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Freie Sachsen
Vorläufer und Ursprung der Gruppierung
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Die rechtsextremistische und von den Verfassungsschutzbehörden1 beobachtete Kleinpartei mobilisiert seit ihrer Gründung im Februar 2021 in der Hochphase der Covid-19-Pandemie zu „Spaziergängen“ und beteiligt sich an regionalen Wahlen.2 Ihr Ursprung liegt im Umfeld der rechtsextremistischen Szene von Chemnitz: Anhängern der NPD und der 2009 gegründeten Wählervereinigung „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“, die seit 2018 von der sächsischen Verfassungsschutzbehörde beobachteten werden, wurde vorgeworfen im Stadtteil Sonnenberg nach dem Vorbild deutscher rechtsextremistischer Gruppierungen einen sogenannten „Nazi-Kiez“ etablieren zu wollen.3 Angelehnt am Raumkonzept von einer national befreiten Zone sollen Plätze und Straßen „völkisch“ von politischen Gegnern, alternativen Jugend- und Subkulturen, staatlichen Kräften sowie Vertreterinnen und Vertretern einer sogenannten „Gossenjournaille“ freigehalten werden. Konkret nahm diese Vision im August 2018 Gestalt an: Führungsfiguren der Partei wie Martin Kohlmann sollen nach der tödlichen Messerattacke auf einen Deutsch-Kubaner in Chemnitz rassistische Proteste und Übergriffe auf Nichtdeutsche in Gestalt sogenannter „Hetzjagden“ geschürt haben.4 Wenige Zeit später schloss sich Kohlmann mit Anhängern von Pegia (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) und anderen Rechtsextremisten dem Aufruf der AfD zu einem Schweigemarsch an.
Speerspitze einer neuen nationalen Bewegung im Freistaat Sachsen?
Strategisch wurden die Freien Sachsen als Sammlungsbewegung zugunsten eines neuen nationalen Lagers aufgebaut: Aktive Kräfte unter den etwa 1.000 Mitgliedern sind NPD-Anhänger, militante Neonationalsozialisten, Sympathisanten der Querdenken-Bewegung und rechtsextremistische Gruppierungen.5 Insbesondere sollen der Partei verurteilte Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ angehören, die Sprengstoffanschläge auf Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte verübten.6 Die breite Vernetzung und Bündnispolitik der Partei setzt dort an, wo gescheiterte jedoch teilweise reaktivierbare Neonazi-Strukturen etwa der Kameradschaften und Freien Kräfte an ihre Grenzen stießen. Bei den „Freien Sachsen“ kommt dabei im Unterschied zu anderen Parteien oder Gruppierungen im rechtspopulistisch bis -extremen Lager die Möglichkeit sogenannter Doppel-Mitgliedschaften hinzu.7 Die Partei pflegt keinen Alleinvertretungsanspruch, sondern lädt Anhängerinnen und Anhänger besonders widerständig bis völkisch ausgerichteter Organisationen über ihr Satzungsrecht nicht nur zur aktiven Teilnahme an Protesten, sondern auch einer Mitgliedschaft ein. Wie ein rechtsextremistisch geführter Dachverein sollen regionale nationale Kräfte aufgenommen und in die Parteiarbeit eingebunden werden. Die Partei konnte ebenso Teile der aus der Pandemiezeit anhaltenden Proteststimmung in Ostdeutschland erfolgreich kanalisieren und zu Folgeformaten wie „Freies Thüringen“ inspirieren.8
„Säxit Jetzt!“, „Widerstand um jeden Preis“ - Positionen und Narrative
Die Partei kennzeichnet weniger ein geschlossenes Weltbild, als das Adressieren einer großen Bandbreite anschlussfähiger Protest- und „Unmuts“-Themen. In der Ansprache betonen die „Freien Sachsen“ ihre patriotisch-heimattreue Gesinnung. Inhaltlich werden soziale Fragen des „Volkes“ mit ideologischen Zielen der „Neuen Rechten“ und sezessionistischer Freiheit von der Bundesrepublik („Säxit! - Autonomie für Sachsen“) verknüpft.9 Angelehnt an die Strategie neu-rechter Meta-Politik soll die politische und kulturelle Dominanz besonders in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands über Protestkampagnen erlangt werden. Der Zusatz „Frei“ im Parteinamen steht für ein antidemokratisches Widerstands-Narrativ. Getreu ihrem Motto in der Pandemiezeit „Wir sind die Rote Linie!“ sieht sich die Partei vergleichbar anderer rechtspopulistischer bis teilweise -extremistischer Parteien als die letzte evolutionäre Form des Widerstands mit friedlichen Mitteln. Proteste der „Freien Sachsen“ werden medial als ultimativ letzter Ausweg vor einem Systemzusammenbruch hochstilisiert.10 Bei organisierten Montagsdemonstrationen setzt die Partei auf die Nachhaltigkeit von aus der Pandemiezeit stammender Umsturzfantasien.11 Neben Bundesthemen wie der Covid-19-Pandemie, der Energiekrise, „illegaler Einwanderung“, „steigende Messer-Kriminalität“ oder Friedensinitiativen werden auch lokale Proteste von Landwirten oder gegen Schulschließungen beeinflusst.12
Digitale Stimmungs- und Mobilisierungsmaschine?
