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Identitäre Bewegung Deutschland

Eine „rechte Antifa“?

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Einen festen Platz im Netzwerk der Neuen Rechten nimmt die „Identitäre Bewegung Deutschland e. V.“ (IBD) seit ihrer Gründung im Jahr 2012 ein. Ihre Methode ist simpel: Aufmerksamkeit durch Provokation und Konfrontation über „Aktionen“. Die aktivistischen Züge sind linksalternativen Gruppen und Bewegungsorganisationen nachempfunden.1 Neu-rechte Protestkultur („Generation Identity“) adaptiert Teile dieser Strategien und Vorgehensweisen wie Vermummung, Besetzungen, das Verwenden von Bannern oder das Tragen szenetypischer Kleidung. Vergleichbare Aufmerksamkeitskampagnen verfolgen im rechtsextremen Lager die autonomen Nationalisten, die im Unterschied zur IBD Teil der neonazistischen Bewegung sind und bei Kundgebungen militant-aggressiv auftreten. Wahlweise von Anhängern und Sympathisanten verharmlosend als „NGO von Rechts2“, „rechte Antifa“ oder „patriotische Jugendbewegung3“ stilisiert, sehen die Verfassungsschutzbehörden in der IBD eine rechtsextremistische Gruppierung.4 Ihre Ziele, Zusammensetzung, Aktionen und Kooperationen sind gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet.

 

Gegen „Umvolkung“, „Volkstod“ und „Genozid an den Weißen“

Die IBD bekämpft die Vorstellung einer liberalen. multikulturellen und -ethnischen Gesellschaft. Schon das Erkennungssymbol - das gelb-schwarze Lambda-Zeichen - steht als elfter Buchstabe im griechischen Alphabet symbolhaft für die Krieger des antiken Spartas, die in der Mythologie das Land vor kulturfremden Kräften verteidigten. Für den “Schutz der deutschen Heimat“ und gegen den „Verfall der Moderne“ soll das Konzept des Ethnopluralismus die Zukunft einer deutschen Identität sichern. Unter diesem Label der Scheintoleranz werden alte Vorstellungen der White-Power-Bewegung von der Überlegenheit der weißen Rasse mit Schlagworten wie „Remigration“ recycelt. Danach bestehe die „alternative Zukunft“ nur in einem großangelegten Ausweisungs-Projekt. Eine identitäre Politik radikaler Ungleichheit soll Millionen sogenannter Kulturfremder oder nicht assimilierter Personen mit Migrationsbiografie zur Ausreise aus Deutschland zwingen. Dieses umfassende Vertreibungsprogramm baut auf diskriminierender Sprache, gruppenbezogenen Feindbildern (Islam- und Minderheitenfeindlichkeit) und unterschwelliger Brutalität in der Umsetzung auf.

 

„Smart-Casual“-Nationalismus: Das Beispiel Martin Sellner

Anfang der 2000er Jahre als „Génération identitaire“ in Frankreich gegründet vernetzte sich die IBD mit anderen Identitären zu einer weltweit demokratiefeindlichen Sammelbewegung.5 Im deutschsprachigen Raum ist Martin Sellner das Sprachrohr der Organisation. Sellner radikalisierte sich im Umfeld des verurteilten österreichischen Holocaust-Leugners Gottfried Küssel, der als zentrale Figur der österreichischen Neonazi-Szene fungiert.6 Der Sprecher der Identitären Bewegung Österreich war auch Teilnehmer eines vertraulichen Treffens der neu-rechten Politikszene in Potsdam vom November 2023, wo er seine Vertreibungspläne, die auch als Buchveröffentlichung7 existieren, vorstellte. Sellner, gegen den zeitweise die Einreise nach Deutschland untersagt wurde, steht als Prototyp für eine neu-rechte junge Subkultur, die sich nach außen gern adrett, „hip“ und agil gibt. Wie er sehen sich IBD-Anhänger als „heroische Aktivisten“ für wahre deutsche Interessen.

 

Vergiftetes Heimatdenken: Das Unsagbare (wieder) sagbar machen

In seinen Reden und Veröffentlichungen bedient Sellner Feindbilder, die mit denen der Neuen Rechten übereinstimmen.8 Angeprangert wird ein unfreies Meinungsklima, um Misstrauen gegen demokratische Institutionen zu schüren. Schuld am Niedergang der Völker Europas wäre ein linksliberales Establishment aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Zivilgesellschaft, das Identitäre politisch bekämpfen („Good night Gleichheit!“). Ebenso gehören öffentlich-rechtliche Medien und multinationale Organisationen zur Gruppe der „Universalisten“ oder „Globalisten“, die Europa „ruinieren“ würden. Es geht darum die von der Neuen Rechten geformte Sprach- und Diskurskultur mit ihren Begriffen und Chiffren in die bürgerliche Mitte zu verschieben. Für junge Menschen, die sich auf einer Sinnsuche nach Identität und Bestätigung befinden, übt die IBD deshalb eine nicht zu unterschätzende Attraktivität aus. Dies kann auch mit den Verbindungen zur rechtsextremen Rap-Musikkultur erklärt werden.9

