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Bundesaußenministerin Baerbock reist nach China

Chance für die europäische Diplomatie?

Ende dieser Woche reist Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) in die Volksrepublik China. In Peking soll sie mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang zusammentreffen. Darüber hinaus werden hinter den Kulissen Gespräche mit dem ranghöchsten chinesischen Außenpolitiker Wang Yi sowie Premierminister Li Qiang geplant. Selbst wenn das Gesprächsprogramm noch mit Unsi-cherheiten behaftet ist, steht bereits fest: Die Themenliste der Außenministerin ist lang. Putins Angriffskrieg in der Ukraine wird dabei eine Rolle spielen. Dies gilt auch für die seit geraumer Zeit angekündigte China-Strategie der Bundesregierung sowie die für Juni geplanten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.

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Liebesgrüße aus Peking

Nur wenige Tage nach der Reise von Frankreichs Staatschef Macron und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen wird Außenministerin Baerbock ab Donnerstag zu Gesprächen in der Volksrepublik erwartet. Dass die Ankündigung der Reise Baerbocks unlängst ausgerechnet in der staatsnahen Global Times positiv besprochen wurde, mag auf den ersten Blick überraschen[1]. Denn der Ministerin eilt in China, gerade im Vergleich zu Macron oder Bundeskanzler Olaf Scholz, der Ruf einer eher unbequemen Politikerin voraus: Nach chinakritischen Aussagen Baerbocks zum Konflikt um Taiwan wurde im vergangenen Herbst gar die deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, zu einem klärenden Gespräch ins chinesische Außenministerium einbestellt. Doch hofft man in der Volksrepublik auf eine Fortsetzung guter Handelsbeziehungen. Denn der Druck auf die Machthaber in Peking ist groß. Die Jugendarbeitslosigkeit wird aktuell auf über 16 Prozent beziffert und die Unzufriedenheit in Folge der gescheiterten Corona-Kampagne hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierenden nachhaltig erschüttert. Die kommunistische Führung hat die Herausforderungen offenbar erkannt und setzt auf Rückenwind durch eine positive Wirtschaftsentwicklung. Dass deutsche Unternehmen trotz aller Warnungen aus der Politik im vergangenen Jahr mit rund 11,5 Milliarden Euro so viel in China investiert haben wie nie zuvor, dürfte in Peking mit Wohlwollen gesehen werden[2]. Dabei setzen insbesondere die deutschen Automobilhersteller sowie der Chemie-Gigant BASF und der Lebensmittelhändler Aldi auf eine Ausweitung des Chinageschäfts, weshalb der Investitionszuwachs überwiegend auf wenige Großkonzerne zurückzuführen ist.

 

Pekings Sorge vor einem Abdriften Europas

Der Baerbock-Besuch unterstreiche „die Bedeutung der deutsch-chinesischen Beziehungen“ so die Global Times. Und weiter zeige er, „dass Deutschland bereit und in der Lage ist, eine zentrale Rolle bei der weiteren Förderung der Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen China und Europa zu spielen.“ Aufgrund unterschiedlicher Haltungen in der Bundesregierung solle Baerbock „den Kontakt zu China halten,“ heißt es weiter[3]. Der Tenor des Berichts ist klar: Baerbock wird im Vorfeld ihres Besuches quasi dazu eingeladen, freundliche Gespräche zu führen. Denn China verfolgt mit der Charmeoffensive auch weitreichende außenpolitische Interessen: So ist die Volksrepublik offenbar bemüht, ein weiteres Abdriften Deutschlands und der EU in Richtung USA zu verhindern. Dass die ambivalente Haltung zu Putins Angriffskrieg in der Ukraine und die Übernahme antiamerikanischer Propaganda dem Ansehen Chinas in Europa nachhaltig geschadet haben, ist Peking bewusst. Doch statt die eigene Rolle bei dieser Entwicklung selbstkritisch zu hinterfragen, sieht man die Schuld in Washington: So sei die EU von den US-Amerikanern „gekidnappt“ worden und drohe „ein geopolitisches Werkzeug der USA“ zu werden, so die Analyse der Tageszeitung China Daily[4]. Einer vertieften Anbindung der EU an die USA möchte Peking insbesondere durch enge Wirtschaftsbeziehungen mit Europa entgegenwirken. Dass Peking bereit und in der Lage ist, seinen wirtschaftlichen Einfluss politisch zu instrumentalisieren, hat die kommunistische Führung mehrfach unter Beweis gestellt. So wurde Litauen für mehrere Monate mit einem informellen Handelsboykott belegt, nachdem Vilnius Mitte November 2021 der Eröffnung eines Repräsentantenbüros Taiwans zugestimmt hatte[5].

