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Meinungs- und Pressefreiheit in Lateinamerika
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Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit sind wesentliche Bestandteile einer demokratischen Gesellschaft. Leider werden diese Rechte in vielen Regionen der Welt seit Jahren kontinuierlich eingeschränkt. Selbst in Demokratien steht die freie und unabhängige Presse vor großen Herausforderungen.
In vielen lateinamerikanischen Ländern nehmen die Regierungen systematisch investigative Journalisten ins Visier, um den Zugang zu frei veröffentlichten Nachrichten und Informationen für die Bevölkerung zu verhindern. Die Belästigung und Stigmatisierung der Medien, die durch Online-Desinformation und Verfolgung genährt wird, hat vor allem gegenüber Journalisten, die auf ihren Plattformen die Regierung zur Rechenschaft ziehen, zugenommen.
Laut Reporter ohne Grenzen 2022 befinden sich Länder wie Kuba (173.), Honduras (165.), Nicaragua (160.), Venezuela (159.), Kolumbien (145.), Mexiko (127.), Bolivien (126.), Guatemala (124.) und Brasilien (110.) im unteren Drittel des globalen Index für "Weltpressefreiheit". Das Ranking fasst Indikatoren wie Meinungspluralismus, Unabhängigkeit der Medienlandschaft, Zensur, Rechtsrahmen, Infrastruktur, Transparenz und Angriffe auf Journalisten in 180 Ländern und Gebieten zusammen.
Unsere Übersichtsseite gibt einen Einblick in die verschiedenen Dimensionen der Rückschritte bei der Meinungs- und Pressefreiheit in Lateinamerika.
Desinformation auf digitalen Plattformen
Im heutigen digitalen Zeitalter können Menschen mit einem einzigen Klick Informationen an Millionen anderer weitergeben. Die digitale Welt bringt jedoch auch Herausforderungen im Hinblick auf die Menschenrechte und die Prinzipien demokratischer Staatsführung mit sich. Das Internet hat eine neue Art des Konsums und der Reproduktion von Informationen bei minimaler Regulierung ermöglicht, was eine schnelle Verbreitung falscher und irreführender Informationen in sozialen Netzwerken erlaubt. Und da das Misstrauen gegenüber Fakten wächst, wird es immer schwieriger zu erkennen, ob eine bestimmte Information glaubwürdig ist oder nicht. Laut Freedom on the Net hat die Manipulation von Online-Inhalten zu einem Rückgang der Internetfreiheit beigetragen.
Während der COVID-19-Pandemie erlebten einige Länder in der Welt die schnelle Verbreitung von Fake News, die durch ungenaue Informationen über die Anzahl der Infektions- und Todesfälle, Präventionsmaßnahmen und Behandlungen sowie durch die Diskreditierung der Wissenschaft charakterisiert waren. Darüber hinaus haben viele Regierungen die angebliche Bekämpfung von Fake News im Zusammenhang mit der Pandemie als Vorwand genutzt, um die Presse- und Meinungsfreiheit auf digitalen Plattformen einzuschränken, indem sie den Zugang zu Informationen beschränkten, kritische Äußerungen zensierten und die digitale Überwachung von Journalisten verstärkten. Laut einer von Freedom on the Net durchgeführten Bewertung haben Regierungen in 28 Ländern der Welt legitime Websites blockiert und Online-Medien zensiert, um ungünstige Gesundheitsstatistiken im Zusammenhang mit der Pandemie und kritische Berichterstattung zu unterdrücken.1
In Argentinien förderten Regierungsstellen unter der Leitung von Präsident Alberto Fernández zwei Initiativen, die für die Überprüfung von Informationen im Zusammenhang mit COVID-19 zuständig sind, um das zu bekämpfen, was als "Infodemie" bezeichnet wurde, obwohl beide Organisationen mit Regierungsstellen verbunden sind. Die Einrichtung dieser Initiativen durch den Staat bei gleichzeitiger Diskreditierung anderer nichtstaatlicher Initiativen kann nach Ansicht der Asociación de Entidades Periodísticas Argentinas (ADEPA) als subtile und indirekte Zensur angesehen werden, denn die Vorgabe, welche Informationsquellen von staatlichen Stellen berücksichtigt werden sollen, kann eine Bedrohung für die Meinungs- und Pressefreiheit darstellen.2
Analog zu diesem politischen Muster der Sperrung von Websites und der Löschung unerwünschter Informationen zensierten die venezolanischen Behörden Websites der von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung und des Oppositionsführers Juan Guaido, die Informationen über die Pandemie enthielten.3 Darüber hinaus ließ Präsident Nicolás Maduro seine Facebook-Seite für 30 Tage sperren, nachdem er eine Reihe von Falschinformationen im ganzen Land verbreitet hatte, in denen er behauptete, dass eine Thymiankräuterlösung das COVID-19-Virus heilen könne.
