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Ferenc Gyurcsany zum ungarischen Regierungschef nominiert

von Klaus Weigelt
Die ungarischen Sozialisten haben den bisherigen Jugend- und Sportminister Ferenc Gyurcsany zum neuen Ministerpräsidenten nominiert. Der erfolgreiche Geschäftsmann, dem man nachsagt, der politischen Mitte zuzuneigen, soll Peter Medgyessy ablösen, der am Mittwoch offiziell zurücktrat. Von 623 Delegierten der Regierungspartei MSzP votierten auf einem außerordentlichen Parteitag 453 für Gyurcsany. Sein linksgerichteter Gegenkandidat, der bisherige Chef des Ministerpräsidentenamtes Peter Kiss, erhielt lediglich 166 Stimmen.

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«Lasst uns mit einer mutigen Regierung gute Verhältnisse in Ungarn aufbauen», sagte Gyurcsany nach der für ihn erfolgreichen Abstimmung. Er versprach den Delegierten, die MSzP bei der nächsten Parlamentswahl im Jahre 2006 abermals zum Sieg zu führen. Der 43-jährige Wirtschaftswissenschaftler gründete ein erfolgreiches Unternehmen und zählt zu den reichsten Bürgern Ungarns. Er kehrte 2002 in die Politik zurück und wurde ein Berater Medgyessys.

Dieser erklärte bereits am vergangenen Donnerstag seinen Amtsverzicht, nachdem er einen Koalitionsstreit mit der liberalen Allianz Freier Demokraten nicht hatte beilegen können. Dabei ging es um die Sanierung des Staatshaushalts und Meinungsverschiedenheiten mit Wirtschaftsminister Csillag (SZDSZ). Gyurcsany kündigte dennoch eine Neuauflage der Koalition an. Die Freien Demokraten haben bereits zugesagt, dass sie Gyurcsany unterstützen würden.

Ferenc Gyurcsány (Jahrgang 1961) stammt aus Pápa. Im Alter von 21 Jahren wurde er Sekretär der kommunistischen Jugendorganisation in Pécs, ab 1988 Leiter der Landesorganisation der Hochschulstudenten, danach Zentralsekretär des Jugendverbandes. Nach der Wende wechselte er in die Privatwirtschaft, wo er – inmitten der Privatisierung – zu einem der reichsten Unternehmer des Landes wurde. Seine Investmentfirma “Altus“ hat einen Marktwert von 3.5 Mrd. Ft. (ca.14,5 Mio EUR). Er betreibt auch ein Bauxitaufbereitungwerk und ist Eigentümer von mehreren Liegenschaften, darunter des Budapester Klubs der Parlamentsabgeordneten und eines früheren Regierungserholungsheims am Balaton.

Gyurcsány kam erst 2002 während des Wahlkampfes in die Politik zurück, als strategischer Berater von Péter Medgyessy, während seine jetzige (dritte) Frau die Kabinettschefin des zukünftigen Premiers war. Von Gyurcsány sollen mehrere Ideen des nun entfernten Regierungschefs stammen, so die der “nationalen Mitte“, eine sozialdemokratische Ideologie, die der des britischen Premiers Tony Blair (“Neue Mitte“) nahesteht. Gyurcsány bezeichnet sich als engagierten Linken, der auch den Ideen des Liberalismus nicht fern steht.

Medgyessy machte ihn 2003 zum Minister für Sport und Jugendfragen. Seine Tätigkeit an der Spitze des marginalen Ressorts war nicht herausragend, doch durch Aktivität und manche neue Initiativen gekennzeichnet. Der ambitionierte Politiker zerstritt sich dann offenbar mit Medgyessy, der ihn im Sommer zum Rücktritt bewegte. Dieser Rücktritt Gyurcsánys wurde bereits als Signal für höhere Ambitionen gewertet.

Seit dem Ausbruch der Regierungskrise reiste Gyurcsány im Lande herum, um für Unterstützung zu werben. Der hochintelligente, agile, jugendliche Mann, der als Marathonläufer in bester Verfassung ist, konnte offenbar mit seinem resoluten Auftreten und seiner als sehr effektiv bezeichneten Rede den Sieg erringen. Das Ausschlaggebende für die Delegierten musste sein, wer in der Lage sein kann, Oppositionsführer Viktor Orbán in die Schranken zu weisen und bei den Wahlen 2006 zu siegen. Péter Kiss wäre dafür in der Tat kaum geeignet gewesen. Ein andere Frage ist, inwieweit Gyurcsány, der auch nicht wenig Kontrahenten in der MSZP hat, fähig sein wird, die Linke hinter sich zu einigen. Durch seine nicht immer durchsichtigen Geschäfte in der Vergangenheit bietet er vermutlich auch Angriffsflächen für die Opposition. Der zukünftige Regierungschef soll auch durch seine gelegentliche Arroganz manche Feinde bekommen haben. Gyurcsány lebt in dritter Ehe und hat vier Kinder. Er schloss seine Studien an der Universität von Pécs zwischen 1980-1990 ab.

Ungarischer Ministerpräsident offiziell zurückgetreten

Der ungarische Ministerpräsident Peter Medgyessy ist am Mittwoch, 25. August 2004, offiziell zurückgetreten. Erklärt hatte der Regierungschef seinen Amtsverzicht im Koalitionsstreit um die Sanierung des Staatshaushalts bereits am vergangenen Donnerstag. Medgyessy reichte seinen Rücktritt persönlich bei Staatspräsident Ferenc Mádl ein, während die Sozialisten ihren außerordentlichen Parteitag abhielten. Der Präsident nahm das Gesuch an.

