Energie im Wandel
Die Energielandschaft Griechenlands erlebt in den letzten Jahren eine Metamorphose: Hellas war bisher stark von Energieimporten abhängig. Mit Ausnahme der einzigen bisher in Förderung befindlichen Lagerstätte von Erdöl und Erdgas in der Nähe der Insel Thassos in der Nordägäis, die aber nur einen minimalen Anteil des Gebrauchs deckt, stellen Rohöl, Erdölprodukte und Erdgas mehr als 20% aller Importe dar. Die Stromversorgung wurde bis 2019 von der Braunkohle geprägt. Mit einem Anteil von mehr als 30% gehörte Griechenland dadurch zu den Schlusslichtern bei der Umsetzung von umweltfreundlichen Alternativen: die Entwicklung der erneuerbaren Energieressourcen konnte, trotz der komparativen Vorteile Griechenlands (günstige Bedingungen bei Sonne und Wind), als eher zurückhaltend beschrieben werden.
Seit 2019 allerdings verfolgt die Regierung unter Führung der Nea Dimokratia (EVP) eine neue, ambitionierte Umweltpolitik: beim UN-Klimagipfel im Jahre 2019 erklärte Premierminister Mitsotakis, dass „der Anteil der erneuerbaren Energieressourcen am gesamten Bedarf bis 2030 auf 35% steigen sollte“ – ein deutlicher Fortschritt von den damaligen 15%. Zudem setzte er das Ziel, „bis 2028 alle –inzwischen immer mehr unrentablen und kostspieligen - Braunkohlkraftwerke außer Kraft zu setzen“. Griechenland übernimmt mittlerweile auch auf internationaler Ebene eine regionale Führungsrolle zum Thema Umweltschutz: auf Einladung des griechischen Premiers unterschrieben im September 2021 die Staats- und Regierungschefs von neun südlichen EU-Mitgliedern die „Athener Deklaration zum Klimawandel und zur Umwelt im Mittelmeerraum“; eine Erklärung zur Erinnerung an die Versprechen zur Förderung von umweltfreundlichen Maßnahmen und zur Stärkung der Kooperation unter den Nachbarn im Mittelmeer. Griechenland entwickelt sich zu einem Vorreiter und einer Führungsnation in Fragen des Umweltschutzes und der Erschließung erneuerbarer Energien.
EastMed: Die Schätze im Meeresboden und die schwierige Aufteilung der Gewinne
Als Östliches Mittelmeer wird gemeinhin ungefähr die Hälfte des Mittelmeers östlich von Libyen und Italien bis zu den Küsten des Nahen Ostens (Levantinisches Meer) bezeichnet. Es ist eine der Wiegen der menschlichen Zivilisation und weltweit für seine reiche und „turbulente“ Geschichte bekannt. Eine Region die von unterschiedlichen Kulturen und Religionen, seinen idyllischen Stränden sowie vom milden Wetter und dem guten Essen geprägt ist.
Hinzu kam in den letzten Jahren die wirtschaftliche Bedeutung dieser Region, die sich zu einer Energiedrehscheibe von europäischer und globaler Bedeutung entwickelt hat. Seit der Entdeckung des Tamar-Gasfeldes durch Israel im Jahr 2009 konkurrieren mehrere Länder der Region um die Entdeckung und Ausbeutung ihrer auf dem Meeresboden verborgenen Bodenschätze (vor allem Israel, Ägypten und die Republik Zypern).
