Das Dröhnen von Kampfhubschraubern gehört in Mopti – der größten Stadt in Zentralmali – in jüngster Zeit zum Alltag. Malis Armee hat mit Russlands Hilfe stark aufgerüstet und Kampfhubschrauber, Jets und Söldner der berüchtigten Wagner-Truppe zum Kampf ins Land geholt. Seit über einem Jahr läuft eine Offensive in der Region, wo der Konflikt mit Dschihadisten noch intensiver ist als im dünner besiedelten Norden. Die Dschihadisten haben sich im Landeszentrum mit seinen sechs Millionen Einwohnern (immerhin ein Viertel der malischen Bevölkerung) mittlerweile festgesetzt. Zentralmali ist dicht besiedelt, weil es rund um den Niger-Fluss viel fruchtbares Ackerland gibt. Die Tatsache, dass Millionen Rinder jedes Jahr von Nomaden aus ganz Westafrika zum Weiden in dieses Gebiet getrieben werden, löst immer wieder massive Verteilungskämpfe zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern aus. Dschihadisten nutzen diese Gemengelage geschickt aus, um sich mit den Nomaden zu verbünden. Dazu kommt: Die Bevölkerung wächst jährlich um drei Prozent und die Zahl der Rinder ist nach Schätzungen von VN-Experten in den letzten Jahren um mindestens das Vierfache gewachsen – viel sozialer Sprengstoff also. Der Konflikt hat inzwischen auch das benachbarte Burkina Faso sowie Teile Nigers erreicht. Die Dschihadisten, die grenzübergreifend agieren, kontrollieren ganze Regionen in Zentralmali, wo sie Parallelgesellschaften aufgebaut haben. Gerichte urteilen nach Islamischen Recht, und die Bewohner müssen die islamische Steuer, Zakat, zahlen. Das ursprüngliche Mandat der MINUSMA bezog sich beim Start der Mission 2013 lediglich darauf, zur Stabilisierung Malis im Norden beizutragen. Wegen der Heftigkeit des Konflikts in Zentralmali ist MINUSMA seit einigen Jahren aber auch in Zentralmali aktiv. Nun will die malische Militärregierung, dass das Ende Juni auslaufende MINUSMA-Mandat nicht wieder verlängert wird.
Militärische Offensive – viele zivile Opfer
Mali setzt voll auf die militärische Karte. Fokus ist das beschriebene wirtschaftliche und strategisch wichtige Zentrum des Landes - im Gegensatz zum Norden, wo von der malischen Armee wenig zu sehen ist. Seit dem Frühjahr 2022 befindet sich die Armee zusammen mit den Russen in einer Offensive, die in letzter Zeit an Heftigkeit zugekommen hat. Die Armee hat dank der Lieferung von Kampfhubschraubern – die in Mopti stationiert sind – Lufthoheit gewonnen und bombardiert nun regelmäßig vermutete Stellungen von Dschihadisten. Dies geschieht dann insbesondere an Markttagen in Dörfern der Region. Denn auch die Dschihadisten müssen sich versorgen, weshalb sie zu diesen Gelegenheiten ihre Verstecke im Busch verlassen. Das Problem dabei: Die Armee unterscheidet nach Angaben von VN-Vertretern und Diplomaten nicht zwischen Gewalttätern und Zivilisten. Bei einem Angriff auf einen Markt in der Stadt Moura in Zentralmali wurden im März 2022 laut einem VN-Bericht mindestens 500 Menschen getötet, fast alle Zivilisten. Solche Aktionen schüren die Wut auf den Staat und treiben immer mehr frustrierte Menschen in die Arme der Dschihadisten. Doch trotz der Offensive hat die Armee im Landeszentrum kaum Gelände zurückgewinnen können. Den Dschihadisten gelingt es immer wieder in den Busch zu fliehen und – sobald die Soldaten der malischen Armee weitergezogen sind - zurückzukehren. Denn „der malische Staat“ kehrt nicht in die angeblich zurückeroberten Gebiete zurück; ähnlich wie im Norden glänzen malische Staatsbeamte durch Abwesenheit. Nach einem MINUSMA-Bericht leben nur 44 Prozent der lokalen Regierungsvertreter vor Ort in Zentralmali und im Norden. Die meisten von ihnen leben in der Hauptstadt Bamako, im noch etwas sichereren Süden des Landes. Die Dschihadisten haben ihrerseits auf die Armeoffensive reagiert, indem