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Länderberichte

Mazedonien: Opposition stellt Ohrid-Abkommen in Frage

Während die siegreichen Amerikaner mit ihren Alliierten über die zukünftige Ordnung im Irak diskutieren und der Boden für die Karawane der internationalen Hilfsorganisationen bereitet wird, wird in Mazedonien erneut die Diskussion über das friedensstiftende Ohrider Rahmenabkommen eröffnet, die das sensible System in dieser Krisenregion nachhaltig erschüttern könnte.

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Am 18. April kritisierte der ehemalige Premierminister (1998-2002) Ljubcho Georgievski in seiner wöchentlichen Kolumne in der Tageszeitung „Dnevnik“ das sogenannte Rahmenabkommen von Ohrid, das im August 2001 auf Vermittlung der Vertreter der EU, NATO und der USA mit den Vorsitzenden der führenden mazedonischen und albanischen Parteien ausgehandelt wurde, und die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien in Mazedonien beendete.

Georgievski sieht in dem Abkommen das Ende des unitaren mazedonischen Staates und in der - mit der Implementierung verbundenen - Dezentralisierung, die Kantonisierung des Landes, die unweigerlich in die Teilung Mazedoniens münden muß. Als Gründe für diese Entwicklung nennt er zum einen den nach wie vor vorhandenen Wunsch der Albaner nach der Schaffung eines Groß-Albaniens sowie das Unvermögen der internationalen Gemeinschaft, eine dauerhafte Ordnung in Südosteuropa zu errichten. Um Mazedonien noch vor dem sicheren „Tod“ zu retten, schlägt Georgievski einen Acht-Punkte-Plan vor:

  1. Schnelle Integration Mazedonien in die EU bis 2005
  2. Austausch von Territorium und Bevölkerung zwischen Mazedoniern und Albaner, um eine eindeutig zu definierende Demarkationslinie zu zeichnen
  3. Gründung einer neuen autonomen und souveränen Republik Mazedonien
  4. Gründung eines Mazedonischen Nationalrates bestehend aus hohen Staatsbeamten, Vertretern der politischen Parteien, der Akademie der Wissenschaft und der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche
  5. Das Projekt sollte von den USA, der EU und Russland finanziert werden.
  6. Einberufung einer internationalen Balkankonferenz
  7. Lösung der ethnischen Probleme in Südosteuropa durch Gebiets- und Bevölkerungsaustausch und damit verbundenen neuen Grenzziehungen
  8. Wenn dieser Vorschlag von den Albanern nicht akzeptiert wird, soll der Mazedonische Nationalrat in eigener Verantwortung die Grenzziehung vornehmen und eine Mauer entlang der Grenze errichten.
Das Ziel, ethnisch homogene Gebiete zu erhalten durch die Aufteilung des Landes und den Austausch der mazedonischen und albanischen Bevölkerung, ist indes keine neue Idee. Bereits im Frühsommer 2001, als die Kämpfe zwischen der albanischen UCK und den mazedonischen Sicherheitskräften den Höhepunkt erreichten, stellte die Mazedonische Akademie für Wissenschaft (MANU) einen ähnlichen Plan vor, der zu jenem Zeitpunkt auf viel Widerstand stieß.

Heute hingegen, da die Gräben zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen in Mazedonien tiefer zu sein scheinen als zuvor, stehen die Mazedonier einer derartigen Aufteilung ihres Landes nicht mehr ganz so ablehnend gegenüber. Damit verbinden sie die Hoffnung, endlich in Frieden leben zu können. Sie werfen ihren albanischen Landsleuten ohnehin vor, sich auch jetzt, nachdem all ihren Forderungen durch die Umsetzung des Ohrider Rahmenabkommens Rechnung getragen wurde, sich immer noch nicht loyal zu dem gemeinsamen Staat zu verhalten.

Die sozialdemokratisch geführte Regierung will konsequent gegen all jene vorgehen, die seit Jahren keinen Strom bezahlt haben. Dies betrifft in erster Linie die albanisch besiedelten Gebiete an der Grenze zum Kosovo und zu Südserbien. Die Proteste der Albaner auf diese nur allzu verständliche Forderung der Regierung scheinen vorprogrammiert.

Die Kolumne Georgievskis vom 18. April in „Dnevnik“ wäre vermutlich - wie die meisten seiner vorangegangenen Kommentare - mit einem mitleidigen Lächeln über die Gedankenspiele eines frustrierten Ex-Premiers, der sich angesichts der für ihn nicht nachzuvollziehenden Wahlniederlage in den Schmollwinkel zurückgezogen hat, im Orkus der mazedonischen Geschichte verschwunden, wenn nicht sein minder frustrierte ehemaliger albanischer Koalitionspartner als Reaktion auf diesen Vorschlag einen Tag später das Scheitern des Ohrider Rahmenabkommens beklagt und als einzige Lösung der verfahrenen Situation der Teilung Mazedoniens in zwei homogene Gebiete zugestimmt hätte.

