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Autonome Zentren in Deutschland

„Keine Macht für niemand!“ - Autonome Subkultur

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Autonome streben als Teilströmung des politisch radikalen bis gewaltorientierten linken Meinungsspektrums nach radikaler Gleichheit und Herrschaftsfreiheit in der Gesellschaft.1 Anhänger der seit dem Ende der 1970er Jahren aktiven Szene, deren Schwerpunkte in Ballungsräumen und großen Universitätsstädten wie Berlin, Hamburg oder Leipzig liegen, sehen sich als Aktivist bis aktive (Vor-)Kämpfer für die Themen Freiraum („Häuserkampf“), gegen „Faschismus“ oder „Klimagerechtigkeit“. Mit der linken Bewegung teilen sie ausgeprägte „Anti“-Haltungen zu bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen, die den Zugang zu ideologischen Spielarten im Linksextremismus eröffnen und als Rechtfertigung für „Aktionen“ dienen.

Autonome vertreten einen diffusen Anarchismus, wonach jegliche Vorgaben und Zwänge abgelehnt werden.2 Dies verdeutlicht etwa die ideologische Konfliktlinie bis Feinderklärung an die staatliche Ordnungsmacht. Feindbilder sind die Polizei neben mutmaßlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten aber auch Vertreter des „Kapitals“ wie Immobilien-, Rüstungs-, Agrar- oder Energiebetriebe. Diese Gruppen stellen aus Sicht von Autonomen Hindernisse dar, die der Verwirklichung einer selbstbestimmten und antiautoritären Lebenswelt entgegenstehen.3

 

Autonome: Urbane linksextremistische Subkultur

Schwerpunkte von Autonomen sind seit jeher Ballungsräume. Große Universitätsstädte mit divers-kulturellem Angebot ziehen unterschiedliche Subkulturen oder gesellschaftliche Randgruppen an. Autonome Zentren in den genannten Metropolen entwickelten sich aus dortigen Hausbesetzerszenen der 80er und 90er Jahre. Dabei vereinnahmte Objekte üben bis heute eine enorme Symbol- und Anziehungskraft aus. Die Vorgehensweise und Methodik ist weitgehend gleichgeblieben: Um sich von gesellschaftlichen, ökonomischen oder staatlichen Zwängen des Kapitalismus zu befreien werden leerstehender Häuser besetzt, Wohnprojekte oder -genossenschaften gegründet, Kleinbetriebe wie Kiezkneipen oder Läden eröffnet sowie Einrichtungen wie Veranstaltungsräume betrieben. Dynamischer ist heute der Protest, der schneller und effizienter über digitale Medien mobilisiert werden kann.

 

„Antifa-Area“ = rechtsfreie Räume?

Es existiert eine Formvielfalt „herrschaftsfreier Selbstorganisation4“. Reklamiert werden einzelne Häuser („Rigaer Straße 94“), Straßenzüge (Connewitzer Kreuz) oder Stadtteile (Hamburger Sternschanze) als autonome „Kieze“. Einerseits ist die subkulturelle Bedeutung durch einfach zugängliche Angebote und Formate enorm. Organisiert werden Vortrags-, Diskussions- oder Musikveranstaltungen. Freizeit- oder Sportaktivitäten sowie Straßenfeste und Musikkonzerte gehören ebenfalls zum Programm. Autonome Zentren sind andererseits nicht nur alternative Freiräume, sondern abgeschottete Rückzugs- und Schutzräume etwa für Anhänger der militanten Antifa-Bewegung, um sich staatlicher Strafverfolgung entziehen oder Straftaten gezielt vorbereiten zu können.5 Begünstigt wird die Widerständigkeit gegenüber dem Rechtsstaat und dessen Gewaltmonopol durch ein dichtes Unterstützerumfeld aus Vereinen, Kleingruppen, Personen, Bündnissen und eigenen Medien.6

 

Akute Hochburgen: Hamburg, Berlin und Leipzig

Eine anhaltend hohe Aggression, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft kennzeichnet die Autonomen in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg sowie in Leipzig.7 Auch die Hansestadt Bremen wird zunehmend als neuer Schwerpunkt genannt.8 In der Pandemiezeit haben sich die regionalen Szenen jedoch verändert. In Berlin stehen autonome Freiräume zunehmend unter Druck.9 Symbolträchtig besetzte Areale wie „Liebig 34“ oder der „Köpi“-Wagenplatz wurden geräumt. Das Wohnprojekt „Riga 94“ mit der Szenekneipe „Kadterschmiede“ ist von Räumung bedroht.10 Früher aktive militante Antifa-Gruppen sind teilweise aufgelöst. Neues Gewicht etwa bei jungen Anhängern erhalten Anlaufpunkte der anarchistischen Szene. In Hamburg dominiert zwar unverändert die „Rote Flora“ im Stadtteil Sternschanze das Geschehen. Wachsende Aufmerksamkeit erhalten aber auch die eher von anarchistischen Einflüssen geprägten Anlaufstellen „Libertäres Kultur- und Aktionszentrum“ oder die „Schwarze Katze“.11 Ein vergleichbares Bild zeigt sich in Leipzig. Teilweise besteht das Interesse an einer radikal-linken Alternative, die nicht nur antiautoritäre Kämpfe um Freiräume befürwortet. Mit Kritik an der autonomen Bewegung bei gleichzeitiger Offenheit für militante Einstellungen wirbt etwa die „Offene anarchistische Vernetzung Leipzig“.12

 

Rückkehr zu anarchistischen Wurzeln?