 

Völkischer Kulturkampf als Identitätspolitik mit Gefühlen und spektakulären Bildern

Ihre Aktionen wollen die Identitären als spektakuläre Widerstandshandlungen gegen die etablierte Politik und das „System“ verstanden wissen („Wehr Dich, Es ist Dein Land!“).10 Medienwirksam werden über aufwändig produzierte Video- und Social-Media-Kampagnen rechtsextreme Propaganda- und Verschwörungserzählungen vom „Großen Austausch“ oder einem bevorstehenden „Tag X“ verbreitet.11 Zelebriert wird im Saubermann-Image des zivilen Ungehorsams ein Aufstand von rechts. Die Anhänger gehen im Auftreten subtil vor. Formal wird der historische Nationalsozialismus abgelehnt. Auch Neonazi-Symbolik ist bei Aktionen weniger zu finden. Was dagegen zählt sind Gefühle und spektakuläre Bilder im Netz. Als primäres Internet- und Medienphänomen ist die IBD permanent mit dem Ausbau ihrer alternativen Medienkanäle und dem Kreieren von „Content“ beschäftigt.12 Junge IBD-Aktivisten inszenieren sich etwa bei Besetzungen des Brandenburger Tors oder von Parteizentralen als Hüter einer deutschen und europäischen Identität gegen „Masseneinwanderung.13 Zunächst positiv besetzte Begriffe wie „Heimat“, „Vaterland“, „Identität“, „Leitkultur“ oder „Patriotismus“ werden aufgegriffen und zielgerichtet völkisch und geschichtsrevisionistisch umgedeutet. Insbesondere bedienen sich Identitäre dabei gezielt der Gründungslosung der Burschenschaften: „Ehre, Freiheit, Vaterland“.

 

Offene Sympathie mit der AfD und Jungen Alternativen

In allen ihren Aktivitäten strebt die IBD eine „metapolitische Wende“ im Sinne einer kulturellen und politischen Hegemonie in der Gesellschaft an und bedient sich dazu einer breiten Bündnis- und Vernetzungsstrategie.14 Auffällig ist die offene Sympathie mit den Zielen der AfD und ihrer Jugendorganisation.15 Obwohl diese einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur IDB gefasst hat, sind zahlreiche Anhänger der Jungen Alternative in der Gruppierung und umgekehrt aktiv: Junge Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten sowie Mitarbeiter in AfD-Parlamentsfraktionen haben Verbindungen zur IDB.16 Verknüpfungen bestehen auch zu rechts- und deutschnationalen Burschenschaften, die relevanten Einfluss in der IBD und im Netzwerk der Neuen Rechten ausüben.17 Der Schwerpunkt von Aktivitäten liegt im Osten Deutschlands, obwohl die IBD im deutschsprachigen Raum generell sehr aktiv in Erscheinung tritt. Bis 2019 galt Halle an der Saale als ideologisches Zentrum der IBD, wo sie mit dem Wohnprojekt „Flamberg“ einen festen Stützpunkt unterhielt und mit einem Wohnprojekt zugleich einen Rückzugsraum schaffen konnte.18 Zeitweise unterhielt auch ein AfD-Landtagsabgeordneter im Gebäude ein Büro. Seit Anfang November 2023 liegt der Hauptsitz in Chemnitz (Hausprojekt „Zentrum Chemnitz“).19

 

Inspirationsquelle für rechtsterroristische Attentäter

Die Gruppierung lehnt Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele grundsätzlich ab. Dennoch sind einzelne IBD-Anhänger mit Gewalttaten bereits aufgefallen.20 Auch der Einfluss von Kampfsport in der Szene ist nicht zu unterschätzen. Indirekt werden in Veröffentlichungen oder Äußerungen Gewalt oder gewaltvolle Zukunftsszenarien wie zur Durchsetzung des Remigrations-Projekts oder anderer Ziele angedroht oder geschürt.21 Die Angstmache richtet sich besonders an kulturelle Minderheiten, die dadurch verunsichert werden sollen. Die völkisch-nationalistischen Ziele und Verschwörungserzählungen der IBD stellen eine Inspirationsquelle für den transnationalen Rechtsterrorismus dar. Insbesondere der Christchurch-Attentäter beruft sich in seinem Manifest auf die Organisation und spendete an die Identitäre Bewegung Österreich eine hohe Geldsumme.22

 

Tim Segler

 


1 Vgl. Batzer, Zur Ästhetik der Identitären Bewegung, in: Boehnke / Thran / Wunderland, Rechtspopulismus im Fokus: Theoretische und praktische Herausforderungen für die politische Bildung, Springer VS Wiesbaden 2019, S. 115 f.