Um seiner Forderung ein größeres politisches Gewicht zu verleihen, hat der Vorsitzende der zweitstärksten albanischen Partei DPA, Arben Xhaferi, den Abgeordneten seiner Partei sowie den gewählten Kommunalratsmitgliedern mit einem Moratorium angeordnet, mit sofortiger Wirkung ihre Mandate niederzulegen.

Am 22. April beklagte Xhaferi die schleppende Umsetzung des Ohrider Rahmenabkommens. Als Beispiel führte er die bekannten Streitpunkte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen an:

  • das Ungleichgewicht zwischen Mazedoniern und Albanern in den Polizei- und Militärkräften,
  • die Defizite im Bildungssystem,
  • das Sprachproblem,
  • die Diskussion über die Gestaltung des Reisepasses sowie der nationalen Symbole wie Flagge, Landesname und Nationalhymne, durch die sich ein wesentlicher Teil der Bevölkerung nicht repräsentiert fühlt.
Xhaferi wirft der internationalen Gemeinschaft vor, sich durch faule Kompromisse immer wieder um die Lösung der eigentlichen Probleme in Bosnien, im Kosovo und schließlich auch in Mazedonien zu drücken.

Was bedeuten diese in ihrer Konsequenz ähnlich ausgerichteten Vorstöße der ehemaligen Regierungspartner?

Zunächst zeigt diese Haltung Georgievskis und Xhaferis, dass die Führer der beiden größten Oppositionsparteien offensichtlich nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Parteien auf eine konstruktive Rolle in der Opposition einzustellen. Ansätze für eine politische Auseinandersetzung im Parlament zwischen der Führung der mazedonischen SDSM und der albanischen DUI liegen ausreichend vor.

Da das von Premierminister Branko Crvenkovski geführte Kabinett darauf bedacht ist, keinen Schatten zu werfen, sind die abseits der interethnischen Problematik bestehenden Fragen wie: die Umstrukturierung der aufgeblähten Verwaltung, die Reform des Bildungssystems, der Umbau des Gesundheits- und Sozialsystems, der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft nach wie vor ungelöst.

Mit dem Vorschlag der Teilung des Landes versuchen zwei politische Akteure sich wieder ins Gespräch zu bringen, deren Regierungszeit in erster Linie von einem bislang unbekannten Maß an persönlicher Bereicherung und Nepotismus geprägt war, über deren negative Auswirkung auf Staat und Gesellschaft selbst die mäßigen Erfolge im Bereich der Privatisierung und Liberalisierung des Wirtschaftssystems nicht hinwegtäuschen konnten.

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Ljubcho Georgievski und Arben Xhaferi

Nun spielen Georgievski und Xhaferi das Kartenspiel, das sie am besten beherrschen: nationale Polemik und Kritik an der internationalen Gemeinschaft.

Sicherlich liegt in den Äußerungen dieser beiden Politiker auch ein Fünkchen Wahrheit. Das Scheitern der internationalen Gemeinschaft in der Etablierung einer dauerhaften Friedensordnung für den Balkan ist offensichtlich. Dennoch trägt der unverantwortliche Umgang mit der Macht der regierenden Politiker von Sarajevo, über Belgrad und Podgorica nach Skopje erheblich zum Auseinanderdriften der verschiedenen Balkanvölker bei.

Eine schnelle Integration dieser Region in die Europäische Union kann keine Lösung der bestehenden Fragen sein. Die Bewältigung der immensen Probleme des Balkans würde die Union, die z. Zt. mit der Integration der neuen Mitgliedsstaaten Mittel- und Osteuropas beschäftigt ist, an die Grenze der Belastbarkeit führen. Die internationale Gemeinschaft - und allen voran die EU - muss auch weiterhin eine starke Präsenz in militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht zeigen, kann aber eine EU-Mitgliedschaft diesen Ländern nur dann in Aussicht stellen, wenn ein erkennbarer Fortschritt in der Bewältigung ihrer Probleme festzustellen ist. Neue Grenzziehungen in einem Europa ohne Grenzen sind dabei sicherlich der falsche Ansatz.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, inwieweit Xhaferi und Georgievski nur ihre eigene Meinung dargelegt oder möglicherweise tatsächlich einem Gros der Bevölkerung aus dem Herzen gesprochen haben. Georgievski hat für den im Mai stattfindenden Kongeß seiner Partei VMRO-DPMNE seinen Rücktritt als Vorsitzender angekündigt.

Ein großes Votum für einen moderateren Nachfolger würde nach außen zeigen, dass sich die Partei von den Äußerungen seines langjährigen Vorsitzenden distanziert und bereit ist, ihre Rolle im Entwicklungsprozeß des Landes anzunehmen. Dieser Nachfolger müßte allerdings noch gefunden werden.

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Kontakt

Johannes D. Rey

Johannes D. Rey (2020) kas

Leiter des Auslandsbüros Kasachstan

johannes.rey@kas.de +7 7172 92 50 31

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