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Sind Demonstrationsblockaden legal?

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Demonstrieren ist ein wichtiges politisches Bürgerrecht. Auf diese Weise können nämlich auch jene, die weder im Parlament vertreten noch organisiert sind, ihre Meinungen zum Ausdruck bringen, ja Meinungsdruck aufbauen. Also ermöglicht erst das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit öffentlich sichtbare politische Einflussnahme auch außerhalb formalisierter Kommunikationskanäle. Das ist gerade für solche Bürger und Bürgerinnen wichtig, die in Opposition zu den politischen Eliten stehen.

Natürlich besitzen das gleiche Recht auf Demonstrationsfreiheit und öffentliche Meinungsbildung auch jene, die jeweils gegenteilige politische Positionen vertreten und das auch zeigen wollen, etwa als Gegendemonstranten und -demonstrantinnen. Solange Demonstrationen und Gegendemonstrationen räumlich getrennt stattfinden, gibt es kein Problem. Schwierigkeiten entstehen aber, wenn nicht nur in Hör- und Sichtweite der Demonstranten und Demonstrantinnen gegendemonstriert wird, sondern wenn die Gegner und Gegnerinnen auch körperlich aneinandergeraten. Dann entstehen Konflikte zwischen dem beiderseitigen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Um beiden Seiten die Ausübung ihrer Rechte zu sichern, steht dann – mitunter tätlich angegriffen – zwischen den Gegnern und Gegnerinnen die Polizei. Sie kann bei solcher Pflichterfüllung teils an den realen Machtverhältnissen auf der Straße scheitern, teils am von ihr zu befolgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes unmittelbarer Gewalt. Am Ende landen schwierige Rechtsfragen vor den Gerichten: Wo und wie sind wem mit welchen Mitteln genau welche Grenzen zu ziehen – und obendrein nach dem liberalen Grundsatz, dass im Zweifelsfall die Versammlungsfreiheit vorgeht?

Nur gestört werden Demonstrationen durch Pfeifkonzerte und sonstige Lärmentfaltung von Gegendemonstranten und -demonstrantinnen. Weil es kein Recht darauf gibt, von Meinungsäußerungen anderer unbehelligt zu bleiben, ist derlei auch hinzunehmen – jedenfalls solange, wie nicht durch Lärmentfaltung der Versammlungszweck unterbunden wird. Doch letztlich geht es hier um Stilfragen, weniger um Rechtsfragen. Wem an Fairness liegt, wird dabei bedenken, wie er selbst den Einsatz von Sprechchören und Trillerpfeifen bewertete, wenn er nicht Akteur, sondern Adressat oder Adressatin wäre.

Behindert aber werden Demonstrationszüge durch Blockaden des Demonstrationsweges. Es kann sich dabei bloß um Sitzblockaden handeln. Doch auch das Verstellen von Straßen durch geeignete Sperrmaterialien oder durch Selbstankettung von Blockierenden kommt in Frage. Ferner kann die Beseitigung solcher Behinderungen durch Gewaltanwendung behindert werden. Ob das alles einem Demonstrationszug ein unüberwindliches und dann rechtswidriges Hindernis entgegenstellt, ist nach mehrheitlicher Rechtsmeinung vor allem aus der Warte der – versuchsweise – Blockierten zu betrachten. 

Wurde ein faktisch nicht überwindliches Hindernis geschaffen, so liegt eine unrechtmäßige Verkürzung des Rechts der Blockierten auf Demonstrationsfreiheit vor. Im Grunde handelt es sich dabei um eine selbsthilfeartige Durchsetzung eigener Forderungen nach dem Verstummen oder Auseinandergehen von Gegnern. Dem aber steht die Aufgabe des Staates entgegen, allen – und zwar ohne Präferenz für bestimmte Inhalte – ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zu sichern. Real blockierendes Verhalten stellt also Nötigung dar, unterläuft den Vorrang staatlicher Zwangsmittel und widerspricht dem auch für Gegendemonstranten und -demonstrantinnen geltenden Grundsatz friedlichen Demonstrierens.

