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SED-RAF-Kooperation
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Konfliktuelle Komplizenschaft: Zur Kooperation und Kollaboration von RAF und SED/MfS
Beginn der SED-RAF-Kooperation
Zu den Verbrechen der RAF und der SED - bzw. dem MfS als dem zentralen Instrument der Diktaturpartei - gehörte ihre wechselteige Kooperation, Kollaboration, Kumpanei und Komplizenschaft. Hierbei handelt es sich um einen bislang kaum beachteten Teil der deutschen Zeitgeschichte, über den es aktuellere Aktenfunde gibt. Die Zusammenarbeit der RAF mit der SED und ihrem MfS begann bereits kurz nach deren Gründung.1 So hatte Ulrike Meinhof schon Anfang der 1970er Jahre in der DDR u.a. sondiert, inwieweit die SED die RAF unterstützen würde. Tatsächlich ließ die SED einige RAF-Mitglieder bereits seit Anfang der 1970er Jahre über den Flughafen Berlin-Schönefeld u.a. in den Nahen Osten ein- und ausreisen, wo sie an palästinensischen Ausbildungslagern für Terroristen teilnahmen. Ende der 1970er Jahre intensivierten RAF und SED bzw. das MfS ihre Zusammenarbeit. Eine wichtige Rolle hierbei spielte - aufgrund ihrer damaligen MfS-Kontakte - die 2022 verstorbene Terroristin Inge Viett. Damit begann ein besonderes Kapitel der SED-RAF-Kollaboration.
Ziele der SED-RAF-Kooperation
Zwar ist individualistischer Terror („anarcho-terroristische Kräfte“), wie ihn die RAF ausübte, aus marxistisch-leninistischer Sicht abzulehnen. Daran fühlte sich grundsätzlich auch die SED als Auftraggeber des MfS gebunden. Denn im kollektivistischen Selbstverständnis der SED drohte durch individualistischen Terror eine Entfernung und „Entfremdung“ vom „Proletariat“ als dem „revolutionären Subjekt“. Insofern unterschieden sich die jeweiligen Strategien von SED und RAF zur sogn. „Überwindung“ des „Kapitalismus“ gravierend.
Andererseits teilten RAF und SED eben ideologische Affinitäten mit gemeinsamen Feindbildern. So verbanden SED und RAF weltanschaulich ihr Hass auf die rechtsstaatliche Demokratie der Bundesrepublik („Kapitalismus“) und ihre Feindschaft sowohl gegenüber den USA als auch Israel. Mehr oder minder explizit präsentierten sowohl die SED als auch die RAF den „Kapitalismus“ in der Bundesrepublik als die zentrale Ursache des Terrorismus. Neben ihrer ideologischen Nähe pflegten RAF und SED darüber hinaus jeweils enge Beziehungen zu identischen Verbündeten, u.a. zu sogn. „Befreiungsbewegungen“ wie der antisemitischen PLO.
Bei aller deutschlandpolitischen Brisanz in Zeiten deutsch-deutscher Verständigung (u.a. Milliardenkredite der Bundesrepublik Mitte der 80er Jahre für die DDR gegen Zugeständnisse bei Menschenrechten) zielte die SED daneben darauf, durch ihre Kollaboration mit der RAF den westdeutschen Linksterrorismus stärker aufzuklären, RAF-Mitglieder zu identifizieren, deren private Verbindungen in die DDR aufzudecken und von RAF-Plänen zu erfahren. Denn trotz ihrer Allianz mit der RAF befürchtete die SED offenbar, westdeutsche RAF-„Anarchisten“ könnten auch gegen die DDR mörderische Anschläge verüben, zum Beispiel gegen DDR-Botschaften. Grundsätzlich gehörte „Anarchismus“ zu den traditionellen SED-Feindbildern.