sie mehr Bomben an Straßen platzieren, die per Fernbedienung gezündet werden können. Ungefähr 70 Prozent aller Attacken dieser Art in Mali werden nach VN-Angaben im Zentrum des Landes verübt. Ein VN-Experte erläutert die Spirale der Gewalt wie folgt: Dschihadisten würden sich für Luftangriffe rächen, indem sie Armeefahrzeuge per ferngezündeter Straßenbomben attackieren; die überlebenden Soldaten stürmten dann Dörfer, worauf die Bewohner in ihre Häuser fliehen würden; die Soldaten würden dann jedoch denken, dass diese sich Waffen holten und eröffnen das Feuer. „Am Ende gibt es dann Leichen und viel Wut,“ sagt der VN-Experte. Die malische Regierung ihrerseits betont natürlich, dass die Armee nur „Terroristen“ und keine Zivilisten töte. Eine Unterscheidung zwischen Zivilisten und Gewalttätern ist auch deswegen so schwierig, weil Dorfbewohner häufig tatsächlich gezwungen werden, mit den Dschihadisten zu kooperieren. Manchmal schließen sie sich auch den extremistischen Gruppen an, weil sie Exzesse der Armee und der Russen wie in Moura fürchten. Im dicht besiedelten Landeszentrum eskalieren örtliche Konflikte schneller als in der weiten Wüste im Norden, wo es kaum Straßen und wenig Siedlungen gibt.
Mali fordert Abzug von MINUSMA
Mali forderte bei den Beratungen im VN-Sicherheitsrat am 17. Juni, dass MINUSMA so schnell wie möglich abziehen solle. Die Mission war der Militärregierung wegen ihrer Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen schon länger ein Dorn im Auge – jüngstes Beispiel der UN-Bericht zum Massaker in Moura. Die Aufforderung vom sofortigen Abzug hat nun aber vor allem populistische Gründe. Die Forderung kam zwei Tage vor dem Referendum über eine neue Verfassung, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Wahlen 2024, mit dem auch eine Kandidatur von Junta-Chef Assimi Goïta möglich und damit erwartet wird. Die Stimmung unter den Maliern ist derzeit eher schlecht, da die hohe Inflation viele Menschen hart trifft. Die Sicherheitslage hat sich seit dem Putsch 2020 trotz aller gegenteiligen Ankündigungen der Regierung verschlechtert. Bamako spielt mit der Forderung nach dem Abzug von MINUSMA damit bewusst die „nationalistische“ Karte, wettert gegen UN- Mission und auch gegen die unbeliebte frühere Kolonialmacht Frankreich - all das in erster Linie, um von den Problemen zuhause abzulenken. Die MINUSMA – mit 13.000 Beschäftigten eine der größten Friedensmissionen weltweit und eine der gefährlichsten(!) – steht dabei zwischen den Fronten. Die Bevölkerung hat häufig die falsche Erwartungshaltung, dass Blauhelme die Dschihadisten aktiv bekämpfen können wie einst die französische Anti-Terror-Operation Barkhane, die Paris im Jahr 2012 auf Bitten der damaligen malischen Regierung entsandte und die Paris 2022 im Streit mit Malis neuer Militärregierung einstellte. Bewohner rufen die Hotline der VN-Mission im Falle von Angriffen der Dschihadisten an und werden dann von der Mission an die häufig nicht vorhandenen oder inaktiven Behörden verwiesen. Mitglieder der Fulbe, einer Volksgruppe, die häufig über Diskriminierung klagt, wenden sich nach eigenen Aussagen erst gar nicht mehr mit Hilfegesuchen an Armee oder Polizei. Das Misstrauen gegenüber dem Staat sitzt dort zu tief. Regierungstruppen schüren dazu gerne das Gefühl, dass die MINUSMA untätig oder unfähig sei, die Bevölkerung zu schützen. Auf den sozialen Medien gehen einige pro-russische Trolle sogar so weit, die Mission zu beschuldigen, selbst Sprengfallen zu platzieren. Als angeblichen Beweis führen sie dann an, dass Patrouillen und Stützpunkte der MINUSMA eben nicht von den Dschihadisten angegriffen werden, im Gegensatz zu denen der malischen Armee. „Unser Hauptsorge ist die Verbreitung von Falschinformationen,“ sagte eine VN-Vertreterin.
