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Falsche Vorbilder: Ernesto „Che“ Guevara
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„Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“ – „Che“ Guevaras Idealismus schlägt noch heute viele junge Menschen in seinen Bann, zumal der „Radical Chic“ von Che-Shirts, -Pins und -Taschen Kapitalismuskritik, Revolutionsromantik und Unkonventionalismus vereinen. Dabei war „Che“ nicht nur Freiheitskämpfer, sondern auch Wegbereiter für den kubanischen Überwachungsstaat und unerbittlicher Inquisitor. Die Verklärung des Revolutionärs aus Argentinien macht ihn zu einer idealen „Einstiegsdroge“ in den Linksextremismus.
Als Mario Terán am frühen Nachmittag des 9. Oktober 1967 das Schulhaus im bolivianischen La Higuera betrat, um den Tod dreier seiner Kampfgefährten zu vergelten, sollte er den Stoff für Legenden liefern: Er erschoss den von den physischen wie psychischen Strapazen des Guerillakampfes geprägten „Che“ Guevara. Dieser hatte die vorherigen Monate damit zugebracht, in Bolivien einen hoffnungslosen Guerillakrieg zu führen, nachdem er im Kongo mit der Revolution gescheitert war. Seine Erfolge mit Fidel Castro in der kubanischen Sierra Maestra, mit denen sie den Militärdiktator Fulgencio Batista aus dem Amt gejagt hatten, beflügelten den Argentinier. Er wollte unterdrückten Völkern in anderen Erdteilen seine Hilfe zukommen lassen und war damit dem Irrglauben aufgesessen, dass man eine Revolution einfach exportieren könne.
Den promovierten Mediziner – einen ehrgeizigen und unermüdlichen Revolutionär, der sich zu keiner Zeit hinter seinem Asthmaleiden versteckte – bewegten schon auf seinen Jugendreisen durch Lateinamerika die Armut und das Leiden der indigenen Bauern. Als er Castro im Spätsommer 1955 begegnete, nahm sein Leben eine neue Dynamik an: Er erhielt eine militärische Ausbildung und saß an Bord der legendären „Granma“, mit der Castro und dessen Jünger im Winter 1956 nach Kuba fuhren, um das Militärregime in einen Guerillakampf zu verwickeln – eines mit 82 Personen beladenen Bootes, das für 15 Passagiere ausgelegt war. Recht schnell wurde Comandante „Che“ zum ersten Mann nach Castro. Moralisch und physisch verlangte er seinen Männern wie sich selbst stets alles ab.
Seine gesamte Energie widmete „Che“ dem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung: zuerst in Kuba, dann im Kongo, zuletzt in Bolivien. Diese Ziele hatten Daseinsberechtigung, lebte ein beträchtlicher Teil der Menschen in diesen Ländern doch tatsächlich unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die „Alles-oder-nichts-Haltung“, der strenge Egalitarismus und Idealismus des „Christus mit der Knarre“ ließen einen Mythos entstehen, der auch darauf beruhte, dass „Che“ nicht nur Wasser predigte, sondern es auch trank: Er schlug alle Annehmlichkeiten aus, die mit seinen politischen Ämtern in Kuba verbunden waren. Zur Mystifizierung trug außerdem sein Tod bei, der ihn erst zu einer Art Märtyrer machte. Der „Heiligenschein“, der ihn in manchen Kreisen umgab und umgibt, überstrahlt allerdings seine Schattenseiten:
„Che“ war es aller Wahrscheinlichkeit nach, der mit Hinweis auf die Notwendigkeit revolutionärer Disziplin einen Verräter des Guerillatrupps in der Sierra Maestra, Eutimio Guerra, exekutierte. Auf alle Fälle rechtfertigte er aber das harte Regime inklusive Scheinhinrichtungen, um die „reine Lehre“ der Bewegung aufrechtzuerhalten. Er diente in Kuba anschließend als „ideologischer Motor“, der an Totalitarismus nichts zu wünschen übrig ließ: „Es gibt kein Leben außerhalb der Revolution.“ „Ches“ Vision der kommunistischen Gesellschaft baute auf den „neuen Menschen“, der jeden Egoismus und jeden Materialismus ablegen und so zu einem wahrhaft sozialen Wesen werde, sobald der Kommunismus ins Werk gesetzt ist. Wer weiterhin bürgerlich denkt, muss sodann – falls nötig: gewaltsam – umerzogen werden; wer etwas zu verbergen hat, macht sich verdächtig. Der Historiker Gerd Koenen sprach angesichts solcher totalitärer Ideen von „phantastischen Weltbrandstiftungsszenarien“.1
Daneben haben die Kubaner die Mangelwirtschaft und die Enteignungen Anfang der 1960er Jahre dem Argentinier zu „verdanken“, denn indem er die wirtschaftlichen Notwendigkeiten ausschließlich seinen moralischen und ethischen Maßstäben unterzog, legte er den Grundstein für ökonomische Fehlentwicklungen, die erst während seines „Auslandsengagements“ wieder korrigiert werden konnten. Der Argentinier akzeptierte überdies bereitwillig die Gefahr von Millionen von Todesopfern in der Kubakrise (1962): Als ideologischer Hardliner war er regelrecht enttäuscht, dass die Sowjetunion einlenkte und so Schlimmeres verhinderte.