Entscheidend für die Erkundung, Entdeckung, Ausbeutung und den Transport von Bodenschätzen nach Europa sowie in andere Regionen ist die Festlegung von ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) zwischen den Staaten der Region im EastMed. Diese bilden die Grundlage für die Zuständigkeiten für die Exploration und die anschließende wirtschaftliche Ausbeutung. Die Republik Zypern hat sich für den Abschluss von Abkommen mit Ägypten (2003) und Israel (2010) eingesetzt. Vorausgegangen war ein Abkommen mit dem Libanon (2007), das aber vom Beiruter Parlament aufgrund von Einwänden gegen das Abkommen zwischen Nikosia und Tel Aviv nie ratifiziert worden ist. Nach der jüngsten historischen Einigung zwischen Israel und Libanon (Oktober 2022) über die Abgrenzung ihrer AWZ, die den Weg für die Ausbeutung des wichtigen Karish-Feldes zwischen den beiden Ländern ebnet, steht einer Beilegung der Frage zwischen Zypern und Libanon nichts mehr entgegen (allerdings unter Berücksichtigung der vom Letzteren geforderten vorherigen Vereinbarung mit Syrien). Und genau hier hören die Vereinbarungen auf und beginnen die Probleme:
Die größte Herausforderung bei der Energiegewinnung im östlichen Mittelmeer stellt die Zypernfrage dar. Nach der türkischen Invasion im Jahr 1974 und der Besetzung von einem Drittel der Insel seither erschweren die fehlende Anerkennung der Republik Zypern durch die Türkei und das Scheitern aller Friedensgespräche über die Wiedervereinigung der großen Insel im östlichen Mittelmeer die Umsetzung der vorgeschlagenen Projekte zur Ausbeutung und Lieferung dieser Ressourcen nach Europa. Eine Einigung zwischen den beiden Seiten und der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft im Norden der Insel sieht bisher unmöglich aus. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob der neu gewählte Nikos Christodoulidis hier einen Prozess der Annäherung anstoßen kann. Ein zweites großes Hindernis sind die griechisch-türkischen Beziehungen. Die Ansichten der beiden Länder zur Festlegung von AWZ gehen völlig auseinander, wobei die Türkei einen Ausgleich durch eine Reihe anderer Themen anstrebt (die Türkei versucht, andere Themen an den Verhandlungstisch zu bringen, die Griechenland ablehnt, wie zum Beispiel die Meeresgrenzen, die Entmilitarisierung von Inseln usw.). Die Tatsache, dass die Türkei dem Internationalen Seerechtsübereinkommen (UNCLOS 1982) nicht beigetreten ist, erschwert die Situation zusätzlich.
Daraus ergibt sich u.a. die Libyen-Problematik mit der Definition der See- und AWZ-Grenzen: Im November 2019 unterzeichnete die Türkei mit der libyschen Regierung der nationalen Übereinkunft (Sitz in Tripolis), ein Memorandum zur Festlegung ihrer AWZ; die Umsetzung dieser Vereinbarung würde die Region in Brand setzen. Zum einen, weil dieses (unter Verletzung des Seerechtsübereinkommens UNCLOS von 1982) den völkerrechtlichen Einfluss von großen griechischen Inseln wie Kreta und Rhodos im Wesentlichen ignorierte (was natürlich von der Türkei vorangetrieben wird, die, wie bereits erwähnt, das UNCLOS nicht unterzeichnet und ratifiziert hat, während Libyen das Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hat). Andererseits, ist die libysche Übergangsregierung nicht befugt, solche internationale Übereinkommen zu schließen. Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel sowie ein großer Teil der internationalen Gemeinschaft (EU, USA, Deutschland usw.) haben sowohl rechtliche als auch politische Einwände erhoben. Neun Monate später (Oktober 2020) unterzeichneten Griechenland und Ägypten ein Abkommen über die gegenseitige (teilweise) Abgrenzung ihrer AWZ, wodurch die Vereinbarung zwischen der Türkei und Libyen praktisch in Frage gestellt wurde. Kurz davor (im Juni 2020) unterzeichnete Griechenland ein Abkommen zur Abgrenzung der AWZ mit Italien; somit wurde ein weiteres Puzzleteil zur juristischen Absicherung der Rechte der östlichen Mittelmeeranrainerstaaten hinzugefügt. Schließlich ist die politische Einigung zwischen Griechenland und Albanien über die gemeinsame Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag in der Frage der Abgrenzung ihrer AWZ erwähnenswert. Die Unterzeichnung der entsprechenden Erklärung (vertraglichen Vereinbarung) steht jedoch noch aus.
