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Was war die „führende Rolle der Partei“?

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„Die Deutsche Demokratische Republik (...) ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“ Bereits im ersten Absatz der DDR-Verfassung war die führende Rolle der SED festgeschrieben. Die Geschichte zeigt: Einmal an der Macht, sind Linksextremisten um jeden Preis entschlossen, diese nicht wieder herzugeben. Die Rechtfertigung dafür ziehen sie ausschließlich aus einem Wahrheitsanspruch: „Die Partei, die hat immer recht“, heißt es in einem DDR-Kampflied – eine Anmaßung, die sich nur Diktatoren leisten können.

Die „führende Rolle der Partei“ leitet sich ab aus der vor allem im Marxismus-Leninismus verankerten Avantgarde-Rolle. Der russische Revolutionär Lenin (siehe auch Falsche Vorbilder: Wladimir Iljitsch Lenin) sah die kommunistische Partei als „höchste Form des klassenmäßigen Zusammenschlusses des Proletariats“ an. Ausgestattet mit besonderen Erfahrungen, Kenntnissen und Einsichten sollte sie die sozialistische Bewegung bis zum Erreichen des kommunistischen Paradieses anführen. Dass die breiten Volksmassen sich gleichsam automatisch hinter „ihre“ Partei scharen würden, war allerdings ein Irrglaube. Als Lenins Bolschewiki zur Zeit der Oktoberrevolution 1917 merkten, dass ihnen die Mehrheit im Volk fehlte, setzten sie ihren Führungsanspruch mit Waffengewalt durch. Die Verfassungsgebende Versammlung jagten sie auseinander und zogen gegen Andersdenkende in den Bürgerkrieg. Lenins Nachfolger Stalin sicherte die Macht seiner Partei mit Terror, der selbst vor Kommunisten nicht haltmachte und dem Hunderttausende zum Opfer fielen.1

Lenins Begriff des „demokratischen Zentralismus“ prägte nach dem Zweiten Weltkrieg Staat und Gesellschaft in der DDR. Sie waren dem Diktat und der Willkür der SED unterworfen. Die DDR stand weder auf dem Boden einer demokratischen Verfassung, noch konnten ihre Bürger in freien Wahlen entscheiden (siehe auch „Sozialistische Demokratie“ am Beispiel der DDR). Es war allein das Dogmen-Gebäude des Marxismus-Leninismus, mit dem die SED ihren Herrschaftsanspruch legitimierte. Ihre Sicht politischer Ereignisse, ihre Interpretation der Geschichte und ihre Entscheidungen waren unangreifbar. Wer sie kritisierte, wurde bestraft. Auch in der staatlichen Organisation wurde die Dominanz der SED deutlich. Die Strukturen des Staates waren den Strukturen der Partei – die parallel dazu existierten – untergeordnet: So standen etwa die Mitglieder des Zentralkomitees der SED protokollarisch über den Ministern. Das Parlament, die „Volkskammer“, war ohne jeden Einfluss. Auch in ihrem Inneren war die Partei nicht demokratisch organisiert. Allmächtiger Entscheidungsträger war das Politbüro, an dessen Spitze der Generalsekretär (von 1949 bis 1971 Walter Ulbricht, von 1971 bis 1989 Erich Honecker) stand.

Selbst Grundwerte wie Freiheit und Menschenrechte unterwarf die SED ihrem Führungsanspruch. Der Bau der Mauer 1961, das Ministerium für Staatssicherheit und die politische Justiz waren Symbole der Unfreiheit und der Unterdrückung. In der Ideologie der Partei war „persönliche Freiheit des Menschen (...) immer an gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden. Sie bestimmen den konkreten Rahmen und den Inhalt der Freiheit“ (2). Im Klartext heißt das: In einer Diktatur kann der Herrscher – in diesem Fall die SED – darüber entscheiden, was Freiheit zu bedeuten hat.

Auch das, was die SED sich unter Demokratie vorstellte, öffnete der politischen Willkür Tür und Tor. Solange der „klassenlose“ Zustand des Kommunismus noch nicht erreicht sei, seien Demokratie und Diktatur zwei „voneinander nicht zu trennende Seiten der staatlichen Organisation“2. In der noch nicht „klassenlosen“ DDR waren Methoden der Diktatur also ausdrücklich erlaubt. Theoretisch konnte jeder unliebsame Bürger als „Klassenfeind“ gebrandmarkt und nach Belieben schikaniert werden, was in der Praxis auch vieltausendfach geschah. Die SED wollte kein freiheitliches, pluralistisches System durchsetzen, sondern ein identitäres. An dem totalitären Machtanspruch einer umfassenden Kontrolle und ideologischen Durchdringung der gesamten Gesellschaft hielt die Partei bis zum bitteren Ende fest.3 Erst nach dem Fall der Mauer im November 1989 strich Ministerpräsident Hans Modrow die „führende Rolle der Partei“ aus der Verfassung. Der Druck des Volkes, das sich nicht mehr gleichschalten lassen wollte, war zu stark geworden.

 

Jürgen P. Lang

 


Vgl. Karl Schlögel, Terror und Traum. Moskau 1937, München 2008; Jörg Baberowski, Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, Frankfurt am Main 2007.

Alfred Kosing, Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 3. Aufl., Berlin 1987, S. 184.

Ebd., S. 105.

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Felix Neumann

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