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Was ist politischer Extremismus?
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„Extremismus“ kann als Gegenbegriff (Antithese) zu dem Begriff des (demokratischen) Verfassungsstaates gefasst werden, also jener politischen Systeme, die sich vom ausgehenden 18. Jahrhundert an zunächst in den Hauptstaaten des „Westens“ (USA, Großbritannien, Frankreich) allmählich durchgesetzt und von dort aus in anderen europäischen wie außereuropäischen Staaten (z. B. Australien) etabliert haben.
In diesem Sinne steht er in einer langen, bis in die Antike zurückreichenden ideengeschichtlichen Tradition, die die Mitte im Sinne von Maß und Mäßigung zwischen den das Gemeinwohl verfehlenden Extremen ansiedelt (siehe auch Gibt es eine gute Mitte?). Als extremistisch gelten all jene Gesinnungen und Bestrebungen, die sich gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten. Dazu zählen insbesondere die Idee der Menschenrechte und die daraus abzuleitenden Grundfreiheiten (wie etwa Handlungsfreiheit, Freiheit der Berufswahl, Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit), die Anerkennungswürdigkeit (Legitimität) des politischen Pluralismus (Recht auf Opposition, Mehrparteienprinzip) und das Prinzip der Gewaltenkontrolle (wie Rechtmäßigkeit der Regierung und Verwaltung, Kontrolle der Regierung durch das Parlament, Unabhängigkeit der Justiz). Wer eines oder mehrere dieser Prinzipien im Grundsatz infrage stellt und auf seine Beseitigung hinarbeitet, verfolgt extremistische politische Ziele.
Die Definition des politischen Extremismus als Gegenbegriff zum demokratischen Verfassungsstaat enthält stets mehrere Dimensionen, da es sich um ein kompliziertes politisches System handelt, das nicht aus einem einzigen Grundgedanken abgeleitet werden kann. So sind die modernen Verfassungsstaaten durch die Demokratisierung älterer (elitärer, aber gewaltenteilig und pluralistisch organisierter) Verfassungsstaaten entstanden. Sieht man als Grundidee des Verfassungsstaates das Prinzip der Gewaltenkontrolle an, so kann Extremismus als Streben nach Gewaltenkonzentration oder „Autokratie“ (oft auch als „Diktatur“ bezeichnet) verstanden werden.
Verfassungsstaat und Extremismus lassen sich aber nicht nur auf der Ebene des staatlichen Institutionengefüges, sondern auch anhand der Struktur und Organisation des Machtprozesses bestimmen. Wenn der Verfassungsstaat die Existenz mehrerer, miteinander konkurrierender Parteien und Interessengruppen (Pluralismus) und die Legitimität politischer Opposition voraussetzt, so zielt Extremismus auf die Durchsetzung eines gebündelten Machtanspruchs, der Konkurrenz nach Möglichkeit ausschaltet, politische Vielfalt und Opposition nicht duldet, jedenfalls unschädlich zu machen sucht, politischen Wechsel unterbindet, selbstbestimmtes Engagement von Gruppen und Einzelpersonen zumindest dann behindert und unterdrückt, wenn es den Zielen und Absichten der Machthaber im Wege steht.
Uwe Backes
Lesetipps:
- Alexander Akel, Strukturmerkmale extremistischer und populistischer Ideologien. Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Baden-Baden 2021.
- Uwe Backes, Politische Extreme. Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen 2006.