In diesem komplexen und sich ständig weiterentwickelnden diplomatischen Umfeld wurde das Projekt der EastMed-Gaspipeline entwickelt. Dieses Projekt war das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Griechenland, der Republik Zypern und Israel und zielte darauf ab, Erdgas aus den Feldern Leviathan (Israel) und Aphrodite (Zypern) über Kreta, das griechische Festland und Italien (über den Anschluss an die Pipelines Poseidon und IGB) nach Europa zu transportieren. Es handelt sich um ein enormes Projekt mit großen technischen Herausforderungen (ein Großteil der 2,000 km langen Strecke liegt in einem Gebiet mit großer
Meerestiefe und schwierigen geologischen Verhältnissen) und einem hohen Kostenumfang von über 6 Milliarden Euro. Die EastMed-Pipeline würde den europäischen Markt mit 10 Milliarden Kubikmetern Erdgas versorgen können. Das Abkommen zwischen den drei Ländern wurde im Januar 2020 unterzeichnet, doch das Projekt stößt auf erhebliche Schwierigkeiten: Wie bereits erwähnt handelt es sich um ein technisches Projekt, das sehr kostspielig ist. Der Bau schließt zudem die Türkei praktisch aus, während Einbeziehung der Republik Zypern das ungelöste Zypern-Problem in die Gleichung einbringt. Die Türkei hat mehrfach ihre Einwände gegen dieses Projekt geäußert (es sei daran erinnert, dass das türkisch-libysche Memorandum zu einer Zeit unterzeichnet worden ist, als die EastMed-Pläne entwickelt wurden). Gleichzeitig fungiert die Türkei über die Transanatolische Erdgaspipeline (TANAP) und die Turkstream als Energie- Drehscheibe für die Region. Erschwerend kommt hinzu, dass Berichten zufolge die USA ihre ursprüngliche Unterstützung für dieses Projekt Anfang 2022 unter Berufung auf Umweltschutzgründe zurückgezogen haben. Als wesentlicher Grund für diese Entscheidung kann jedoch der Ausschluss der Türkei von diesem Projekt und die hohen wirtschaftlichen Risiken angesehen werden.
Und dann kam der der Krieg in der Ukraine
Und dann kam der Krieg zurück nach Europa. Der russische Angriff auf die Ukraine bringt nicht nur Tod, Elend, Zerstörung und wirtschaftliche Verwüstung mit sich, sondern stellt auch eine grundlegende Herausforderung für die EU in Bezug auf die Energieversorgung und -sicherheit dar. Die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, musste rasch beendet werden. Trotz der unterschiedlichen Energiemodelle in den EU-Mitgliedstaaten kann die Notwendigkeit, sich von Russland abzukoppeln und die für die europäische Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft erforderlichen Ressourcen aus anderen Ländern zu beschaffen, als eine Gelegenheit angesehen werden. Denn nun können Projekte verwirklicht werden, die bisher unrealistisch erschienen. In diesem Zusammenhang ist die Debatte über die Bedeutung der EastMed-Pipeline bereits wieder aufgegriffen worden. Trotz ernsthafter Bedenken und Zweifel hinsichtlich der technischen Herausforderungen rund um EastMed könnte das Projekt eine Alternative darstellen, die nicht völlig vom Tisch ist. Natürlich werden auch die Ziele der EU, den Anteil fossiler Energieträger am Energiemix schrittweise zu verringern, nicht außer Acht gelassen. Denn EastMed könnte dazu beitragen, Europa mit entscheidenden Energiemengen zu versorgen. Um EastMed als realistischen Plan aufrechtzuerhalten, sind bereits Gespräche über eine Änderung der Pipelinestrecke im Gange: Die ägyptische Seite hat Berichten zufolge bereits ab 2021 Griechenland vorgeschlagen, Zypern zu umgehen und das Erdgas aus Israel auf dem Landweg nach Ägypten und von dort nach Kreta zu leiten. Realistischer ist jedoch die Aussicht auf die Entwicklung von LNG-Terminals, über die Europa aus den Vorkommen im östlichen Mittelmeer (Zypern/Israel) versorgt wird.