Um die aktive RAF daher präventiv bereits von Anschlagsplanungen abzuhalten, wollte die SED durch die Aufnahme von demobilisierten RAF-Mitgliedern ein Druckmittel („Faustpfand“) gegen die westdeutsche Terrorgruppierung gewinnen. Ferner sorgte sich die SED, durch Großfahndungen nach der RAF in der Bundesrepublik könnten auch Stasi-Agenten im Westen („Operationsgebiet“)auffliegen und westdeutschen Sicherheitsbehörden „ins Netz gehen“.2 Ebenfalls fürchtete die SED später, festgenommene RAF-Terroristen könnten die Kooperation von SED und RAF ausplaudern und damit die DDR-Außenpolitik schädigen. Auch deshalb warnte das MfS - auf Basis von IM-Hinweisen aus dem Westen - aktive RAF-Kader offenbar mitunter vor westdeutschen Fahndungsmaßnahmen.3 Ohnehin wollte die SED Fahndungserfolge des „Klassenfeindes“ aus dem Westen gerade gegen die RAF dringend verhindern.
Durch die Zusammenarbeit der SED mit der RAF wollte Honeckers Partei letztlich vor allem Ansätze finden, um die bei ihr verhasste Bundesrepublik politisch zu destabilisieren und die DDR zu stabilisieren. Um die eigenen Interessen zu fördern, mahnte die SED die RAF zum Beispiel kurz vor der Bundestagswahl 1980 zu Zurückhaltung. Umgekehrt wollte die RAF-Spitze einen sicheren Rückzugsort für die demobilisierten „Kämpfer“ finden und deren Festnahme auch deshalb verhindern, weil sie fürchtete, im Gefängnis könnten ihre Genossen, um Strafnachlass („Kronzeugenregelung“) zu erlangen, mit „Repressionsorganen“ kooperieren und Interna ausplaudern, darunter konspirative Wohnungen („KW“) oder Depots der aktiven RAF, Falschidentitäten von aktiven RAF-Kadern und überhaupt Details der RAF-Arbeitsweise im Untergrund bzw. in der Illegalität.
Praxis der SED-RAF-Kooperation
Gerade nach dem Ende der Schleyer-Entführung und nach der „Stammheimer Todesnacht“ grassierten in Teilen der RAF sowohl Resignation als auch Ausstiegswille. In der DDR schienen die demobilisierten „Kämpfer“, ohne hohen Fahndungsdruck durch das Bundeskriminalamt, vor dessen Zugriff weitgehend sicher. Denn fast selbstverständlich verzichtete das MfS konsequent darauf, die gesuchten RAF-Mitglieder bundesdeutschen Sicherheitsbehörden zu übergeben. Die demobilisierten RAF-Terroristen selbst wollten offenbar lieber im „Realsozialismus“ leben als in bundesdeutschen Gefängnissen landen.
Nur kurzzeitig hatten SED und RAF zuvor erwogen, die demobilisierten „Kämpfer“ in einem afrikanischen Land anzusiedeln, z.B. Angola, Mosambique oder Kap Verden, mit denen die SED enge Beziehungen pflegte. Doch eine solche Lösung in Afrika für die westdeutschen RAF-Aussteiger bewertete die SED bald als zu auffällig, zu gefährlich und zu wenig praktikabel, u.a. deshalb, weil es den ausrangierten Terroristen an Kenntnissen des Portugiesischen als der Landessprache in Angola, in Mosambique und auf den Kap Verden mangelte. Auch litten die drei Länder aus SED-Sicht, u.a. wegen der Aktivitäten „konterrevolutionärer Kräfte“, an politischer Labilität - im Kontrast zur damals eher stabilen DDR. Um möglichst wenig aufzufallen, mussten die neuen DDR-Bürger freilich später auch in der DDR erst die Alltagssprache erlernen, wie Inge Viett schreibt.4 Ohnehin beäugten auch in der DDR manche Bürger die Neuankömmlinge aus dem Westen besonders aufmerksam, weil eine Einwanderung aus der Bundesrepublik in den SED-Staat natürlich sehr ungewöhnlich schien – in der Regel verlief die Migration bekanntlich eher in umgekehrte Richtung.
Auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf und Rückzugsraum für kampfesmüde Terroristen, die für ihre Genossen zunehmend eine Belastung und Gefahr bedeuteten, einigten sich RAF und MfS im SED-Auftrag daher 1980 darauf, zehn RAF-Mitglieder (Susanne Albrecht; Silke Maier-Witt; Werner Lotze und Christine Dümlein; Ekkehard von Seckendorff und Monika Helbing; Ralf Baptist Friedrich und Sigrid Sternebeck; Inge Viett; Henning Beer) im SED-Staat, im ganz nahen Osten, legendiert mit neuer Identität und neuen Ausweispapieren unterzubringen und zu beherbergen (MfS-Operativfall „Stern 2“). Hierfür mussten die RAF-Aussteiger weitgehend fingierte Lebensläufe vorlegen. Darin nannten sie gemeinhin ausländische Städte faktenwidrig als ihren Geburtsort und deklarieren die eigenen Eltern realitätsfern als verstorben, um Nachfragen und
-forschungen zu erschweren.
In ihrem handschriftlich verfassten, erhalten gebliebenen „Lebenslauf“ bekundete zum Beispiel Monika Helbing 1980, sie sei in die DDR eingewandert, weil sie in einem Land leben wolle, das „an der Seite der befreiten Länder und Befreiungsbewegungen der 3. Welt gegen den Imperialismus kämpft“.5 Silke Maier-Witt erbat 1980 ebenfalls Aufnahme in die DDR, „um mich auf diese Weise am Kampf für den Frieden, für den Aufbau des Sozialismus gegen den Imperialismus zu beteiligen“.6 Später ließ die SED die reale Integration der RAF-Aussteiger in die DDR regelmäßig untersuchen. Demgemäß hielt das MfS die RAF-Aussteigerin Monika Helbing („Elke Köhler“) für „loyal gegenüber unserem Staat“,7 wie nicht vernichtete Aktenfunde in insgesamt weit über 100 Regalkilometern MfS-Schriftgut zeigen - Helbing hatte 1977 die Wohnung in Erftstadt-Liblar („Volksgefängnis“) unter einem Falschnamen angemietet, in der die RAF ihr Entführungsopfer Hanns Martin Schleyer zuerst versteckte.
In der DDR unterstützte das MfS die RAF-Aussteiger einerseits finanziell, aber auch durch Arbeitsplätze („RAF in die Produktion“) und Wohnungen – möglichst unauffällig in eher unpersönlich-anonymen Gegenden und weit entfernt sowohl von Transitstrecken als auch der Westgrenze. Andererseits kontrollierte die Stasi die westdeutschen Neubürger, indem sie u.a. ihre Post überwachte, ihre Telefone abhörte und ihre Wohnungen verwanzte. Durch die Beobachtung und Bearbeitung der RAF-Aussteiger wollte das MfS u.a. möglichst frühzeitig mitbekommen, wenn westdeutsche Zielfahnder auf die DDR-Spuren der RAF gelangen sollten. Daher überwachten bis zu 20 IM „Inoffizielle Mitarbeiter“ (IM) die RAF-Aussteiger. Unter anderem wolllte die SED wissen, inwieweit die Legenden der RAF-Aussteiger den Praxistest bestanden. Weil die SED eine Dekonspiration ihrer Liaison mit der RAF fürchtete, überwachte das MfS die RAF-Ruheständler und ihre persönlichen Kontakte in der DDR.8 Dadurch erfuhr das MfS, wie einige RAF-Aussteiger u.a. eine ausgeprägte Ausländerfeindlichkeit und einen massiven Materialismus zahlreicher DDR-Bürger bemerkten, die aus SED-Sicht eher Untertanen waren.