Das alles ist bei bloß symbolischen Blockaden nicht der Fall. Gewalttätigkeit liegt auch dann nicht vor, wenn es beim Blockieren an einer über die körperliche Anwesenheit – durch Gehen, Stehen, Sitzen – hinausgehenden Kraftentfaltung fehlt. In einen Graubereich strittiger Rechtsmeinungen führt erst die Frage, ob manche Blockademaßnahmen wohl eine rein einschüchternde Wirkung auf die Demonstranten und Demonstrantinnen haben könnten und diese dadurch, also ohne konkrete Gewalttätigkeit, rechtswidrig um das Recht auf Versammlungsfreiheit brächten. Konsens ist, dass keine rechtswidrige Demonstrationsblockade vorliegt, wenn die Blockadewirkung allein eine psychische ist. Einer bloßen Drohung, die nicht physisch untersetzt ist, kann man nämlich auch zumutbar trotzen.

Grundsätzlich handeln Gegendemonstranten und -demonstrantinnen solange rechtmäßig, wie sie einen Demonstrationszug nicht unmöglich machen, sondern nur erschweren. Letzteres kann vorliegen, wenn ein Demonstrationszug auf die andere Straßenseite ausweichen oder einen Umweg nehmen muss. An Grenzen der Rechtsmäßigkeit geraten solche Erschwerungen allerdings, wo sie die – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtete – Polizei daran hindern, überhaupt das Demonstrationsrecht der auf solche Weise Bekämpften zu gewährleisten.

Eine wichtige Frage ist ferner, ob und in welchem Umfang bei der rechtlichen Würdigung von Demonstrationsblockaden deren mögliche Verwerflichkeit oder normative Erwünschtheit eine Rolle spielen soll. Sind Demonstrationsblockaden vielleicht bei Notwehr gegen mögliche Bedrohungen unserer Demokratie oder bei Nothilfe für von Demonstranten mit Polemik überzogene Gruppen gerade nicht rechtswidrig? Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht 2009 im sogenannten „Wunsiedel-Urteil“ festgestellt (BVerGE 124, 300-347, Absatz 77):

„Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen zielt. Eine Beunruhigung, die die geistige Auseinandersetzung im Meinungskampf mit sich bringt und allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen Konsequenzen folgt, ist notwendige Kehrseite der Meinungsfreiheit und kann für deren Einschränkung kein legitimer Zweck sein. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des ‚allgemeinen Friedensgefühls‘ oder der ‚Vergiftung des geistigen Klimas‘ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Auch das Ziel, die Menschenrechte im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung zu festigen, erlaubt es nicht, zuwiderlaufende Ansichten zu unterdrücken. Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird.“

Demonstrationsblockaden aus gleichsam „übergeordneten Gewissensgründen“ sind somit unzulässig. Unbenommen ist natürlich das Recht auf Gegendemonstrationen. Für diese aber gilt zusammenfassend: körperliche Präsenz ist erlaubt, Gewalttätigkeit verboten; es ist Sache des Gesetzgebers, der erlaubten körperlichen Präsenz Grenzen zu ziehen, sowie Aufgabe der Polizei, diese Grenzen – nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgebots – mittels des staatlichen Gewaltmonopols auch zu sichern; und es muss dafür gesorgt sein, dass bei alledem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht in seinem Wesensgehalt angetastet wird.

Es führt im Übrigen zu keiner systematisch befriedigenden Einschätzung, Demonstrationsblockaden unter den Begriff des Widerstandsrechts zu ziehen. Dieses greift nämlich erst dann, wenn es sich gegen Versuche richtet, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Darum geht es bei Demonstrationen aber kaum einmal. Auch ist es wenig sinnvoll, das ohnehin verfassungsmäßig gesicherte Recht auf Opposition auf den Begriff des Widerstands zu bringen und jeden Streit um konkrete Politik als einen um den Bestand der Verfassungsordnung auszugeben. Bei Demonstrationen und Gegendemonstrationen geht es nämlich um legitimen politischen Streit anhand der Regeln pluralistischer Demokratie, nicht aber um gleichsam spielerische Formen von Revolution oder Bürgerkrieg.

 

Werner J. Patzelt

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