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Menschenrechte
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Nach der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Jahr 1789 erhielten die Menschenrechte ihren zweiten globalen Bedeutungsschub Mitte des 20. Jahrhunderts: Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der UN-Vollversammlung ohne Gegenstimmen angenommen. Unzählige Verfassungen, die danach geschrieben wurden, waren von ihr beeinflusst. Ihren Kern machen die im Zeitalter von Aufklärung und Humanismus wurzelnden, grundlegenden Prämissen aus, dass „Überzeugungen durch Erfahrung und Logik gerechtfertigt werden“1 statt durch religiöse Begründungen; und dass „den Menschen über alle Kulturgrenzen hinweg bestimmte grundlegende Reaktionen gemeinsam sind.“2 Die Idee individueller menschlicher Würde (Immanuel Kant) legte das normative Fundament für zwei Grundpfeiler heutiger Menschenrechte: die Anerkennung natürlicher, grundlegender und universeller Freiheitsrechte sowie die Gleichheit aller vor dem Recht (John Locke). Extremisten, gewissermaßen Erben der Gegenaufklärung, hadern mit diesen Postulaten – sei es, dass sie behaupten, die Menschenrechte dienten nur den Herrschenden; sei es, dass sie jede Form von Universalismus für falsch halten.
Rechtsextremismus
Die Haltung des Rechtsextremismus zur Universalität der Menschenrechte lässt sich auf einen Begriff bringen: Ablehnung. Diese kann so unverblümt daherkommen wie in einem Gastbeitrag des französischen Rechtsextremisten Pierre Krebs für die deutsche neonationalsozialistische Kleinpartei Der Dritte Weg. Darin wird die Existenz der Kategorie „Menschheit“ zunächst grundlegend geleugnet: „Man muß ein für allemal damit aufhören, die Völker und die Kulturen im illusorischen Begriff der ‚Menschheit‘ zu abstrahieren […]. ‚Die Menschheit‘ ist eine von verschrobenen Intellekten gemachte Voraussetzung“3. „Rassen, Völker oder Nationen“ seien hingegen „biologisch bestimmbar, soziologisch erkennbar und geographisch lokalisierbar“. In wessen Gedankenwelt es keine Menschheit (aber Rassen) gibt, für den haben Menschenrechte keine Daseinsberechtigung – der biologistische Rassismus ist mit Händen zu greifen.
Andere Rechtsextremisten argumentieren, es gebe zwar Menschenrechte, diese seien aber ausschließlich in der und durch die „Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen. So hieß es im „Politischen Lexikon“ der NPD: „Menschenrechte: Vorstellung, dass allen Menschen Würde und gewisse Grundrechte angeboren seien. [...] Nationalisten erkennen an, dass Menschenrechte des einzelnen im Rahmen der Volksgemeinschaft bedeutungsvoll sind.“4 Wer Menschenrechte aber von der Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ (!) abhängig macht, übergibt sie einerseits dem über die Zugehörigkeit befindenden Staat; andererseits sind es dann keine universellen Rechte mehr, die jemand durch seine Qualität als Mensch hat, sondern Bürgerrechte oder Privilegien. Grundrechte sollten der NPD (und ihrer Nachfolgepartei Die Heimat) zufolge denn auch nicht für jeden, sondern nur „für jeden Deutschen“5 gelten.
Die Ablehnung universeller Menschenrechte wird von anderen rechtsextremistischen Akteuren argumentativ stärker untermauert – und offenbart gewisse Parallelen zur link(sextremistisch)en Position, ohne dass aber der grundlegend rechtsextremistische Antiuniversalismus aufgegeben würde. So spricht einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten in Europa, Alain de Benoist, von einem „Herrschaftsinstrument“ des Westens, der die Menschenrechte nutze, um „sich einmal mehr als Vorbild aufzuspielen und all diejenigen als ‚Barbaren‘ abzustempeln, die dieses ihr ‚Modell‘ ablehnen“6. Carl Schmitts Einfluss („Wer Menschheit sagt, will betrügen.“) ist unübersehbar. Die „Ideologie“ der Menschenrechte übersehe zudem „Zugehörigkeiten, Traditionen und Kontexte“ – die Parallele zu Pierre Krebs‘ Argumentation ist nicht zufällig. Vielmehr gilt die Zugehörigkeit zur eigenen ethnischen Gruppe im gesamten Rechtsextremismus als ausschließliches Kriterium für grundlegende Rechte. So propagiert Martin Sellner (Identitäre Bewegung) eine „Attacke und Dekonstruktion gegnerischer Begriffe“, darunter „Individualismus“ und „Universalismus“.7 So sieht Maximilian Krah, bis zu seinen Spionage- und Bestechungsskandalen wie apologetischen Äußerungen zur SS EU-Spitzenkandidat der AfD 2024, im „Menschenrechtsimperialismus“ des Westens ein Mittel zur „Durchsetzung der linksliberalen, woken Agenda“. Aus seiner Sicht müsste „die konkrete Ausformung der Menschenrechte nicht global-einheitlich, sondern je nach Kulturkreis verschieden“ erfolgen, was er dann eine „dezentrale Interpretation der Menschenrechte“ nennt. Menschenrechte seien „nicht absolut, sondern im Kontext der Gesellschaft zu definieren und dürfen nicht gesellschaftszerstörend wirken“.8 Die Unterdrückung der Uiguren in China, die Verfolgung von Ungläubigen in Afghanistan, aber auch die Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erhielten so einen Persilschein.
