte übernommen hatte, war es in kurzer Zeit gelungen, der kolumbianischen Gesellschaft wieder Selbstvertrauen, Zuversicht und Hoffnung zu vermitteln.
Die Bevölkerung konnte erstmals – während der weihnachtlichen Sommerpause - wieder nach langer Zeit durch geschützte „Auto-Karawanen“ die Städte verlassen, über Land reisen und die Ferien wieder in den touristischen Zentren des Landes verbringen. Nach allgemeinen Schätzungen machten 18 Millionen Menschen von diesem Angebot Gebrauch, was etwa 40% der kolumbianischen Bevölkerung entspricht. Auch gab es Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung.
In Meinungsumfragen erreichte Uribe zu diesem Zeitpunkt eine Zustimmung von 70 – 75%. Trotz der spürbaren Erschöpfung durch den seit mehr als 40 Jahren existierenden gewaltsamen Konflikt und die vielfältigen Formen der Gewalt, durch die schwierige wirtschaftliche Lage und durch die zunehmende Armut schien Kolumbien wieder mit mehr Optimismus in die Zukunft zu blicken.
Heute – im März 2003 – sieht das Panorama nicht mehr so positiv aus. Dazu hat vor allem der Anschlag auf den Club „El Nogal“ am 7. Februar 2003 beigetragen. Dieser Anschlag, der von langer Hand – die Untersuchungen deuten auf einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten hin – vorbereitet wurde, hat dem Land einen spürbaren Schock versetzt; denn damit wurde die Gesellschaft Kolumbiens an einem besonders sensiblen Punkt getroffen, weil sich dort die Elite Kolumbiens zu gesellschaftlichen Anlässen, politischen und wirtschaftlichen Versammlungen sowie zu sportlichen Aktivitäten traf.
Vor allem die psychologischen Wirkungen des Anschlags an diesem symbolträchtigen Ort sind beträchtlich, weil er Zweifel an den Erfolgschancen der Politik von Staatspräsident Uribe nährt und möglicherweise mittelfristig zu einer „Spaltung“ innerhalb der Elite des Landes zwischen Befürwortern der Politik der Stärkung der Sicherheit und Befürwortern von Friedensgesprächen mit der Guerrilla führen kann
Die FARC haben - zwar in ungewöhnlicher Form – am 9. März 2003 die Urheberschaft für diesen Fall abgelehnt. Aber die Indizien – vor allem die Verbindungen des Hauptverdächtigen, John Freddy Arrellan, der selbst bei dem Attentat ums Leben kam – deuten auf die Verantwortlichkeit dieser Guerrillagruppe hin. Warum dann das Dementi? Die Erklärung der FARC wird vor allem auf zwei Faktoren zurückgeführt: Zum einen haben die Dimensionen und die Methodik dieses terroristischen Anschlags die Weltöffentlichkeit in besonderer Weise „sensibilisiert“ und die FARC international in Misskredit gebracht. Zum anderen dürfte es zu internen Diskussionen über diese Form des Kampfes gekommen sein, die möglicherweise auch interne Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen der FARC offenbaren.
Weitere Anschläge und Attacken - so u.a. in Neiva, wo 16 Menschen am 14. Februar 2003 getötet wurden, die Explosion einer Autobombe in einem Einkaufszentrum in Cúcuta am 5. März 2003 und der Anschlag auf den Metro-Bus in Bogotá am 11. März 2003 - haben die Fähigkeit der FARC unterstrichen, Politik und Wirtschaft Kolumbiens entscheidend schwächen zu können, wann und wo immer sie es wollen.
Durchgreifende Erfolge, was die Bekämpfung der Guerrilla betrifft, sind bisher nicht zu verzeichnen, konnten aber auch nicht in so kurzer Zeit erwartet werden, so dass der vorsichtige Optimismus der Jahreswende inzwischen weitgehend verflogen ist und ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit bzw. bzw. der Verunsicherung wieder verstärkt zu spüren ist. Dazu trägt auch der Abschuss eines Inspektionsflugzeugs am 13. Februar 2003 bei, was die Gefangennahme von 3 Mitgliedern der US-Armee, welche sich in diesem Flugzeug befanden, zur Folge hatte und der FARC in der öffentlichen Wahrnehmung einen „psychologischen“ Vorteil verschaffte.