Die Aktivitäten der Partei gehen über Sachsen hinaus, weshalb auch das Bundesamt für Verfassungsschutz vor ihrem Agieren warnt.13 Eine überregionale Mobilisierung gelingt der Partei etwa in Sachsen und Thüringen über eigene Telegram-Kanäle, soziale Netzwerke und Merchandising-Produkte. Wiederholt sind seit 2023 Anhänger der Partei im angrenzenden Bundesland Thüringen etwa bei anhaltenden Kundgebungen in Gera oder Meiningen anzutreffen.14 Ende September 2024 gab die Partei die Gründung eines Kreisverbandes „Gera-Reuß“ bekannt.15 Im Buhlen um mediale Aufmerksamkeit arbeitet die Partei mit Ressentiments gegen „Kulturfremde“, dem Einschüchtern politisch Andersdenkender sowie mit dem Faktor Angst. Als „Feinde der Freiheit“ werden regionale Politiker wie der Ministerpräsident Michael Kretschmer und die Sozialministerin Petra Köpping 16 gebrandmarkt, die für die Pandemiebeschränkungen zu verurteilen seien („Corona-Täter 17“). Dabei kreieren die Freien Sachsen eine Art Selbstwirksamkeitsillusion, dass maßgeblich sie für die Rücknahme von Pandemiebeschränkungen verantwortlich wären. Systematisch schürt die Partei Angst vor einem Krieg mit Russland und zeichnet für Rechtsextremisten typische Untergangsszenarien („Großer Austausch“, „Überfremdung“, „Ausplünderung“, „Atomkrieg“).
Konkurrenz für die AfD außerhalb der Großstädte?
Durchaus bemerkenswert sind die Achtungserfolge bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 2024 in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Umland, wo die „Freien Sachsen“ mit mehr als 500 Kandidaten antraten.18 Ein wiederkehrendes Muster sind die zahlreichen NPD-Mitglieder auf den Listen der Partei. Ein positiver Stimmungstest waren bereits die sächsischen Landratswahlen 2022, als die Partei mit Kandidaten in drei Landkreisen angetreten ist und jeweils zweistellige Ergebnisse erreichen konnte.19 Das Kalkül der Freien Sachsen - bei diesen Erfolgen die Grenzen zwischen legitimen Protest und rechtsextremistischer Agitation (weiter) unkenntlich werden zu lassen - befördert Forderungen nach einem Parteiverbot. Das Potenzial der „Freien Sachsen“ ist regional: Im Windschatten der AfD werden übereinstimmende Wählermilieus mobilisiert, teilweise auch über Stimmkampagnen wechselseitig aktiviert (“Mit Zweitstimme FREIE SACHSEN wählen!”). Beide Parteien agieren kommunal- und landespolitisch als verbündete Gegner. Parteimitglieder übten bereits Gewalt aus, was sich Mitte Mai 2024 etwa bei tätlichen Nachstellungen gegenüber Medienvertretern in Dresden-Laubegast zeigte. Wegen des Verdachts auf Wahlbetrug steht ein Anhänger der „Freien Sachsen“ auch im Fokus der Generalstaatsanwaltschaft.
