Seit 23 Jahren arbeite ich als Pilot für die Deutsche Lufthansa, vor zehn Jahren wurde ich vom Co-Piloten zum Kapitän geschult. Die Pilotenausbildung hatte ich direkt nach Abitur und Bundeswehr begonnen. Über eine andere Ausbildung oder ein Studium verfüge ich nicht.
2007 heiratete ich, wir bekamen zwei Kinder, heute neun und elf Jahre alt, und bauten ein Haus. Meine Frau hat 2019 ihren Job gekündigt, da meine Dienstpläne immer enger wurden und eine meiner Töchter aufgrund einer Krankheit viel unserer Zeit benötigte, Lufthansa damals aber alle Anträge auf Teilzeit grundsätzlich ablehnte. Rein finanziell war dieses Alleinverdienermodell mit meinem Gehalt und den regelmäßigen Überstunden problemlos möglich. Pilot war ein „Traumberuf“, nicht ohne Schwierigkeiten, vor allem familiär, aber fraglos finanziell privilegiert.
Während meiner gesamten Karriere habe ich in meiner Berufsgruppe niemals etwas anderes als Personalmangel erlebt, auch nach der Bankenkrise 2008 nicht.
Ich war daran gewöhnt, Monat für Monat die maximal tariflich zugelassenen Überstunden arbeiten zu müssen. Das hatte zur Folge, dass ich meine Familie selten sah, aber ein ordentliches Jahreseinkommen bekam. Angst um meinen Arbeitsplatz hatte ich nie. Kolleginnen und Kollegen verloren ihre Arbeit lediglich aufgrund gesundheitlicher Probleme. Für diesen Fall habe ich mich gegen Berufsunfähigkeit versichert.
Mit Beginn der Coronakrise hat sich meine berufliche Situation komplett umgekehrt. Seit April 2020 führt Lufthansa weniger als zwanzig Prozent des geplanten Flugprogramms durch. Selbst diese wenigen Flüge haben im Schnitt eine niedrige Passagierauslastung, lediglich das Frachtgeschäft generiert noch Einnahmen. Die Piloten der Passagierflugzeuge befinden sich zum größten Teil in Kurzarbeit. Ob ich arbeiten darf oder nicht, wird monatsweise entschieden. Stand März 2021 war ich fünf Monate zum Arbeiten eingeteilt und hatte sieben Monate zu einhundert Prozent Kurzarbeit; etwa die Hälfte aller meiner Cockpit-Kollegen befinden sich dauerhaft in hundertprozentiger Kurzarbeit. Selbst in den Arbeitszeitmonaten hatte ich weniger Flugeinsätze, als möglich gewesen wären, ohne Überstunden generieren zu können.
Ich bin mir bewusst, dass es Menschen in anderen Berufsgruppen aktuell insgesamt weit schlechter geht, für uns Piloten sind die Aussichten allerdings langfristig ebenfalls schlecht. Bis März 2022 erhalte ich von der Lufthansa eine Aufstockung meines Kurzarbeitergeldes auf circa 75 Prozent meines ursprünglichen Grundgehaltes. In den Arbeitsmonaten wurde mein Grundgehalt zunächst um etwa sechzehn Prozent gesenkt. Ob und in welcher Höhe ab April 2022 noch Kurzarbeitergeld gezahlt wird und wie weit Lufthansa dann aufstocken wird, ist derzeit offen. Diesbezügliche Verhandlungen mit dem Betriebspartner haben noch nicht stattgefunden.
Die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten der Lufthansa sind düster. Selbst bei erfolgreicher Verteilung eines COVID19-Impfstoffs ist damit zu rechnen, dass der Geschäftsreiseverkehr, wenn überhaupt, erst nach einigen Jahren auf Vorkrisenniveau zurückkehren wird. Im dritten Quartal 2020 hat Lufthansa 1,3 Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet. Die staatlichen Kredite in Höhe von neun Milliarden Euro werden innerhalb von zwei bis drei Jahren aufgebraucht sein, wenn sich die Situation nicht verbessert.
Im fliegerischen Alltag hat sich bisher nicht viel verändert. Natürlich müssen die Hygieneregeln befolgt werden, und es gibt hin und wieder Schwierigkeiten mit Passagieren, die zum Beispiel die vorgeschriebenen Masken nicht tragen wollen. Im Übrigen ist die Stimmung innerhalb der Crews natürlich durch die Gesamtsituation getrübt.
Lufthansa hat eine vorbildliche Sicherheitskultur, sodass ich bisher kein Anzeichen dafür sehe, dass die Coronakrise unsere Flugsicherheit negativ beeinflusst. Dennoch muss – wie nie zuvor – an allen Ecken und Enden gespart werden. Das wird Lufthansa sicherlich insgesamt in Richtung der Low-Cost-Carrier verändern. Eine neue Touristiksparte namens „Eurowings Discover“ mit deutlich schlankeren Strukturen, besonders bei den Personalkosten, ist bereits fest in Planung. Natürlich kommt bei vielen Angestellten die Befürchtung auf, dass die Geschäftsleitung die Coronakrise nutzen könnte, um Personal aus den bestehenden Tarifverträgen in neue, für die Firma günstigere Verträge zu „transferieren“ – auf welche Weise auch immer das geschehen mag. Die für die Piloten verhandlungsführende Gewerkschaft „Vereinigung Cockpit“ teilt diese Befürchtung.
Lufthansa hat angekündigt, circa 25 Prozent ihrer Piloten kurzfristig nicht mehr beschäftigen zu wollen. Einen Sozialplan gibt es noch nicht. Allerdings steht Lufthansa der Idee einer zeitlich begrenzten, kollektiven Teilzeitbeschäftigung aller Piloten mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, eher ablehnend gegenüber. Dagegen wurde bereits angekündigt, dass die Altersstruktur der Piloten beibehalten werden soll. Niemand kann sich aufgrund seines Alters oder der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit sicher sein, nicht gekündigt zu werden. So trage ich, einst in einem „Traumberuf“ über den Wolken unterwegs, am Boden einen Rucksack sorgenvoller Gedanken mit mir herum: Wird die Firma die Krise überleben? Werde ich meinen Job behalten? Falls nicht, was dann? Etwas anderes als das Fliegen habe ich nie gelernt. Wie wird die Zukunft meiner Familie aussehen? Niemand hätte es sich vorstellen können, aber selbst für uns Flieger platzen Träume.
Peter Haase, Berufspilot bei der Lufthansa.