Die entscheidende Rolle Griechenlands
In diesem sich rasch verändernden Umfeld möchte sich Griechenland zu einem wichtigen Knotenpunkt für die Energieversorgung und -sicherheit Europas entwickeln und dabei unter anderem von der politischen und wirtschaftlichen Stabilität der letzten Jahre profitieren. Mit diesem Ziel vor Augen hat sie eine Reihe von politischen Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eingeleitet:
Die Ambitionen Griechenlands, eine Energiedrehscheibe zu werden, entwickeln sich zunächst im Stromsektor. Denn die Sicherstellung stabiler Strommengen aus erneuerbaren und umweltfreundlichen Quellen aus Nordafrika und dem Nahen Osten wird erheblich zu Europas Energiesicherheit beitragen, insbesondere in Schlüsselsektoren der Wirtschaft wie der Industrie. Griechenland verfügt bereits über aktive Verbindungen mit den Netzen aller Nachbarländer und Italiens. Künftig werden neue Verbindungen entwickelt, die den Stromfluss zwischen den Ländern vervielfachen würden. Ein neuer Anschluss zum bulgarischen Netz ist bereits im Bau, während neue Netze nach Italien, Albanien und in die Türkei sowie nach Nordmazedonien in Erwägung gezogen werden. Doch damit nicht genug: Die Pläne sehen auch den Transfer von Strom aus erneuerbaren Energien aus Nordafrika und dem Nahen Osten nach Europa vor -insbesondere nach Österreich und Deutschland - wie vom griechischen Energieminister Kostas Skrekas angekündigt. Wie der griechische Minister für Entwicklung und Investitionen, Adonis Georgiadis, erklärte, sind vor allem deutsche Unternehmen sehr daran interessiert, in Griechenland in den Bereich der erneuerbaren Energien zu investieren.
Die Verwirklichung dieses Ziels wird durch zwei Verbindungen gefördert: den EuroAsia Interconnector (Griechenland-Zypern-Israel) und das GREGY-Kabel (Griechenland-Ägypten).
Der EuroAsia Interconnector ist ein technisches Großprojekt zur Verlegung eines mehr als 1,200 km langen Stromkabels von Israel über Zypern nach Griechenland (Kreta). Es handelt sich um ein wichtiges Projekt von gemeinsamem Europäischen Interesse (PCI), das nach seiner Fertigstellung bis zu 2,000 MW transportieren könnte. Das starke europäische Interesse zeigt sich auch in der beträchtlichen finanziellen Unterstützung für das Projekt: 657 Millionen Euro wurden über die Fazilität "Connecting Europe" (CEF) und weitere 100 Millionen Euro über den Aufbau- und Resilienzfonds bereitgestellt. Die feierliche Eröffnung der Bauarbeiten fand im Oktober 2022 in Nikosia statt; das Projekt soll bis 2026 abgeschlossen sein. Die Fertigstellung des Projekts wird neben den sehr wichtigen Auswirkungen auf die Umwelt auch die geopolitische Bedeutung aller beteiligten Länder erheblich steigern. Gleichzeitig wird Zypern zum ersten Mal mit ausländischen Netzen verbunden, wodurch die Energieversorgung und -sicherheit des Landes gewährleistet wird.
Das GREGY-Projekt befindet sich noch in der Planungsphase. Es ist vorgesehen, ein fast 1000 km langes Kabel von Ägypten nach Kreta zu verlegen, das bis zu 3000 MW "grüne Energie" aus erneuerbaren Quellen transportieren kann.
Dies hätte sowohl Griechenland als auch Europa großes Potential. Gleichzeitig würden die Souveränitätsrechte Griechenlands und Ägyptens auf der Grundlage ihrer Vereinbarung über die Definition ihrer AWZ weiter gefestigt.
