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Neonazi-„Kameradschaften“

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Eine neonationalsozialistische Szene hat es in der Bundesrepublik als gesellschaftlich extrem isoliertes Phänomen schon immer gegeben. Diese sogenannten Stiefel-Nazis strebten direkt eine Wiedererrichtung des NS-Regimes und als ersten Schritt dazu eine Aufhebung des NSDAP-Verbots an - selbstverständlich vergeblich. In den 1980er Jahren versammelten sich in ihr um die 1.500 Personen. Heute gibt es laut Verfassungsschutz rund 5.800 Neonazis.

Für diesen unerfreulichen Aufwuchs der Anhängerschaft einer menschenverachtenden Idee vor allem in den neuen Bundesländern gibt es mehrere Ursachen. Unter der SED-Diktatur waren alle „neofaschistischen“ Aktivitäten strengstens verboten, denn die DDR gab sich offiziell als „antifaschistischer Staat“ (siehe auch War die DDR ein „antifaschistischer“ Staat?). NS-Propaganda musste unter diesen Umständen nicht nur den Kick des Verbotenen entwickeln, sondern stellte zugleich die größtmögliche Provokation dar. Zudem legte die SED mit etlichen Merkmalen ihrer DDR - Zerstörung der Bürgergesellschaft, Autoritarismus und Militarismus - die Wurzeln für ein Wiederaufleben von Rechtsextremismus. Westdeutsche Neonazis versuchten dann, ihre ostdeutschen Kameraden seit 1990 beim Aufbau neonazistischer Strukturen zu unterstützen.

Die Transformation in ein völlig neues Gesellschaftssystem hatte zwangsläufig auch so genannte „Vereinigungsverlierer“ hinterlassen. Ein Teil derjenigen, die mit dem rapiden Wandel nicht zurechtkamen, reagierte mit einem Rückzug in ein übersteigertes Nationalbewusstsein und kompensierte seine Verlustgefühle durch Hass gegen sozial noch schwächere Bevölkerungsteile. Geschulte Rechtsextremisten befeuerten solche Reaktionen, indem sie nations-„sozialistische“ Auswege anboten.

Die staatliche Reaktion auf einen starken Anstieg rechtsextremistischer Gewalt bestand ab 1992 in einer Verbotswelle gegen neonazistische Gruppen, die sich einen Namen und eine förmliche Vereinsstruktur zugelegt hatten. Ihre klügeren Vertreter sannen auf Abhilfe und schauten dazu auf Organisationsformen des konkurrierenden Linksextremismus: „Warum werden am laufenden Band rechte Organisationen verboten (...) und gegen die Linke gibt es so etwas nahezu nie? Nur, weil der staatliche Druck gegen uns stärker ist? Nein! Weil die Linke (...) gelernt hat, ohne Organisationen auszukommen. Das sollten wir auch lernen.“ Bei diesen Vorgaben im Jahr 1998 hatte der aus Hamburg stammende führende Neonazi-Funktionär Christian Worch die losen und netzwerkförmig miteinander kooperierenden Gruppen der Autonomen im Auge.

Künftig organisierten sich Neonazis statt in förmlich verfassten Vereinen in zellenartigen, an eine Region oder Stadt gebundenen, 10 bis 25 Aktivisten umfassenden „Kameradschaften“. Größe und Zusammensetzung, auch die Namen konnten wechseln. Formale Führungsstrukturen gab es nicht. Das alles widersprach im Grunde der an Größe, Macht und Hierarchie orientierten Tradition des Rechtsextremismus. Es bot dem Staat aber weniger günstige Ansatzpunkte für Verbote. Und: Intern existierte in den Kameradschaften eine klare Hackordnung. In der Regel stand ihnen ein „Kameradschaftsführer“ vor, der nicht gewählt, sondern nach Erfahrung, Alter und Durchsetzungsfähigkeit bestimmt wurde; zu letzterem zählten auch „Qualifikationen“ wie einschlägige Vorstrafen und Brutalität.

Um die juristische Unangreifbarkeit zu komplettieren, verzichteten die Kameradschaften allerdings zumeist auf allzu deutliches martialisches Auftreten. Statt „Scheitel“ oder Skinhead-Outfit (siehe auch Rechtsextreme Dresscodes) trugen ihre Mitglieder Jeans und ordentliche Handwerkerhemden, bemühten sich um Akzeptanz bei der ansässigen Bevölkerung als die „netten und ordentlichen jungen Leute“ aus dem Ort, die auch mal in entlegenen Gemeinden der neuen Bundesländer die Kita anstreichen halfen oder einen Liederabend für alte Menschen veranstalteten. Sie nannten sich „Bürgerinitiative ‘Schöner wohnen in Ueckermünde’“ (und meinten damit unter anderem: ohne Aslybewerberheime) und verteilten kostenlos Lokalzeitungen (mit einschlägigen Themen) wie den „Insel-Boten“ auf Rügen. Diese Taktik verfing im Osten eher als in den alten Bundesländern.

Das Etikett Kameradschaften ist heute in der Neonazi-Szene eher „out“ - der Inhalt besteht in unterschiedlichen Formen fort: als „zeitgemäß“ modernisierter Neonationalsozialismus.

 

Rudolf van Hüllen

 

Lesetipps:

  • Andrea Röpke / Andreas Speit (Hrsg.), Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Berlin 2004

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Felix Neumann

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