Die Verbreitung von Fehlinformationen hat sich jedoch nicht nur negativ auf die Überwindung der Pandemie in Lateinamerika ausgewirkt, sondern hatte auch enorme Auswirkungen auf den demokratischen Prozess in Wahlperioden, was bedeutet, dass die Grundsätze einer starken Demokratie untergraben wurden. In vielen lateinamerikanischen Ländern haben politische Kampagnen faktenbasierte Kommunikation verhindert und stattdessen falsche Informationen auf Online-Plattformen und in sozialen Medien verbreitet, um die Wähler falsch zu informieren, zu täuschen und zu beeinflussen und politische Gegner zu disqualifizieren.
Unter der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro ist Brasilien in der Region zu einem Vorreiter geworden, was die Verbreitung von Desinformationen in den sozialen Medien im Vorfeld anstehender Wahlen betrifft. Während der Wahlen 2018 deckte eine von Folha de São Paulo geleitete Untersuchung auf, dass mehrere Privatunternehmen Bolsonaros Kampagne durch den Kauf von WhatsApp-Paketen unterstützten, die eine schnelle Verbreitung von Nachrichten ermöglichten.4 Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2022, bei denen er seine zweite Amtszeit anstrebt, hat Bolsonaro eine juristische Offensive und eine Desinformationskampagne gestartet, um die elektronische Stimmabgabe im Land in Frage zu stellen. Mehrere Experten haben jedoch bereits bestätigt, dass das brasilianische Wahlsystem eine der stärksten Sicherheitsvorkehrungen der Welt hat.
2 https://adepa.org.ar/monitorear-el-pensamiento-no-favorece-la-libertad-de-expresion/
3 https://freedomhouse.org/country/venezuela/freedom-net/2021
Journalismus unter Druck
Die Pressefreiheit ist ein wesentlicher Pfeiler der Demokratie, denn eine freie Presse deckt die Wahrheit auf, informiert die Wähler und dient als Wächter der Macht. Eine starke Presse, die kritisch berichtet, kann jedoch für viele autoritäre Staaten und Regime eine Bedrohung darstellen. Journalisten sind zunehmend verbalen und physischen Angriffen, Schikanen, Einschüchterungen und willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt, insbesondere, wenn sie über heikle politische Themen, lokale Korruption und Fälle von organisierter Kriminalität berichten und recherchieren. Infolge dieses feindseligen und komplexen Umfelds hat die Region in den letzten Jahren einen allgemeinen Rückgang der Pressefreiheit erlebt.