Hauptziel der griechischen Regierung ist jedoch auch die Förderung von Plänen zur Erkundung und Ausbeutung der Erdgas- und Erdölvorkommen im eigenen Land. Nach dem Beginn des Prozesses vor etwa 15 Jahren und einer Periode von Untätigkeit zwischen 2014 und 2019 hat die Regierung der Nea Demokratia (EVP) die Genehmigungs- und Explorationsverfahren in den Gebieten Westgriechenland/Ionisches Meer und südlich von Kreta dynamisch vorangetrieben. Obwohl es keine gesicherten Daten gibt, werden die Erdgasreserven im griechischen Gebiet nach bescheidenen Schätzungen auf 600 Milliarden bis 2 Billionen Kubikmeter geschätzt. Der Jahresverbrauch Griechenlands liegt bei etwa 5 Milliarden Kubikmeter, während der Verbrauch der EU im Jahr 2021 ungefähr 400 Milliarden erreicht hat. Die Erkundungsmissionen von großen internationalen Unternehmen (Exxon Mobil, Chevron) haben bereits begonnen: Wenn die Verfahren ohne Probleme verlaufen, könnte die kommerzielle Nutzung 2027/2028 beginnen. Die Gewinne für Griechenland und Europa insgesamt wären immens.
Griechenland investiert nun massiv in den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und die Stärkung ihrer Rolle im Energiemix des Landes. Nach offiziellen Angaben der staatlichen Netzverwaltungsbehörde (ADMIE) erreichte im Zeitraum Januar-Oktober 2022 der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieerzeugung 47,1 % und übertraf damit den der fossilen Brennstoffe. Im Oktober 2022 wurde das Land fünf Stunden am Stück nur mit erneuerbaren Energiequellen mit Strom versorgt; ein historischer Tag. Der Krieg in der Ukraine hat jedoch die ehrgeizigen Ziele des griechischen Staates für die Abkopplung von fossilen Energieträgern erheblich beeinträchtigt und eine teilweise Rückkehr zur Braunkohle eingeleitet: Die Regierung beschloss, die Laufzeit von Braunkohlekraftwerken, die 2023 aus dem Netz genommen werden sollten, bis 2025 zu verlängern; ein großes 660-MW-Kraftwerk, das mit Erdgas betrieben werden sollte, nahm im November 2022 den Betrieb mit Braunkohle auf. Erstmals wird auch auf die Nutzung bisher vernachlässigter Energiequellen gesetzt: Kürzlich kündigte die Regierung einen Rahmen für die Nutzung der geothermischen Energie an. Den Angaben zufolge könnte ein einziges geothermisches Feld auf der Insel Milos den Energiebedarf der Hälfte der Kykladeninseln decken.
Der Krieg in der Ukraine hat sicherlich Auswirkungen auf die Energiepolitik Griechenlands, das sich bemüht, seine Abhängigkeit von Russland zu verringern. Vor Beginn des Krieges lag Griechenland bei der Abhängigkeit von Russland im EU-Durchschnitt (ca. 40 %), zwischen Januar und November 2022 sank dieser Wert auf unter 15 %.
