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Destruktive Mythen im Rechtsextremismus

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Rechtsextremismus ist nicht zuletzt Irrationalismus: Vernünftig lässt er sich nicht begründen, und so greift er auf allerhand Mythen zurück, die meist eine Rückkehr zu angeblich „natürlichen“ und idealen vergangenen Zuständen versprechen. Diese rückwärtsgewandten Utopien gründen praktisch durchgängig auf destruktiven Mythen, in denen Kampf und Gewalt eine zentrale Rolle spielen.

 

Germanenmythen

Germanenmythen sind der Versuch, eine Vergangenheit zu konstruieren, die - bei Rechtsextremisten - das Trugbild einer heroischen Geschichte aus wilden, freien und kämpferischen „arischen“ Helden erzeugen soll. Da sich Germanien bis zur Römerzeit aber nicht auf eine erwähnenswerte Kulturgeschichte berufen kann, sondern eher eine wüste Landschaft aus undurchdringlichen Wäldern und Sümpfen darstellte, greifen Rechtsextremisten auf germanische und nordische Mythen zurück. Die finden sich in rechtsextremer Symbolik nahezu überall.

Das Leitbild ist hierbei der wilde, gewalttätige Kämpfer und Jäger - sein Bild passt zur generellen Gewaltneigung von Rechtsextremisten. Seine Symbolik findet sich auf vielen Ebenen: Als Abbildungen auf Zeitschriften, als Aufdrucke auf Szenekleidung, als Namen, die sich Rechtsextremisten in sozialen Medien geben; schließlich ist die Runen- und Symbolsprache in rechtsextremen Zusammenhängen vor allem des neonazistischen Typus allgegenwärtig. Rechtsextreme Musik (siehe auch Rechtsextremismus als „Event“: Rechtsextreme Musik) bedient sich der Bildersprache nordischer Mythen praktisch durchgängig. Besonders beliebt sind nordische Götter: Thor als Donnergott stand nicht zuletzt Pate für die Modemarke „Thor Steinar“, wo man auch einen Thorshammer als Amulett und Devotionalie erwerben kann. Mindestens ebenso hoch im Kurs steht der Kriegsgott Wotan oder Wodan (in der nordeuropäischen Mythologie Odin); rechtsextreme Frauen nehmen gerne Bezug auf Frigga und Freya. Die unterschiedlichen Runen gelten als Erkennungszeichen unter Rechtsextremisten (siehe auch Rechtsextreme Codes).

Dabei ist natürlich, wie oft im Rechtsextremismus, die kryptierte Botschaft eine Anspielung auf den Nationalsozialismus. Neonazis bedienten sich zahlloser Symboliken und Runen als Embleme für ihre Organisationen; ihre Verwendung, auch in abgewandelter Form, die nicht immer strafbar ist, stellt daher eine verdeckte Sympathieerklärung an den Nationalsozialismus dar. Auch hier war die Verherrlichung von Gewalt und Kampf sowie die Begründung einer nordisch-arischen Identität das ideologische Ziel gewesen.

Allerdings sind die meisten Götter oft nordeuropäische Entlehnungen indogermanischer Mythen, die bis weit in asiatische Kulturkreise zurückweisen. Was Rechtsextremisten für ein Produkt „germanischer Volkskultur“ halten, hat tatsächlich häufig einen „Migrationshintergrund“.

 

Neo-Heidentum

Als die NPD 1964 gegründet wurde, gerierte sie sich nach außen als Verteidigerin der christlich-abendländischen Kultur - auch wenn sie schon damals deren zentrale Werte nicht teilte. Damit ist es indessen völlig vorbei. Die fast flächendeckende Re-Nazifizierung des Rechtsextremismus in Deutschland hat auch zu einer dezidierten Ablehnung der christlichen Wurzeln Europas geführt: Neo-Heidentum (Paganismus) gehört zu den - meist unausgesprochenen - Selbstverständlichkeiten eines rechtsextremen Weltbildes.

Die Differenz ist nur konsequent: Rechtsextremismus lehnt schon die Grundwerte des Christentums und der Demokratie ab und will sie durch eine auf Gewalt, Rassismus und völkischer Führerdiktatur basierende Ordnung ersetzen. Die Idee einer Gleichheit des Menschen in seiner Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen, die christliche Friedensbotschaft, der Schutz der Schwachen und Armen sowie der Gedanke des Diskurses und des Kompromisses anstelle einer gewaltsamen Durchsetzung der eigenen Position - dies alles ist dem Rechtsextremismus zuwider. Zudem hat das Christentum wie alle Weltreligionen einen universalistischen Anspruch - es schließt niemanden wegen seiner Hautfarbe oder Ethnie aus.