 

Reise ohne Wirtschaftsdelegation

Bereits Ende Februar war Petra Sigmund, die Leiterin der Abteilung Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt, zur Vorbereitung des Besuchs der Außenministerin nach Peking gereist. Anders als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird Baerbock ohne Wirtschaftsdelegation in der Volksrepublik erwartet. Mehr als 50 Unternehmerinnen und Unternehmer hatten Macron bei seinem Staatsbesuch in der vergangenen Woche begleitet. Dass Baerbock damit auch ein politisches Signal setzen möchte, ist anzunehmen. Doch verdeutlicht der Besuch Macrons erneut ein europäisches Dilemma, denn die EU-Staaten buhlen untereinander um chinesische Aufträge und Investitionen, um die Auftragsbücher ihrer heimischen Unternehmen zu füllen. Dass man in China um diese Schwäche Europas weiß, spiegelte sich jüngst auch in den Sozialen Netzwerken wider: Während dort Macron für seinen „wirtschaftlichen Pragmatismus“ viel Lob erfuhr, wurde Kommissionspräsidentin von der Leyen für ihre Warnungen vor kritischen Abhängigkeiten von China („De-Risking“) kritisiert. Eine gemeinsame europäische Linie gegenüber Peking ist in der Vergangenheit häufig am Veto einzelner Mitgliedstaaten gescheitert, eine Erfahrung, aus der man in Peking gelernt hat. Macron dürfte seine Reise dennoch als Erfolg für die französische Wirtschaft werten: So sollen u.a. Frankreichs Energieversorger EDF und sowie das Bahntechnik-Unternehmen Alstom lukrative Aufträge mitgenommen haben.

 

Immerhin: Wegen der Verletzung der Menschenrechte in der Uiguren-Provinz Xinjiang hat die EU ihr bereits ausgehandeltes Investitionsabkommen mit China (CAI) auf Eis gelegt. Laut UN-Bericht habe sich an der Menschenrechtssituation seitdem nichts geändert, so der Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke. Deshalb gebe es wahrscheinlich keine Veranlassung für die Europäer, irgendwie aktiv zu werden. „Von daher glaube ich, das wird weiter im Eisschrank schlummern", so Wuttke[6]. Da Peking zuletzt mehrfach ein Interesse an der Wiederaufnahme des Abkommens signalisiert hat, könnte das Thema beim Besuch Baerbocks dennoch auf der Agenda der Chinesen stehen.

 

China-Strategie erst in der zweiten Jahreshälfte?

Bereits mehrfach hatte die Bundesregierung die Veröffentlichung ihrer China-Strategie angekündigt, deren Ausarbeitung bereits im Koalitionsvertrag verankert wurde. Derzeit ist unklar, ob das Papier in seiner Endfassung noch vor den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen fertiggestellt wird, die voraussichtlich im Juni in Berlin stattfinden werden. Im vergangenen Jahr war bereits ein erster Referentenentwurf der Strategie bekannt geworden. Insbesondere das Bundeskanzleramt und das Bundesfinanzministerium sollen hinter den Kulissen nun dafür plädiert haben, vor der Veröffentlichung zunächst die Regierungskonsultationen im Sommer abzuwarten. Derweil soll die Nationale Sicherheitsstrategie, die vor dem China-Dokument publiziert werden soll, bereits weitgehend entwickelt worden sein. Da das Auswärtige Amt federführend für die Ausarbeitung der China-Strategie verantwortlich ist, dürfte das Thema bei Baerbocks Besuch in Peking eine Rolle spielen.