Für internationale Organisationen wie das Komitee zum Schutz von Journalisten und Reporter ohne Grenzen ist Mexiko seit drei Jahren in Folge weltweit das Land mit den meisten Todesopfern unter Journalisten. Als Beispiel für die grassierende Gewalt gegen Journalisten, die im ganzen Land verbreitet ist, weisen die von Artikel 19 gesammelten Daten darauf hin, dass es zwischen 2019 und 2021 1.945 Angriffe auf Journalisten gab, darunter 33 Morde.5 Das Land steht auf dem Global Impunity Index an sechster Stelle, was darauf hinweist, dass die meisten Verbrechen gegen Journalisten nicht ordnungsgemäß untersucht werden und die Täter weitgehend straffrei bleiben. Obwohl die Pressefreiheit in Mexiko schon in den letzten Jahrzehnten unter Druck geraten ist, hat sie unter der Regierung des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) noch einmal stark abgenommen. Während seiner täglichen Pressekonferenzen, den sogenannten mañaneras, verunglimpft und diskreditiert er die nationalen und internationalen Medien.
Kuba wiederum hat ein Einparteiensystem, das keine Opposition zulässt. Das Land belegt im Weltindex für Pressefreiheit den achtletzten Platz weltweit und ist damit auch das Schlusslicht in Lateinamerika. Das kubanische Regime hält ein fast vollständiges Nachrichtenmonopol, reguliert den Informationsfluss innerhalb des Landes, geht kontinuierlich gegen Kritiker vor und scheut dabei auch nicht vor brutaler Unterdrückung und Zensur zurück. Medien in Privatbesitz sind in der kubanischen Verfassung nach wie vor verboten, was dazu führt, dass unabhängige Medien aufgrund der jüngsten Verbesserungen der Internetdienste nur noch in Online-Formaten existieren können. Der Journalismus ist in Kuba ständigen Angriffen ausgesetzt: Willkürliche Verhaftungen, Schikanen, Überwachung, Inhaftierung und illegale Hausdurchsuchungen sind einige der Tatsachen, mit denen Journalisten konfrontiert sind, wenn sie ihre kritischen Bedenken gegenüber dem Regime äußern. Nach den massiven Antiregierungsprotesten im Juli wurden viele Journalisten und unabhängige Blogger inhaftiert, unter Hausarrest gestellt und von der Staatssicherheit überwacht.
Venezuela, Honduras und Nicaragua stehen auf der Liste der weiteren lateinamerikanischen Länder, die in den roten Bereich des Index fallen. In Venezuela, wo der Autoritarismus weiter zunimmt, ist der Raum für unabhängige Berichterstattung seit dem Amtsantritt von Präsident Nicolás Maduro im Jahr 2013 geschrumpft. Mehr als 115 Medien wurden geschlossen6 und kritischen Radio- und Fernsehsendern wurde von der Nationalen Telekommunikationskommission (CONATEL) die Lizenz für ihre Sendefrequenzen entzogen.7 Auch die Online-Zensur hat nach Angaben des Instituts für Presse und Gesellschaft Venezuelas zugenommen, da verschiedene Websites traditioneller und unabhängiger Medien blockiert wurden, was dazu führte, dass das Land von Freedom on the Net als „nicht frei“ eingestuft wurde.
In Nicaragua wird das Recht auf freie Meinungsäußerung unter dem Regime von Präsident Daniel Ortega, der seit 2007 an der Macht ist, stark unterdrückt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) äußerte sich besorgt über die zunehmende Zahl von Nicaraguanern, die aufgrund der alarmierenden politischen Razzien und der Verfolgung von Regierungskritikern, darunter auch Journalisten, zwangsumgesiedelt wurden, da das Umfeld für die Medien in dem Land extrem gewalttätig ist.8
Auch in El Salvador wird Präsident Nayib Bukele seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2019 beschuldigt, die Pressefreiheit zu untergraben, indem er unabhängige Journalisten, die seine Regierung kritisieren, diskreditiert, angreift und die Medien als Feinde des Volkes darstellt. Im benachbarten Honduras ist der investigative Journalismus durch das Zusammenspiel von organisiertem Verbrechen und Korruption in der Politik gefährdet.