Griechenland ersetzt russische Energie auf dem Balkan
Die Frage der anfänglichen Lagerung von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Drittländern und des anschließenden Transports in die Balkanländer und in die EU wird auch für Griechenland zu einer Priorität. Die einzige LNG-Speicherstation Griechenlands auf der Insel Revithoussa im Saronischen Golf in der Nähe von Athen hat in den letzten Monaten intensiv gearbeitet. Die Ankünfte von LNG-Ladungen sind im Vergleich zu 2021 um 70 % gestiegen. Gleichzeitig wurde die Kapazität der Station kürzlich durch den Einbau einer mobilen Lagerstation von 225.000 auf 360.000 Kubikmeter erhöht. Neben Revithoussa entwickelt sich die Hafenstadt Alexandroupolis nahe der Grenze zur Türkei und der Dardanellen zu einem strategisch wichtigen Energie-Hub. Im Mai 2022 erklärte Ministerpräsident Mitsotakis in Anwesenheit von EU-Ratspräsident Charles Michel sowie der Staats- und Regierungschefs von Serbien, Nordmazedonien und Bulgarien (das sich ebenfalls finanziell an dem Projekt beteiligt) den Beginn der Arbeiten für den Bau eines schwimmenden LNG-Terminals. Das Projekt, dessen Fertigstellung für 2023 geplant ist, gilt als entscheidend für die Gasversorgung nicht nur des heimischen Marktes, sondern auch der nördlichen Nachbarländer Griechenlands bis hin zur Moldau und der Ukraine selbst. Die Anwesenheit von mehreren Staats- und Regierungschefs in Alexandroupolis ist ein Zeichen dafür, dass sowohl die Balkanrepubliken als auch die EU als Ganzes diesem Projekt als Mittel zur Abkopplung von Russland verpflichtet sind.
Für einen Mehrwert in Alexandroupolis sorgt auch ein neues Gaskraftwerk, dessen Bau von der griechischen Regierung im Januar 2023 eingeweiht wurde. Dieses neue Kraftwerk mit einer Leistung von 840 MW, an dem die staatliche Elektrizitätsgesellschaft DEI zu 51 % beteiligt ist, wird sowohl Griechenland als auch Bulgarien, Serbien und Nordmazedonien versorgen.
Griechenland entwickelt sich somit zu einem dominanten Energieakteur in Südosteuropa, was zur Vertiefung der Beziehungen Griechenlands zu seinen nördlichen Nachbarn beitragen wird. So war beispielsweise beim Treffen der Regierungschefs Griechenlands und Nordmazedoniens, Mitsotakis und Kovaczewski, im September 2022 die Zusammenarbeit im Energiebereich das Hauptthema der Gespräche. Die Notwendigkeit, Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden, kann potenziell zur allgemeinen Konvergenz zwischen den beiden Ländern beitragen. Die Zusammenarbeit zwischen Griechenland und Bulgarien, Rumänien und Ungarn wird gestärkt: Im Rahmen der Welt-LNG-Konferenz in Athen im Dezember 2022 wurde eine Absichtserklärung zwischen den Gaswirtschaftsbehörden der vier Länder unterzeichnet, um Aspekte der Umsetzung des so genannten "vertikalen Korridors" zu prüfen. So wird die Möglichkeit beschrieben, Erdgas in zwei Richtungen zwischen diesen Staaten zu transportieren und dabei die bestehende IGB-Pipeline zwischen Griechenland und Bulgarien zu nutzen. Die Zusammenarbeit auf dem Balkan beschränkt sich nicht nur auf Gas.
Der Krieg in der Ukraine wirkt auch als Katalysator für ein anderes Projekt, das bis vor kurzem noch tot schien: die Ölpipeline Burgas-Alexandroupolis. Dieses alte Projekt zum Bau einer Ölpipeline von Bulgarien nach Griechenland war 2011 aufgegeben worden, wofür unter die damals hohen Kosten von rund 1 Milliarde Euro verantwortlich waren. Die Bedürfnisse Bulgariens, das bei der Energieversorgung in hohem Maße von Russland abhängig ist, brachten dieses alte Projekt wieder auf die Agenda. Die Reaktivierung wird diesmal mit einem wichtigen Unterschied erfolgen: Diesmal soll Öl in umgekehrter Richtung (von Griechenland nach Bulgarien) verlaufen, um eine bulgarische Raffinerie am Schwarzen Meer zu versorgen, die etwa 75 % des Bedarfs des Landes deckt.
