Die Entscheidung der BRICS-Staaten, welche der Anwärter dem selbsternannten Gegenpart der G7-Staaten beitreten würden, wurde vor allem auf dem afrikanischen Kontinent mit Spannung erwartet. Letztendlich waren es Ägypten und Äthiopien, zwei Länder mit dem Anspruch, Gestaltungsmacht auf dem Kontinent und vor allem in Nord- und Ostafrika zu werden, welche am 24. August die Mitteilung erhielten, aufgenommen zu werden.
Der Wunsch nach Anerkennung und Mitsprache
Für Äthiopien – mit seiner großen Bevölkerung und der am schnellsten wachsende Volkswirtschaft Ostafrikas – ging mit der Aufnahme in den illustren Kreis von Ländern wie China, Russland oder Indien ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Als das einzige Land auf dem Kontinent, welches nie Kolonie einer europäischen Macht war, sieht man sich als Verteidiger der afrikanischen Autonomie. So sind auf den Straßen Addis Abebas Banner zu entdecken, welche Slogans wie „Stop the Colonialism – Africa rise“ beinhalten und klarmachen, dass in den Augen der Politik und Bevölkerung der Kontinent selbst entscheiden sollte, mit welchem Partner er in welchem Ausmaß zusammenarbeitet. Dass man mit dem BRICS-Beitritt europäischen Partnern oder den USA auf die Füße treten könnte, interessiert Äthiopien in seinem neuen Selbstbewusstsein kaum. Nach Jahrzehnten verschiedener Krisen, Hungersnöte oder Bürgerkriege wird Äthiopien nun als Mitglied eines Staatenbundes, der den „globalen Süden“ repräsentiert, in der eigenen Wahrnehmung endlich zuteil, was es lange für sich eingefordert hatte – Respekt und Anerkennung auf dem afrikanischen Kontinent und in der Weltpolitik.
Wirtschaftliche Entspannung durch Kooperation ohne Fragen
Die äthiopische Wirtschaft hatte in den vergangenen Jahren mit multiplen Krisen zu kämpfen, welche das Land 2022 fast an den Rand des Staatsbankrottes getrieben hatten. Wie viele andere Länder auf dem afrikanischen Kontinent litten Volks- und Privatwirtschaft unter der Covid-19 Pandemie und der Bürgerkrieg im nordäthiopischen Tigray folgte zugleich. Die Kampfhandlungen, welche sich über zwei Jahre über die Regionen Tigray, Afar und Amhara erstreckten, vertrieben hunderttausende Menschen, zerstörten Ernten und schreckten die ohnehin eher rar gesäten Investoren ab. Das Resultat waren Hyperinflation und das Abrutschen ganzer Bevölkerungsteile in die Armut. Dass Äthiopien auf dem Papier die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft Ostafrikas ist, liegt jedoch weniger an der wirtschaftlichen Leistung des Landes, sondern vor allem am rasanten Bevölkerungswachstum. Darüber hinaus haben sich – aus äthiopischer Perspektive – viele europäische Partner in der jüngeren Vergangenheit als unzuverlässig erwiesen. Denn: Viele Firmen, Nichtregierungsorganisationen sowie die Europäische Union hatten, nachdem Menschenrechtsverletzungen durch die äthiopische Armee und ihre Alliierten während des Krieges in Tigray bekannt wurden, die finanzielle Kooperation mit Äthiopien eingestellt.
Andere Partner stellen keine Fragen: China ist bekanntlich durch seine Belt and Road Initiative (BRI) ein wirtschaftlicher Akteur, der in Äthiopien – wie auf dem gesamten Kontinent – nicht mehr wegzudenken ist. Darüber hinaus platzieren sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar sukzessive am Horn von Afrika. Dies manifestiert sich vor allem im Ausbau von Handelskorridoren und Häfen am Roten Meer oder im Indischen Ozean. China konnte in Dschibuti wichtige Hafenprojekte für sich gewinnen und das Unternehmen DP World aus Dubai verwaltet unter anderem den Hafen von Berbera in Somaliland. Beide Häfen sind für den Binnenstaat Äthiopien von elementarer Bedeutung, sowohl was Importe aber auch was Exporte angeht.
Dass sich die New Development Bank der BRICS-Staaten als wichtiger Geldgeber anbietet, welcher Themen wie Konditionalität derzeit nicht thematisiert, spielt dem finanziell gebeutelten Äthiopien in die Karten. Allerdings: Finanzielle Unterstützung in Form von Krediten löst zwar einige, doch nicht alle Probleme Äthiopiens. Dies ist auch Premierminister Aby bewusst, welcher aber vor allem auf neue Handelsinitiativen und Investitionen von alten und neuen Partnern hofft. Schon jetzt kann er den BRICS-Beitritt vor allem auch im eigenen Land als diplomatischen Erfolg verkaufen. Aktuelle Zahlen belegen den positiven Trend von steigenden Handelsbeziehungen innerhalb der BRICS-Staaten[1]. Ob Äthiopien hiervon profitieren kann, ist derzeit noch nicht abzusehen.
Der Abnabelungsprozess schreitet weiter fort
Doch was bedeutet die BRICS-Mitgliedschaft Äthiopiens konkret für Europa? Zuerst einmal ist es eine weitere Vertiefung von Handelsbeziehungen zu bereits bestehenden (Russland, China), sowie eine Diversifizierung durch neue Partner (Indien, Südafrika, Brasilien). Dass dies dazu führt, dass Europa und Deutschland in der Relevanz Äthiopiens sinken, liegt auf der Hand. Nichtsdestotrotz ist nicht zu befürchten, dass man jetzt Europa den Rücken kehrt und exklusiv mit den BRICS-Staaten Handel betreibt. Hierfür ist Äthiopien zu sehr angewiesen auf eine Vielzahl von Partnern. Politisch gesehen wird Äthiopien nach wie vor auf eigene (innenpolitische) Interessen achten und darauf basierend außenpolitisch agieren. Von daher ist eine Mitgliedschaft und Mitsprache Äthiopiens bei einer Staatengemeinschaft wie BRICS vor allem aufgrund des eigenen Selbstverständnisses als aufstrebende Mittelmacht nur folgerichtig. Die BRICS-Staatengemeinschaft wird eine bevorzugte Behandlung durch den äthiopischen Staat in Handelsfragen definitiv einfordern, ein komplettes Diktat von den führenden Staaten der BRICS wird Äthiopien jedoch genauso wenig akzeptieren wie die gefühlte Bevormundung des Westens in den vergangenen Jahren.
[1] BRICS Investment Report (unctad.org)