Die rechtsextremistische Feindschaftserklärung ist daher konsequent: Rechtsextremisten stellen das Christentum vermehrt als jüdisch-christliche Verschwörung zur Beseitigung einer angeblich originären, älteren europäischen Identität dar. Der Niedergang Europas habe demzufolge mit der Christianisierung begonnen. Das Gegenteil ist richtig: Bis zum Zerfall des römischen Reiches konnte überhaupt nur von den westlich des Rheins und südlich des Mains gelegenen Teilen Germaniens von einer Zivilisation gesprochen werden. Erst die Christianisierung, Rodung der Wälder und Urbarmachung um 1000 n. Chr. schuf östlich davon die heutigen Kulturlandschaften. Rechtsextremisten können auch nicht erklären, wie sie ihre angebliche Wertschätzung für deutsche Kultur auf Gebieten wie Wissenschaft, Architektur oder Kunst ohne den Einfluss des Christentums begründen wollen. Der dezidierte Neo-Paganismus des heutigen Rechtsextremismus ist allerdings folgerichtig, wenn man seine diskreten Sympathien für den Nationalsozialismus in Rechnung stellt: Mit der christlich-jüdischen Kultur kann man zugleich auch Menschenrechte und Demokratie verwerfen, außerdem den Kampf des Nationalsozialismus gegen die christlichen Kirchen und vor allem - ohne es offen auszusprechen - gegen das europäische Judentum rechtfertigen.

Nicht automatisch eine Folge des Neo-Paganismus, aber mit ihm gedanklich verwandt, sind besonders in den USA verbreitete Ideen vom „Endkampf“ der „weißen Rasse“ gegen eine angeblich verderbliche „Völkervermischung“. Organisationen wie „White Aryan Resistance“, dann auch terroristische Strukturen wie „The Order“ stehen mit solchen rassistischen Ideen im Zusammenhang; ihr Vorbild hat offensichtlich auch den deutschen Rechtsterrorismus (siehe auch „Nationalsozialistischer Untergrund“) inspiriert.

 

Esoterik, Okkultismus, Satanismus

Alle drei Erscheinungen lassen sich sehr gut rechtsextremistisch intonieren. Die anschlussfähigen Aspekte sind bei ihnen die gemeinsamen Elemente Irrationalismus, im Falle mindestens des Satanismus auch ein an Germanenmythen anknüpfender Gewaltkult.

Rechtsextreme Esoterik, schreibt der Forscher Friedrich Paul Heller, transportiert im sanft-religiösen Unschuldsgewand rechte Hasssymbole.1 Zum Glück ist nicht der gesamte Esoterik-Markt dafür anfällig, denn er erreicht in Deutschland ein Millionenpublikum. Seine Kundschaft ist auf der Suche nach Sinngebung und emotionalen Erlebnissen in einer globalisierten, zunehmend rational gewordenen Welt. Hier liegt auch die Anschlussstelle für Rechtsextremismus: Mythen und Irrationales, die solche Bedürfnisse auch bedienen können, hält er reichlich vor. Ein gutes Beispiel dafür sind die Esoterik-Erzählungen des mit dem Künstlernamen Jan van Helsing firmierenden Udo Holey. Immer wieder webt er in seine phantastischen Erzählungen den Nationalsozialismus ein, sei es, dass Außerirdische den Hitlergruß zeigen oder eine nach 1945 überlebende NS-Kultur in das Erdinnere verlegt wird. Holeys Artefakte mit einer unübersehbaren Mystifizierung und damit Verharmlosung des historischen Nationalsozialismus erreichen Auflagenzahlen, von denen rechtsextreme Organisationen nur träumen können.

Einen noch direkteren Bezug zu rechtsextremem Gewaltkult weisen der (an sich unpolitische) Satanismus und der Okkultismus auf. Eine Schnittstelle bietet hier gewaltaffine Musik. Und die in satanistischen Kulten transportierten Riten stellen oft sehr direkte Bezüge zu germanischen Mythen, zu Heldenerzählungen, heidnischer Götterverehrung, aber auch zu Hexen- und Satansglauben her. Wer sich als Jugendlicher mit solchen Symbolen umgibt und sie sich zu eigen macht, der wird in den mit ihnen verbundenen Hass- und Gewaltideen nicht selten eine Parallele zum völkisch-rassistischen Rechtsextremismus finden. Der Schritt vom einen zum anderen ist nicht zwingend, aber kurz. Wer auf eine begründete Ablehnung von Rechtsextremismus Wert legt, wird sich deshalb auch kritisch mit destruktiven irrationalen Kulten wie Satanismus auseinandersetzen müssen.

 

Rudolf van Hüllen

 

Lesetipps:

  • Friedrich-Paul Heller / Anton Maegerle, Thule. Von den völkischen Mythologien zur Symbolsprache heutiger Rechtsextremisten, 3. überarbeitete Aufl. Stuttgart 2007.
  • Birk Meinhardt, Arier im Mikrowellen-Krieg. Eine Reportage über braune Esoterik, online abrufbar.
  • Rassismus im (neuen?) Gewand – Braune Esoterik, Verschwörungstheorien, Blut-, Boden- und Rassereligionen (Dokumentation der Jahrestagung 2012 der Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., online abrufbar.
  • Es gibt zahleiche Broschüren zu den archaischen Riten im Rechtsextremismus. Eine der besten stammt von der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern, online abrufbar.
  • Und für die tatsächlichen kulturellen Wurzeln Europas: Ferdinand Seibt, Die Begründung Europas. Ein Zwischenbericht über die letzten 1000 Jahre, Frankfurt/Main 2002.

 


Friedrich Paul Heller, Mythologie und Okkultismus bei den deutschen Rechtsextremen, in: Bernd Wagner/Thomas Grumke (Hrsg.), Handbuch Rechtsradikalismus, Opladen 2002, S. 203-212, hier S. 206.

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