Linksextremismus
Kritik an Menschenrechten entzündet sich immer wieder an deren mangelnder universeller Geltung – und muss auch nicht extremistisch sein. Vielmehr weisen beispielsweise Vertreter des Postkolonialismus regelmäßig auf „rassifizierte Rechtspraktiken“ hin und darauf, dass „im Namen von Menschen- oder Frauenrechten, Demokratie und Rechtsstaat oder Entwicklung und Humanitarismus militärische Interventionen gerechtfertigt werden, die selbst massive Menschenrechtsverletzungen mit sich bringen und Staaten und Gesellschaften auf lange Zeit vom ‚Westen‘ abhängig machen“9.
Gänzlich anders argumentiert, wer dem menschenrechtlichen Universalismus grundsätzlich unterstellt, bloß die herrschenden Verhältnisse stabilisieren zu wollen, indem genuin politische Streitfragen auf globaler Ebene moralisiert und so bereits vorab entschieden würden.10
Dominierend ist – insbesondere im dogmatischen Linksextremismus – indes ein auf kollektive Sozialrechte reduziertes Menschenrechtsverständnis. Die konstitutionelle Demokratie wird als „bürgerlich“ gebrandmarkt, weil diese nur „formale Rechte“ kenne, in deren Genuss lediglich die „Bourgeoisie“ komme – ganz nach dem (fälschlich) Karl Marx zugeschriebenen Diktum „Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht Jedermann gestatten kann.“ Als menschenrechtliche Essenz gelten demgegenüber die „sozialen Rechte“, die ausschließlich durch den Sozialismus verwirklicht werden könnten. Dadurch findet aber nicht nur eine Reduktion des menschenrechtlichen Kanons statt. Aus naturgegebenen Abwehrrechten gegenüber dem Staat werden auch „positive Anspruchs- und Teilhaberechte“11, die der Staat gewährt. So heißt es im Programm der DKP: „Mit der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten und dem gesellschaftlichen Eigentum an allen wichtigen Produktionsmitteln wird der Sozialismus den demokratischen Rechten und Freiheiten, die bereits im Kapitalismus erkämpft worden sind, die unter der Herrschaft des Kapitals aber nicht gesichert sind oder nur formalen Charakter tragen, eine reale soziale Grundlage geben.“12 Man darf sich fragen, was die „elementaren“ Menschenrechte sind, die nur durch ein „Gemeineigentum an Produktionsmitteln“ durchgesetzt werden können.13
Ohne genuin linksextremistisch zu sein, stellt auch das Grundsatzprogramm der Partei Die Linke den Schutz der Menschenrechte durch die Demokratie infrage. Dort heißt es, immer mehr Menschen würden „den ungehemmten Kapitalismus“ ablehnen und stattdessen „eine Gesellschaft der Freiheit“14 befürworten, so als ob es im gegenwärtigen, demokratisch-konstitutionellen System (ob kapitalistisch oder nicht) keine „Gesellschaft der Freiheit“ gäbe. Die für linksextremistische Akteure typische Reduktion der Freiheitsidee auf materielle Rahmenbedingungen tritt deutlich hervor, wenn es heißt, „[i]ndividuelle Freiheit“ komme „durch sozial gleiche Teilhabe an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens und Solidarität“15 zustande. Mit einem Blick auf das im Jahr 2011 veröffentlichte, aber immer noch gültige, Parteiprogramm der Partei DIE LINKE, lässt sich zumindest eine Relativierung des menschenrechtlichen Individualismus erkennen: „Für DIE LINKE gehören politische und soziale, individuelle und kollektive Freiheits- und Teilhaberechte zusammen.“16 Damit befindet man sich in der Tradition Karl Marx‘, der den menschenrechtlichen Individualismus kritisierte.17
Tom Mannewitz
1 Steven Pinker, Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit, Frankfurt a.M. 2013, S. 225.
2 Ebd., S. 279.
3 Piere Krebs, Rechte der Völker im Widerspruch zu den Menschenrechten, unter: https://der-dritte-weg.info/2022/04/rechte-der-voelker-im-widerspruch-zu-den-menschenrechten/.
4 NPD, Politisches Lexikon der NPD, Berlin 2006.
5 NPD, Heimat! Werte! Normalität! Das Parteiprogramm der Heimat!, Bamberg 2010, S. 42.
6 Alain de Benoist, Den Westen brechen. Notizen zur Epoche des Globalismus, Dresden 2023, S. 108.
7 Martin Sellner, Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze, Schnellroda 2023, S. 170.
8 Maximilian Krah, Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 124 f.
9 Rahed Samour, Zur postkolonialen Kritik der Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49-50/2023, S. 12-18, hier: 13.
10 So etwa Slavoj Žižek, Human Rights and Its Discontents (Vortrag gehalten am 15. November 1999 am Bard College), unter: https://www.lacan.com/zizek-human.htm; Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a.M./New York 2003, S. 33-35; 128-137; 209 f.
11 Tom Thieme, Menschenrechte, in: Gereon Flümann (Hrsg.), Umkämpfte Begriffe. Deutungen zwischen Demokratie und Extremismus, Bonn 2017, S. 191-212, hier: 208.
12 DKP, Programm der Deutschen Kommunistischen Partei, 7. Aufl., 2020, S. 23.
13 Ebd., S. 3.
14 Die Linke, Programm der Partei DIE LINKE, Erfurt 2011, S. 70.
15 Ebd., S. 5.
16 Ebd., S. 45.
17 Vgl. Karl Marx, Zur Judenfrage, MEW, Band 1, Berlin 1976, S. 347-377, hier: 364.