Auf einer anschließenden Pressekonferenz erklärte Medgyessy: „Schließlich habe ich mich entschlossen, dass ich dem Druck gegen mich nicht nachgebe, dass ich mir den Willen der Leute, die diesen Putsch gegen mich geplant haben, nicht aufzwingen lasse.” Das war gegen den Plan gerichtet, ihn durch ein konstruktives Mißtrauensvotum aus dem Wege zu räumen, was jetzt nicht mehr möglich ist. Jetzt hat der Staatspräsident das Heft in der Hand. Er wird, wie zu hören ist, mit Vertretern aller Parteien sprechen und dann einen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Damit kann der Zeitplan der Sozialisten in Gefahr geraten. Ursprünglich wollten sie am 6. September im Parlament den neuen Ministerpräsidenten durch das konstruktive Mißtrauensvotum wählen lassen.

Medgyessy schloß seine Pressekonferenz, in der seine starke Enttäuschung über das Verfahren seiner Entmachtung deutlich zum Ausdruck kam, versöhnlich mit dem Hinweis, dass er – wer immer vom außerordentlichen Parteitag nominiert werde – diesem seine Unterstützung für eine erfolgreiche Regierung zusage.

Die Opposition

Von der größten Oppositionspartei FIDESZ-MPP war bis Donnerstag vormittag noch keine Reaktion zu hören. Das Parteipräsidium wird sich im Laufe des Tages mit der neuen Lage befassen. Schon jetzt kann man sagen, dass mit der überzeugenden Entscheidung für einen Generationswechsel der MSZP ein beachtenswerter Befreiungsschlag gelungen ist, auf den FIDESZ-MPP sich nun einstellen muss. Zwar wurde vorerst die in der letzten Woche vorgenommene Kabinettsumbildung Medgyessys rückgängig gemacht, aber nach der Wahl Gyurcsánys ist alles wieder offen, und man erwartet eine völlig neue und wahrscheinlich auch verjüngte Regierungsmannschaft. Möglich erscheint es auch, dass Gyurcsány auf dem Wahlparteitag im Herbst nach dem Amt des Parteivorsitzenden greift.

Für FIDESDZ-MPP sind damit die Aussichten, die Wahlen 2006 locker zu gewinnen, nicht mehr so rosig. Gyurcsány und Orbán sind fast gleichaltrig, aber Orbán ist schon über 15 Jahre in der Poltik, und Gyurcsány ist ein neues, unverbrauchtes Gesicht. Er ist ein dynamischer Unternehmer, der es aus eigener Kraft nach der Wende zu Reichtum und Einfluss gebracht hat. Nicht nur äußerlich ähnelt er dem von Putin verfolgten russischen Yukos-Chef Chodorkovsky. Es ist anzunehmen, dass er für die Opposition ein erheblich härterer Brocken als Medgyessy sein wird oder Kiss gewesen wäre.

Es ist deswegen zu erwarten, dass die innenpolitische Auseinandersetzung sich weiter verschärfen und die Polarisierung in der Gesellschaft zunehmen wird. In seinen ersten Äußerungen hat Gyurcsány dem FIDESZ den Kampf angesagt. Eine viel größere Aufgabe als dieser Kampf wird aber die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Sanierung Ungarns sein müssen. Die gegenwärtige Lage hat MSZP auf einen historischen Tiefstand in der Akzeptanz durch die Bevölkerung geführt. Allein mit kämpferischen Worten läßt sich die gegenwärtige Misere nicht beheben. Gyurcsány setzte sich bereits von der Politik seines Vorgängers ab durch seine Bemerkung, allein mit dem Verteilen von Geld (wie im Herbst 2002) lasse sich keine langfristige Politik machen. An dem Ziel, Ungarn bis 2010 in die Europäische Währungsunion zu führen, hält er ausdrücklich fest.

Die MDF-Vorsitzende Ibolya Dávid beschränkte sich in ihrer ersten Äußerung darauf, das Verhalten Medgyessys als demokratisch zu würdigen. Mit seinem Rücktrittsgesuch bei Staatspräsident Mádl habe er ein gutes Beispiel für demokratisches Verhalten gegeben. Sie zeigte auch Verständnis für die Enttäuschung des scheidenden Ministerpräsidenten über das Vorgehen der Sozialisten.

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Ferenc GYURCSÁNY

  • Am 4. Juni 1961 in Pápa geboren
  • verheiratet in dritter Ehe, 4 Kinder
  • 1984 Lehrerdiplom an der Janus-Pannonius-Universität Pécs (JPTE)
  • 1990 Volkswirtdiplom an der JPTE
  • 1983-1988 Sekretär der Pécser Kommission des Kommunistischen Jugendverbandes (KISZ)
  • 1988-1989 Vorsitzender des Universitäts- und Hochschulrats des KISZ
  • 1989 Sekretär der Zentralkommission des KISZ, dann Vizepräsident des Demokratischen Jugendverbandes, des Nachfolgers der ZK
  • 1990 Mitarbeiter der Finanzberatung GmbH „Creditum“, dann Direktor der Internationalen Finanzaktiengesellschaft „Eurocorp“
  • 1992 Gründung der Investment AG „Altus“, bis 2002 Generaldirektor
  • 2002-2003 strategischer Hauptberater von Ministerpräsident Péter Medgyessy
  • 19. Mai 2003 Jugend- und Sportminister
  • 2003- Mitglied der Delegiertenversammlung der MSZP
  • seit Februar 2004 Vorsitzender des Komitatsverbandes der MSZP im Komitat Györ-Moson-Sopron
  • Sprachkenntnis: Englisch (Verhandlungsstufe)

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Frank Spengler

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