 

Lange Themenliste in Peking

Zu erwarten ist, dass Baerbock inhaltlich gegenüber Peking an die harte Linie der EU-Kommissionspräsidentin anknüpfen wird. So spricht sich der bereits geleakte Entwurf der China-Strategie für eine Reduzierung kritischer Abhängigkeiten von China aus. Beide Politikerinnen haben sich jedoch wiederholt gegen eine wirtschaftliche Entkopplung von China ausgesprochen. Seit Jahren ist China wichtigster bilateraler Handelspartner Deutschlands und der EU. 

 

Fraglich ist, ob sich die Bundesaußenministerin erneut zu den Spannungen um Taiwan äußern wird. Trotz scharfen Protests aus Peking hatte die Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen, kürzlich in Kalifornien den Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, getroffen. Die Machthaber in Peking reagierten mit erneuten Militärmanövern vor Taiwan. Aus ihrer Sicht ist die demokratisch regierte Insel eine abtrünnige Provinz. Die dreitägige Übung sei eine „Warnung" an „separatistische Kräfte", teilte die chinesische Armee mit[7]. In der zweiten Märzhälfte hatte Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) als erstes Mitglied der Bundesregierung seit mehr als 25 Jahren Taipeh besucht. Experten gehen davon aus, dass Baerbock die wachsenden Spannungen nutzen könnte, um aufzuzeigen, wie sehr sich die Ausgangslage für die weitere Entwicklung der regionalen Ordnung in Europa und im Indo-Pazifik aus ihrer Sicht ähneln und wie sehr hier deutsche Interessen berührt werden. Durch indirekte Vergleiche zwischen dem Krieg in der Ukraine und dem Taiwan-Konflikt hatte die Ministerin bereits in jüngerer Vergangenheit Kritik aus Peking geerntet. 

Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hatte sich Baerbock zuletzt auch enttäuscht über den Besuch von Chinas Staatschef Xi Jinping in Moskau gezeigt und von einer verpassten Gelegenheit gesprochen. Anzunehmen ist deshalb, dass auch Baerbock bei ihren Gesprächen in Peking darauf drängen wird, dass China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss gegenüber Putin nutzt, um zu einer Beendigung des Krieges beizutragen. Deshalb ist ihr Besuch auch eine Chance: Xi hat laut von der Leyen zumindest Bereitschaft signalisiert, mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu sprechen — zu gegebener Zeit und wenn die Stimmung passt, wie es hieß. Baerbock hat nun die Möglichkeit, in ihren persönlichen Gesprächen vor Ort abermals auf eine Einflussnahme Pekings auf Russland zu drängen. Selbst wenn die Erfolgschancen derzeit wohl eher gering sind, könnte sie damit bei ihrem China-Besuch ein wichtiges Zeichen für die Einigkeit Europas setzen.

 

 

[1] Yelu, Xu 2023: German FM’s visit to prepare for strategy paper on China, in: Global Times, 03.04. 2023, S. 3.

 

[2] Schmidt, Helga 2023: Mehr Abstand oder Annäherung? Tagesschau.de, 05.04. 2023, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/eu-china-reise-macron-vonderleyen-101.html, letzter Zugriff: 08.04.2023.

[3] Alle Zitate siehe: Yelu, Xu 2023.

[4] China Daily: EU's dilemma on being hijacked by US, 15.03.2023, abrufbar unter: https://www.chinadaily.com.cn/a/202303/15/WS6411b207a31057c47ebb4aa8.html, letzter Zugriff: 08.04.2023.

[5] Matthes, Jürgen und Manuel Fritsch 2022: Auswirkungen der Sanktionen Chinas gegen Litauen auf die EU, IW-Kurzbericht 4/2022, abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/manuel-fritsch-juergen-matthes-auswirkungen-der-sanktionen-chinas-gegen-litauen-auf-die-eu.html, letzter Zugriff: 08.04.2023.

[6] Freyeisen, Astrid 2023: Macron und von der Leyen in China: Auf der Suche nach dem richtigen Kurs, Tagesschau.de, 06.04.2023, abrufbar unter:  https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-macron-von-der-leyen-101.html, letzter Zugriff: 08.04.2023.

[7] DW 2023: China startet Militärmanöver vor Taiwan, abrufbar unter: https://www.dw.com/de/china-startet-milit%C3%A4rman%C3%B6ver-vor-taiwan/a-65261999, letzter Zugriff: 09.04.2023.

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Johann C. Fuhrmann

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Reuters / Damir Sagolj
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