Menschen im Norden und Zentralmali unterstützen MINUSMA
Ein Abzug der MINUSMA wird für die Bevölkerung im Norden und Zentralmali schwere Folgen haben. Die VN-Mission ersetzt in vielen Bereichen einen schwachen oder nichtexistierenden Staat. Dies ließ sich gut bei einem Besuch in Mopti beobachten. Das Hauptquartier der Polizei im Stadtteil Sevare wurde fast vollständig von der MINUSA eingerichtet – vom Stacheldraht bis hin zu zwei neuen Gebäuden. Die Polizei bekommt von der Mission sogar regelmäßig Sprit für ihre Autos geliefert. Der Polizeichef lobte ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der MINUSMA und forderte weitere Hilfen und Trainings für seine Beamten an. Ein paar Straßen weiter finanzierte die Mission den Bau eines neuen Gebäudes für den Jugendrat, Fortbildungen für arbeitslose Jugendliche in einer Schule sowie ein Zentrum für Frauen, die sich selbständig machen wollen. Vom Staat gibt es kaum Geld für solche Projekte. In der Fläche ist vom malischen Staat nur noch wenig zu sehen. Dörfer haben meist keine Polizei- oder Armeeposten, häufig nicht einmal eine Schule. Der von der Regierung aus populistischen Gründen geforderte Abzug der MINUSMA birgt deswegen eine große soziale Sprengkraft. Die Mission ist häufig der größte Arbeitgeber vor Ort. Allein in Gao im Norden, wo die Bundeswehr stationiert ist, arbeiten Tausende im Camp der Mission. „Die werden nichts Neues finden,“ sagte der Vorsitzende der örtlichen Mitarbeitervertretung. „Ich fürchte, einige werden sich den Dschihadisten anschließen.“ Dazu kommen Zulieferbetriebe von Catering über Wachschutz bis hin zu Wäschereien. Malis Außenminister Abdoulaye Diop beschuldigte die VN-Mission, für Spannungen zwischen den Kommunen zu sorgen. Häufig gibt es tatsächlich Streit, der schnell eskaliert – wie etwa zwischen Ackerbauen und Nomaden. Viele Nomaden der Fulbe haben sich Dschihadisten angeschlossen, weil sie sich vom Staat diskriminiert fühlen. Die Gruppe der Dogon, ebenfalls im Zentralmali beheimatet, hat mithilfe der Armee sogenannte Selbstverteidigungsmilizen aufgestellt, die immer wieder beschuldigt werden, Attacken gegen die Fulbe durchzuführen. Anders als Diop behauptet, vermittelt die MINUSMA jedoch regelmäßig zwischen verfeindeten Gemeinden. Etwa 40 lokale Friedensabkommen hat die Mission nach eigenen Angaben in den letzten Jahren in Zentralmali vermittelt – sie führten zu Waffenstillstandsabkommen und Regelungen für einen besseren Zugang zu Wasser und Land führten. Die meisten der Abkommen sind nach Angaben der Mission nach wie vor in Kraft. Auch die Sicherheitslage dürfte im Norden und Zentralmali bei einem Abzug der Mission spürbar schlechter werden. Im Nachbarstaat Niger, wo die Bundeswehr als Teil einer EU-Ausbildungsmission stationiert ist, wird der MINUSMA-Abzug mit Sorge gesehen. Zwar kämpfen die Blauhelme nicht aktiv und schießen nur, wenn sie angegriffen werden. Ihre Patrouillen erlauben es aber dem Staat, zumindest manchmal etwas Präsenz zu zeigen - etwa, wenn Gerichte zu Sitzungen in ländlichen Regionen fahren. Regierungsvertreter nutzen zudem regelmäßig die Flugverbindungen der Mission. Als Ministerpräsident Choguel Maiga im März nach Mopti flog, um eine neue Initiative zur Stabilisierung Zentralmalis vorzustellen, flog ein Teil seiner Entourage mit MINUSMA-Maschinen. Nicht zu vergessen: Die Präsenz der MINUSMA dürfte die Dschihadisten abschrecken, größere Städte anzugreifen, zumal die Menschen in Mopti oder Gao die Arbeit der Blauhelme ausdrücklich begrüßen. „Wir wollen, dass, da die MINUSMA bleibt,“ sagte ein Vertreter des Jugendrates in Mopti.