Grundsätzlich ist der Linksextremismus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zerstritten. Ob es nach einer Revolution noch einer Übergangsphase zur Durchsetzung radikaler Gleichheit mittels einer Diktatur bedarf, wie es die dogmatischen Kommunisten fordern, wird von den Anarchisten strikt abgelehnt.13 Für ihre Utopie der wahren „herrschaftsfreien Gesellschaft“ wollen sie den Staat sofort zerschlagen. Die Uneinigkeit über die Methoden im Kampf um Freiräume ist auch Ausdruck bleibender Unsicherheit unter Anhängern. Nachdem etwa in Leipzig und an anderen Orten gewalttätige Kleingruppen wie die Zelle um Lina E. und weitere Gewalttäter zerschlagen werden konnten, wird jedenfalls über neue Strukturen und Bündnisse philosophiert.14 Anarchistische Narrative, die für mehr Kompromisslosigkeit gegen einen repressiven Staat stehen, stoßen zumindest auf mehr Aufmerksamkeit.

 

Wie umgehen mit der Forderung nach alternativen Freiräumen?

Trotz teilweiser stagnierender Zahlen bei Anhängern, Aktionspotential und Gewalttaten können die Autonomen weiter tausende Anhängerinnen und Anhänger kurzfristig etwa für „Soli“-Demos mobilisieren. Bundesweit kam es etwa am 3. Juni 2023 dem sogenannten „Tag X“ zu gewalttätigen Ausschreitungen mit Polizeikräften.15 Aus Solidarität mit Lina E. wollte sich die Szene am deutschen Staat, der den Antifaschismus nicht konsequent bekämpfe, rächen. Vergleichbare Großdemonstrationen wie die genannte in Leipzig mit bis zu 2.000 Teilnehmern bleiben für die Städte mit autonom-gewaltbereiten Communities ein Risikofaktor. So heterogen wie die autonome Bewegung selbst zusammengesetzt ist, sind ebenfalls die Strategien der Kommunen mit linksalternativen Brennpunkten umzugehen. Insbesondere nach den Ausschreitungen um den G20-Gipfel Anfang Juli 2017 in Hamburg sind zur „Roten Flora“ Optionen der Schließung, Umwandlung oder ein städtischer Erwerb diskutiert worden.16 In Freiburg und Leipzig sind am Beispiel besetzter Häuser etwa Legalisierungsmöglichkeiten von Wohnverhältnissen durch kommunalen Erwerb erwogen worden.17

 

Tim Segler

 


1 Vgl. Pfahl-Traughber, Linksextremismus”. In Slama / Kemmesies (Hrsg.), Handbuch Extremismusprävention Gesamtgesellschaftlich Phänomenübergreifend, S. 116-134. URL: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/PolizeiUndForschung/1_54_HandbuchExtremismuspraevention.pdf?__blob=publicationFile&v=16, abgerufen am 21.11.2024

2 Vgl. Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland - Eine kritische Bestandsaufnahme, Springer VS Wiesbaden 2020, S. 140 f.

3 Vgl. Farin, Die Autonomen, Hirnkost 2015, S. 40 ff.

4 Vgl. Eibisch, Politische Theorie des Anarchismus: Zum paradoxen Streben nach Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstorganisation, Transcript 2024.

5 Vgl. Jaschke, Politischer Extremismus, VS Springer Wiesbaden 2012, S. 70 ff.

6 Vgl. Mannewitz, Die autonome Szene in Leipzig, in: Deycke et al., Von der KPD zu den Post-Autonomen: Orientierungen im Feld der radikalen Linke, S. 205 f.

7 Vgl. Der Tagesspiegel, Presseartikel v. 17.06.2021, URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/linksextremistische-gewalt-berliner-haeuserkampf-165207.html, abgerufen am 21.11.2024.

8 Vgl. Innenministerkonferenz, Analyse zur Radikalisierung im gewaltorientierten Linksextremismus, Juli 2020, S. 3 u. 12-14, URL: https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2020-06-17_19/analyse.pdf?__blob=publicationFile&v=2, abgerufen am 21.11.2024.

9 Vgl. Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht 2023, S. 50 ff., URL: https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/verfassungsschutzberichte/verfassungsschutzbericht-2023.pdf?ts=1730982090, abgerufen am 21.11.2024.

10 Ebd.

11 Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg, Verfassungsschutzbericht 2023, S. 88-90, URL: https://www.hamburg.de/resource/blob/949508/58457a6baf44a0e339f6beb63edd379d/verfassungsschutzbericht-2023-pdf-data.pdf, abgerufen am 21.11.2024

12 Vgl. Planos – Linksradikaler Kalender für Leipzig und Umgebung, Beitrag zur „Offenen anarchistischen Vernetzung Leipzig“, URL: https://www.planlos-leipzig.org/offene-anarchistische-vernetzung-leipzig/, abgerufen am 21.11.2024.

13 Vgl. Karsten Dustin Hoffmann: „Rote Flora“. Ziele, Mittel und Wirkungen eines linksautonomen Zentrums in Hamburg, Baden-Baden 2011, S. 51 f. u. 67 f.

14 Vgl. Planos, a. a. O.

15 Vgl. Polizei Sachsen, Polizeieinsatz anlässlich „Tag X“ am 3. Juni 2023, URL: https://www.polizei.sachsen.de/de/98609.htm, abgerufen am 21.11.2024.

16 Vgl. NDR, Presseartikel v. 01.11.2024, URL: https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Rote-Flora-Aktivisten-besetzen-1989-altes-Varietetheater,roteflora322.html , abgerufen am 21.11.2024.

17 Vgl. National Geographic, Presseartikel v. 25.04.2024, URL: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2024/04/protest-gegen-wohnungsnot-die-deutsche-geschichte-der-hausbesetzungen, abgerufen am 21.11.2024.

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