5 https://articulo19.org/negacion/
8 https://www.oas.org/en/IACHR/jsForm/?File=/en/iachr/media_center/PReleases/2021/346.asp
Shrinking Spaces
Überall auf der Welt ist sowohl in autokratischen als auch in demokratischen Staaten die Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren unter Druck geraten. Dem CIVICUS Monitor zufolge leben fast 89 % der Weltbevölkerung in eingeschränkten, unterdrückten oder geschlossenen Ländern, in denen sich die Menschen nicht frei mit anderen zusammenschließen können, um gemeinsame Ziele zu verfolgen, ihre Meinung ohne Angst zu äußern oder gegen ihre Regierungen zu protestieren, um mehr Rechte zu fordern. In vielen lateinamerikanischen Ländern haben die Regierungen ihre Kontrolle über den zivilgesellschaftlichen Raum zunehmend ausgeweitet, um kritische Äußerungen und Positionen zu unterdrücken. Neben Kuba, Venezuela und Nicaragua, die seit langem autokratisch regiert werden und auf jede Kritik mit Repression und Kontrolle reagieren, wenden die Regierungen in anderen Ländern wie Mexiko, Honduras, Guatemala, El Salvador, Bolivien und Brasilien eine ähnliche Politik der Einschränkung zivilgesellschaftlicher Organisationen, Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten an. Mit administrativen Hürden, unverhältnismäßigen rechtlichen Kontrollen und Gesetzen gegen ausländische Finanzierungen sowie Steuergesetzen versuchen diese Regierungen, Nichtregierungsorganisationen finanziell auszutrocknen und zu kontrollieren.
Das Problem der Shrinking Spaces in Guatemala hat sich erheblich verschärft. Das Dekret 4-2020, das im Juni 2021 in Kraft getreten ist, ändert die Gesetzgebung, die gemeinhin als "Ley de ONG" bezeichnet wird und ermöglicht es der Regierung, einer NGO die Registrierung, ohne klare rechtsstaatliche Verfahren zu entziehen und die Kontrolle über die Mittel der internationalen Zusammenarbeit auszuüben.9 Dieses Gesetz gilt als unvereinbar mit dem Recht auf Vereinigungsfreiheit und wird als Versuch gesehen, die Arbeit der guatemaltekischen Zivilgesellschaft zu untergraben, insbesondere die derjenigen Gruppen, die direkt von ausländischen Gebern finanziert werden.
In den zentralamerikanischen Nachbarländern wie Honduras, Nicaragua und El Salvador haben sich die Rechtsstaatlichkeit und der Handlungsfreiraum für regierungskritische Mitglieder der Zivilgesellschaft stetig verschlechtert. Nicaragua, das vor kurzem als geschlossener Raum für die Zivilgesellschaft eingestuft wurde,10 ist von einer Atmosphäre der Angst geprägt. Dazu gehören weit verbreitete Verstöße gegen die Bürgerrechte, wie das Verbot von Bürgerdemonstrationen, die Kriminalisierung und Schließung Dutzender zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Medienzensur und willkürliche Verhaftungen.
Darüber hinaus ist auch der Raum für die brasilianische Zivilgesellschaft geschrumpft. Obwohl das Land nach wie vor eine Demokratie mit funktionierenden Institutionen ist, haben seit Beginn des Wahlkampfes Anfang 2022 die rechtspopulistische Rhetorik von Präsident Bolsonaro und verbale Angriffe auf Menschenrechtsaktivisten und Nichtregierungsorganisationen zugenommen. Während Brasilien für Umweltaktivisten zum viertgefährlichsten Land der Welt geworden ist, sind indigene Aktivisten ständig mit Repressionen konfrontiert.
In Kuba, wo Menschen ständig inhaftiert und unterdrückt werden, weil sie ihr Bürgerrecht auf Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wahrnehmen, wurden Hunderte von Bürgern polizeilich überwacht und sogar festgenommen, weil sie an den im Juli 2021 ausgebrochenen Massenprotesten teilgenommen hatten.