Als Reaktion – im weiteren Sinne – auf den Anschlag vom 7. Februar 2003 schlossen die politischen Parteien am 17. März 2003 einen sog. Anti-Terror-Pakt – den „Acuerdo contra el terrorismo, por la vida y por las libertades“. Dieser Pakt wurde von der Liberalen Partei, der Konservativen Partei und dem “Polo Democrático“ sowie von unabhängigen Parlamentariern unterschrieben.
Auch wenn es sich in erster Linie um einen symbolischen Schulterschluss handelt, ist es doch ein wichtiges Zeichen an Politik und Gesellschaft, dass die politischen Kräfte in Kolumbien bereit sind, die Demokratie gegen Terror und Gewalt zu verteidigen. Wie weit der Konsens reicht, wird sich bei der Beratung des „Statuto Antiterrorista“ zeigen, das in den nächsten Wochen auf der politischen Tagsordnung stehen wird.
Kommt die Regierungspolitik ins Stocken?
Einen schweren Verlust für Staatspräsident Uribe – und sicher auch für das ganze Land – stellt der Tod des Arbeits- und Sozialministers Juan Luis Londoño de la Cuesta dar, der am 6. Februar 2003 bei einem Flugzeugunglück verstarb. Damit hat Uribe nicht nur einen persönlichen Freund, sondern auch einen der wichtigsten politischen Mitarbeiter verloren, der zudem das für die Entwicklung des Landes schwierigste und vielleicht auch wichtigste Ressort verwaltete.
Auch das Kabinett machte in letzter Zeit nicht immer einen geschlossenen Eindruck. So kommt das Projekt „Referendum zur politischen Reform“ nur schleppend voran, in welchem Staatspräsident Uribe 18 Fragen, die sowohl verfassungsändernde Bestimmungen als auch grundsätzliche politische Entscheidungen beinhalten, der Wählerschaft zur Abstimmung vorlegen will.
Unklar ist der Zeitpunkt des Referendums, unklar ist seine Finanzierung, unklar ist auch, ob nicht das gesamte Projekt an verfassungsrechtlichen Einwänden der „Corte Constitucional“, die derzeit über das Referendum berät, scheitern wird. Darüber hinaus stiftet Verwirrung, dass gleichzeitig in beiden Kammern des kolumbianischen Parlaments ein Projekt zur politischen Reform beraten wird, das z.T. in wesentlichen Punkten mit dem o.a. Referendum übereinstimmt. Ursprünglich sollte das Referendum noch im Jahr 2002 durchgeführt werden, aufgrund von Verzögerungen bei der Beratung und der Verabschiedung dieses Projektes kam es dann zu der „Überschneidung“ beider Reformvorhaben.
So hat sich der Innenminister durch öffentliche Kritik an den Staatschefs von Venezuela und Brasilien derart weitvorgewagt, dass er vom Staatspräsident Uribe öffentlich gerügt wurde. So kam es zwischen der Verteidigungsministerin Martha Lucía Ramírez und dem Chef der Luftstreitkräfte Kolumbiens, General Velasco, zu einer öffentlichen Kontroverse über die Schenkung von 8 Mirage-Flugzeugen an Kolumbien durch Spanien. Über dieses Thema kam es dann zu einer heftigen innenpolitischen Debatte. Inzwischen ist bekannt geworden, dass Spanien die Schenkung zurückgezogen hat.
All diese Vorgänge haben auch Zweifel an der Führungsstärke der Regierung aufkommen lassen und Kritik am Führungsstil des Staatspräsidenten Uribe ausgelöst. Festzuhalten bleibt aber zum einen, dass er weiterhin über ein hohes Maß an persönlichem Ansehen und politischer Anerkennung verfügt, weil die Bevölkerung es schätzt, dass er die Zügel der Regierungspolitik fest in seinen Händen hält. Zum anderen gehört zweifellos zu den positiven Zeichen, dass es bisher keine Korruptionsvorwürfe gegen Minister der Regierung Uribe bzw. Angehörige seiner Administration gibt.
Erfolge in der Drogenbekämpfung?
Am 17. März 2003 stellte das Büro der Vereinten Nationen zur Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNDCP) seinen Jahresbericht vor und stellt fest, dass in Kolumbien die Fläche des Coca-Anbaus um 30% geschrumpft sei, und zwar von 144 807 ha im Jahre 2001 auf 102 071 ha im Jahre 2002.
Dieser Erfolg wird vor allem den – allerdings kontrovers beurteilten – massiven Besprühungsaktionen aus der Luft zugute geschrieben, in geringerem Umfang dem Anbau alternativer Produkte.
