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Was heißt „legalistischer Linksextremismus“?
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Den aus dem Lateinischen stammenden Begriff „legalistisch“ könnte man in etwa mit „formal gesetzestreu“ übersetzen. Es bezeichnet Parteien, welche die geschriebenen Regeln der Verfassung formal einhalten, aber langfristig deren Beseitigung planen. Die wohl erste extremistische „legalistische“ Partei war die NSDAP, für die Joseph Goebbels 1928 erklärte: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. (...) Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache.“
Gibt es solche „legalistischen“ Parteien auch im Linksextremismus?
Die meisten linksextremistischen Parteien und Gruppen haben längst erkannt, dass in einer selbstbewussten Demokratie ein offener Aufruf zu Gewalt und Revolution von der Bevölkerung abgelehnt wird. Außerdem kann er in Deutschland unter Umständen zu strafrechtlichen Konsequenzen oder zu einem Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG führen. Nur Autonome lehnen daher einen legalistischen Kurs ausdrücklich ab.
In der Geschichte der Bundesrepublik haben sich hingegen andererseits zahlreiche linksextremistische Parteien der legalistischen Taktik bedient. Sie wissen, dass es nützlich sein kann, Abgeordnete in den Parlamenten zu haben, weil man damit Funktionäre versorgen und an politisch wichtige Informationen kommen kann. Die Beteiligung an Wahlen ist auch erforderlich, wenn eine Partei nicht nach einem gewissen Zeitraum den Parteistatus verlieren will – das sieht das Gesetz über die politischen Parteien so vor. Außerdem bemisst sich die Wahlkampfkostenerstattung – ein wesentlicher Einnahmeposten vor allem parlamentarisch erfolgreicher Parteien – an den Zweitstimmenergebnissen.
Und schließlich macht legalistische Taktik eine extremistische Partei hoffähig. Die Bürger werden sie als weniger gefährlich wahrnehmen, wenn sie nicht zu Gewalt und Revolution aufruft, und die öffentliche Meinung wird freundlicher über sie berichten.
Die NSDAP hatte mit ihrer legalistischen Taktik 1933 insoweit Erfolg, als sie oberflächlich betrachtet legal in die Regierung gelangte – anschließend zerstörte sie die demokratische Ordnung und verfolgte politische Gegner gnadenlos. Die Väter des Grundgesetzes haben 1949 diese Erfahrungen berücksichtigt und klargemacht, dass die formale Einhaltung von Gesetzen aus einer extremistischen Partei keine demokratische macht. Vielmehr komme es auf deren Fernziele an (siehe auch Welche Fernziele verfolgen Linksextremisten?). Diese Entscheidung für eine „wehrhafte Demokratie“, die sich auch gegen legalistische Taktiken zur Wehr setzt, bekam in den 1950er Jahren die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu spüren. Um einem Verbot zu entgehen, hatte sie sich zeitweilig verfassungstreu gegeben. Es nützte ihr nichts: „Zu den Absichten, die eine Partei verfassungswidrig machen, gehören (...) auch diejenigen, die sie nur verwirklichen will, wenn die Situation dafür günstig ist.“1 Das bedeutet nicht, dass jede extremistische und legalistisch arbeitende Partei unbedingt verboten werden muss (siehe auch Wann darf man politische Parteien verbieten?). Auf ein solches Verbot hinzuarbeiten obliegt nach dem Grundgesetz dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundes- oder einer Landesregierung. Aber die obersten Bundesgerichte haben zu etlichen linksextremistischen Parteien immer mal wieder festgestellt, dass ihre legalistische Taktik nicht dazu führt, dass sie als tatsächlich verfassungstreu zu beurteilen sind.
Rudolf van Hüllen
1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 zum Verbot der KPD, hier BVerfGE 5,85 (85 f.).