Zugleich arbeiteten einige der demobilisierten RAF-Kader selbst als IM für das MfS, u.a. Silke Maier-Witt (IM „Anja Weber“), die an der Entführung und Ermordung Schleyers und seiner Begleiter beteiligt gewesen war, und Susanne Albrecht (IM „Ernst Berger“), die als „Türöffnerin“ an der Ermordung Jürgens Pontos, eines engen Freundes ihrer Eltern, mitgewirkt hatte. So lieferten die IM u.a. Stimmungsberichte aus „volkseigenen“ Betrieben und denunzierten DDR-Bürger, denen es an politischer Linientreue mangele. Später gab das MfS einigen der RAF-Aussteiger, weil deren Enttarnung bzw. Dekonspiration durch Westbesucher und durch Fahndungs-Hinweise aus dem „BRD“-Fernsehen drohte, nochmal eine neue Identität, zum Beispiel Silke Maier-Witt, die damals als Krankenschwester in Erfurt lebte, also mitten in Deutschland.
Bereits Anfang der 1980er hatte das MfS außerdem sogar aktive RAF-Terroristen wie Christian Klar protegiert, der in der DDR eine medizinische Behandlung erhalten und im sicheren Hinterland des SED-Staates u.a. den Einsatz einer Panzerfaust geübt hatte (MfS-Operativfall „Stern 1“). Inwieweit solche Übungen der direkten, konkreten Vorbereitung von Anschlägen dienten und ob das MfS zum Beispiel noch 1989 an der technisch elaborierten Ermordung Alfred Herrhausens mitgewirkt hat, scheint bislang unklar. Neben Klar erhielt Inge Viett (IM „Maria“) in der DDR durch das MfS eine militärische Ausbildung.9 Viett rangierte auf den damaligen Fahndungslisten weit oben, weil sie 1981 den Polizisten Francis Violleau in Paris durch Pistolenschüsse für den Rest seines Lebens zum Pflegefall gemacht hatte.
Erst zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung verhafteten Beamte des Zentralen Kriminalamtes der DDR im Sommer 1990 in Kooperation mit westdeutschen Sicherheitsbehörden die zehn demobilisierten RAF-Terroristen in der DDR. Nach der Verhaftung der zehn demobilisierten RAF-Mitglieder 1990 verklärten ehemals zuständige MfS-Verantwortliche die SED-Komplizenschaft mit der RAF als einen Beitrag zur Terrorbekämpfung. Letztlich verurteilte kein Gericht auch nur eine Person aus der SED oder ihrer Geheimpolizei für die Kollaboration mit der RAF zu einer Haftstrafe.10
Harald Bergsdorf
1 Vgl. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik: „...anarcho-terroristische Kräfte“. Die Rote Armee Fraktion und die Stasi, Berlin 2017.
2 Vgl. BStU, MfS, HA XXII, Nr. 1261, Bd. 4, BL 7-8.
3 Vgl. Frank Wilhelm: RAF im Osten. Terroristen unter dem Schutz der Stasi, Neubrandenburg 2016, S. 27.
4 Vgl. Inge Viett: Nie war ich furchtloser. Autobiographie, Hamburg 1997, S. 220ff.
5 Vgl. BStU, MfS, BV Frankfurt, KD Frankfurt, ZMA, Nr. 5163, BL 8-11.
6 Vgl. BStU, MfS, HA XXII, Nr. 19481, BL 2-5.
7 Vgl. BStU, MfS, BV Frankfurt, KD Frankfurt, ZMA, Nr. 5363, BL 16.
8 Vgl. BStU, MfS, HA XXII, Nr. 780, Bd. 9, BL 1-6.
9 Vgl. BStU, MfS, HA XXII, Nr. 19309, BL 178-180.
10 Vgl. Frank Wilhelm: RAF im Osten. Terroristen unter dem Schutz der Stasi, Neubrandenburg 2016, S. 167.