Obwohl dieser Erfolg spektakulär ist, ist doch zu bedenken, dass es sicher generell einen spürbaren Rückgang der Drogen-Anbaufläche – vor allem in den bisher größten Anbaugebieten, den „departamentos“ von Putumayo und Caquetá - gegeben hat, es aber andererseits offensichtlich zu „Ausweicheffekten“ gekommen ist; d.h. es gibt andere „departamentos“, in denen die Anbaufläche zugenommen hat. Außerdem scheint es auch Änderungen in der Anbaumethode insofern zu geben, als dass die Coca nun „kleinflächiger“ gepflanzt wird bzw. unter dem Schutz von Bäumen oder in Kombination mit anderen Pflanzen, um sowohl die Entdeckung dieser Pflanzungen zu erschweren als auch um Besprühungsaktionen unmöglich zu machen.
„Ausweicheffekte“ sind aber auch außerhalb Kolumbiens festzustellen. So haben Satellitenaufnahmen herausgefunden, dass verstärkt Coca in Venezuela und Ecuador – jeweils im Grenzgebiet zu Kolumbien – angebaut wird. Außerdem ist im gleichen Zeitraum die Produktion in Bolivien um 20% gestiegen.
Vor allem aus zwei Gründen dürfte die Drogenproblematik in Kolumbien in kurzer Zeit nicht zu lösen sein: Zum einen finanzieren sich die Guerrillagruppen wie die Paramilitärs zu einem beträchtlichen Teil aus dem Drogenhandel. Zum anderen kann das Problem allein durch eine Reduzierung der „Angebotseite“ nicht gelöst werden, solange der hohe Konsum - vor allem in den Industrieländern – den Anbau und den Vertrieb wirtschaftlich attraktiv macht. Es muss also auch Änderungen und Maßnahmen auf der „Nachfrageseite“ geben. Aufgrund dieser internationalen Verflechtung kann Kolumbien allein diese Aufgabe nicht lösen.
Ein regionaler Sicherheitsgipfel
Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ist mittlerweile ein regionaler Konflikt geworden. Aus diesem Grunde fand in Bogotá am 12. März 2003 ein regionaler Sicherheitsgipfel statt. Zum Abschluss unterzeichneten die Außenminister Venezuelas, Ecuadors, Perus, Brasiliens, Boliviens und Kolumbiens eine Absichterklärung über die verstärkte Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, vor allem was den Austausch von Informationen, gemeinsame Anstrengungen gegen den illegalen grenzüberschreitenden Handel mit Menschen, Drogen und Waffen sowie generell die Bekämpfung des Terrorismus angeht.
Bekannt geworden sind in diesen Tagen zudem Nachrichten über Rückzugsgebiete, medizinische Behandlung, Ausbildungslager der Guerrilla in den Nachbarländern – vor allem in Venezuela -, die zum Teil heftige diplomatische Meinungsverschiedenheiten ausgelöst haben. Um so wichtiger war daher dieser regionale Sicherheitsgipfel, der hoffentlich den Beginn einer konstruktiven regionalen Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen darstellt.
Zur Menschenrechtssituation
Am 18. März 2003 veröffentlichte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Kolumbien seinen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Kolumbien im Jahre 2002.
Gegenüber 2001 wird eine Verrohung des Konflikts vor allem durch unakzeptable Methoden der FARC, der ELN und der Paramilitärs, eine Verschlimmerung der internen Vertreibungen sowie eine gewisse Unentschiedenheit des Staates im Kampf gegen die Paramilitärs konstatiert. Der Bericht endet mit 27 konkreten und prioritären Empfehlungen, die der Verbesserung der Lage der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts in Kolumbien dienen.
Außerdem stellten sie eine Zunahme der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien fest, nachdem der Staat seine Politik der „seguridad democrática“ verkündet und den internen Notstand ausgerufen hat. In diesem Zusammenhang wurden zwei Gebiete – 3 municipios in Arauca und 26 municipios in Sucre/Bolivar - zu „zonas de rehabilitación“ erklärt, in denen bürgerliche Freiheiten z.T. eingeschränkt sind und den Sicherheitskräften besondere Vollmachten übertragen wurden.