Voraussetzungen für Griechenlands Rolle als Energie-Hub
Ausgehend von den obigen Ausführungen verfügt Griechenland über alle Voraussetzungen, um eine führende Rolle bei den energiepolitischen Entwicklungen im südöstlichen Mittelmeerraum zu spielen, was erhebliche wirtschaftliche und politische Auswirkungen auf die gesamte Europäische Union haben wird. Die notwendigen Voraussetzungen dafür sind jedoch:
- rasche Fortschritte auf dem Gebiet der Kohlenwasserstoffexploration (Erdgas, Öl) und die Entdeckung wirklich großer Vorkommen in Mengen, die ihre kostspielige Ausbeutung rechtfertigen.
- die weitere Zusammenarbeit zwischen Griechenland und seinen Nachbarn. Sowohl kurz- als auch mittelfristig ist eine enge Partnerschaft auf der Grundlage politischer Konvergenz mit Ländern wie Ägypten und Israel von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung von Vorzeigeprojekten wie dem EuroAsia Interconnector.
- Die Sicherstellung der erforderlichen finanziellen Mittel ist natürlich ein wesentlicher Parameter für die Verwirklichung der Pläne im Energiesektor. Ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig es ist, die entsprechenden Mittel zu sichern, ist die EastMed-Pipeline, deren Bau so teuer und technisch anspruchsvoll ist, dass sie (trotz ihrer Bedeutung für die Energiesicherheit Europas) nur schwer zu realisieren ist.
- Die politische Stabilität in Griechenland selbst hat in den letzten Jahren sowohl zur Reifung der Pläne als auch zur Stärkung des internationalen Vertrauens beigetragen. Die bevorstehenden Wahlen in Griechenland in der ersten Jahreshälfte 2023 sollten nicht zu einer Umkehrung der Pläne führen. Ein absehbarer Sieg der Nea Dimokratia (EVP) wäre eine Garantie für die sichere Fortführung der geplanten Projekte.
- Die Beziehungen zur Türkei sind ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Insbesondere im Bereich der Ausbeutung der Energiereserven unter dem Meer sollte die Frage der Abgrenzung der ausschließlichen Wirtschaftszonen in der Ägäis und südlich von Kreta (siehe das türkisch-libysche Memorandum und das griechisch-ägyptische Abkommen) eine europäische Priorität sein. Der Beitrag der EU ergibt sich zum einen aus der Bedeutung, die das Gas und Öl in diesen Gebieten für ihre Energiesicherheit haben kann und zum anderen aus den sicherheitspolitischen Implikationen dieser Frage.
- Der Krieg in der Ukraine ist der Beweis dafür, dass alle Pläne auf nationaler oder supranationaler Ebene auch schnell wieder rückgängig gemacht werden können. Eine gründliche Prüfung aller möglichen Szenarien und ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit sind daher erforderlich, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
- Die Entwicklung Griechenlands als Energiedrehscheibe für die Region und Europa sollte unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Union erfolgen, insbesondere was neue Abhängigkeiten von Drittländern betrifft. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, können diese schwerwiegende Folgen haben. Die Debatte über die Beteiligung von Staaten wie China an der Entwicklung der Energieinfrastruktur hat in mehreren europäischen Ländern begonnen und sollte vor dem Hintergrund der Planung für die kommenden Jahre fortgesetzt werden.
Schlussfolgerungen
Die Nutzung der Energieressourcen im östlichen Mittelmeerraum wird mittelfristig eine der größten politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Herausforderungen für Europa sein. In einem sich ständig verändernden Umfeld kann Griechenland, eine Säule politischer und wirtschaftlicher Stabilität, einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs der gesamten Region und Europas leisten, indem es sowohl seine eigenen Reserven nutzt als auch als Drehscheibe für die Lieferung von umweltfreundlichem Strom und Ressourcen aus Nordafrika und dem Nahen Osten fungiert. Die Übernahme dieser Rolle wird nicht nur die Bedeutung des Landes auf dem diplomatischen Schachbrett erhöhen, sondern ist auch für die EU von Vorteil, da sie ihre Abhängigkeit von Drittländern verringert. Die griechische Energie-Odyssee ist in vollem Gange; es bleibt abzuwarten, ob es, wie bei Homer, gut ausgeht.