„Che“ inspirierte unzählige Menschen, die es mit der Gesellschaft der Gleichen ernst meinen, darunter auch Linksterroristen. Gemäß der Fokustheorie braucht es, um mit einer Revolution politische Repressionen erfolgreich zu bekämpfen, nur eine kleine entschlossene, ideologisch reine und gut ausgebildete Gruppe, die die Revolution in Gang setzt. Damit wird allerdings willkürlicher Gewalt Tür und Tor geöffnet, wie die „Tupamaros Westberlin“, eine von „Ches“ Guerillakonzept inspirierte terroristische Vereinigung, 1969 demonstrierten, als sie aus „Solidarität“ mit der palästinensischen Befreiungsbewegung im Jüdischen Gemeindehaus Westberlin eine Brandbombe deponierten. Dass der revolutionäre Zweck auch brutale Mittel heiligte, zeigt „Ches“ Umgang mit (tatsächlichen wie vermeintlichen) Gegnern der kubanischen Revolution. Mindestens 216 Todesurteile – kubanische Dissidenten gehen von deutlich höheren Zahlen aus – gehen auf „Ches“ Konto, der zeitweise revolutionärer Chefankläger war.2 Die Verfahren hatten mit jenen moderner Rechtsstaaten nichts zu tun. „Che“ hatte keinerlei Probleme damit, Todesurteile auch selbst zu vollstrecken: Stolz schrieb er in sein Tagebuch, „dass er nach der Eroberung der Stadt Santa Clara als Erstes zwölf Polizisten an die Wand stellen ließ. Erschießungen, schrieb er, seien ‚eine Notwendigkeit für das kubanische Volk‘“3. „Che“ wird darüber hinaus verantwortlich gemacht für die ersten Arbeitslager in Kuba – „für Menschen, ‚die kleinere oder größere Vergehen gegen die revolutionäre Moral begangen haben‘. Seinen Untergebenen im Industrieministerium drohte er, sie könnten dort ‚Ferien verbringen‘, wenn sie nicht spurten“4.
Bei einer heutigen Bewertung von „Che“ sollten dessen Ziele und Mittel zugrunde gelegt werden: Widerstand gegen Eroberungskriege, Befreiung von Repression und Ausbeutung sind das eine, eine gleichförmige totalitäre Gesellschaft ohne individuelle Autonomie, dafür mit politischer Indoktrination und Denunziantentum bei nonkonformistischem Verhalten (was man im Osten Deutschlands von 40 Jahren Realsozialismus kennt), Scheinhinrichtungen und terroristische Methoden bei vermeintlichen Repressionen sind das andere. Zu glauben, ein Auflehnen gegen die Konventionen der Etablierten wäre in der von „Che“ anvisierten kommunistischen Gesellschaft der „neuen Menschen“ ebenso möglich wie im demokratischen Verfassungsstaat, ist naiv.
Tom Mannewitz
Lesetipps:
- John Lee Anderson, Che. Die Biographie, München 1997.
- Stephan Lahrem, Che Guevara, Frankfurt am Main 2005.
1 Gerd Koenen, In der Terrorfalle, unter Spiegel Online, 11. Januar 2006.
2 Vgl. Bernd Schekauski, Che Guevara: Großer Revolutionär und kläglicher Verlierer, unter: http://www.mdr.de/kultur/themen/che-guevara-kuba-revolutionaer-100.html
3 Toni Keppler, Der Marlboro-Mann der Linken, in: taz vom 9. Oktober 2007.
4 Ebd.