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Falsche Vorbilder: Fidel Castro
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Mit Vollbart und Zigarre kennt man den „Máximo Líder“ der Kubanischen Revolution, der den USA die Stirn bot. Die Bewegung des 26. Juli (M-26-7) unter der Führung des charismatischen Duos Che Guevara und Fidel Castro erlöste die Insel in den 1950er Jahren vom korrupten und repressiven Regime Fulgencio Batistas. Die Kubaner gelangten dabei jedoch vom Regen in die Traufe: Castro ersetzte die vom Militär gestützte Einpersonen-Diktatur durch eine kommunistische Einparteien-Diktatur.
Es gehört mehr dazu, ein revolutionärer Freiheitskämpfer zu sein, als sich mit einem Gewehr auf dem Rücken durch einen Dschungel zu kämpfen und sich anzuschicken, das bestehende System der Unterdrückung zu stürzen. Fidel Alejandro Castro Ruz weist einige dieser Eigenschaften auf. Man hat ihm viel vorgeworfen – Heuchelei und Unentschlossenheit zählen nicht dazu: Mit 13 – Castro entstammte wie Friedrich Engels eher der kapitalistischen Ober- als der proletarischen Unterschicht – wiegelte er die Zuckerrohrarbeiter seines Vaters zu einem Streik auf, als Student schlug er einst vor, den amtierenden Präsidenten vom Balkon zu stürzen, um den Sieg der Studierendenrevolution zu proklamieren – seine Mitstreiter erklärten ihn kurzerhand für verrückt. 1950 machte er seinen dreifachen Doktor, ehe er Batista wegen seines Putsches – letztlich erfolglos – vor Gericht zur Verantwortung ziehen wollte. Er bewunderte zeit seines Lebens den kubanischen Freiheitskämpfer José Martí, und hatte mehrere Attentate und Umsturzversuche sowie die Amtszeiten von zehn US-Präsidenten überlebt, ehe ihn im biblischen Alter von 90 Jahren 2016 ein natürlicher Tod ereilte. Wie bei allen Legenden wird aber auch beim „Mythos Castro“ häufig die eine oder andere Begebenheit verschwiegen, die das Bild trüben würde.
Castro, der erst während der Revolution mit dem Kommunismus in engen Kontakt kam, verband nach der Machtübernahme 1959 dessen Gerechtigkeitsideen mit eigenen Ansichten, die nachfolgend als „Castr(o)ismus“ bzw. „Fidelismus“ bekannt wurden – ein Kommunismus eigener Art also. Er zielte auf die Umverteilung von Boden zugunsten der landlosen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die wirtschaftliche Umstellung Kubas zum Produzentenland und die Wiedereinführung der Verfassung von 1940. Castro versprach außerdem anfangs noch freie Wahlen, die Entschädigung der Großgrundbesitzer und eine breit angelegte Alphabetisierungskampagne.
Tatsächlich brachte sich Castro schon zu Beginn der Revolution in den Bergen der Sierra Maestra als ihr einziger Führer in Positur, lange Zeit entschied nur er, was mit dem Land geschieht. Kritische oder desertierende Mitstreiter wurden zur Strecke gebracht, wie Eutimio Guerra (1957) oder Außenminister Agramonte (1959). 1959 ließ er einen umfassenden Geheimdienstapparat mit mehreren Organisationen gründen – der Überwachungsstaat wird perfekt. 1961 proklamierte Castro den sozialistischen Staat Kuba – von den versprochenen Wahlen war seither nie wieder etwas zu hören.
In jeder – auch konstruktiven – Kritik witterte der Comandante en Jefe Feinde seiner Politik, die als Konterrevolutionäre oder schlicht CIA-Agenten diffamiert wurden: 1960 beschlagnahmte das Regime Zeitungen, TV- und Radiosender, 1961/62 wurden zahlreiche „Revolutionstribunale“ gegen Abweichler und Abweichlerinnen aktiv; Kritiker und Kritikerinnen, kritische Sympathisanten und Sympathisantinnen sowie Christen und Christinnen wurden mundtot gemacht und/oder in Arbeitslager gesteckt, wo sie im Übrigen auch auf Homosexuelle trafen, weil auch die als „soziale Abweichler“ galten. Auch im Ausland engagierte sich Castro: nicht nur in den Revolutionen Afrikas und Lateinamerikas; er hieß 1968 auch die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Paktes gut.
Die Wirtschaft hing lange Zeit am seidenen Faden – was der Máximo Líder entschied, wurde umgesetzt. Dementsprechend krisenanfällig zeigte sich die kubanische Ökonomie. Die Landreform 1959 ging völlig unkoordiniert, zum Teil wüst vonstatten, es kam zu Tumulten. Zwischen 1960 und 1962 verließen schätzungsweise 200.000 Spitzenkräfte das Land – ihnen folgten bis zur Jahrtausendwende weitere 800.000. Das entsprach etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die „Libreta“, ein Warenbezugsheftchen, wurde den Kubanern und Kubanerinnen ein ständiger Begleiter der kommenden Jahrzehnte.
Castros Schatten zeigt sich heute noch: Zwar wurden unter der Herrschaft von Fidel Castros Bruder Raúl ab 2008 politische Gefangene entlassen und entsprechende Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt, die kubanische Medienlandschaft, deren Monopol die kommunistische Partei bis heute innehat, indoktriniert die Bevölkerung aber bis heute. Die Feindbildpflege weist paranoide Züge auf – jede Kritik gilt als von den USA gesteuert. Geltung darf einzig die Revolution beanspruchen, Meinungspluralismus wird auch heute noch abgelehnt. Autoren und Autorinnen sowie Künstler und Künstlerinnen erfahren ständige Zensur – was nicht entschieden prorevolutionär ist, wird nicht veröffentlicht und führt zum Berufsverbot. Der totalitäre Herrschaftsanspruch zeigt sich darüber hinaus in einschlägigen, orchestrierten Massenorganisationen (etwa der Zentralgewerkschaft) und im Fehlen einer lebhaften Opposition.
Castros Hoffnung, die Geschichte werde ihn freisprechen, muss wohl zurückgewiesen werden – auch in seinem Fall gilt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Seinen Erfolgen (Alphabetisierungskampagne, Schaffung eines kubanischen Selbstbewusstseins) stehen erhebliche Defizite gegenüber: Machtkonzentration, Ausbleiben von Wahlen, Diskriminierung von Christen, Meinungsüberwachung, Arbeitslager für politische Häftlinge und Armut.
Tom Mannewitz