Tim Segler
1 Vgl. BfV, Verfassungsschutzbericht 2023, Stand: Juni 2024, S. 112-113, URL: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2024-06-18-verfassungsschutzbericht-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=17, abgerufen am 21.11.2024.
2 Vgl. LfV Sachsen, Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2023, Stand: Juni 2024, S. 41 ff, URL: https://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/Verfassungsschutzbericht_2023_barrierefrei.pdf, abgerufen am 21.11.2024.
3 Vgl. FOCUS Online, Presseartikel v. 28.08.2018, URL: https://www.focus.de/politik/deutschland/vorfaelle-in-chemnitz-wie-rechtsextreme-in-chemnitz-ganzes-stadtviertel-kapern-wollten_id_9483352.html, abgerufen am 21.11.2024.
4 Vgl. F.A.Z, Presseartikel v. 25.09.2018, URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/pro-chemnitz-verfassungsschutz-beobachtet-martin-kohlmann-15806139.html, abgerufen am 21.11.2024.
5 Vgl. Böhme / Krell, „Freie Sachsen: Alter Wein in neuen Schläuchen? – Eine Einleitung, in: Sächsische Realitäten: Analysen aktueller Protestphänomene der radikalen Rechten in Sachsen.“, Thelem Dresden 2024, S. 14 ff.
6 T-Online, Presseartikel v. 29.09.2024, URL: https://www.t-online.de/region/dresden/id_100492792/-freie-sachsen-cdu-minister-plant-verbot-der-rechtsextremen-partei.html, abgerufen am 21.11.2024.
7 Siehe § 2 Abs. 2 der Satzung der Freien Sachsen, URL: https://freie-sachsen.info/wofuer-wir-stehen/satzung/, abgerufen am 21.11.2024.
8 Vgl. Haußner, Grußwort zur Mitgliederversammlung von „Freies Thüringen“ vom 11.09.2022, URL: https://freie-sachsen.info/2022/frank-haussner-grusswort-freies-thueringen/, abgerufen am 21.11.2024.
9 Vgl. Frankenberger et al., Raumkonstruktionen extrem rechter Parteien in Deutschland: Eine explorative Studie, Springer VS Wiesbaden 2024, S. 67 ff.
10 Vgl. Berliner Zeitung, Presseartikel v. 09.01.2024, URL: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/rechtsextreme-an-der-spitze-der-bauernproteste-in-sachsen-das-ist-erst-der-anfang-li.2174960, abgerufen am 21.11.2024.
11 Ebd.
12 Vgl. Der Spiegel, Presseartikel v. 01.09.2022, URL: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/freien-sachsen-wollen-sich-demo-anschliessen-linke-ist-empoert-und-klagt-a-a30975cb-eb86-4722-bfea-f55e0871e55f, abgerufen am 21.11.2024.
13 Vgl. MDR, Presseartikel v. 28.01.2022, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/verfassungsschutz-stuft-freie-sachsen-bundesweit-als-verdachtsfall-ein-100.html, abgerufen am 21.11.2024.
14 Freie Sachsen, Instagram-Beitrag vom 28.07.2024, URL: https://www.instagram.com/freiesachsen/reel/C99VE85sP-h/ , abgerufen am 21.11.2024.
15 Freie Sachsen, Artikel v. 30.09.2024, URL: https://freie-sachsen.info/2024/kreisverband-gera-reuss-der-freien-sachsen-gruendet-sich/, abgerufen am 21.11.2024.
16 Vgl. SZ, Presseartikel v. 04.12.2021, URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/koepping-corona-proteste-freies-sachsen-wohnhaus-fackeln-1.5480095, abgerufen am 21.11.2024.
17 Freie Sachsen, Sofortprogramm zur sächsischen Landtagswahl, URL: https://freie-sachsen.info/landtagswahl/, abgerufen am 21.11.2024.
18 MDR, Beitrag des Magazins „Exakt vom 05.06.2024, URL: https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-830980.html, abgerufen am 21.11.2024.
19 Vgl. Sächsisches Landesamt für Statistik, Endgültige Ergebnisse der Landratswahlen 2022, URL: https://wahlen.sachsen.de/landratswahlen-2022-informationen-und-downloads.html, abgerufen am 21.11.2024.