In diesen Zonen spitzen sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den illegalen bewaffneten Gruppen zu, so dass „zwangsläufig“ Zivilisten zu den Leidtragenden dieses Konfliktes werden. Aus Arauca mussten z.B. 16 Journalisten nach Bogotá sich in Sicherheit bringen, nachdem sie Todesdrohungen erhalten haben.
In seinem Bericht, den der Vize-Präsident Francisco Santos während einer Sitzung des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen in Genf präsentierte, hielt die Regierung dem entgegen, das es in den letzten 6 Monaten zu einer Verringerung der Menschenrechtsverletzungen gekommen sei, was Mord, Massaker, Entführung und interne Vertreibungen angehe.
Die Differenzen beider Berichte mögen z.T. auch auf unterschiedliche Berichtszeiträume und unterschiedliche Untersuchungsmethoden zurückzuführen sein. Auf der anderen Seite ist von einer Zuspitzung des internen bewaffneten Konfliktes in Kolumbien auszugehen, was letztlich auch einen Anstieg der Opfer der Gewalt in ihren vielfältigen Formen mit sich bringt.
Die Regierung selbst übernimmt aber große Anstrengungen, die Achtung der Menschenrechte durchzusetzen und Menschenrechtsverletzungen zu verfolgen, Staatspräsident Uribe selbst hat den Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte gebeten, bis zum Ende seiner Amtszeit ein Büro in Kolumbien zu unterhalten. In der „Vice-Presidencia“ wurde außerdem eigens eine neue Abteilung zur Beobachtung der Menscherechte in Kolumbien eingerichtet.
Staatspräsident Uribe hat den Bericht als positiv gewürdigt und zugesagt, den 27 Empfehlungen Folge zu leisten.
Ausblick
Der Konflikt in Kolumbien spitzt sich zu, vor allem deshalb, weil der Staat in zunehmenden Masse willens und in der Lage ist, den Guerrilla-Verbänden und den Paramilitärs entgegenzutreten. Darauf wieder um reagiert die Guerrilla und ändert ihre Strategie, indem sie versucht, den Konflikt in die Städte zu tragen und durch die erwähnte „Verrohung“ der Konfliktführung, wozu terroristische Anschläge, der Einsatz von Anti-Personen-Minen, Entführungen etc. gehören, die Bevölkerung weiter einzuschüchtern.
Der FARC geht es offenbar einzig darum, die politische Macht zu erobern, „um Kolumbien dann mit dem Volk zu regieren“, wie Raúl Reyes, einer der Sprecher der FARC in einem Interview, veröffentlicht in der Zeitung „El Tiempo“ am 22. März 2003, betonte. Nach eigenen Angaben glauben die FARC, auf die Unterstützung von 70% der kolumbianischen Bevölkerung zählen zu können, wogegen sie in repräsentativen Meinungsumfragen allerdings höchste Werte von Ablehnung und Unpopularität erzielen.
Solange sie allerdings auf sichere Einnahmen – ca. 60% ihrer Einnahmen kommen nach offiziellen Angaben aus dem Drogenhandel – zählen, dürfte es schwer sein, sie entscheidend schwächen zu können.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Erfolge der Regierung im Kampf gegen die Guerrilla, die vielleic ht noch nicht insgesamt in´s Gewicht fallen, aber durchaus die Guerilla – wie ihre Reaktionen zeigen – empfindlich reffen. Ein Indiz ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, dass die ELN – möglicherweise auf Druck der FARC, möglicherweise aufgrund eigener militärischer Schwäche – eine gemeinsame Politik mit den FARC sucht und beide Guerrilla-Organisationen ihre militärischen Aktionen zu koordinieren beginnen.
Eine Zuspitzung ist schließlich auch deshalb zu erwarten, weil Gespräche – noch nicht Verhandlungen – mit Teilen der Paramilitärs über eine Waffenruhe und ein Ende der gewaltsamen Akte begonnen haben. Auch aus diesem Grunde können sich FARC und ELN einem besonderen politischen Druck ausgesetzt fühlen.
Nach wie vor ist die Unterstützung für Staatspräsident Uribe sehr hoch, seine Führungsqualitäten sind – trotz der Kritik am Referendum – immer noch überwiegend anerkannt. Als vorbildlich gilt sein unermüdlicher Arbeitseinsatz. Die politische Zukunft Kolumbiens wird entscheidend davon abhängen, ob es ihm gelingt, gleichzeitig mehr Sicherheit zu erreichen, die wirtschaftliche Erholung herbeizuführen und die soziale Frage in Kolumbien zu entschärfen.