2 Bayerischer Rundfunk, Presseartikel v. 16.03.2024, URL: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/radikalisierung-in-oesterreich-wie-identitaer-ist-die-fpoe,U75lLI3, abgerufen am 21.11.2024.

3 Dlf, Presseartikel v. 14.07.2020, URL: https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextreme-akteure-identitaere-bewegung-nationalisten-im-100.html, abgerufen am 21.11.2024.

4 Vgl. Legal Tribute Online, Presseartikel v. 13.10.2022, URL: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-koeln-13K422218-identitaere-bewegung-darf-von-verfassungsschutz-weiter-beobachtet-werden, abgerufen am 21.11.2024.

5 Vgl. Hentges / Kökgiran / Nottbohm, Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) - Bewegung oder virtuelles Phänomen?, März 2014, URL: https://forschungsjournal.de/fjsb/wp-content/uploads/fjsb-plus_2014-3_hentges_koekgiran_nottbohm_x.pdf, abgerufen am 21.11.2024.

6 Vgl. Schäller, Biographisches Portrait: Martin Sellner, in: Backes et al., Jahrbuch Extremismus und Extremismus, 31. Jg. 2019, Nomos Baden-Baden 2019, S. 194

7 Vgl. Sellner, Remigration: Ein Vorschlag, Antaios Schnellroda 2024.

8 Vgl. Vennmann, Elemente des identitären Antisemitismus: Philosophische Reflexionen über die falsche Wahrheit der Identitären Bewegung, in: Zeitschrift Diskurs, Ausgabe 4, Oktober 2018, S. 9 f., URL: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00070191/Vennmann_diskurs_2018_04_01.pdf, abgerufen am 21.11.2024.

9 Vgl. Dörr, Volksmusik: Rap ist ein wichtiges Instrument der Neuen Rechten. Wie konnte es passieren, dass Rechtsextreme eine schwarze Jugendkultur vereinnahmen?, 29.12.2020, URL: https://www.fluter.de/rechtsrap-chris-ares-rechtsextremismus , abgerufen am 21.11.2024.

10 Vgl. Berliner Morgenpost, Presseartikel v. 20.03.2017, URL: https://www.morgenpost.de/politik/article209990645/Die-Identitaere-Bewegung-ist-jung-hip-und-rechtsradikal.html, abgerufen am 21.11.2024.

11 Vgl. Identitäre Bewegung, Grosser Austausch, URL: https://www.identitaere-bewegung.de/themen/grosser-austausch/, abgerufen am 21.11.2024.

12 Vgl. Goertz, Identitäre Bewegung – Reichsbürger – Selbstverwalter. Eine aktuelle Analyse, in: SIAK-Journal - Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (1/2021), S. 60 f., URL: https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2021/files/Goertz_1_2021.pdf, abgerufen am 21.11.2024.

13 Vgl. Identitäre Bewegung, X-Beitrag vom 30.06.2024.

14 Vgl. Identitäre Bewegung, Unsere Mission: Die Patriotische Wende, URL: https://www.identitaere-bewegung.de/mission/, abgerufen am 21.11.2024.

15 Vgl. Kleinert, Die AfD und ihre Mitglieder: Eine Analyse mit Auswertung einer exemplarischen Mitgliederbefragung hessischer Kreisverbände, Springer VS 2018, S. 43 f.

16 Bayerischer Rundfunk, Presseartikel vom 24.10.2024, URL: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/afd-im-bundestag-mehr-als-100-rechtsextreme-mitarbeiter,U6iXl6t, abgerufen am 24.10.2024

17 Vgl. Pfahl-Traughber, Ist die „Alternative für Deutschland“ eine rechtsextremistische Partei?: Eine Erörterung aus politikwissenschaftlicher Perspektive, in: Jahrbuch öffentliche Sicherheit, Nomos Baden-Baden 2019, S. 35 ff.

18 Vgl. Dlf, Presseartikel v. 04.11.2017, URL: https://www.deutschlandfunk.de/rechtes-hausprojekt-in-halle-afd-und-identitaere-unter-100.html, abgerufen am 21.11.2024.

19 Vgl. MDR, Presseartikel v. 09.02.2024, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/villa-in-sachsen-anhalt-identitaere-100.html, abgerufen am 21.11.2024.

20 Vgl. Der Stern, Presseartikel v. 18.01.2024, URL: https://www.stern.de/politik/identitaere-bewegung--mario-mueller-der-militante-arm-der-bewegung-34377114.html, abgerufen am 21.11.2024.

21 Vgl. Identitäre Bewegung, Artikel zu „Identitärer Bevölkerungspolitik“, URL: https://www.identitaere-bewegung.de/neuigkeiten/identitaere-bevoelkerungspolitik/, abgerufen am 21.11.2024.

22 Vgl. Tagesschau, Presseartikel v. 16.03.2019, URL: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/neuseeland-attentat-manifest-101.html, abgerufen am 21.11.2024.

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